Grüner Frühling,
Heisser Herbst

Grün ist das neue Rot, legen die Ergebnisse der EU-Wahl nahe. Aber für die österreichischen Grünen geht es jetzt erst richtig los: Nach der Wahl ist vor der (Nationalrats-)Wahl

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Politik - Grüner Frühling,
Heisser Herbst

Selten wurde über ein Minus vor dem Ergebnis so gejubelt. Am Abend der EU-Wahl war die grüne Welt endlich wieder in Ordnung. Nicht sieben oder acht Prozent, wie großzügig prognostiziert, hatten die Grünen erreicht -sondern (inklusive Wahlkarten) 14 Prozent. Fast so viele wie früher. Wie vor der Katastrophe bei der Nationalratswahl 2017, als die Grünen inhaltlich ausgelaugt, öffentlich zerstritten und personell geschwächt aus dem Parlament flogen.

Die grüne Wiederauferstehung hat einen Namen und ein Gesicht. Es strahlt an diesem Wahlabend über einem knallgrünen T-Shirt mit gelben EU-Sternen, unter einer grünen Plastiksonnenbrille - lässig-ironisches Markenzeichen eines Junggebliebenen. Werner Kogler ist der Mann der Stunde. Er hat die Partei übernommen, als keiner mehr an ihre Zukunft glaubte. Hat, finanzieller Probleme und personeller Engpässe zum Trotz, am Wiederaufbau jener Bewegung gearbeitet, die er Anfang der 80er-Jahre mitbegründet hatte. Die Landtagswahlen der letzten 18 Monate zeigten bereits einen stabil positiven Trend. Aber heute, heute ist es offiziell: Die Grünen sind wieder da. "Ein Dank an die Wählerinnen und Wähler, die zurückgekommen sind", sagt er bei der Wahlparty im Wiener Metropol.

Das grüne Comeback ist nicht zuletzt Koglers Verdienst, sind sich viele Beobachter einig. Rudi Anschober, Landesrat in Oberösterreich und eine der derzeit wichtigsten grünen Persönlichkeiten, sagt über seinen Parteichef: "Der Werner ist ein engagierter Umweltfighter, der sehr glaubwürdig ist und sehr gut auf Menschen zugehen kann. Er war in der Nacht zum Wahltag noch beim großen Bilderbuch- Konzert in Wien und hat dort Hunderte Gespräche geführt. Das ist typisch für ihn."

Erfolge in Europa

Der grüne Wahlerfolg hat aber auch andere Gründe, wie das gesamteuropäische Wahlergebnis zeigt. In vielen Ländern legten die Grünen zu, teils deutlich. Und wie in anderen Ländern geht das auch in Österreich vor allem auf Kosten der Sozialdemokraten. Den roten Erzählungen, so es sie überhaupt noch gibt, fehlt es an Kraft. Und auf neue Herausforderungen geben sie keine überzeugenden Antworten. Migration, Klimakrise? Seine klare Haltung zu Ersterer machte Sebastian Kurz 2017 zum Kanzler, ihr Engagement in Sachen Klimaschutz verhalf den Grünen vorletzten Sonntag zu einer wundersamen Wiederauferstehung.

"Die Themenlage war für die Grünen sehr günstig", analysiert Wahlforscher Christoph Hofinger vom Sora-Institut. "Und sie haben es sich auch abgeholt." Umwelt-und Klimaschutz gehörte - neben Sozialpolitik, Zuwanderung und dem Erstarken nationalistischer Kräfte - zu den wichtigsten Themen der Wahl. Und, meint Hofinger, "Kogler und (die Listenzweite Sarah, Anm.) Wiener haben Zuversicht ausgestrahlt. Mehr, als sie wahrscheinlich wirklich hatten." Im Herbst 2017 verloren die Grünen in alle Richtungen, diesmal gelang es, 130.000 von 160.000 an die SPÖ verlorenen Stimmen zurückzuholen, 81.000 von der Liste Jetzt und 77.000 von Neos. Sogar 43.000 ehemalige FPÖ-Wähler entschieden sich diesmal für die Grünen, vielleicht eine Folge der Empörung vor allem junger Leute über das Ibiza-Video.

