"Wir haben uns nicht gekümmert"

Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer im Interview

In Sachen Integrationspolitik räumt Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer Versäumnisse ein: Sozialarbeiter sollen jetzt versuchen, türkischstämmige Kinder ins Bildungssystem hereinzuholen. Und "der Riesensarg Mittelmeer" müsse ein Ende haben

von ÖVP - "Wir haben uns nicht gekümmert" © Bild: Ricardo Herrgott

Sie haben in einer viel beachteten Festspielrede vor zwei Jahren dazu aufgerufen, sich nicht zu fürchten und einen humanen Umgang mit Flüchtlingen eingemahnt. Ist das nicht ein Widerspruch zum aktuellen Kurs von Sebastian Kurz und der ÖVP?

In keiner Weise. Ich habe gesagt, fürchten wir uns nicht, stellen wir die richtigen Fragen, geben wir der Menschlichkeit Weite, aber auch einen Horizont. Es hat sich sehr rasch herausgestellt, wie schnell die Situation dramatisch werden kann, und wir haben dann, glaube ich, tatsächlich auch die richtigen Fragen gestellt. Was können wir leisten? Was bringen wir zustande, ohne das innere Gleichgewicht in Frage zu stellen? Wie werden wir unserer historischen Verantwortung gerecht? Wir tragen ja, ob wir wollen oder nicht, auch einen Rucksack historischer Belastung mit uns herum. Das heißt, wir müssen sicher mehr tun als andere Länder, davon bin ich überzeugt. Aber wir können nicht das gesamte Unheil der Welt schultern.

Derzeit wird heftig über die Schließung der Mittelmeerroute debattiert. Kann das funktionieren?

Wie es Sebastian Kurz meines Erachtens richtig formuliert: Es ist unmenschlich, eine Situation zu schaffen, in der Kriminelle Leute übers Meer schicken. In der fixen Absicht, sie mit dem Ertrinken zu bedrohen, und in der Hoffnung, dass sie aufgegriffen werden. Dieser Riesensarg Mittelmeer muss ein Ende haben. Ich glaube, da sind wir alle einer Meinung. Die Frage ist nur: Wie geht das? Und eine der möglichen Varianten sind eben Zentren auf nordafrikanischem Gebiet, schwierig, gar keine Frage, aber wenn man will, ist es sicher zu schaffen.

© Ricardo Herrgott

Sie haben damals auch vor einer zerrissenen Gesellschaft gewarnt. Ist nicht genau das eingetreten? Wird nicht politisch zu viel Stimmung gemacht mit den Ängsten der Menschen?

Das sind jetzt verschiedene Themen. Das eine ist ein Sicherheitsthema, das natürlich virulent geworden ist. Wir sehen, dass in Bereichen der Kleinkriminalität, der Körperverletzung, auch des Drogenhandels schon eine erhebliche Zunahme festzustellen ist, die ihre Wurzeln in diesem Bereich von Migranten hat. Dazu kommt, dass die Leute eine unartikulierte Angst haben. Sicherheit ist ein riesiges politisches Thema, und das lockt natürlich Politiker an. Die sich dann in unterschiedlicher Tonalität und mit unterschiedlichen Vorschlägen auf dieses Feld begeben. Daran kann man jetzt die Frage anknüpfen, was die ÖVP von der FPÖ in diesem Thema unterscheidet.

Das ist eine gute Frage, ja.

Ich glaube, eine völlig andere Einstellung zur Menschlichkeit und auch zum Wert des Einzelnen. Eine völlig andere Tonalität. Eine überhaupt nicht gegebene Radikalität, aber eine Konsequenz, indem man eben die richtigen Fragen stellt. Was geht noch, was geht nicht mehr und wie können wir ein Problem sachlich lösen? Und wir gehen nicht in die Richtung, dass das schlechte Menschen, Gauner oder Gesindel wäre. So eine Tonalität würden wir auch aus unserer sozialen Sicht der Dinge jedenfalls ablehnen. Sie haben die Zerrissenheit der Gesellschaft angesprochen - die ist nicht mehr so stark, wie sie schon gewesen ist. Wir haben ein wirkliches Auseinanderklaffen gehabt zwischen jenen, die jedem Flüchtling geradezu einen Heiligenschein umgehängt haben, und jenen, die Flüchtlinge schon als Menschen extrem abgelehnt haben.

Verstärkt man nicht die Gräben, indem man wie Sebastian Kurz fordert, dass bei Sozialleistungen für Zuwanderer drastisch gekürzt werden sollte?

Das ist schon etwas, das die Leute sehr beschäftigt. Ob es wirklich gerechtfertigt ist, dass du mit einem Arbeitseinkommen schlechter gestellt bist als mit einer Mindestsicherung, die du als Flüchtling bekommst. Wobei man ehrlich sagen muss, es sind natürlich Extremfälle, die die Diskussion prägen. Wir haben da einen Fall, eine Flüchtlingsfamilie mit sechs Kindern, die kriegt ungefähr 3.000 Euro netto. Ein Arbeiter kann noch so viele Kinder kriegen, deswegen kriegt er nicht mehr. Ich persönlich sehe die Gestaltungsmaxime darin, die Beträge so festzusetzen, dass die Leute nicht in die Obdachlosigkeit und Kriminalität gedrängt werden. Aber auf der anderen Seite muss schon ein bestimmter Abstand sein zu einem Arbeitseinkommen.

