AMS-Chef Kopf: "Es gibt
Bewegung am Arbeitsmarkt"

AMS-Chef Johannes Kopf erklärt, warum man auch in der Krise Arbeit findet. Und warum Arbeitslosigkeit keine Schande ist.

von Politik - AMS-Chef Kopf: "Es gibt
Bewegung am Arbeitsmarkt" © Bild: Ricardo Herrgott

Sie haben dieser Tage getwittert: "Deppertes Corona". Was nervt am meisten?
Vieles. Die Frage, wann es eine Impfung gibt, ist sehr substanziell dafür, wann es eine wirtschaftliche Erholung gibt. Nehmen wir an, die Impfung gibt es ab Jänner, und nach zwei, drei Monaten ist sie in ausreichenden Dosen verfügbar, dann kann diese Krise noch einen V-förmigen Verlauf nehmen. Dann würde allein schon aufgrund der Aussicht auf eine Impfung ein Aufschwung entstehen. Jetzt sparen die Leute noch und sind unsicher. Wenn es länger dauert, bis eine Impfung kommt, hält diese Stimmung an, privater Konsum und betriebliche Investitionen bleiben weiter aus, und die Krise kann ein U -mit einem breiteren Tal -oder im schlimmsten Fall ein L werden. Das macht uns Sorgen. Ebenso, dass es, wenn die Infektionszahlen nicht runtergehen und die Reisewarnungen bleiben, ein bitterer Winter werden kann.

Vielen Menschen fehlt in der Krise einfach das Geld, um auf Urlaub zu fahren. Bleiben die Gäste aus, wird es noch mehr Arbeitslose geben.
Die Prognosen sind höchst unsicher. Aber wenn der Wintertourismus nicht anzieht, ist damit zu rechnen, dass diese Zahl wieder sehr deutlich ansteigt. Dass man derzeit nicht einmal auf wenige Monate prognostizieren kann, ist sehr unangenehm. Dazu kommt für jeden von uns: Mit Maske die Stiegen raufschnaufen, so wie ich heute, Abstand halten -es ist eine gewisse Ermüdung bei den Leuten da. Also: Der Tweet "Deppertes Corona" war eine durchaus angemessene Zusammenfassung.

Wie läuft derzeit Ihr Kerngeschäft, Jobs zu vermitteln?
Im März konnte man zusehen wie die Arbeitslosenzahlen im Sekundentakt nach oben geschnellt sind. Damals haben wir 200.000 plus gehabt gegenüber dem Vorjahr. Jetzt sind es "nur" noch 72.000. Das ist einerseits toll, andererseits noch immer schrecklich. Halt nur weniger schrecklich. Es ist ja nicht so, dass wir in der Krise nicht vermitteln. Im Gegenteil: Wir vermitteln wieder fleißig. Auch in Zeiten, wo es wenig Arbeit gibt, gehen Menschen in Pension, bekommen Babys, verlassen eine Firma, manche Betriebe wachsen. Sie kennen mein Cockpit? (Kopf steht auf und geht zu einem Bildschirm, auf dem in Echtzeit Arbeitsmarktzahlen ausgewiesen werden.) Wir haben seit drei Stunden offen. In dieser Zeit haben sich 2.700 Menschen arbeitslos gemeldet, aber es sind auch 2.300 wieder weg -über 900 Menschen haben in diesen drei Stunden Arbeit gefunden, 580 sind in Schulung, 198 krank gemeldet, 611 "Sonstige", das sind Menschen, die ein Baby bekommen haben, in Pension gegangen oder leider auch gestorben sind. Es kommen laufend Stellenangebote herein: ein Maurer in Graz, Friseur in Katzelsdorf usw. Was ich damit sagen will: Es gibt Bewegung am Arbeitsmarkt. Es ist wichtig, das den Kunden zu sagen. Es macht Sinn, zu suchen. Wir machen Vermittlungstermine am Telefon. Das funktioniert gut. Was weniger gut geht ist, Leute am Telefon von einer längeren Ausbildung zu überzeugen. Gerade dafür bereiten wir gerade das 700-Millionen-Euro-Paket vor.

