„Ich bleib ein Polit-Schädel“

Matthias Strolz legt in Kürze sein Amt als Chef der Neos nieder. Im Interview spricht er über den Preis der Politik, über die wahren Gründe seines Rückzugs, über Eitelkeit und Härte, die ein Politiker entwickelt, und über eine mögliche Wiederkehr: „In 15 Jahren – why not?“

von Matthias Strolz - „Ich bleib ein Polit-Schädel“ © Bild: Ricardo Herrgott

Wie oft packt Sie dieser Tage die Wehmut?
Die ist nicht am Zu-, sondern am Abnehmen, weil ich die Entscheidung ja schon Anfang des Jahres gefällt habe. Ich wollte ja nicht eine politische Partei ins Chaos stürzen, sondern das geregelt machen. Und es freut mich, dass es gelungen ist, dass so eine Übergabe nicht immer ein Königsmord sein muss.

Wie war das in der Nachdenkphase? Ein Widerstreit zweier Seelen in einer Brust?
Absolut. Mindestens zweier Seelen. Aber eigentlich war der Bauch von Anfang an sehr klar, das Herz auch. Und der Kopf ist dann gefolgt. Manche haben das Gefühl, dieser Schritt kommt sehr früh. Ich ja auch. Ich wäre noch ein, zwei Jahre frisch gewesen in dieser Funktion. Aber ich bin mir sicher, dass ich Neos dann in eine Gründerfalle reißen würde, wo ich mehr verunmögliche als ermögliche. Dann muss man ja auch noch den Wahlkalender bedenken. Wenn ich knapp vor einer Wahl gehe, sagen alle, der Typ hat einen Vollknall, der beschädigt mutwillig die Partei.

Der Vorwurf kam jetzt auch.
Ja, aber nicht so hart.

Der Vorwurf, dass Sie die Opposition beschädigt hätten, nicht nur Neos.
Ich würde die Opposition auch gerne stärker sehen. Aber da sind andere gefordert als wir.

Ist der Vergleich von Neos mit einem Kind, das man in die weite Welt schickt, zu pathetisch?
Nein, den habe ich ja auch gewählt. Das ist wie das eigene Kind mit 18 oder 19 rauszuschicken und zu sagen, so jetzt bist du erwachsen. Da bist du dir auch nicht so sicher. Trotzdem diskutiere ich das oft mit meiner Frau, dass wir loslassen werden, wenn die Zeit reif ist. Das ist unsere Pflicht.

Und das werden Sie dann so rational argumentieren?
Nein! Das ist nicht nur rational. Das ist hochemotional. In mir ist jetzt auch eine große Ecke Traurigkeit. Aber es stimmt einfach, es jetzt zu tun. Ich würde mich an dieser Bewegung versündigen, würde ich da eine One-Man-Show draus machen. Ich bin ja systemischer Organisationsentwickler. Da wäre es ein Armutszeugnis, wenn Neos jetzt eingehen würde. Weil da hätte ich vorher sechseinhalb Jahre lang etwas falsch gemacht. Mein Motto war immer: Tue Gutes und ­bedenke dein Ende.

Sollte das nicht jeder Parteichef?
Ich habe ja gesehen, wie das andere machen. Für mich kam das Modell Glawischnig nicht in Frage. Zu sagen, heute ist Mittwoch, morgen bin ich weg. Oder das Modell Häupl: Zu sagen, irgendwann in den nächsten eineinhalb Jahren wird’s passieren. Das wurde dem, was er für diese Stadt bedeutet hat, nicht gerecht. Auch das Modell Mitterlehner erschien mir nicht als das der Wahl. Eine ­geordnete Übergabe braucht Zeit, und bei uns stand ja kein Putsch an. Ich bin fester im Sattel denn je.

Hat Sie an den Reaktionen auf Ihren Rückzug etwas geärgert oder gekränkt?
Die Reaktionen sind weit überwiegend positiv. Es gab aber auch Ärger und Enttäuschung. Da gibt es jene, wo ich das Gefühl hab, die wollten selber schon dreimal springen, sind es aber nie – und genau die wollen mir das auch nicht zugestehen und rationalisieren sich das nun zurecht. Und es gibt jene, das ist eine Altersfrage, jenseits der 70, da merke ich, dass die einen anderen Begriff von Zeit und Karriere haben. Die haben ein Leben im selben Unternehmen verbracht und sehen nicht die Realitäten der heutigen Zeit, wo ein Angestellter alle drei Jahre wechselt.

