Kanzler Ludwig?

Sein konsequenter Corona-Kurs machte Michael Ludwig zum Vorreiter für die Bundesregierung. Nun mehren sich die Stimmen, die sich den Wiener Bürgermeister als roten Parteichef und Kanzlerkandidaten wünschen. SP-Grande Hannes Androsch spricht sogar von einer "historischen Chance". Krönt sich Ludwig zum neuen "Anti-Kurz"?

von Politik - Kanzler Ludwig? © Bild: Matt Observe/News

Eineinhalb Jahre lang konnte Sebastian Kurz ungehindert an seiner Inszenierung als oberster Covid-Zeremonienmeister feilen. Er allein war es, der das Land in staatstragendem Pathos in drei Lockdowns schickte, er allein war es, der, wenn es dramaturgisch unabdingbar erschien, die Sommer der Normalität ausrief. Der in periodischen Abständen Angst machte und sich dann selbst zur personifizierten Hoffnung erhob. Doch urplötzlich lagen beim nunmehrigen Ex-Kanzler selbst die Nerven blank -und schuld daran ist Michael Ludwig.

Am Freitag der Vorwoche, so erzählt man sich in Wiener Politikreisen genüsslich, soll es gewesen sein, dass Kurz vier "seiner" fünf Landeshauptleute - nach seiner Demission als Bundeskanzler die letzten Parteifreunde mit echter Umsetzungsmacht - in diskretem Rahmen um sich scharte, um mit ihnen weitere Corona-Maßnahmen "seiner" Türkisen abzusprechen. Denn bislang hatten Schallenberg und Mückstein kleinlaut das nachgeturnt, was Ludwig in Wien mit Maßnahmenverschärfungen gegen den Mainstream selbstbewusst vorexerzierte.

Ramponierter Kinderstar

Günther Platter, Wilfried Haslauer, Hermann Schützenhöfer und Johanna Mikl-Leitners Stellvertreter Stephan Pernkopf sollen dem Vernehmen nach von ihrem ramponierten Kinderstar aber auch noch einmal eindringlich auf dessen Person eingeschworen worden sein: Ohne ihn, so sieht er das, würden die Verluste bei künftigen Nationalratswahlen noch wesentlich stärker als mit ihm ausfallen. Und wieder war es der Name eines möglichen Mitbewerbers, der drohend über der Szenerie schwebte -und zwar als potenzieller Parteichef und Kanzlerkandidat der SPÖ: Michael Ludwig, der beim Kampf gegen die Pandemie stetig an Format gewann.

Dieser sei nämlich "authentisch und keine Kunstfigur", ganz einfach ein "Anti-Kurz": So nennt Meinungsforscher und IFDD-Chef Christoph Haselmayer den 60-jährigen Sozialdemokraten mit Wohnsitz in der Strebersdorfer Kleingartensiedlung. Als Teenager hat Ludwig noch gemeinsam mit dem späteren Teamstürmer Peter Pacult in Transdanubien die Post ausgetragen. Nun, so scheint es, ist das Tor zum Kanzleramt leer, der Ball liegt am Elfmeterpunkt und Ludwig müsste nur noch abdrücken.

"Wenn Ludwig es will, wird er es auch", ist Haselmayer überzeugt. Denn der Wiener Bürgermeister sei "über alle parteiinternen Lager vernetzt und anerkannt". Alle anderen in Frage kommenden Personen in der SPÖ inklusive des polarisierenden burgenländischen Landeshauptmanns Hans Peter Doskozil seien mehr oder weniger chancenlos. Die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures hingegen wolle aus persönlichen Gründen nicht, obendrein habe sie sich lange bemüht, das Etikett "Parteimanagerin" loszuwerden; und "eine junge, mutige Lösung" sei ebenfalls "vom Tisch", weil sie "intern nicht durchsetzbar" sei, so der IFDD Chef.

