Politik beim kleinen Braunen

Der Wiener trifft sich gerne im Kaffeehaus. Auch die Politik hat seit Jahrzehnten ihre Treffpunkte von Café Eiles bis zum Landtmann. Ein Streifzug.

von Politik - Politik beim kleinen Braunen © Bild: Ricardo Herrgott News Ricardo Herrgott

Für einen Dienstagmorgen ist es ziemlich ruhig an der Brandstätte. Auf dem Platz im ersten Wiener Gemeindebezirk lungern nur eine Handvoll Gäste an den Tischen vor den Cafés herum und blättern in den bereitgestellten Tageszeitungen. In der Ecke sitzt ein ÖVP-naher Politikberater, ein paar ­Meter weiter scannt eine Nationalrats­abgeordnete ihr Handy. Eine Stunde später wird hier die traditionelle wöchentliche Redaktionssitzung des Wochenmagazins „Falter“ im Café stattfinden.

Die Brandstätte mit ihren zwei Cafés ist einer der Orte, an denen Politik und Medien Wiens gerne verkehren. Die Cafés leben hier nicht nur von der netten Atmosphäre, sondern auch von der Lage genau in der Mitte zwischen den Ministerien und einigen Redaktionen: Verlagsgruppe News, „Standard“ und der „Falter“ sind nicht weit. An der Brandstätte, unweit des Stephansdoms, herrscht aber auch ein unsichtbarer Graben: Auf der einen Seite trinken die Bürgerlichen ihren Kaffee im Delia’s. Einen Meter weiter, im Café Korb, sitzt die linke Reichshälfte vor ihrer Melange. Natürlich wird das eher lose gehandhabt. Aber es reicht, um sich spielerisch zu bekriegen.

Das Kaffeehaus ist seit jeher ein elementarer Bestandteil der Wiener Öffentlichkeit. Ein Ort der Begegnung, der Muße und der Ruhe. „Eine Art demokratischer, jedem für eine billige Schale Kaffee zugänglicher Klub“, beschrieb es der Schriftsteller Stefan Zweig in seiner Biografie.

Das gilt auch für die Politik. In zahlreichen Kaffeehäusern rund um den ersten Bezirk, wo sich die Bundes- und die Wiener Landespolitik konzentrieren, treffen sich Politiker oder verkehren mit Journalisten, führen informelle Gespräche, geben Interviews oder plaudern ganz einfach. Viele von ihnen haben ihre Büros in der Nähe. Aber nicht immer eignet sich das eigene Büro für ein Treffen. Das hat manchmal ganz profane Gründe – auch Politiker kommen gerne mal raus, wollen Mittag essen oder ziehen den Cappuccino um die Ecke der Kaffeemaschine in den Klubräumen vor. Gelegentlich sollen aber auch die Kollegen nicht sofort mitbekommen, mit wem man sich da gerade so trifft.

© Ricardo Herrgott News Ricardo Herrgott "Wenn man will, dass ein Treffen in der Zeitung landet, geht man ins Landtmann" Berndt Querfeld. Der Gastronom führt den Touristen- und Politiktreff in zweiter Generation

Haider bis VdB

Wenn man ein bisschen Ruhe und Abgeschiedenheit für das Gespräch braucht, geht der „politmediale Komplex“ zum Beispiel gerne ins Café Eiles. Das Café am Anfang der Josefstädter Straße ist vor allem bei der Rathauspolitik beliebt, aber auch Abgeordnete und manch leitende Redakteure von Boulevardmedien sitzen hier gerne stundenlang und schauen, was so in der Welt passiert. Das Eiles ist ein klassisches Wiener Kaffeehaus mit entsprechender Küche. Als Polittreff hat es eine gewisse Tradition: Der Haider-Schüssel-Pakt wurde hier geschlossen, viele Exminister haben dort immer noch ihren Stammtisch. 2015 wurde das Eiles nach einem Konkurs von dem Kärntner Gert Kunze übernommen und „behutsam in die Jetztzeit geführt“, wie er selbst sagt. Seitdem hat sich auch der Geist des Cafés leicht erneuert. Es ist alles ein wenig freundlicher geworden, der sprichwörtliche Wiener Grant ist Kärntner Herzlichkeit gewichen. Unter den Auszubildenden sind heute afghanische Flüchtlinge, im Bundespräsidentenwahlkampf machte man sich für Alexander Van der Bellen stark. Geschadet hat das dem Eiles aber auch unter konservativen Kräften nicht, auch Schwarze und Türkise gehen hier weiterhin gerne hin. „Unser Café ist ein Ort, an dem Politiker ungestört parlieren können“, sagt Kunze. „Etwas abseits vom Café Landmann, wo man eher im Rampenlicht steht.“