Und vielleicht auch wegen des Crashkurses in Sachen Bodenhaftung, den sich die Grünen seit 2017 verordnet haben. Verständlich sein, weniger dogmatisch. Authentisch, hemdsärmelig, nahbar. Eine Partei zum Angreifen, kein abgehobener Anzugträgerverein. Frei nach dem Motto: Raus aus dem Hörsaal, rein ins Wirtshaus. "Das war immer schon meine Geschichte, jetzt haben wir es richtig durchgezogen", sagt Kogler. "Die Stimmung und die Themen haben sich gedreht. Aber dazu haben wir auch was beigetragen."

Das Konzept sprach vor allem junge Wählerinnen und Wähler an. Bei den unter 30-Jährigen landeten die Grünen bei der Europawahl laut Wahltagsbefragung mit 28 Prozent klar auf Platz eins, vor SPÖ (22 %), FPÖ (17 %) und ÖVP (16 %). Der Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier sagt: "Die Grünen sind einfach jugendkulturell besser anschlussfähig. Sie können das Bedürfnis der Jugendlichen nach Freiheit und Autonomie besser symbolisieren als die alten Parteien." Beim Thema Klimaschutz komme ihnen ihre Glaubwürdigkeit besonders zugute. "Wir sehen, dass die Grünen bei den Themen, die sie aufgreifen, hochgradig glaubwürdig sind. Man nimmt ihnen ihr Engagement einfach ab. Bei den anderen glaubt man, es ist ein taktisch-strategisches Theater, von irgendwelchen PR-Agenturen inszeniert."

Der Wunsch nach neuem Stil in der Politik sei bei den Jungen nachhaltig, glaubt Heinzlmaier, die Wahrscheinlichkeit, dass die jungen Grün-Wähler von heute in 20 Jahren ÖVP wählen, gering: "Weil sie das Politikkonzept der traditionellen Parteien, das Hierarchische und Entindividualisierte, ablehnen." Den 57-jährigen Parteichef Kogler würden die Jungen in Kauf nehmen -und neben einem Othmar Karas wirke Kogler immer noch wie ein 30-Jähriger neben einem 100-Jährigen, findet Heinzlmaier. Wichtig sei nun aber eine personelle Neuaufstellung. "Den Großteil dieser hemmenden Kräfte habe die Grünen eh schon zum Pilz entsorgt. Jetzt muss man schauen, dass man frische junge Leute reinkriegt. Keine Ideologen."

Superstar Habeck

Spätestens hier ist ein Blick nach Deutschland unausweichlich. Die Grünen wurden dort bei der Europawahl zweitstärkste Kraft nach der CDU - weit vor der SPD, die im Vergleich zu 2014 um 11,5 Prozentpunkte abstürzte. In aktuellen Meinungsumfragen liegen die Grünen sogar auf Platz eins. Und sie haben Robert Habeck. Eigentlich müsste es umgekehrt heißen: Die deutschen Grünen haben -auch -deswegen hervorragende Werte, weil ihnen mit Habeck und Annalena Baerbock eine überzeugende Doppelspitze vorsteht. Politiker, die mit Klischees brechen und die Altparteienvertreter als fade Apparatschiks dastehen lassen. Das deutsche Magazin "Stern" titelte jüngst mit einem Habeck- Porträt und der Frage: "Unser nächster Kanzler?" Sowas, meint Jugendforscher Heinzlmaier, müsste auch in Österreich zu schaffen sein, "dann werden sie das Feld genauso aufrollen, wie das gerade in Deutschland passiert". Mit noch dramatischeren Folgen für die SPÖ.

© MICHELE TANTUSSI / AFP Robert Habeck

Aber hier wird es schwierig. Die Jungen wie der oberösterreichische Landessprecher Stefan Kaineder (34) oder die Vorarlbergerin Nina Tomaselli (34) gelten als - noch -zu unbekannt. Spekuliert wird über eine Doppelspitze Kogler/Anschober. Der außerparlamentarisch oppositionelle "Umweltfighter" Kogler Seite an Seite mit dem langjährigen Landesrat Anschober, der mit seiner Initiative gegen die Abschiebung von Lehrlingen einer der lautesten und lästigsten Kritiker der Regierung K u r z war - das hätte was. Aber jung sieht anders aus. Zumindest "einige Junge" wünscht sich Parteichef Kogler unter den Top Ten auf der Kandidatenliste, die im Juni feststehen soll.

