Chaos in der SPÖ: Einsam am Ende

Ein Mann, zwei Rücktritte. Eine Partei, viele Probleme. Wie sich Christian Kern in der SPÖ ins Out manövrierte. Und wie die Roten seit seinem Abgang in noch tiefere Turbulenzen gerieten.

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Politik - Chaos in der SPÖ: Einsam am Ende

Am Ende hat Christian Kern den Bihänder ausgepackt. Der war zwar frisch poliert und dann auch noch in Samt eingeschlagen. Weh tat es trotzdem, was Kern da in seiner letzten Erklärung, oder vielmehr einem letzten Erklärungsversuch, von sich gab. Wie üblich sprach er in fein gedrechselten Sätzen und wohlgesetzten Worten. Doch die Botschaft richtete der Mann, der sich als angriffiger Oppositionspolitiker fehlbesetzt sah, nicht gegen die Regierung, sondern gegen die eigene Partei. Den Zorn über die Intrigen innerhalb der SPÖ könnte man noch verstehen. Doch im Abgang riss der scheidende Parteichef allerdings auch noch seine designierte Nachfolgerin Pamela Rendi-Wagner mit ins Imagetief. Sie sei seine Erfindung gewesen, erklärte er sinngemäß und ein bisschen gönnerhaft. Bei der Frage nach Andreas Schieder hingegen, der im Europawahlkampf einspringt, wollte sich Kern nicht einmal ein paar höfliche Worte abringen. Man hätte die vorhandene außenpolitische Kom­petenz des früheren SPÖ-Klubobmanns ­ansprechen können. Stattdessen nur ein Schulterzucken: Das sei nun wirklich nicht mehr seine Angelegenheit. Wie konnte es so weit kommen? Eine Rückblende.

Im Mai 2016 war die Erleichterung in der SPÖ groß. Eine Unzufriedenheit mit dem damaligen SPÖ-Chef Werner ­Faymann hatte sich aufgestaut und letztlich in einem Pfeifkonzert beim Mai-Aufmarsch der Wiener Roten entladen. Ein Neuer musste her und stand auch schon bereit. Christian Kern hatte sich im Vorfeld die Unterstützung einiger Bundesländer gesichert. Darum ging der Wechsel an der Parteispitze schnell.

Ab da gab es zwei Geschwindigkeiten in der SPÖ. Jene des euphorischen Kern-Lagers und jene des enttäuschten Faymann-­Lagers. Der Tabubruch vom ersten Mai sorgte auch dafür, dass sich in der früher so disziplinierten Partei der Umgangston änderte. Die Grenzen, was man sich gerade noch in der Öffentlichkeit ausrichtet und wie weit man bei internen Intrigen gerade noch geht, verschoben sich. Christian Kern sollte das rasch zu spüren bekommen. Weil er Fehler machte.

„Er hat eine erstaunliche Naivität bei der Auswahl seines Personals an den Tag gelegt, hat die Falschen protegiert, hatte Leute um sich, die nie auf seiner Seite waren, oder welche, die nicht stark genug ­waren, ihm zu widersprechen“, sagt ein Wegbegleiter. „Er hat völlig unterschätzt, dass man die Partei bei Änderungen mitnehmen muss.“ Und: „Dazu kam noch sein erratisches Verhalten – einmal so, einmal so. Wirklich gehört hat er nur auf seine Frau.“ Intrigen habe es zwar gegeben, aber: „Kern ist nur an sich selbst gescheitert.“

Kern sei unglaublich fleißig und kenntnisreich gewesen, ein hervorragender ­Redner, ein guter Kanzler. „Bei so vielen Stärken wäre es die wichtigste Aufgabe gewesen, die Schwächen auszugleichen und eine langfristige Strategie abzuarbeiten. Das hat er nicht gemacht.“ Was folgte, ist bekannt: die Fehlentscheidung, nach der Plan-A-Rede die guten Umfragewerte nicht für eine Neuwahl zu nutzen; Sebastian Kurz als Gegner zu unterschätzen; als der die Koalition sprengt, wieder auf die falschen Berater zu setzen. Das Kanzleramt für die SPÖ verloren. Die Unzufriedenheit mit sich und der Welt war Kern oft anzusehen, wenn er im Parlament Platz nahm.

