Hinter der Tapetentür
des Bundespräsidenten

Seit dem Ende der türkis-blauen Koalition dirigiert Bundespräsident Alexander Van der Bellen Österreich durch politisch heikle Zeiten. Nach außen beruft er sich schon seit Amtsantritt auf die Vertraulichkeit der Gespräche hinter der roten Tapetentür zu seinem Büro. Was aber steckt dahinter?

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Politik - Hinter der Tapetentür
des Bundespräsidenten

Dass sich der Bundespräsident direkt aus dem Fernseher an sie wendet, kannten die Österreicherinnen und Österreicher bisher vor allem vom Neujahrstag, an dem man leicht übernächtigt dessen Ansichten und guten Wünschen für das neue Jahr lauscht. Seit dem 18. Mai, seit dem Bekanntwerden des "Ibiza-Videos" und dem Zerbrechen der türkis-blauen Koalition, ist Alexander Van der Bellen auf diese Weise fast schon Dauergast in den österreichischen Wohnzimmern: Er versucht, die nervöse Stimmung im Land zu beruhigen.

Hinter der Tapetentür

Van der Bellen hat in der Hofburg einen kleinen Beraterstab um sich. Darunter langjährige Weggefährten aus seiner Zeit als Chef der Grünen. Auch sein Wahlkampfmanager Lothar Lockl stößt zum Team, wenn es haarig wird. Gilt es das Diskutierte verfassungsrechtlich nachzuprüfen, wendet man sich an Ludwig Adamovich. Der langjährige Präsident des Verfassungsgerichtshofes ist schon dem früheren Bundespräsidenten Heinz Fischer mit Rat und Tat zur Seite gestanden und tut das nun für Van der Bellen. Der 86-Jährige hat ein Büro im zweiten Stock der Präsidentschaftskanzlei mit Blick auf den Heldenplatz und die Ausweichquartiere der Parlamentsparteien. Auf Adamovichs Schreibtisch liegt das Bundesverfassungsgesetz in seiner aktuellsten Ausgabe. Während er im News-Gespräch erklärt, welche Pflichten und Möglichkeiten der Bundespräsident in diesen Stunden hat, wird er immer wieder den entsprechenden Passus nachschlagen, um ganz genau zu sein.

Van der Bellen musste Neuland betreten, sagt Adamovich. Noch nie zuvor hatte ein Kanzler die Entlassung eines seiner Minister vorgeschlagen wie im Fall Kickl: "In so einem Fall muss der Bundespräsident handeln, koste es, was es wolle." Und noch nie zuvor ist ein Misstrauensantrag gegen ein Regierungsmitglied oder gar die gesamte Regierung im Parlament durchgegangen, nach welchem der Präsident die betroffenen Regierungsmitglieder ihres Amtes formell entheben muss. Was er danach tun kann und darf? Theoretisch hätte Van der Bellen diese Regierungsmitglieder mit der Fortführung der Amtsgeschäfte bis zur Wahl betrauen dürfen, sagt der Experte, "was aber natürlich nicht Sinn der Sache sein kann. Aber natürlich wirft diese Situation auch Fragen auf: Wie gewichtig sind die Auswirkungen dieses Misstrauensvotums? Wird jemand von einem politischen Amt ausgeschlossen und wenn ja, wie lange? Doch nicht für den Rest seines Lebens."

»Der Sascha bezieht weder für noch gegen Kurz Position. Er macht, was die Situation erfordert«

Nach außen beruft sich Van der Bellen schon seit Amtsantritt auf die Vertraulichkeit der Gespräche hinter der roten Tapetentür zu seinem Büro. Funktionäre der ÖVP lesen aus seinen Aussagen aber jedenfalls den Wunsch, Kurz und die Bundesregierung hätten bis zur Wahl im September im Amt bleiben sollen. Peter Pilz von der Liste Jetzt, der Van der Bellen lange kennt, hält das für eine Fehlinterpretation: "Der Sascha bezieht weder für noch gegen Kurz Position. Er macht, was die Situation erfordert. Er wird sich nicht reinreden lassen und schnell handeln." Van der Bellen habe vor dem Misstrauensvotum sicher seine eigene Meinung über die Regierung der nächsten Monate gehabt, sagt Adamovich vorsichtiger. "Er kann auch eine gewisse Steuerungsfunktion ausüben. Mittelbar wäre er vielleicht schon dafür gewesen, dass die Dinge so bleiben, wie sie sind." Als langjähriger Parlamentarier wusste er aber natürlich auch, dass die Entscheidung darüber allein im Parlament lag.

Darüber, wie man eine neue Regierungsspitze eigentlich auswählt, sagt der belesene Verfassungsexperte: "Weder sollte es jemand sein, der in den aktuellen Auseinandersetzungen drinnensteckt, noch ein Parzival (der sich im mittelalterlichen Versroman vom Unwissenden zum Gralskönig entwickeln muss, Anm.), der nicht weiß, was sich in seinem Bereich überhaupt abspielt." Laut Artikel 71 der Bundesverfassung sei der Präsident sehr frei in seinen Entscheidungen: Er kann entlassene Mitglieder der Bundesregierung oder zumindest die jüngst ernannten Experten mit der Fortführung der Geschäfte betrauen, er kann aber auch leitende Beamte auswählen. Für die Regierungsspitze kommt theoretisch jede erwachsene Österreicherin, jeder Österreicher infrage. Das Wahlrecht zum Nationalrat muss diese Person jedenfalls haben, über Parteigrenzen und in der Bevölkerung angesehen sein. Und Zeit und Mut sollte sie haben.

