Gernot Blümel:
Eine rote Bastion türkis färben

Er ist ein Mastermind der türkis-blauen Regierung. Er weiß, wie man SPÖ-Regierungspartner zermürbt. Nun will Gernot Blümel ins Wiener Rathaus. Eine Vorausschau auf den Wahlkampf

von Politik - Gernot Blümel:
Eine rote Bastion türkis färben © Bild: Matt Observe/News

Aus dem Bürofenster von Gernot Blümel sieht man über den Volksgarten hinweg das Wiener Rathaus. Hier auf dem Ballhausplatz dreht der Kanzleramtsminister mit den Zuständigkeiten Europa, Kunst und Medien an den großen Rädern der Politik. Seine Themen dieser Tage sind der Brexit und das umstrittene Vermummungsverbot im Internet. In seine politische Zuständigkeit fallen die Staatsoper (mit ihren skandalösen Missständen in der Ballettakademie) ebenso wie der ORF und seine künftige Finanzierung. Der Koalitionspartner FPÖ hat die Abschaffung der GIS-Gebühren zur Fahnenfrage erhoben. Die ÖVP hatte es bisher damit nicht ganz so eilig. Da ist womöglich wieder einmal der Einsatz der Koalitionskoordinatoren gefragt -eine Rolle, die Blümel für seine Partei ebenfalls übernommen hat. Und doch will er auf die andere Seite der Ringstraße wechseln, von der Bundespolitik in die Stadtpolitik. Von der Aufregung über den Brexit zur Erregung über Fußgängerzonen und die Zurückdrängung der Autos in der Stadt. Kann man das wollen?

"Das war von Anfang an mein Ziel, als ich die ÖVP-Wien übernommen habe", beteuert Blümel. "Da gestaltet man die unmittelbare Lebensrealität der Menschen. Es gibt keine unmittelbarere politische Arbeit, denn als Bürgermeister, und das noch dazu in einer Millionenmetropole." Nächstes Jahr wird in Wien der Gemeinderat neu gewählt. Blümel ist als Landesparteichef der logische Spitzenkandidat der nunmehr Türkisen. Schlappe neun Prozent erreichte die ÖVP bei der 2015. Es kann also fast nur besser werden.

© Matt Observe/News Gernot Blümel

"Ich werd ihn vermissen", vergießt sein blaues Vis-à-vis Norbert Hofer jetzt schon Krokodilstränen. "Hundertprozentig" werde er das auch tun, entgegnet Blümel. "Es war oder ist eine extrem vertrauensorientierte und pragmatische Zusammenarbeit. Wenn die persönliche Ebene passt, dann kann man große politische Probleme lösen. Wenn diese Ebene zerrüttet ist und man sich gegenseitig strukturell misstraut, dann wird auch die kleinste Herausforderung unlösbar", erklärt Blümel den Koalitionsalltag. Jeder wisse um die Schmerzgrenzen des anderen. "Die sind vice versa immer dann überschritten, wenn man glaubt, dass der andere das Verständnis für einen verloren hat. Es ist ganz wesentlich, dass man für die Positionen des anderen ein gewisses Einfühlungsvermögen aufbringt. Das heißt ja nicht, dass man die Position teilt, aber man weiß, wie weit man gehen kann, ohne dem anderen das Leben zu schwer zu machen." Man gönne sich gegenseitig politische Erfolge, sagt Blümel.

Nicht wie früher mit der SPÖ, als man sich bis aufs Blut sekkierte und es ständig darum ging, sich gegenseitig Dinge wegzuverhandeln. "Da hat man sich damit gerühmt, was nicht gekommen ist und welchen Kompromiss man gemacht hat. Die Kompromissdemokratie ist da eindeutig übertrieben worden." Die FPÖ bekommt den Papamonat, die ÖVP Zugeständnisse an die Wirtschaft. Wenn es gegen Zuwanderer geht, ist man sich sowieso oft einig.

Die rote Linien

Auch Anfang April, als die Abgrenzung der FPÖ zu den Identitären fraglich war, war der Konflikt rasch beigelegt, nachdem FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache beteuert hatte, man wolle mit deren Gedankengut doch nichts zu tun haben. "Das war eine rote Linie", sagt Blümel, "Die hat der Kanzler klargemacht, und dem ist die FPÖ nachgekommen. Darüber hinaus wird das keine größeren Probleme in der Zusammenarbeit aufwerfen. Wenn das so getan wird wie angekündigt."