Also sprach der Alte

Kein Geringerer als Parteigrande Hannes Androsch sagt daher nun als Erster aus dem roten Adel im Gespräch mit News (siehe Kasten rechts) ganz unumwunden: "Das ist eine historische Chance, die genutzt werden muss." Und: "Ich halte Michael Ludwig für den richtigen Mann." Und Politikberater Thomas Hofer, ein Intimkenner der sozialdemokratischen Seele, sagt: "Ludwig selbst will noch keine politische Zuspitzung. Was wir jetzt erleben, ist aber bereits ein leichtes Vorbeben - die Debatte ist subkutan da, es ist angerichtet."

Leichtes Vorbeben? Bereits zu Ostern waren in Wien seismische Bewegungen spürbar, und Ludwig selbst war so was wie das Epizentrum: Zunächst noch
glühenderBefürworter einer Schanigartenöffnung, switchte er angesichts rasant steigender Infektionszahlen rasch auf eine "Osterruhe" und brachte die anderen Landeshauptleute so unter Zugzwang. "Der 60-jährige rote Rathausmann hat sich österreichweit als neue Führungsfigur in der Coronakrise etabliert. Vermittelnd nach innen und nach außen, schaffte es Ludwig, ohne öffentliche Polemik im Alleingang einen Oster-Lockdown in Ostösterreich durchzusetzen", schreibt etwa der langjährige Innenpolitik-Insider Josef Votzi in seiner Kolumne "Politik Backstage" im trend.

Der einsame Bremser

Während der strikt umfragengetriebene Kurz auch heuer wieder einen Sommer wie damals ausrief, gab Ludwig konsequent den einsamen Bremser. Auf den ersten Blick mag das vielleicht unpopulär, zumindest unpopulistisch gewirkt haben und sorgte auch in der eigenen Partei für Irritationen. "Geh, Michi, warum denn schon wieder die Scheiß-FFP2-Masken?", habe etwa der Populärphysiker Werner Gruber, Leiter des Wiener Planetariums und Bildungsreferent der Sektion 12, Wien-Leopoldstadt, seinen Chef leicht enerviert gefragt. "Aber eigentlich habe ich gewusst, dass er recht hatte." Und auch was die flächendeckende 2G-Regel für praktisch alle Bereiche des Freizeitlebens und die Impfmöglichkeit für Kinder betrifft, ist Ludwig der Pionier. "Nach all den Inszenierungen der letzten Monate sehnen sich die Menschen danach, jemanden an der Spitze zu haben, der wirklich führt", sagt Kommunikationsstratege Josef Kalina, unter Parteichef Alfred Gusenbauer Bundesgeschäftsführer in der Löwelstraße.

Karrieretreiber Corona

Corona als Karrieretreiber -selbst bis hin zur K-Frage? Auch der Wiener Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres, ein Freund des Bürgermeisters und laut Eigendefinition ein "bürgerlicher Linker", attestiert Ludwig in schwierigen Situationen absolute "Leadership": "Er geht unaufgeregt an die Dinge heran und erklärt, warum er was macht. Und er hat den Mut, unpopuläre Entscheidungen zu treffen." Und genau das habe sich bei der Bekämpfung der Pandemie in der Bundeshauptstadt positiv bemerkbar gemacht. "Wien ist mit den Verschärfungen der Maßnahmen recht geschickt vorgegangen, jetzt sind die Zahlen dort auch nicht so hoch wie anderswo." Aus medizinischer Sicht sei die Vorgangsweise Wiens als "Verschärfungsvorreiter" jedenfalls vernünftig gewesen.

Vernünftig - aber manchmal auch etwas farblos und blässlich, etwas zu sehr an das Klischeebild vom roten Funktionär der alten Schule und der Parteitreue eines proletarischen Emporkömmlings der Kreisky- Ära angelehnt. Das war der Nimbus, der Ludwig noch anhaftete, als er vor knapp drei Jahren den Spritzwein trinkenden, ziemlich trocken Schmäh führenden Michael Häupl als Bürgermeister ablöste.