© Ricardo Herrgott »Ich bin in Konflikten extrem klar sortiert, bis hin zur Schmerzgrenze«

Man könnte es härter sagen: Diese Generation hat vielleicht einen anderen Begriff von Verlässlichkeit.
Ja, das trifft’s. Die definieren Verlässlichkeit so: Man verharrt ein Leben lang, es sei denn, man wird rausgetragen. Aber für mich ist das, was und wie ich es mache, Ausdruck von Verlässlichkeit. Raum zu nehmen und zu geben, wenn die Zeit reif ist. Der Vorwurf der mangelnden Ernsthaftigkeit ist für mich kränkend. In die Politik zu gehen war ja nicht eine spontane Laune, das war wie ein Coming-out. Das ist so ähnlich, wie wenn einer erklärt, er ist homosexuell. Das überlegst du dir nicht von heute auf morgen. Das sind wilde Prozesse, wo es dich innerlich rüttelt. Kann ich das mit meiner Familie machen? Was macht das mit meinem Leben und mit meinen Chancen? Das war ein jahrelanger Vorlauf, bevor ich an die Parteigründung gegangen bin. Da war mir bewusst, welchen Preis ich zahle: Ich verliere mein Unternehmen, meine Familie wird auf den Kopf gestellt. Es hat ja sogar berufliche Entscheidungen meiner engeren Familie beeinflusst. Es ist ja nicht so, dass das System sagt: Du bist der Bruder vom Strolz – super!

War der Preis zu hoch?
Er war unterm Strich absolut okay. Ich habe zu jedem Zeitpunkt gewusst, dass es nicht ohne Konsequenzen sein wird. Und es sind ja auch Annehmlichkeiten damit verbunden.

Sie haben Emotionen in die Politik gebracht, wurden dafür auch belächelt. Wie weit kann man in der Politik Mensch bleiben?
Zu 100 Prozent, hoffe ich. Ich nehme für mich in Anspruch, dass ich es geblieben bin. Aber ich bin mir nicht sicher, dass ich es die nächsten fünf Jahre geblieben wäre. Weil ich es dann nicht mehr mit Herzens­energie, sondern mit Kalkül gemacht hätte. Denn natürlich ist es toll, ein Büro zu haben mit Blick auf Burgtheater und Volksgarten. Natürlich sagst du dir auch: Das ist ein gutes Einkommen, und woher werden die Brötchen nun kommen? Aber das muss man vorbeiziehen lassen. Da halte ich es mit Luther: Es ist okay, wenn Schwalben über meinem Kopf Kreise ziehen, aber ich werde nie zulassen, dass sie ein Nest auf meinem Schädel bauen.

Woran haben Sie gemerkt, dass da etwas erodiert beim Menschsein?
Am Abnehmen der Herzens­energie. Ich halte Oppositionsarbeit für immens wichtig. Gleichzeitig muss ich an mir erkennen: Ich bin nicht zu 100 Prozent der Oppositionsführertyp. Ich bin ein Aufbauer, ein Umsetzer, hatte die ersten Jahre eine Art Regierungsfunktion nach innen. Die habe ich in einem Professionalisierungsschritt bei Neos abgegeben. Ab dem letzten Wahlkampf war ich Instrument für diese Kampagne und danach „nur noch“ Oppositionsführer. Da habe ich gemerkt, das findet nicht meine ganze Herzensenergie, weil mir das Kritisieren echt schwerfällt. Ich bin ein so notorisches Kind der Zuversicht, dass ich am liebsten sagen würde, was ich für Strache hoffe und was ich Kurz alles Gutes wünsche. Damit kommst du aber nicht durch. Stattdessen muss man hart kritisieren. Das können ­andere besser. Ich habe immer gesagt, wenn ich an einen Punkt komme, an dem meine Funktion von jemand anderem gleich gut oder besser erfüllt wird, übergebe ich. Und an dem Punkt bin ich.