Doch überrascht können Kurz und sein Team von den Abgrenzungsproblemen des Koalitionspartners nicht gewesen sein. Man kennt die FPÖ und ihre Einzelfälle -und schwieg sehr oft. Ob die rote Linie dort verlaufe, wo die ÖVP in Gefahr gerät, durch blaue Tendenzen nach Rechtsaußen international beschädigt zu werden? "Nein", sagt Blümel, "Es geht um eine Grundeinstellung, die haben einfach ein grausiges Gedankengut, mit dem wir nichts tun haben wollen."

Kritik wie jene des niederländischen EU-Kommissars Frans Timmermans, man wisse bei der türkis-blauen Koalition nicht, wer wen kontrolliere, wischt Blümel vom Tisch: "Er ist im Wahlkampf und Spitzenkandidat der Sozialdemokraten. Ich kenne ihn auch in der sachlichen Zusammenarbeit. Da würde er so etwas nie sagen."

Auf Bundesebene ist Blümel ein Machtfaktor. Er sitzt im Maschinenraum der Koalition, alle wichtigen Regierungsentscheidungen gehen auch über seinen Tisch, wenige Meter weiter im Bundeskanzleramt residiert Sebastian Kurz, in dessen politischer Gefolgschaft sich Blümel seit Jahren bewegt. Er räumt für Kurz die unangenehmen Dinge aus dem Weg, übernimmt, wenn Kurz aus taktischen Erwägungen nicht ins Rampenlicht will. Wie an jenem Wiener Wahlabend 2015, als die ÖVP unter Manfred Juraczka das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte einfuhr.

Eine blasstürkise Handschrift

Rasch war klar, dass sich an der Parteispitze etwas tun wird. Kurz war damals Außenminister und junger Hoffnungsträger für so ziemlich alle vakanten Positionen in der ÖVP. Blümel war Generalsekretär der Bundes-ÖVP. In den Gängen der Parteizentrale raunte man, "der Sebastian" müsse nun übernehmen. Der kam, ließ den Kelch elegant an sich vorübergehen und drückte beim damals schon überrumpelt wirkenden Parteichef Reinhold Mitterlehner seinen Freund Blümel durch. Ein Himmelfahrtskommando, dachten damals viele. Der smarte, aber bis dahin eher unauffällige junge Mann werde wohl wie alle seine Vorgänger an Döblinger Regimentern und Bezirkskaisern zerschellen. Der wahre Chef der Wiener ÖVP sitze sowieso seit Jahr und Tag in der städtischen Wirtschaftskammer.

Doch Blümel und Kurz legten die Sache anders an: Zunächst wurde die Bundes-ÖVP von Kurz übernommen, dann ging es weiter ins Kanzleramt, Blümel erhielt den wichtigen Regierungsposten und hat damit eine Medienpräsenz, die sich seine Vorgänger in der Wiener ÖVP nur wünschen konnten. Im Nebenjob verjüngte Blümel die Funktionärstruppe in Wien und färbte sie auf Türkis um. Nur Blümels Socken, die er mit Vorliebe trägt, sind noch türkiser. Und Wien soll es noch werden, wünscht er sich. Genau genommen gibt es für die ÖVP und die FPÖ auch bei der Wien-Wahl ein gemeinsames Ziel: diese rote Bastion zu zerschlagen.

Eineinhalb Jahre vor der Wahl hat Blümel in Wien allerdings noch jenes Problem, das er sonst lieber den Oppositionsparteien auf Bundesebene macht: Neben einer omnipräsenten Regierungstruppe ist eine Neun-Prozent-Partei kaum sichtbar. Und so sagt er, was man auf Bundesebene von den anderen hört: "Ich hätte gerne, dass unsere Themen, die wir in Wien spielen, dieselbe Aufmerksamkeit bekommen. Egal, ob das das Hochhaus am Heumarkt ist oder unser Stadtentwicklungskonzept, das wir kürzlich präsentiert haben." Doch sogar Blümels eigene Social-Media-Kanäle transportieren mehr den Minister als den Wiener Kommunalpolitiker. Auf die Frage, ob durchschnittlich interessierte Wähler ihn überhaupt schon als ÖVP-Chef wahrnehmen, wirkt er etwas irritiert: "Ich denke ja, von den Umfragen her gibt es ein klares Bild, das wird im Wahlkampf noch stärker werden. Die mediale Präsenz von Landespolitikern ist nicht so breit, da hilft es, dass ich eine exponierte Bundesfunktion habe." Aus dieser Bundesfunktion heraus setzt Blümel Nadelstiche gegen die Kontrahenten in Wien. Als Kulturminister mischt er bei der Debatte um das bedrohte Weltkulturerbe der Wiener Innenstadt mit und steht an der Seite der Gegner der Hochhauspläne für den Heumarkt. Das bewährte Wahlkampfthema Migration hält Blümel von der Regierungsbank aus am Köcheln. Er verweist auf die Deutschklassen, die eingeführt wurden, und auf die von allen Hilfsorganisationen heftig kritisierte Mindestsicherung: "Da liegt vieles im Argen, wo wir seitens der Bundesregierung die Probleme, die wir lösen können, in Angriff nehmen. Da ist in Wien vieles lange nicht angegriffen worden, wir wollen davor nicht die Augen verschließen."