Im Rampenlicht

In Wien gibt es tatsächlich ein beliebtes Bonmot: Wenn man will, dass das Treffen in der Zeitung landet, geht man ins Landtmann. Das mondäne Café nahe dem Burg­theater wird nicht nur gern von Touristen besucht, sondern ist ein Haupttreffpunkt für Politik, Kultur und das Bürgertum der Hauptstadt. Oft kriegt man im Landtmann keinen Tisch mehr, vor allem die beliebten Inseln am Fenster zum Ring sind schnell belegt. An diesem frühen Nachmittag im Juni ist es allerdings eher spärlich besucht. Berndt Querfeld, der das Landtmann in zweiter Generation führt, lässt sich in einer der freien „Logen“ nieder. „Wir haben in der Tat sehr viele Stammgäste aus der Stadt- und Bundespolitik, die regelmäßig unser Kaffeehaus besuchen, ob beruflich oder privat.“ Auch die US-Botschaft schicke immer ihre Botschafter vorbei, um Wien kennenzulernen. Und Stammgäste wie Karl Blecha seien dem Landtmann über die verschiedenen Stationen ihrer Karriere immer treu geblieben.

Die jüngere Geschichte des Landtmann als der Inbegriff des Politiktreffs begann vor knapp 40 Jahren. Eine Gruppe aus jungen ÖVPlern rund um Erhard Busek, die sich selbst „die bunten Vögel“ nannten und die Wiener Landespartei erneuern wollten, beschlossen, mit ihren Pressekonferenzen aus der Zentrale herauszugehen. Sie veranstalteten am ersten Dienstag das erste „Wiener Pressekaffee“ und begründeten damit die Tradition des Café Landtmann als Ort, wo man die Medien empfängt. Noch heute finden im Landtmann an einem Werktag zwei bis drei Pressekonferenzen statt. Die Konditionen sind simpel und immer dieselben, egal, ob ein kleiner Verein oder ein Nationalratsklub anfragt: keine Raummiete, bezahlt wird nur die Konsumation. Für das Café ist es trotzdem ein gutes Geschäft, auch weil sich viele Gäste, die zu den Pressekonferenzen kommen, für später etwas ausmachen.

Rund um das Landtmann gibt es zahlreiche Geschichten, die irgendwo zwischen Wahrheit, Dichtung und Übertreibung mit einem wahren Kern pendeln. Verbürgt ist die Geschichte von Helmut Zilk, damals Wiener Bürgermeister, der einmal seinen Kaffee im Mantel auf der Fensterbank sitzend trank, als er an einem kalten Herbsttag keinen Platz mehr bekam. Und auch heute würde für einen Bürgermeister, der zu spät kommt, kein bereits belegter Tisch freigemacht. „Das ist, glaube ich, unser Geheimnis: Wir behandeln die prominenten Gäste mit Respekt, ohne ihnen den roten Teppich auszurollen“, sagt Querfeld. Das wollten die Gäste auch gar nicht. Jeder Gast sei grundsätzlich gleich und willkommen, solange er sich benehmen würde.

Schlecht für das Geschäft ist der Ruf als „Politbude“ offensichtlich nicht. Querfeld nennt das scherzhaft „Erlebnisgastronomie“: Die Gäste gingen nicht „Politikerschauen“, aber wenn dann mal ein Minister am Nebentisch sitzt, ist das doch ein Highlight. „Hier spielen sich manchmal Dinge ab, die am nächsten Tag in der Zeitung stehen“, sagt Querfeld. „Das ist für die anderen Gäste schon aufregend.“

© Ricardo Herrgott News Ricardo Herrgott "Die Konditorei Sluka am Rathausplatz ist das Hinterzimmer der Politik" Robert Beranek. Der Wiener führt einen Ort voll Herzlichkeit und Diskretion

Äußerste Diskretion

Wenn das Landtmann der Laufsteg der Politik ist, sind Orte wie die Konditorei Sluka ihr Hinterzimmer. Zugegeben: ein sehr schönes Hinterzimmer. Das Sluka ist ein unauffälliges Lokal zwischen Rathaus und Parlament mit beeindruckender Vergangenheit. Das kleine Etablissement besteht seit 1891, schon wichtige Beamte der Monarchie verkehrten hier. Das Sluka mit seinem Leuchter und den Stuckdecken umweht eine Patina, zwischen der Mitarbeiter der Nationalratsclubs oder der nahen ÖVP-Zentrale gerne zur Schinkenrolle oder den üppigen Torten Platz nehmen.