„Am Ende war er überhaupt nicht mehr steuerbar“, murmelt ein erschöpfter Parteimitarbeiter. Die letzte Volte: Kerns Plan, mit einer offiziell unabhängigen Liste, auf der sich offenbar auch Vertreter von Neos oder Grünen hätten befinden sollen, bei der EU-Wahl anzutreten. Doch warum ­hätten neue Parteichefinnen bei SPÖ und Neos bei ihrer ersten Wahl eine solche Kern-Show ermöglichen sollen? Warum sollten sich Grüne, die um Aufmerksamkeit ringen, hinter Kern einreihen? Und warum sollte dieses Spiel auf europäischer Ebene funktionieren, wo die liberalen Parteien Aufwind haben und die Sozialdemokraten schwächeln? In der Innenpolitik und in der SPÖ gehe es immer nur um ­personelles „Klein-Klein“, bekrittelte Kern beim Abgang – und verdrängte, dass er so an die Spitze der SPÖ gekommen war.

Ein schweres Erbe

Sonntagmittag am Wiener Kahlenberg. Touristen und Ausflügler wundern sich über das Kameraaufgebot vor dem Restaurant mit Panoramablick. Ein paar bleiben stehen und spielen heiteres SPÖ-Promi-Raten. Eigentlich sollte zu dieser Stunde der große Parteitag der Roten in Wels stattfinden. Nach den Chaostagen trifft sich nun das Präsidium im kleineren Kreis. Erleichterung eint – diesen Eindruck hätte man zunächst bekommen können, als ­Gewerkschafter, Landesparteichefs, Frauen-Vorsitzende nach und nach den Tagungsort verlassen. Man wolle das Vergangene, die kurze Ära Kern nun hinter sich lassen und nach vorne blicken, sagen sie alle unisono. Doch bald wird klar, dass von Einigkeit keine Rede sein kann. Und warum der Wiener Michael Ludwig nach der Sitzung so strahlte.

Er hatte die Kür Rendi-Wagners zunächst nur unter Protest hingenommen. Sie und der neue Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda galten als „Team Kern“. Noch dazu wurde diese Personalentscheidung von Kern und den Bundesländern an den Wienern vorbei orchestriert. Doch am Sonntag hatte Ludwig wieder Oberwasser. Er setzte die beiden Wiener Schieder und Evelyn Regner als Spitzenkandidaten der EU-Wahl durch. Damit nicht genug: Er sorgte auch noch dafür, dass die von Kern ausgearbeitete Parteiorganisationsreform auf die lange Bank geschoben wird.

Dass eine neue Parteiführung die Reformideen des Vorgängers hinterfragt, wäre legitim. Kommuniziert wurde das von der Chefin aber nicht. Dafür war der Protest von jenen in der SPÖ, die sich für Mitgliedermitsprache starkgemacht hatten, umso lauter. Einen Teil davon könnte man dem übrig gebliebenen Kern-Lager zuordnen. Rendi-Wagner hat nun zwei Gruppen von Enttäuschten in der Partei: noch immer das Faymann-Lager und jetzt die Kern-Fans. Die SPÖ kommt nicht zur Ruhe und Unbehagen über die Personal­entscheidung macht sich breit.

Unruhe im ÖGB

Etwa im ÖGB, der eine Partei in der Partei darstellt. Hochrangige Gewerkschafter wie der Bau-Holz-Chef Josef Muchitsch sitzen als SPÖ-Abgeordnete im Nationalrat. Neo-ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian hat sein Mandat eben erst zurückgelegt – um sich seiner neuen Position als Gewerkschaftsboss widmen zu können. Es ist daher kein Wunder, dass die Vorgänge in der SPÖ im ÖGB für Konfusion sorgen. Dabei waren die Gewerkschafter für ihre Begriffe geradezu entgegenkommend bei der Kür Rendi-Wagners. „Der Fraktion sozialdemokratischer Gewerkschafter (FSG) war die erste SPÖ-Organisation, die nach dem ersten Kern-Rücktritt für sie votiert hat“, erzählt ein hoher Funktionär. Dass die Entscheidung so schnell gefallen ist, hat freilich auch damit zu tun, dass sich im ÖGB selbst kein Kandidat finden ließ. Katzian hatte schnell abgewunken, auch wenn ein Arbeitnehmervertreter gut bei der Basis ankommen würde (mehr dazu ab Seite 28). Katzian stehe nicht so gerne in der ersten Reihe, erzählen Wegbegleiter. Überdies, so ein Arbeitnehmervertreter, sei man froh, dass sich mit Rendi-Wagner überhaupt jemand für den vakanten Chefsessel interessiert habe. Bei der FSG habe sich die neue Parteivorsitzende nur kurz vorgestellt: „Eigentlich kennen wir sie gar nicht.“