»Unmittelbar nach dem Lockdown gab es eine Verdoppelung der Jugendarbeitslosigkeit«

Die Arbeitsstiftung des Bundes: Wie entscheidet man, wer eine Ausbildung bekommt und welche?
Wir haben in den Regionen drei Fragen gestellt: Was braucht ihr? Es gibt weiterhin einen Mangel im Baubereich: Dachdecker, Schlosser, Elektroinstallateure. Die zweite Frage ist: Welches Potenzial gibt es bei den Arbeitssuchenden? Es mag sein, dass viele Pflegekräfte gesucht werden. Aber wenn ich nur Leute habe, die sich dafür nicht eignen, wird das auch nichts helfen. Die dritte Frage ist: Welches Potenzial habe ich bei den Ausbildungsträgern? Wir haben eine Budgetaufstockung von 30,40 Prozent, aber nicht überall so viele Plätze oder Trainer. Bei den Auszubildenden gibt es zunächst einmal jene, die von selber kommen und etwas machen wollen. Das Zweite ist, dass wir Hilfsarbeiter, die das schaffen können, zu Facharbeitern qualifizieren wollen. Dann gibt es noch das kleine Thema Green Jobs und das große Thema Pflege. Da gibt es einen großen Bedarf an Altenfachbetreuern, Diplomkrankenpflegern, Pflegeassistenten. Die Devise ist: In der Krise sollst du ausbilden, damit qualifizierte Arbeitskräfte da sind, wenn die Wirtschaft sich wieder erholt. Wir haben derzeit rund 72.000 Arbeitslose mehr als im Vorjahr. Da sind gute Leute dabei. Die aufzuschließen, ist die große Herausforderung.

Die Regierung mahnt Jüngere, die sich nicht an Corona-Regeln halten, die Krise koste ihre Jobs. Wie stark sind sie von Arbeitslosigkeit betroffen?
Unmittelbar nach dem Lockdown gab es eine Verdoppelung der Jugendarbeitslosigkeit, jetzt stehen sie nur mehr bei plus 20 Prozent, das ist sogar leicht unterdurchschnittlich. Das heißt: Sie waren zwar die Ersten die gehen mussten, aber auch die Ersten, die in der Erholung über den Sommer wieder genommen wurden.

© Ricardo Herrgott

Warum?
Tourismus, Gastronomie oder auch Arbeitskräfteüberlassung sind junge Branchen. Man sieht aber auch, dass von der Erholung nur die Kurzzeitarbeitslosen profitieren konnten. Bei den Langzeitarbeitslosen wurden noch sechs Monate zusätzlich draufgepackt. Bei älteren, vermittlungseingeschränkten, kranken Personen bleibt es schwierig. Da müssen wir gegensteuern.

Rechnen Sie mit einer Kündigungswelle nach der Kurzarbeit?
Ich rechne damit, dass man mit der Kurzarbeit verantwortungsvoll umgeht, aber das ist nicht ganz einfach. Auf der einen Seite hat es keinen Sinn, Betriebe und Strukturen zu stabilisieren, die nicht mehr stabil sind. Angenommen, der Wintertourismus läuft gut, hat es keinen Sinn, Leute in Stadthotels in Kurzarbeit zu halten. Ich wäre unter Umständen dafür, dass man die Kurzarbeit im Frühling vielleicht noch einmal verlängert, aber mit härteren Regeln, also etwa nur 50 Prozent Arbeitszeitausfall ermöglicht. Denn: Aus der Kurzarbeit muss man auch einen Ausstieg finden. Sie ist ein Medikament mit Nebenwirkungen, das abhängig macht. Selbst, wenn es nach ihrem Ende mehr Kündigungen gäbe, ist es trotzdem sinnvoll, die Kurzarbeit einzuschränken.

»Es ist nicht immer der Beruf mit den besseren Karrierechancen der richtigere«

Besonders stark von der Krise betroffen sind Frauen: Das liegt an der Doppelbelastung Beruf-Familie. Andererseits: Arbeiten Frauen in den falschen Branchen?
Es ist ein Branchenthema. Der Bau läuft extrem gut, der Tourismus, wo mehr Frauen arbeiten, ist hingegen stark eingeschränkt. Natürlich ist die Betreuungsarbeit für die Frauen ein Thema. Ganz ehrlich, Homeoffice und Homeschooling sind nicht durchführbar. Würden die Schulen wieder zusperren und Frauen zum überwiegenden Teil die Betreuungsarbeit erledigen müssen, wird es sehr schwierig: Dann wird man sehen, ob die Betriebe das weiter tolerieren oder ob sie eher Frauen kündigen.

Aus den Erkenntnissen der Krise: Was würden Sie einem 14-jährigen Mädchen raten?
Es gilt weiter die Grundregel: Eine höhere Ausbildung ist die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit. Ich würde ihr raten, weiter in die Schule zu gehen. Und ich würde bei einem Kind in diesem Alter Corona nicht als Richtschnur für einen Rat nehmen. Ich würde ihr raten, bei uns einen Test zu machen, der Neigungen und Eignungen überprüft. Es ist nicht immer der Beruf mit den besseren Karrierechancen der richtigere. Wenn die Neigung zu einem "ausgrissenen" Beruf hoch ist, macht die dort eine bessere Karriere als in einem, der ihr weniger liegt.