Scheidungskind aus bescheidensten Verhältnissen, aufgewachsen mit Mutter und Schwester in einer 40-Quadratmeter-Wohnung im Jedlersdorfer Gemeindebau. HAK-Matura, Studium der Geschichte und der Politikwissenschaft. Schrittweiser Aufstieg durch Bildung -und die Partei: roter Bezirksrat in Floridsdorf, roter Bundesrat, roter Stadtrat, zwischendurch roter Vizebürgermeister, dann roter Bürgermeister. Und roter Wahlsieger, der für die Wiener Landespartei im Jänner des Vorjahres 41,6 Prozent einfuhr. "Von diesem Wahlsieg profitiert er nun exponentiell", sagt SP-Insider Kalina, "denn er weiß: ,Mein Führungsverhalten ist richtig, das sehen nicht nur Freunde so, sondern auch das Volk.'" Und schließlich roter Anti-Kurz.

Langweilige Sicherheit

"Er gibt sich besonnen, ist vielleicht manchmal etwas langweilig -strahlt aber gerade deshalb Sicherheit aus", sagt Meinungsforscher Haselmayer. "Er vermittelt den Eindruck, dass er auf die Menschen achtet, ehrlich ist und seine politischen Aussagen so meint, wie er sie sagt." Und in Zeiten, in denen die Nation gespannt auf das Aufpoppen weiterer origineller Kurz-Nachrichten aus den Chatprotokollen wartet, ist sogar Langweile zur hochwillkommenen politischen Kategorie geworden. Zumindest in ihrer konstruktiven Spielart.

Denn während für Mister Message Control "Sozialpartner" fast schon den Rang eines Schimpfwortes hatte, ist Ludwig, auch wenn er sich in Verhandlungen in der machtvolleren Position befinden sollte, ein strikter Mann des Ausgleichs. Gerhard Spitzer, bereits Geschäftsführer der SPÖ Floridsdorf, als Ludwig dort 1994 als Bezirksrat einritt, sagt: "Erst vor Kurzem hat mir der Wiener Neos-Chef Christoph Wiederkehr gesagt: ,Weißt du, wir hatten nie den Eindruck, dass wir bei den Koalitionsverhandlungen über den Tisch gezogen wurden.'"

© Matt Observe/News Bürgermeister Michael Ludwig im Wiener Rathaus

Die Vranz-Analyse

Ludwig, der Liebe, also, der Konsensuale, mit dem praktisch alle können - für etwaige Koalitionsverhandlungen zwischen SPÖ, Neos und Grünen nach den nächsten Nationalratswahlen, mit denen nicht wenige in der SPÖ für das kommende Frühjahr rechnen, wäre das sicher ein Vorteil.

Laut Umfragen sei "die Situation der SPÖ da im Vergleich zum Vorjahr aufgrund der misslichen Lage der ÖVP etwas besser geworden", meint etwa SP-Altkanzler Franz Vranitzky, schränkt aber ein: "Man darf nicht vergessen, dass die ÖVP auch noch nicht so lange so schwach ist." Insgesamt befinde sich "die politische Landschaft in Österreich jedenfalls im Umbruch". Und: Auch Vranitzky schätzt den Wiener Bürgermeister als "tüchtigen Politiker, der erfahren und lange dabei ist". Ludwig sei ein kluger Kopf und habe die Wiener Partei gut im Griff: "Da gibt es nichts Negatives zu sagen", sagt Vranitzky, der sich an der Führungsdiskussion in der SPÖ aber eigentlich nicht beteiligen will.

Und das will - natürlich - auch der nicht, den sie primär betrifft: Michael Ludwig hält Parteichefin Pamela Rendi-Wagner zumindest nach außen hin die Treue, denn den Verrat liebt man, nicht die Verräter; und wie sehr einen langwierige Obmanndebatten zermürben können, weiß er, seit er sich in einer hochemotionalen Kampfabstimmung gegen Andreas Schieder dank seiner Hausmacht in den Flächenbezirken Floridsdorf und Donaustadt zum Wiener Bürgermeister aufschwang. Doch Ludwig, der Liebe, kann auch anders, nämlich dann, wenn es ums Ganze geht: Alle SP-Regierungsmitglieder, die zuvor für seinen Kontrahenten Schieder eintraten, mussten danach sukzessive zurücktreten.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News-Ausgabe Nr.45/21

Kommentare

Ludwig gegen Kurz ist wie 10: 0 für den Wiener Bürgermeister und Landeshauptmann!

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