Was den traditionell bundesländerlastigen Gewerkschaftern Sorge macht, ist der steigende Einfluss der Wiener SPÖ. Die Wünsche Ludwigs würden viel zu öffentlich vorgetragen und viel zu radikal umgesetzt. „Wir wundern uns sehr“, sagt ein ÖGB-Mitarbeiter. „Was derzeit abgeht, ist ein Himmelfahrtskommando“, ergänzt ein anderer Roter. Dennoch hat man das ­Gefühl, nicht viel an der „systematischen Parteizerstörung“ ändern zu können: „Viel mehr als beim Zerfall zusehen geht nicht.“

Wie schlimm ist es um die SPÖ bestellt? „Die Beschädigung ist da. Doch man kann es sich nicht so einfach machen, das wie im Fußball auf den schwachen Trainer, den man abgelöst hat, zu schieben“, sagt der Politologe Peter Filzmaier. „Was man Kern allerdings vorwerfen kann, ist: Er hat dafür gesorgt, dass nun wirklich alle von den Flügelkämpfen in der SPÖ wissen.“

Die jüngsten Ereignisse in der SPÖ ­zeigten, so Filzmaier, „wie unsicher jeder kleinste Grundkonsens in dieser Partei im Moment ist“. Ausgerechnet an jenem Tag, an dem die Regierung wegen der Volks­begehren in Sachen direkte Demokratie in Erklärungsnot ist, führe die SPÖ eine Debatte über ihre parteiinterne Demokratie. „Das muss man erst einmal schaffen.“

Die neue Parteichefin, bisher wegen ihrer Kommunikationsstärke gefeiert, wirkt mittlerweile bei ihren Auftritten angespannt. Filzmaiers Trost: „Es ist ein Vorteil, wenn es zum Start nicht überhöhte Erwartungen gibt.“ Wie es bei Kern war. Nachsatz: „Sie muss das nur parteiintern überleben. Das scheint im Moment das größere Problem zu sein.“ Rendi-Wagner hätte zwar alle Kompetenzen, die eine Spitzen­kandidatin für die Wahl braucht. „Gesucht ist aber derzeit eine Parteichefin.“

Kerns Zukunft

Und Christian Kern? Der hat angekündigt, wieder unternehmerisch tätig sein zu wollen. In seiner Zeit als Kanzler hatten ihm von News befragte Headhunter noch beste Chancen auf Führungspositionen zugebilligt. Wie sie das heute sehen? „Die Marke ,Kern‘ ist aufgrund der fehlenden Verbindlichkeit seiner Aussagen sicherlich etwas beschädigt. Grundsätzlich muss man sich um ehemalige Spitzenpolitiker, die ein ­internationales Netzwerk und gute Kontakte nach Brüssel mitbringen, aber eher ­wenig Sorgen machen. Ob allerdings die doch kurze Zeit in der Politik ausreicht, um Christian Kern ein gutes und belast­bares Netzwerk und entsprechende Kontakte zu attestieren, wird man sehen“, sagt Florens Eblinger. „Herr Kern kann, gerade weil er jetzt gescheitert ist, noch einmal von vorne anfangen, und wenn er aus dem Tiefschlag gelernt hat, wird er als Manager vielleicht zu neuer Größe heranwachsen“, ergänzt Natalie Bairaktaridis von Ward Howell. „Unternehmen werden zunehmend vorsichtiger, Ex-Politiker einzustellen, um sich nicht einer parteipolitischen Zuordenbarkeit auszusetzen“, relativiert hingegen Hannes Gsellmann von BDO. „Ein mangelndes Durchhaltevermögen und auch die mehrfach nicht eingehaltenen Ankündigungen – ,Ich plane zehn Jahre in der Politik‘ oder ,Dass ich EU-Spitzenkandidat werde, ist Mumpitz‘ – tragen jedenfalls nicht dazu bei, seine Karrierechancen in Österreich zu erhöhen. Im Ausland wird das hingegen eher irrelevant sein. Somit wäre es wahrscheinlich für ihn eine gute Überlegung, sich für Managementfunktionen außerhalb Österreichs zu interessieren.“

Da bleibt Kern davor möglicherweise ein bisschen Zeit, ein Buch über das ­Geschehene zu schreiben. Von diesem Wunsch berichtet zumindest ein Weggefährte. Zur Beruhigung in der SPÖ wird ein solches Werk eher nicht beitragen.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 41 2018