Zurück zu Grün

Und noch eine Frage gilt es zu klären, bevor die politische Sommerpause beginnt, Ruhe vor dem Sturm eines heftigen Wahlkampfes: Wiedervereinigung mit der Liste Jetzt oder nicht? Die Parteischöpfung des Ex-Grünen Peter Pilz, die 2017 mit 4,4 Prozent knapp den Einzug ins Parlament schaffte, steht in Umfragen derzeit bei mageren ein bis zwei Prozent. Er stehe dem Ansinnen nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber, sagt Werner Kogler. Ein Gespräch mit Liste-Jetzt-Chefin Maria Stern sei für diese Woche geplant.

Alles andere sei derzeit aber noch unklar: "Mich interessiert, wie man die Bewegung, die mit Schwarz-Blau nichts am Hut hat, maximal stärken kann. Es gilt abzuklären, ob die jetzt wirklich eine andere Bewegung sind, oder ob sie sagen, sie sind eh Grüne. Wenn Letzteres: Na, dann kommt's halt wieder. Aber zuerst müssen sie wissen, wer sie selber sind." Finanziell werde es so oder so eine klare Trennung geben. "Wir haben gelernt uns selber zu finanzieren und ich greife überhaupt keinen Euro an, der uns nichts angeht."

Koalitionsfragen

Sind die Grünen schon so gut wie zurück im Nationalrat? Eine Analyse der EU-Wahl zeigt, wie sehr ihre Performance von den Rahmenbedingungen abhängt. Christoph Hofinger von Sora sieht bei der EU-Wahl viele "Last-Minute-Entscheidungen" für die Grünen. Und obwohl sie normalerweise nicht die Nutznießer insgesamt großer Mobilisierung am Wahltag sind, kam sie ihnen diesmal zugute. 2017 litten die Grünen unter dem Kanzlerduell zwischen Christian Kern und Sebastian Kurz, viele Wähler wechselten kurzfristig von Grün zur Rot. Ob es mit dem grünen Höhenflug bei der Nationalratswahl weitergeht, werde auch diesmal von der Konstellation der anderen Parteien abhängen, meint Sora-Forscher Hofinger. "Wenn sich ein spannendes Match zwischen ÖVP und SPÖ ergibt, würde das den Grünen schaden. Am Günstigsten ist die Ausgangslage für die Grünen, wenn klar ist, wer gewinnt und es um die Frage möglicher Koalitionen geht." Von einer Koalition mit der ÖVP solle sich die Öko-Partei daher keinesfalls zu früh distanzieren, rät Hofinger. Denn: Das würde mehr Wählerstimmen kosten, als sie bringen würde.

Die grünen Spitzen halten sich bisher an die empfohlene Vorgehensweise und versuchen, die Frage für inhaltliche Profilierung zu nützen: Nur wenn die ÖVP ihre Haltung in Klimafragen sehr stark überdenke, könne eine Zusammenarbeit möglich sein, sagt etwa der oberösterreichische grüne Landesrat Rudi Anschober. Und betont eine zweites Thema, an dem er sich in den letzten eineinhalb Jahren persönlich abgearbeitet hat: Viele Monate lang bemühte sich Anschober umsonst um einen Gesprächstermin mit dem ehemaligen Bundeskanzler, um seine breit unterstützte Petition "Ausbildung statt Abschiebung" zu präsentieren. Einer seiner "massivsten Vorwürfe" an den Alt-Kanzler: "Dass er die Kultur des Dialogs, die Österreich lange ausgezeichnet hat, über Bord geschmissen hat und über Viele drübergefahren ist."

Hohe Erwartungen

Die Europawahl ist knapp zwei Wochen her und die Nationalratswahl steht quasi schon vor der Tür. Die Chancen für die ÖVP stehen ausgezeichnet, die für die FPÖ nicht so schlecht, wie man annehmen sollte, zeigen Umfragen, und die SPÖ ringt nach ihrem mäßigen Abschneiden bei der Europawahl immer noch um Fassung, Strategie und Führung -mit eher schlechten Aussichten auf rasche Genesung. Für die Grünen keine schlechte Ausgangssituation. Die Latte liegt hoch.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr. 23/19

Kommentare

Nur großer Sprücheklopfer!!! Man sieht ja was in Wien passiert ist! Eine Stadt zerstört durch Unterwanderung!!!

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