Erfolgreicher Grüner

Wie wäre Alexander Van der Bellen wohl selbst als Abgeordneter mit dem Misstrauensantrag der Regierung umgegangen? "Der Sascha war kein ängstlicher Parlamentarier", sagt Peter Pilz. "Er wäre vielleicht nicht von sich aus mit einem Misstrauensantrag gekommen, aber wir hätten das im Klub diskutiert und durchgezogen." Peter Pilz war es, der Van der Bellen zu den Grünen geholt hat. Er lernte den Volkswirtschaftsprofessor beim Doktorratsstudium auf der Wiener Wirtschaftsuniversität kennen. Als 1992 im Parlament ein neuer Rechnungshof-Präsident gewählt wurde, nominierten die Grünen das frühere SPÖ-Mitglied Van der Bellen als ihren Kandidaten. Der scheiterte zwar, aber wenig später, 1994, zieht "der Professor", wie er Grünintern fortan genannt wird, für die Ökos ins Parlament ein. Hier bleibt er bis 2012, ab 1997 als Bundessprecher und Klubobmann seiner Partei, ab 2008 wieder als einfacher Abgeordneter.

Schon damals stand Van der Bellen für eine neue Art der politischen Kultur und Kommunikation in der österreichischen Politik. Rollkragenpulli-Träger, bekennender Raucher, Comic- Leser, engagierter "Donaldist" und nicht bereit, auf das Nachdenken zu verzichten, um den auch damals schon geforderten schnellen Sager zu liefern. In Live-Interviews im Fernsehen schwieg er dafür auch halbe Minuten lang, dann folgten durchaus unkonventionelle Antworten, die den grünen Parteistrategen die Schweißperlen auf die Stirne trieben. Nach Jahren an der grünen Spitze hatte er den Grünen fürs Erste das "Chaoten"-Image ausgetrieben und eine geordnete Übergabe an Eva Glawischnig geschafft. Als Budget-und Wirtschaftsexperte blieb er dem Parlament noch erhalten. Eine Rede aus dem Jahr 2009, in der er dem damaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache die Wirtschafts-und Finanzwelt erklärt, wurde auf Youtube rund 735.000-mal angesehen. Eine Gesprächsbasis mit dem Blauen hatte er dennoch: Man traf sich im Raucherkammerl des Parlaments.

Grün gegen Blau

Van der Bellen war Oppositionspolitiker in der Zeit der schwarz-blauen Regierungen unter Wolfgang Schüssel. Zu deren Politik hatte er eine dezidierte Meinung. 2002, die damalige Regierung war wegen einer Krise der FPÖ vom ÖVP-Kanzler beendet worden, sagte Van der Bellen im News-Sommergespräch: "Ich stelle fest, dass meine düstersten Ahnungen über diese Regierung übertroffen wurden. Das Schlagwort vom ,Neu Regieren' hat sich längst selbst entlarvt: Diese Koalition macht Politik von gestern und vorgestern. Die FPÖ positionierte sich als Partei des kleinen Mannes. Jetzt entlarvte sie sich als Abstauberpartei und Nummer eins im Privilegiendschungel." Und noch eine Aussage, die auch im Jahr 2019 fallen könnte - wenn auch nicht aus dem Mund des bedachten Bundespräsidenten: "Nicht die ÖVP hat die FPÖ domestiziert -umgekehrt hat die FPÖ den Koalitionspartner ÖVP in Geiselhaft genommen."

Gut möglich, dass Türkis-Blau vor zwei Jahren nicht die liebste Koalitionsvariante Van der Bellens war. Noch im Präsidentschaftswahlkampf 2016 ließ er sich in einer Debatte mit Irmgard Griss zur Aussage verleiten, er würde Heinz- Christian Strache nicht angeloben. Eine Weigerung, die dem Bundespräsidenten realpolitisch gar nicht möglich ist. In den folgenden Monaten des Wahlkampfes kam es zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen des ehemaligen Grünen mit dem Kandidaten der FPÖ, Norbert Hofer, das Van der Bellen in der Stichwahl gewann. In den zahlreichen Wahlkampfdebatten blieb der Ton fast immer höflich, in der Sache war man weit auseinander. In Erinnerung bleibt aus Van der Bellens Kampagne unter anderem, dass er den von der FPÖ oft gebrauchten "Heimat"-Begriff erstmals auch für die Linke beanspruchte.

Norbert Hofer sah Van der Bellen dann bei der Angelobung im Dezember 2017 wieder. Natürlich ließ er die türkis-blaue Regierung zu, weil diese über eine Mehrheit im Parlament verfügte. Quer über den Ballhausplatz versuchte Van der Bellen eine gute Gesprächsbasis zum Bundeskanzler und zum Vizekanzler aufrecht zu erhalten. Doch nach und nach begann er, mit zumindest symbolischen Gesten seine Meinung vor allem zur Zuwanderungspolitik dieser Regierung zu zeigen. Er stattete dem Integrationshaus in Wien einen offiziellen Besuch ab und traf sich mit einem jener Asylwerber in Lehre, die von Abschiebung bedroht waren. Als Innenminister Herbert Kickl die Europäische Menschenrechtskonvention infrage stellte, sprach der Bundespräsident ein sehr eindeutiges Machtwort: "Rütteln an der Menschenrechtskonvention geht gar nicht!"

Nun hat er eine Regierung nach seinem Gutdünken gebildet, die eine Mehrheit im Parlament braucht. Dem aus dem Amt gewählten Sebastian Kurz gibt er bei der Angelobung des Interimskabinetts eine Weisheit mit, an die er sich selbst sein politisches Leben lang hält: "Es reicht eben nicht in einer Demokratie, wenn man mit den anderen nur redet, wenn man sie braucht. Das rächt sich dann."

Der Beitrag ist ursprünglich in der Printausgabe von News (Nr. 22/2019) erschienen!