Heinz Faßmann,
der Ping-Pong-Spieler

Bildungsminister Heinz Faßmann hat die schwere Aufgabe übernommen, das Schulsystem auf Vordermann zu bringen. Seine ersten Schritte in diese Richtung wurden bislang allerdings von Kritik begleitet. Der Weg des bisherigen Fachmanns zwischen Regierungsprogramm und Wissenschaft bleibt auch weiter holprig

von Politik - Heinz Faßmann,
der Ping-Pong-Spieler © Bild: Copyright 2018 Matt Observe - all rights reserved. News Matt Observe

Donnerstagnachmittag, kurz vor Büroschluss. Leises Klavierspiel durchzieht das Gebäude am Wiener Minoritenplatz, untermalt vom Gemurmel einer größeren Menschenmenge. Im Blauen Salon des Bildungsministeriums wird gefeiert. Nur eine Tür weiter sitzt der zuständige Minister, Heinz Faßmann, in seinem Büro. Auch dort ist die Veranstaltung noch deutlich zu hören: der Applaus, das Anstoßen, das Gelächter.

Den von der ÖVP nominierten Ressortchef stört das alles nicht. Gut möglich, dass er es nicht einmal hört. Den früheren Experten beschäftigen gerade ganz andere Themen. Ein schwierigeres davon ist sicherlich die Schule. Denn Faßmanns bisherige Versuche, an der so oft und von so vielen Seiten monierten Bildungsmisere etwas zu ändern, waren bisher nicht von Applaus begleitet. Er selbst hält die Aufregung, die die Einführung von Deutschförderklassen und die Präsentation seines Pädagogik-Pakets für Volksschule und Neue Mittelschule (NMS) begleitet, für „übertrieben“. Was hier gemacht wird, orientiere sich „an den Gegebenheiten und am Bedarf“.

Entscheidungskriterien

Doch viele Direktorinnen, Lehrerinnen, Eltern und Schüler schaudert vor Maßnahmen wie der Einführung von Ziffernnoten und des Sitzenbleibens in der Volksschule sowie dem neuen Beurteilungsschema in der NMS. Im Gespräch mit News argumentiert der Bildungsminister, warum er dennoch nur so entscheiden konnte und nicht anders.

Herr Minister, sind Sie wirklich zufrieden mit dem Pädagogik-Paket?
Es ist eine Verbesserung im Bildungssystem, in kleineren Schritten. Die Sache ist, dass Bildungserwerb auch immer eine Leistung darstellt. Eine Leistung, die Kinder vollbringen. Und Leistung und Leistungsmessung sind Dinge, die einander nicht ausschließen, sondern bedingen.

Was ändert sich in der Volksschule denn nun wirklich?
Es wird sich nicht allzu viel ändern. Man muss natürlich dem Schulsystem eine gewisse Ernsthaftigkeit attestieren und auch einbringen. Und zur Ernsthaftigkeit gehört, dass ein Förderunterricht, wenn er von der Lehrerin empfohlen wird, auch wahrgenommen wird.

Und warum scheint in den NMS so viel schief zu laufen, auch in den Ländern?
Weil manches in der Vergangenheit nicht so optimal gelaufen ist, Stichwort siebenteilige Notenskala. Das hat nicht zur Imageverbesserung geführt. Oder das Teamteaching. Die Idee, über zwei Lehrer in der Klasse stärker auf die Individualität des Schülers, der Schülerin einzugehen, ist etwas Sympathisches. Aber oft hört man, dass es nur ein Lehrer mit einem Begleitlehrer ist. Und der erwünschte Erfolg der verstärkten Individualität ist so nicht realisiert worden. Man hat vielleicht zu viel experimentiert. Auch mit Experimenten, die deutlich vom Mainstream abweichen. Und das hat vielleicht eher zur Verunsicherung als zur Vertrauensbildung beigetragen.

Die neuen zwei Leistungsniveaus sind aber auch nichts anderes als früher der A- und B-Klassenzug.
Nein, das bestreite ich. Der A- und der B-Zug waren eine durchgängige Leistungsdifferenzierung in allen Fächern. Nun haben wir die Leistungsdifferenzierung in den drei Hauptfächern geschaffen. Auch mit der bewussten Zurkenntnisnahme, dass jemand in Mathematik vielleicht gut und in Deutsch weniger gut sein kann.