„Wer zu uns kommt, hat die Möglichkeit zum vertraulichen Gespräch“, sagt Robert Beranek. Beraneks Eltern übernahmen die Konditorei 1960, heute führt der Sohn das Geschäft, das mittlerweile auch eine Filiale auf der Kärntner Straße hat und seit 2015 zur List-Group gehört. Beranek erzählt von der Geschichte und der Philosophie seiner Eltern: Als Marketing immer wichtiger wurde, hätten sie bewusst beschlossen, genau darauf zu verzichten.

„Bei uns ist es eher ‚low key‘, wie man heute gerne sagt“, sagt Beranek. Man begrüße auch Stammgäste freundlich, aber diskret. Und nie mit Namen. So könne auch ein Regierungschef oder der Bundespräsident einkehren und in Ruhe seine Melange genießen. Was im Sluka passiere, bleibe auch im Sluka. „Bei uns haben sich in der Vergangenheit auch Abgeordnete von Klubs getroffen, die öffentlich keinen oder eher sehr unfreundlichen Kontakt hatten.“ Er glaubt, dass im Sluka durchaus ein paar größere Entwicklungen des Landes ihren Anfang genommen hätten.

Was heißt das genau? Beranek grinst und schüttelt freundlich den Kopf. „Wenn ich das sagen würde, würde ich alles konterkarieren, was ich bis jetzt gesagt habe.“

Beranek verkörpert damit wahrscheinlich exakt die Mischung, die es für einen erfolgreichen Gastronomen in dieser Umgebung und mit diesen Gästen braucht: freundliche Professionalität, Herzlichkeit, aber auch Diskretion, wenn sie geboten ist. Das schätzen schon Privatleute, aber Politiker noch viel mehr.

Neues Gleichgewicht

Es gibt eine Vielzahl an Gründen, warum ein Kaffeehaus ein Politikertreff werden kann, der wichtigste ist aber die Lage. Das politische Leben der Hauptstadt spielt sich hauptsächlich auf ein paar Quadratkilometern zwischen Hofburg, Parlament und Rathaus ab. Dort befinden sich fast alle Parteizentralen, die Klubräume und Ministerien. Und eben auch die entsprechenden Lokalitäten. So ist auch das Café Bellaria nahe dem in Renovierung befindlichen Parlament ein beliebter Treffpunkt, vor allem seit der SPÖ-Klub sein Ausweichquartier im Häuserblock bezogen hat. Oder das Café Stein, das über einen kleinen Raum für Pressekonferenzen verfügt und deshalb von Klubs, die selbst keine großen Räumlichkeiten haben, genutzt wird. Und daneben sicher noch ein paar Plätze, die so geheim sind, dass sie nie nach außen dringen.

Der räumliche Schwerpunkt der Politik ist überraschend sensibel, und so hat auch die Verlagerung des Parlaments in das Ausweichquartier Hofburg die Plätze, an denen sich die Politik trifft, ein wenig verlagert. Die Abgeordneten der ÖVP sind jetzt öfter im Schwarzen Kameel zu sehen, und allgemein geht die „Polit-Zone“ jetzt sehr viel weiter in die Innere Stadt hinein, die sie vorher eher nur gestreift hat.

Doch egal, ob man sich bewusst auf dem Präsentierteller zeigen will oder Diskretion sucht: Wer in Wiener Gastronomiebetrieben Politik macht, ist nie ganz unbeobachtet. Ende des Vorjahres überredeten die Wiener Stadträtinnen Renate Brauner und Sandra Frauenberger den Klubobmann Andreas Schieder zur letztlich erfolglosen Kandidatur als Häupl-Nachfolger.

Das Treffen fand in einer unscheinbaren Pizzeria in Margareten statt, weitab vom Schuss. Ein paar Tage später war es trotzdem in der „Kronen Zeitung“. Da hätte man freilich gleich ins Landtmann gehen können.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 32/2018