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Sie gelten als fairer Politiker. Wie ist es Ihnen damit gegangen, als Reinhold Mitterlehner von der Spitze der Partei gedrängt wurde?

Das ist zu heftig formuliert. Er ist nicht gedrängt worden. Es war seine freie Entscheidung. Aber er befand sich in einer persönlich sehr schwierigen Situation, auf der anderen Seite gab es den absoluten Stillstand in der Koalition. Der Zeitpunkt war für mich überraschend, ich habe immer ein gutes Verhältnis zu Reinhold Mitterlehner gehabt, wir haben oft miteinander telefoniert und sind auch jetzt noch in gutem Kontakt. Es war aber, das muss ich schon sagen, im Grunde genommen für alle klar, dass er nicht mehr der Spitzenkandidat sein wird. Das war unausgesprochen, das hat er selber auch so gesehen. Natürlich ist es schwierig, Parteiobmann und Vizekanzler zu sein, und einer aus dem eigenen Team hat wesentlich bessere Umfragewerte.

Wie viel alt und wie viel neu steckt in dieser neuen ÖVP?

Die neue Bewegung, die Liste Kurz, ist eine neu aufgestellte ÖVP in mehrerlei Hinsicht. Erstens gibt es den bewussten Ansatz, auch neue Persönlichkeiten zuzulassen. Sie wissen ja, wie das ist in so einer Organisation. Da gibt es Strukturen, Funktionäre, da ist natürlich das Bestreben, sich selbst aus dem Spiel zu nehmen, gering. Und wenn das in einer Partei überhand nimmt, erstarrt sie. Sebastian Kurz ist es gelungen, dieses sehr bewahrende Moment etwas aufzumachen, indem er völlig richtig gesagt hat, in die Bundesliste redet mir niemand rein. Dann hat er ein Vetorecht für die Landesliste gefordert. Und auch das finde ich okay, er beweist damit seinen Führungsanspruch. Drittens: Der gesamte werbliche Auftritt ist sehr professionell. Und viertens, was so bisher auch noch nie da war, er kommuniziert intern extrem gut. Insofern hat er es in kurzer Zeit geschafft, die ganz Starken in seiner Partei hinter sich zu scharen. Natürlich, Erfolg ist immer ein Riesenantrieb.

Er darf die Wahl jetzt aber nicht verlieren, oder?

Wir werden sicher nicht den Parteiobmann austauschen nach der Wahl. Ich sehe auch keine Ansatzpunkte, dass er sie verliert -immerhin, wir waren in den Umfragen schon Dritte, jetzt führen wir mit einigem Abstand, aber das muss man einmal durch die Ziellinie bringen, da ist noch gar nichts ausgemacht. Und ich glaube, man muss sich in der Politik auch Zeit nehmen für langfristigere Entwicklungen. Ich halte überhaupt nichts von einer Hire-&- Fire-Politik, wo jemand nach einer Wahl, bei der er nicht erfolgreich war, entsorgt wird, und dann kommt der Nächste. Man muss jemandem auch Zeit geben, sich zu entwickeln. Kurz ist jung, er kann es, das hat er gezeigt. Für mich ist er nicht nur eine Hoffnung für diese Wahl, sondern eine echte Zukunftshoffnung.

Verkehr ist ein großes Problem in Salzburg. Im Sommer, wenn es regnet, bricht schnell alles zusammen. Warum ist es in den vergangenen Jahren nicht gelungen, das zu verbessern?

Die Möglichkeiten der Verkehrsinfrastruktur sind beschränkt, wir haben ein Straßennetz, das im Normalbetrieb schon am Anschlag, aber im Prinzip nicht erweiterbar ist. Das Ausweichen auf den öffentlichen Verkehr bedarf enormer Investitionen, die wir allein schwer schultern können, hat entsprechende Vorlaufzeiten und bedarf auch eines geänderten Verkehrsverhaltens. Solange nur in jedem 13. Auto ein zweiter Insasse drinnen sitzt, wird das nicht besser werden. Und in diesem Prozess sind wir gerade drinnen. Es gibt hier keine schnellen Allheilkonzepte. Wir haben ein bisschen Probleme, dass die Stadt bisher relativ einseitig vorgegangen ist und wenig Interessen an gemeinsamen Lösungen gezeigt hat.

© Ricardo Herrgott

Wohnen in Salzburg ist sehr teuer. Viele Junge weichen nach Oberösterreich oder Bayern aus. Wie schaffen Sie günstigeren Wohnraum?