Aber das war doch mit den V-Noten (Anm.: AHS-Niveau) auch schon so?
Ja, aber komplizierter. Jetzt wird den Eltern deutlicher signalisiert, dass ihr Sohn oder ihre Tochter in eine bessere Leistungsgruppe und so in eine höher bildende Schule kommen kann.

Im April meinten Sie, von Ihren Vorschlägen als Berater, die Sie als Minister umsetzen können, sei die Deutschförderklasse der wichtigste. Ist das noch so?
Meine Lösungssicht hat sich ein bisschen verbreitert. Das zweite Kindergartenjahr spielt eine wichtige Rolle. Wahrscheinlich wichtiger, als ich es eingeschätzt habe. Weil die Verbesserung der Deutschkenntnisse durch ein Kindergartenjahr, empirisch betrachtet, zu gering ist. Wir haben zu viele außerordentliche Schüler und Schülerinnen (Anm.: werden nicht benotet), die bereits in Österreich aufgewachsen sind und durch einen einjährigen verpflichtenden Kindergarten gegangen sind und noch immer zu wenig Deutsch sprechen. Dahingehend ist unsere Ambition, Sprachförderung in ein zweites Kindergartenjahr hineinzubringen, sinnvoll.

Sie sagen auch, dass häufig nur politische Gründe Entscheidungen beein­flussen. Was sind solche politischen Motivationen?
Das Regierungsübereinkommen natürlich.

Aber welche Punkte im Pädagogik-Paket waren jetzt rein politisch und nicht wissenschaftlich fundiert?
Die Frage, in welcher Klasse Klassenwiederholungen erlaubt sind. Da müssen Sie irgendwie eine normative Entscheidung setzen. Und ich habe gesagt: Ab der dritten Klasse reicht schon.
Bei anderen Themen sind dem Minister offenbar die Hände gebunden. Etwa, wenn es um die Verbesserung von sogenannten Brennpunktschulen (Anm.: Schulen mit einem hohen Anteil an Kindern aus sozial schwachen Familien oder mit Migrationshintergrund) geht.

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Um vermeintlich schlechte Schulen aufzuwerten, braucht man Geld. Hier landen wir wieder bei der Verantwortung des Ministeriums.
Nicht ganz. Ich stimme Ihnen zu, dass man die Schulen aufwerten und den Eltern signalisieren sollte, dass das eigentlich attraktive Schulen sind. Man sollte also baulich attraktive Gebäude schaffen, etwa über einen Turnsaal, vielleicht eine gute Ausstattung mit digitalen Endgeräten schaffen. Aber das ist auch eine Frage, wo der Schulerhalter gefragt ist. Und jetzt beginnt klarerweise mein politisches Ping-Pong-Spiel: Denn Schulerhalter sind die Länder beziehungsweise die Stadt Wien.

Als Minister ist man gewissen Zwängen unterworfen. Was würden Sie anders machen, wenn Sie diese Zwänge nicht hätten?
Wenn es keine politischen Zwänge gäbe, würde ich tatsächlich mehr Geld aufwenden, um manche Schulen zu sanieren, manche Klassen zu verkleinern, die Digitalisierung schneller voranzutreiben, die Attraktivität von Schulen zu erhöhen. Da gäbe es sicher Luft nach oben.

Noch allerdings ist die vollkommene Autonomie für den Minister außer Sichtweite. Und doch hat der Bildungsexperte eine klare Vorstellung, wie Schule für die Sechs- bis 24-Jährigen – wenn er die Hochschule dort einrechne, so Faßmann – aussehen könnte (siehe Kasten). Wenn Geld dafür vorhanden sein sollte. Derweil bleibt der Politiker in den Mühen der Ebene, arbeitet das Regierungsprogramm ab und freut sich, wenn eine der vielen von ihm ursprünglich eingebrachten Ideen zur Integration verwirklicht werden kann. Wie die Übergangslehrgänge für 16- bis 19-jährige Geflüchtete, die den Besuch einer mittleren oder höheren berufsbildenden Schule ermöglichen. Dann rückt die Musik von nebenan in den Hintergrund.

Dieses Interview erschien ursprünglich in der Ausgabe 42 2018