Innenminister Sobotka:
Immer und überall

Von Abschiebeoffensive bis Mindestsicherungskürzungen, vom Aufnahmestopp zum Demonstrationsrecht: Seit Wolfgang Sobotka vor einem Jahr Innenminister wurde, ließ er kaum ein Thema aus. Bewirbt er sich damit um die Position des ÖVP-Chefs?

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Politik - Innenminister Sobotka:
Immer und überall

Bald wird er sich zum Thema Pflege äußern. Das fällt zwar nicht ins Ressort des Innenministers, aber so eng hat Wolfgang Sobotka das nie gesehen. Der niederösterreichische Arbeitnehmerbund der Volkspartei tourt nämlich ab Mai mit neuen Vorschlägen zur 24-Stunden-Betreuung durch die Bezirke. Wolfgang Sobotka, NÖAAB-Vorsitzender, wird selbstverständlich dabei sein. Und Wolfgang Sobotka, der Innenminister, wird das Thema im Bund vorantreiben. Seit genau einem Jahr mischt der gelernte Kommunalpolitiker in Doppelfunktion mit niederösterreichischen Methoden die Bundespolitik auf. Und er hat noch viel vor.

Sein Spektrum an politischen Forderungen war vom Tag der Angelobung an groß: weniger Mindestsicherung für große Familien etwa, eine Abschiebeoffensive oder die Arbeitspflicht für Asylwerber. Er wollte die Familienbeihilfe für Kinder im Ausland kürzen, die Obergrenze für Asylwerber halbieren und Menschen in Containerdörfern an der Grenze warten lassen, bis sie ihren Asylantrag stellen dürfen. Er wollte Burkas verbieten, potenzielle Terroristen mit Fußfesseln überwachen, das Demonstrationsrecht einschränken. Nur für manche dieser Vorschläge ist das Innenministerium zuständig. Einige wurden in abgeschwächter Form umgesetzt. Viele blieben nicht mehr als laut artikulierte Ideen. Für Wirbel haben sie alle gesorgt.

Er lasse kein Mikrofon aus, um sich selbst in Szene zu setzen, klagen deshalb Kollegen aus der eigenen und der anderen Partei über ihn. Mit seinen Vorschlägen überrascht er häufig nicht nur den Koalitionspartner SPÖ, sondern auch die Kollegen in der ÖVP. In seinen letzten zwölf Monaten als Innenminister wurden ihm deshalb etliche wenig schmeichelhaften Beinamen verpasst. Bulldozer, Sprengmeister, Rabiatperle nannten ihn Kommentatoren. "Das müssen andere beurteilen", sagt Sobotka selbst dazu, "für mich steht nicht die Inszenierung, sondern die inhaltliche Arbeit an erster Stelle."

Konsequente Machtpolitik

In der ÖVP sehen das nicht alle so nüchtern. Einerseits profitiert die Partei von den Law-and-Order-Themen, die Sobotka besetzt. Andererseits gilt er als politisch unzurechnungsfähig und unkollegial. In Regierungssitzungen tritt er übertrieben selbstbewusst auf, heißt es. Parteiobmann Reinhold Mitterlehner soll ihn schon mehrmals zu Aussprachen gerufen haben. Der Chef konnte sich Wolfgang Sobotka nicht aussuchen. Erwin Pröll stellte die Bundespartei im Vorjahr - kurz vor dem ersten Durchgang der Bundespräsidentenwahl - vor vollendete Tatsachen, als er an einem April-Wochenende überraschend verkündete, Johanna Mikl-Leitner nach Niederösterreich zu holen und stattdessen seine rechte Hand im Land zum Innenminister zu machen. Sobotka selbst wäre lieber in Niederösterreich geblieben. Er hätte Pröll gerne als Landeshauptmann beerbt. Doch er fügte sich dem Willen Prölls. Jetzt, ein Jahr später, sagt man Wolfgang Sobotka noch größere Ambitionen nach: Er soll darauf spitzen, ÖVP-Parteichef zu werden und in einer Doppelführung gemeinsam mit Sebastian Kurz als Spitzenkandidat in die nächste Nationalratswahl zu gehen.

"Das ist Spekulation", sagt Wolfgang Sobotka dazu, "außerdem gehe ich davon aus, dass die Position des Spitzenkandidaten und Parteiobmanns immer in einer Hand sein wird."