Wir haben einen ersten Schritt mit einer neuen Wohnbauförderung gesetzt, wir haben das System völlig umgekrempelt, und wir sehen, dass das im Bereich des Eigentums sehr gut funktioniert. Wir stützen auch im geförderten Bereich die Mieten herunter, vor allem die Altmieten, die aus dem alten System exponentiell ansteigen. Wir haben aber zwei Probleme. Grund ist in Salzburg sehr teuer und nicht vermehrbar. Darauf antworten wir mit einem neuen Raumordnungsgesetz, um gehortetes Bauland zu mobilisieren. Und das Zweite sind technische Vorschriften, die das Bauen sehr teuer machen. Das ist dann eine Abwägungssache in Sachen Klimaschutz, aber da muss man ein bisschen flexibler werden.

Was Arbeitslosigkeit betrifft, steht Salzburg gut da. Aber es gibt ein Problem mit dem Fachkräftemangel. Wie wollen Sie das lösen?

Wir haben zum Beispiel den Talente-Check gemacht. Jede und jeder 14-Jährige wird durch einen Talente-Parcours geschickt, aus der Überlegung heraus, dass wir uns in der Bildungspolitik mehr um die Entwicklung von Talenten kümmern müssen. Außerdem haben wir untersucht, was die jungen Leute machen, wenn sie die Schulpflicht erledigt haben, und festgestellt, dass 15,3 Prozent nichts machen. Keine mittlere oder höhere Schule, keine Lehre, keine weitere Qualifizierung. Und wir haben festgestellt, dass der Anteil bei den Türken bei über 50 Prozent liegt, darunter extrem viele Mädchen. Da haben wir schon Fehler gemacht. Wir haben uns um die Leute eigentlich nicht gekümmert. Die sind in ihrer Lebenswelt, ohne dass wir sie entsprechend betreut haben. Jetzt versuchen wir, mit Sozialarbeitern in die Familien zu kommen und zu sagen: "Schaut, dass die Tochter auch was lernt."

Wie sind die Erfahrungen?

Wir fangen gerade damit an. In Mittersill, einem kleinen Ort im Oberpinzgau, hat mir eine Kindergartenleiterin gesagt, sie hat mehr Kinder mit Nicht-Deutsch als Muttersprache als mit Deutsch als Muttersprache. Und ihr Problem sind nicht die Flüchtlingskinder, weil da wollen die Eltern. Ihr Problem sind die kleinen Türken, die in dritter Generation hier leben und kein Wort Deutsch sprechen, wenn sie in den Kindergarten kommen. Es gibt auch sehr viele Erfolgreiche, die ganz tolle Karrieren gemacht haben, ich will das nicht einseitig darstellen. Die muss man aber auch mehr auf die Bühne holen und sagen: Kinder, es zahlt sich aus.

Braucht es die Grenzkontrollen am Walserberg noch, die regelmäßig für Stau sorgen?

Die Deutschen sagen Ja.

Und Sie?

das ist nicht realistisch, die wird es noch eine Zeitlang geben - vermutlich solange kein effektiver Schutz der Außengrenzen gewährleistet ist. Wenn alle Staaten durchwinken, werden die Deutschen kontrollieren. Sie ziehen überraschend viele Leute raus. Aber wir spüren es natürlich wirtschaftlich. Die Tagestouristen überlegen sich zwei Mal, zu kommen.

© Ricardo Herrgott

Anlässlich des Urteils gegen Salzburgs Bürgermeister Heinz Schaden: Befürchten Sie, dass es Leute davon abhält, in die Politik zu gehen?

Das Urteil selbst kommentiere ich nicht, aus Respekt vor der Justiz. Die Sache ist persönlich tragisch. Ich bin auch der Meinung, dass Heinz Schaden nach so vielen Jahren als tüchtiger Bürgermeister sich das nicht verdient hat am Ende seiner politischen Karriere. Dass gegen strafrechtliche Normen verstoßen wurde, war, glaube ich, niemandem bewusst. Das Urteil löst viel aus. In Zukunft werden alle viel vorsichtiger sein müssen, das Leben wird nicht einfach dadurch.

Die Politik wird mutloser?

Sicher. So ein Urteil ist für den Mut für Entscheidungen nicht förderlich, das muss man ganz klar sagen. Weil, bevor du persönliche Probleme kriegst, lasst du es lieber bleiben. Ich hoffe nur, dass trotzdem Entscheidungen getroffen werden und der politische Druck für positive Entwicklungen da ist.

Das Ende der Ära Burgstaller war sehr turbulent, Sie gelten als besonnen. War in dieser Situation eine ruhige Phase wichtig für Salzburg?

Ich glaube, es war notwendig, eine andere politische Kultur zu finden. Eine Kultur, in der sich Koalitionspartner nicht als Feinde gegenüberstehen, die einander kein gutes Haar lassen, sondern gemeinsam einen Weg finden. An der Sache orientiert und nicht an Rechthaberei. Ob das Experiment aufgeht, werden wir bei der Wahl sehen.