"Das Internet verschärft
das Thema Rassismus"

Woher kommt eigentlich der Hass? Diese Frage stellt sich die deutsche Psychologin Anne Otto und geht im gleichnamigen Buch den Ursachen für Rechtsruck und Rassismus auf den Grund. Wir haben die Buchautorin im Interview unter anderem gefragt, wie sich Rassismus wieder so stark verbreiten konnte und wie er sich differenzieren lässt.

von Politik - "Das Internet verschärft
das Thema Rassismus" © Bild: Shutterstock

Nach dem Militärsalut türkischer Fußballspieler hat Fußballer Mesut Özil gerade wieder die Rassismus-Debatte angefacht. Seinen Aussagen zufolge sei Rassismus in Deutschland „in der Mitte der Gesellschaft“ angekommen. Ist dieser Vorwurf gerechtfertigt?
Ich finde, Özil äußert sich ungeschickt und viel zu allgemein. Er bringt sich damit selber erneut um eine konstruktive Aufarbeitung seiner eigenen Geschichte. Wo ihm allerdings Sozialpsychologen, die zum Thema Rassismus forschen, Recht geben würden, ist die generelle Aussage, dass rassistische Haltungen und latente Fremdenfeindlichkeit schon lange in der Mitte der Gesellschaft zu finden sind - sie sind in Studien bei erstaunlich vielen Menschen messbar.

Ab wann äußert sich jemand Ihrer Ansicht nach „nur“ rassistisch und ab wann ist jemand Rassist?
Es gibt eine Art unhinterfragten, nicht wirklich bewussten Rassismus, der uns umgibt und prägt, dazu gehören Stereotypen über Menschen aus bestimmten Ländern oder mit einem bestimmten Aussehen. Man ordnet dann automatisch Eigenschaften wie schön, stark, schwach, arm, gefährlich etc. zu und kann sich dem kaum entziehen. Es ist in Studien messbar, dass sich von solchen Stereotypen auch Menschen nicht freimachen können, die von sich selbst sagen, dass sie keinesfalls rassistisch sein wollen. Darüber hinaus gibt es aber auch Leute, die davon überzeugt sind, dass andere nur aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten religiösen oder ethnischen Gruppen weniger Wert sind und weniger Rechte haben sollten. Solche bewussten Überzeugungen zeigen Menschenfeindlichkeit und einen tiefer gehenden Rassismus.

Sie befinden Abwertung anderer Personen im Alltag als grundlegendes Problem für die Entstehung von Rassismus: Muss man tatsächlich alle Menschen mögen, um kein Rassist zu sein?
Nein. Es ist ein großer Unterschied, ob man andere Menschen einfach nicht mag und dafür auch seine Gründe hat, oder ob man jemanden nur aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe oder aufgrund seiner tatsächlichen oder vermeintlichen Herkunft ablehnt.

»Im Netz haben sich die Grenzen des Sagbaren verschoben«

Wie und woran erkennt man abwertende Impulse bei sich selbst? Wie raten Sie jemandem vorzugehen, wenn er solche Impulse bei sich entdeckt?
Es kann helfen, darauf zu achten, was man über andere im Gespräch, in der U-Bahn oder bei der Arbeit denkt und fühlt. Manchmal hat man gehässige, sehr arrogante oder abwertende Impulse, typischerweise oft dann, wenn man selbst gerade unzufrieden, unsicher oder gestresst ist. Es reicht oft schon, das einfach zu registrieren und vor sich selbst zuzugeben.

Die Flüchtlingswelle 2015 hat zweifelsohne auch eine neue Welle an Rassismus mit sich gebracht. Aus heutiger Sicht: Wer hat das Ihrer Ansicht nach am meisten zu verantworten? Oder einfach eine gesamtgesellschaftliche Überforderung?
Die humanitäre Notlage wurde zu einem Katalysator: Sie hat die Vorurteile und Abwertung, die schon latent da waren, für eine Weile deutlicher hervorgebracht. Populistische Politiker haben das Thema aufgegriffen, haben es mehr und mehr verstärkt. Es gibt Analysen der Süddeutschen Zeitung, die belegen, dass Politiker der AfD im Bundestag 2017 verschiedenste Debattenthemen immer wieder dazu nutzten, innerhalb von Minuten auf das Thema Geflüchtete zu kommen und dieses Kernthema ihres Programms dadurch permanent zu lancieren.

Haben das Internet, seine Anonymität und nicht zuletzt die Dauer-Empörtheit seiner Nutzer Rassismus befeuert?
Im Netz haben sich die Grenzen des Sagbaren verschoben, der Ton ist aggressiver, enthemmter, aufgeregter, Abwertungen sind selbstverständlicher. Natürlich verschärft dies auch das Rassismus-Thema.

Könnte man Kapitalismus per se als idealen Nährboden für Rassismus bezeichnen?
Soziologen wie Wilhelm Heitmeyer von der Universität Bielefeld weisen seit Jahren darauf hin, dass die Ökonomisierung der Gesellschaft eine große Rolle bei Spaltungsprozessen spielt und zeigt das auch in Studien: Die Haltung, dass jeder „seines Glückes Schmied“ ist, also in der kapitalistischen Welt selbst zusehen muss, wo er bleibt, was er leistet und aufbaut, öffnet Abwertungen und Ent-Solidarisierung Tür und Tor. Auch das kann latenten Rassismus weiter verstärken.

»Niemand ist nur durch seine Bildung oder sein Einkommen definiert«

Sie empfehlen auch mehrmals in Ihrem Buch, Menschen aus allen sozialen Schichten kennenzulernen. Haben Sie auch einen einfachen Trick, wie man damit anfangen soll und kann?
Niemand ist nur durch seine Bildung oder sein Einkommen definiert, sondern immer in verschiedenen Gruppen unterwegs: Man ist zum Beispiel Fan eines Fußballclubs, sitzt in der Schule und im Kindergarten der Kinder beim Elternabend, ist in Bürgerinitiativen aktiv oder bei der Arbeit in vielfältigen Teams. In solchen Zusammenhängen ist es immer wieder möglich, mit Menschen aus verschiedenen sozialen Milieus Kontakt aufzunehmen, zumindest gelegentlich.

Würden Sie eine Partei und/oder einen Politiker in Österreich als (tendenziell) rassistisch beurteilen? Falls ja, woran lässt sich das Ihrer Ansicht am deutlichsten ablesen?
Diese Frage kann jeder leicht selbst beantworten. Da reicht es, auf die sachliche Definition zu schauen: Ein Rassist ist jemand, der andere nach Kriterien der Rasse kategorisiert und bewertet und die Menschen der vermeintlichen eigenen „Rasse“ als höherwertig ansieht.

© anne-otto.de

Zur Autorin: Anne Otto wurde 1970 in Bonn geboren, studierte in Bochum und Aachen, erst einige Semester Medizin, dann Psychologie. Nach dem Diplom, einer Therapie-Ausbildung ( und mehreren Jahren Berufserfahrung als Psychologin wechselte sie zum Schreiben: in den ersten Jahren vor allem im Bereich Kultur- und Musik-Journalismus. Ab 2002 arbeitete sie dann hauptberuflich als freie Autorin, seit 2013 zudem in Magazin-Entwicklungsprojekten.

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