Verfolgt einen dieser Kritikreflex in den Alltag, in die Familie?
Da habe ich viel gelernt in der Politik. Ich war sicher ein harmoniebedürftiger Mensch. Das habe ich abgelegt. Ich suche nicht den Streit, weder beruflich noch privat, aber ich habe gelernt, mich Konflikten ganz anders zu stellen. Und die gibt es in jeder Partei, sonst wäre sie ja tot. Aber ich bin keiner, der aus Konflikten Energie gewinnt. Ich hätte zuvor nicht gedacht, dass es solche Typen gibt. Aber wenn jemand lustvoll im Konflikt ist, fällt ihm Oppositionsarbeit leichter.

Hat Sie das privat verändert?
Nein. Na ja, meine Frau hat in manchen Auseinandersetzungen, die ja eine gute Ehe auch braucht, vielleicht eher aus taktischer Konfliktführung gesagt: Die Politik hat dich härter oder kälter gemacht. Ich hab immer geantwortet: Sie hat mich klarer gemacht. Das ging nicht spurlos an mir vorbei. Ich bin extrem klar sortiert, auch in persönlichen Konflikten, bis hin zur Schmerzgrenze. Aber ich halte das für einen Vorteil für alle Beteiligten. Das ist nicht immer lustig, aber was ist das schon? Wenn du immer lustig sein willst, musst du Clown werden. Und selbst das ist ex­trem harte sachliche Arbeit.

Gibt es ein Gift der Politik, das man loswerden muss?
Man hat eine Déformation professionnelle, ich muss ein bissl detoxen. Aber eher runter von der Reizüberflutung. Du bist halt immer an der Nadel, die Nadel ist in dem Fall ein Handy, auf das du alle 15 Minuten schaust, was gerade geht – und da war ich eh schon langsam. Ich befürchte, Google weiß, wann Politiker aufs Klo gehen.

© Ricardo Herrgott »Nicht nur eine kleine Wampe, sondern auch noch eine alte Hose«

Macht einen das öffentliche Leben eitler? Oder muss man das schon zuvor sein?
Es macht einen aufmerksamer. Ich gehe sicher anders aus dem Haus. Ich lass es mir aber nicht nehmen, dass ich das Mistsackerl im Pyjama raustrag, und ich muss dafür auf die Straße. Aber ich denk mir schon, hoffentlich begegne ich jetzt nicht jenen drei Nachbarn, denen ich nicht begegnen will. Oder, gestern war ich schwimmen und habe meine Badehose nicht gefunden, nur eine ganz alte. Da war mir bewusst: Da werden jetzt sicher drei ein Selfie machen wollen, und jetzt hast nicht nur eine kleine Wampe, sondern auch noch eine alte Hose. Aber dann war mir das Schwimmen wichtiger.

Wie wird Ihr Leben als Polit-Pensionist sein?
Ich blättere jede Woche in meinem Kalender und sehe tatsächlich, dass ab Oktober keine Termine mehr drin sind. Darüber wache ich. Ich will das bewusst freihalten und die Ruhe spüren. Ich freu mich total, was das mit mir macht. Ich will endlich nicht müssen müssen.

Macht Ihnen die Leere im Kalender auch Angst?
Nein, meine drei Kinder und meine Frau werden dafür sorgen, dass es keine Leere gibt. Und der Vorhang klemmt, die Windfangtür läuft nicht rund, es liegt ein halber Meter Versicherungssachen am Tisch, den Kleiderkasten will ich ausmisten. Ich hab ein Programm bis Weihnachten, um mich selbst zu verwalten. Dann geht es mir wie den Pensionisten, die sich fragen, wie sie früher nebenher noch arbeiten konnten. Ich erzähle allen, dass ich vor März 2019 kein Vollzeitengagement annehme, um mich vor mir selbst zu schützen. Ich bin ja ein Gschaftlhuber. Aber ich muss schon auch was verdienen, schließlich gibt es Familie, Verbindlichkeiten und einen Schweizer-Franken-Kredit. Es gibt viele Angebote, aber ich kann ausschließen, dass ich in einen Vorstand gehe oder eine Topmanagementfunktion. Auch Schule will ich keine gründen, weil da bin ich wieder Jahre gebunden. Ich schließe nicht aus, dass ich in ein Start-up gehe, und ich habe Buchideen. Ich freu mich auf mehr Zeit mit meiner Familie, hab aber auch mit meiner Frau verhandelt, dass ich drei Wochen frei krieg. Da werde ich eine Ausbildung machen.