Neue Themen, alte Feindbilder

Doch das Thema Zuwanderung alleine wird in Wien nicht reichen. Die Stadt offensiv schlecht zu reden, funktioniert auch nur bedingt, denn für die meisten Menschen funktioniert sie. Was also wird das türkise Wahlprogramm sein? "Wir sind uns einig, Wien ist eine wunderschöne Stadt. Und wir sind uns auch einig, dass Schönsein allein nicht reicht. Wenn man die Wienerinnen und Wiener fragt, ob bei den großen Problemen genug weitergeht, werden Sie kaum die Antwort bekommen, dass das so ist", sagt Blümel. Überschuldung, Krankenhaus Nord, Heumarkt, Mindestsicherung, zählt er auf.

Dass die SPÖ unter Michael Ludwig mit dem "Wien-Bonus" für Menschen, die schon länger hier sind, die rechte Flanke der Partei besser befestige als Langzeit-Bürgermeister Michael Häupl, will Blümel so nicht stehen lassen. "Ehrlich gesagt, ich sehe hier nicht die klare Linie der SPÖ: ein bissel rechts blinken, ein bissel links tun -oder umgekehrt. Aber gut, das ist Sache der SPÖ-Strategen. Wenn ich mir Pressekonferenzen von SPÖ-Sozialstadtrat Hacker und der grünen Spitzenkandidatin Hebein ansehe, weiß ich nicht, wo man sich anders positioniert als früher. Im Bereich der Mindestsicherung zu sagen, man klagt das Gesetz prinzipiell oder man setzt es nicht um, das ist schon sehr absurd."

Aber, sagt der Noch-Minister, er würde lieber auf andere Themen setzen: die Stadtschulden etwa. Dass Finanzstadtrat Peter Hanke 2020 ein Budget mit Nulldefizit vorlegen will, stört nicht bei Wahlkampftönen: "Das hab ich von Frau Brauer (Stadträtin bis 2018) auch immer gehört, nur passiert ist es nie. Offenbar steht er da in einer guten Tradition." Und die ÖVP will vor der Wahl ihr Talent zur Stadtplanung unter Beweis stellen. Mit einem Entwicklungskonzept für den Handelskai etwa. "Wenn sie da entlangfahren, werden sie sich per definitionem nicht wohl fühlen. Das muss nicht so sein. Leben am Wasser ist in anderen Millionenmetropolen ein Privileg, eine Riesenchance. Das hat Wien lange verschlafen." Befragt nach den besten Plätzen Wiens, nennt Blümel sofort die Steinhofgründe: "Das ist ein Gesamtgefüge einer Architektur um 1900, die ihresgleichen sucht. Da zu überlegen, ob man das parzelliert und an den Meistbietenden verkauft, halte ich für absurd. Deshalb haben wir einen Vorprüfungsantrag an die Unesco geschickt, ob das prinzipiell Unter-Schutz-Stellungs-würdig ist." Weniger streng will Blümel hingegen bei Ladenöffnungszeiten sein: "Was ist mit Tourismuszonen in Wien? Wir sind die einzige Weltstadt, wo es keine gibt. Jedes Skifahrerdorf in Tirol darf mehr."

Doch wie wahrscheinlich ist es, dass aus Plänen Realität wird? Lieber Vizebürgermeister unter Michael Ludwig oder unter Heinz-Christian Strache? "Am liebsten Bürgermeister", lautet die Antwort - was bei rund 16 Prozent in Umfragen eher unwahrscheinlich ist. "Am wahrscheinlichsten ist", gibt Blümel zu, "dass die SPÖ wieder den Bürgermeister stellt. Alls andere ist Spekulation." Wenn die ÖVP in Wien mit der SPÖ koaliert, kracht es dann mit den Blauen im Bund?"Vielleicht hilft es sogar", spricht nun wieder Koalitionskoordinator. Könnte doch die SPÖ nicht mehr so leicht gegen Sebastian Kurz wettern, wenn sie in Wien mit dessen engstem Vertrauten regiert.

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