Nicht von der Hand weisen lässt sich aber, dass Sebastian Kurz und Wolfgang Sobotka sehr gut miteinander können. In vielen Themen sind sie auf Linie. Im Gegensatz zu vielen Regierungskollegen sind die beiden keine Quereinsteiger, sondern haben das politische Handwerk von der Pike auf gelernt. Und unter ihren Mitarbeitern gibt es gute Kontakte. Im Vorjahr rekrutierte Sobotka seine Pressesprecherin aus dem Team von Sebastian Kurz. Letzte Woche machte er sie zu seiner stellvertretenden Kabinettschefin. Sein Kabinettschef ist seit Februar auch Leiter der mächtigsten Sektion im Innenministerium für Personal und Budget. Auch andere Kabinettsmitarbeiter wechselten in Sektionen. Die Beamtenebene und die politischen Interessen verschmelzen zusehends, befürchten manche Beobachter. Andere bewundern Wolfgang Sobotka für seine konsequente Machtpolitik.

Mit dem NÖAAB verfügt Sobotka von Anfang an über eine beachtliche Hausmacht. Indem er Themen wie die Mindestsicherung, die Familienbeihilfe oder künftig die 24-Stunden-Betreuung, die allesamt ihren Ursprung im niederösterreichischen Arbeitnehmerbund haben, zur ÖVP-Parteilinie macht, baut er seine eigene Macht konsequent aus.

"Muss man so hinnehmen"

Wie professionell er agiert, konnte man im Zuge der Bundespräsidentenwahl beobachten. Er war erst drei Monate im Amt, als er als erster Innenminister überhaupt die Wiederholung einer bundesweiten Wahl organisieren musste. Als sich über den Sommer die Schwierigkeiten mit den Wahlkarten mehrten, blieb er ruhig. Und als er im Herbst schließlich die Verschiebung der Wahlwiederholung verkündete, weil zu viele Kuverts schadhaft waren, zog er seinen Kopf geschickt aus der Schlinge. Er kam gar nicht auf die Idee, Verantwortung für das Debakel in seinem Ressort zu übernehmen. Stattdessen stellte er den Leiter der Wahlbehörde kalt und gab sich selbst souverän.

Das bringt ihm Bewunderer, aber auch viele Gegner. Im jüngsten APA/OGM-Vertrauensindex führt Außenminister Kurz mit 27 Pluspunkten vor Bundeskanzler Kern und Verteidigungsminister Doskozil. Der Innenminister ist mit sechs Punkten im Minus und damit das Regierungsmitglied mit der schlechtesten Bewertung. Im Plus war Sobotka bei diesem Ranking noch nie, seit er Minister ist. Übertreibt er es mit dem Hardliner-Image?"Ich für meinen Teil orientiere mich an den Aufgaben und an der Verantwortung, die ich als Innenminister habe", sagt er. "Die Bevölkerung muss sich ganz einfach darauf verlassen können, dass Recht eingehalten wird. Wenn manche das als harte Vorgehensweise interpretieren, muss man das wohl so hinnehmen."

"Zurück in ihre Heimat"

"Oft ist nicht bedenklich, was er sagt, sondern wie er es sagt", meint ein Parteikollege. Viele empfinden es als zynisch, wenn er in einem "ZiB 2"-Interview argumentiert, Asylwerber würden in Containern an der Grenze nicht festgehalten, sondern: "Sie können sich nur in eine Richtung bewegen, und zwar in ihre Heimat zurück." Wenn er strengere Videoüberwachung gegenüber "Heute" damit begründet, dass vor seiner Haustür immer wieder menschlicher Kot lag, bis er selbst eine Kamera installierte. Oder wenn er sich im "Kurier" darüber beschwerte, dass "Migranten das Handy und sonst alles haben, aber den Pass und die Papiere haben sie verloren." In gemeinnützigen Organisationen beobachtet man besorgt, dass die Themen Flucht und Migration wieder ausschließlich unter dem Sicherheits- und Kriminalitätsaspekt gesehen werden, seit Wolfgang Sobotka Innenminister ist.

Auch in jenen Teilen der ÖVP, die Christian Konrad als Flüchtlingskoordinator verlängern wollten, sieht man Sobotka kritisch. Und in der SPÖ hat er nur zu Verteidigungsminister Doskozil eine gute Basis. Dem Rest der roten Regierungsmannschaft geht Sobotka auf die Nerven. Schon im Juli plauderte Bundeskanzler Kern aus, wie Sobotka angeblich während Regierungssitzungen an "seinen Paten" Erwin Pröll SMS schickt. Sobotka meinte nur nüchtern, in den Ministerrat müsse er eben gehen, auf einen Kaffee mit Christian Kern allerdings nicht. Das überlasse er gern dem Parteichef Reinhold Mitterlehner.

Wäre er tatsächlich selbst Parteichef, müsste er sich selbstverständlich umgänglicher zeigen. Aber so weit will Sobotka nicht denken. Er betont gerne, dass er gar keine Zeit habe, sich mit Taktik zu beschäftigen.

Auch das ist eine Taktik.