Gibt es ein No-Go für einen Ex-Neos-Chef? So wie Novomatic bei Eva Glawischnig?
Ich werde nicht in den Waffenhandel einsteigen. Ich habe nicht vor, ein Laufhaus zu eröffnen. Ich werde nicht Lobbying für die Tabakindustrie machen. Was ich mache, wird immer mit Menschen zu tun haben. Aber ich werde nicht in der Versenkung verschwinden. Ich diskutiere das öfter mit meiner Frau, die das nicht so geliebt hat, dass ich eine öffentliche Figur bin. Sie findet das eher elend, dass sie mit mir nicht einmal Straßenbahn fahren kann. Mir macht das gar nichts. Ich liebe es, mit den Leuten zu reden. Ich hab ja auch was leicht Missionarisches, das werde ich nicht los. Ich werde mir also eine Bühne suchen müssen, um in akzeptablem Rahmen missionieren zu können.

Schmerzt es, dass Ihnen Dinge nicht gelungen sind? In der Bildung etwa?
Das tut mir weh, dass in der Bildungsfrage in dieser Republik nicht mehr möglich ist. Das hätte ich nicht gedacht. Heute glaube ich nicht mehr an eine Bildungsreform von oben. Ich habe Klarheit bekommen, wie es gehen könnte, aber man muss sich von der Steuerungsillusion verabschieden, dass man 120.000 Lehrerinnen und Lehrern Innovation von oben verordnet. Das muss von unten wachsen. Ich hatte ja Ministerangebote. Aber da muss der Rahmen passen, sonst stehst du mit dem Rücken zu Wand und kannst nichts machen. Nur damit „Minister“ auf meiner Visitenkarte steht – das ist so notwendig wie ein dritter Ellenbogen.

Vor einem Jahr haben Sie im News-Interview gesagt, dass Sie auch zwei Mal in die Politik kommen könnten.
Ja. Ich kann ausschließen, dass ich dazu einen Plan oder ein Kalkül habe. Aber es wäre fahrlässig, würde ich sagen, ich weiß, was ich in 15 Jahren mache. Wenn etwa Europa droht, zusammenzubrechen, müsste ich meine Prioritäten neu sortieren. Ich kann auch nicht ausschließen – weil ich gerne große Bögen spanne –, dass ich das Amt des Bundespräsidenten spannend finde. Manche sagen: Da kannst ja nichts machen. Also zum Bögenspannen ist dieses Amt ideal. Ich hätte schon Ideen, wie man Großkonferenzen durch die ganze Republik macht. Jetzt ist das keine Wahl. Aber in 15 Jahren? Why not?

Noch ein Zitat: Politik ist besser als Dschungelcamp.
Ist sie, absolut. Vielleicht kriege ich ja ein Angebot von Dschungelcamp, müsste man glatt überlegen. Oder „Dancing Stars“.

Was Ihre Frau da wohl sagt?
(Lacht) Das wird heikel. Aber: Ich habe das gesagt, weil Politik eines der letzten großen Abenteuer jenseits des Dschungels ist. Hinter jedem Baum lauert ein Lebewesen, du weißt nicht, ob es dir wohlgesonnen ist oder nicht. Ungebrochen: Ich liebe Politik. Manche verstehen nicht, wie man etwas lieben und trotzdem gehen kann. Ich geh ja nicht! Ich bleib ein Polit-Schädel. Ich lebe meine politische Ambition nur anders aus. Hätte ich jetzt nicht übergeben, hätte ich gekniffen. Jetzt gilt es, Platz zu machen für neues Wachstum unter neuer Führung. Meine Aufgabe ist, nicht nur den nächsten, sondern den übernächsten Schritt zu antizipieren. Man darf nur nicht den dogmatischen Anspruch haben, dass der Plan in Erfüllung geht. Aber wenn ja, ist es wie beim „A-Team“ im Fernsehen. „Ich liebe es, wenn ein Plan aufgeht“, sagt der Typ dann immer am Schluss.

Dieses Interview ist ursprünglich in der Printausgabe Nr 24/2018 erschienen!