Ist ein Problem von Frauen in der Coronakrise das traditionelle Familienbild?
Bei der Bildung haben Frauen die Männer schon überholt. Bei der Aufteilung der Betreuungsarbeit und vor allem der Bezahlung sieht es aber immer noch schlecht aus. Das verändert sich in einem Tempo, dass man denkt, das wird noch 100 Jahre dauern. Und es gibt einen Punkt, der schwer auszuräumen ist: Wir Männer sind ein bisschen langsamer in unserer Entwicklung. Das zeigt sich darin, dass sich Frauen einen im Durchschnitt drei Jahre älteren Partner wählen. Das bedeutet aber auch, dass der Mann allein schon deshalb bei der Geburt des ersten Kindes in der Regel der Besserverdiener ist. Und das verwenden Männer gerne als Argument, warum nicht sie es sind, die in Teilzeit gehen.

In Krisenzeiten gibt es wiederkehrende Forderungen: Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln?
Kann man diskutieren: bei den Punkten Verfügbarkeit und Anfahrtsweg. Aber nicht jetzt. So etwas diskutiert man in Zeiten, wo es viele offene Stellen gibt.

© Ricardo Herrgott

Höheres Arbeitslosengeld?
In der Krise sind Einmalzahlungen gut. Sonst müsste man die Zuverdienstmöglichkeit zum Arbeitslosengeld diskutieren. Wenn man mit höherem Arbeitlosengeld und ein bisschen Zuverdienst schon nahe am erzielbaren Einkommen ist, wäre das ein negativer Anreiz. Aber: Für die ersten drei Monate wäre ein höheres Arbeitslosengeld gut.

Arbeitszeitverkürzung? Würde die Jobs schaffen?
In Bereichen, wo es ohnehin zu wenig Arbeitskräfte gibt, nicht. Ansonsten würde das sehr stark davon abhängen, wo die Arbeitszeitverkürzung eingeführt wird. Passiert das nur in einem Land, besteht die Gefahr, dass Arbeitsplätze ins Ausland ausgelagert werden. Würde man sie mindestens europaweit einführen, hätte das einen positiven Effekt. Nur wenn man die Arbeitszeit ohne Lohnausgleich kürzt, gäbe es sonst keinen Wettbewerbsverlust. Aber das kann sich kaum jemand leisten bei den schlecht entlohnten Jobs.

Und was, wenn die Chefs sagen, arbeite schneller?
Bei Jobs, die sehr stark genormt sind, im Schichtbetrieb oder bei Dienstleistungen, kann man kaum schneller arbeiten. Da bringt jede Stunde Kürzung tatsächlich Jobs. Bei einer Reihe von Büroberufen würde eine Stunde keinen Effekt haben. Da könnte der Chef sagen: Pech gehabt, arbeitet schneller.

Arbeitslosigkeit wird oft als Stigma empfunden: Ändert sich das, weil sie uns allen in der Krise viel näher rückt?
Das glaube ich schon. Mit voraussichtlich einer halben Million Arbeitssuchenden in Winter wird jeder von uns jemanden kennen -und ihn deshalb anders beurteilen und nicht unterstellen, dieser Mensch wäre faul oder unwillig. Corona befreit von der - vermuteten - Schuld. Also, wenn man irgendetwas Positives an dieser Krise finden will, dann das. Selbstverständlich gibt es immer unverschuldete Arbeitslosigkeit, und in Krisenzeiten ist diese noch viel höher.

»Es ist eine Errungenschaft unseres Sozialsystems, dass man nicht sofort zu einem McJob gezwungen wird«

Es gibt die These, die Gesellschaft "brauche" Arbeitslose -um sie als Drohszenario für die Arbeitenden zu gebrauchen. Ist das so?
In manchen Wortmeldungen von Politikern und Wirtschaftsvertretern hat man diesen Eindruck, wenn es um die Forderung nach mehr Flexibilität oder den Vorwurf der Unwilligkeit geht. Unser Job als AMS ist, dem klar entgegenzutreten und zu sagen, arbeitslos kann jeder werden. Es sind über das Jahr eine Million unterschiedlicher Leute arbeitslos. Arbeitslosigkeit gehört zum Berufsleben dazu. Wir haben unsere Geschäftsstellen neu und heller gemacht, um zu signalisieren, da soll man nicht stigmatisiert werden. Ich werde immer gefragt, wie viele Arbeitsunwillige es gibt. Es sind viel weniger, als man glaubt.

Weil?
Weil man unterscheiden muss, zwischen "Ich will diesen Job nicht" oder "Ich bin gänzlich arbeitsunwillig". Wir sind ein Land mit hohem Wohlstand, und da ist natürlich die Bereitschaft, schlecht entlohnte Jobs anzunehmen, geringer als in Afrika. Es ist eine Errungenschaft unseres Sozialsystems, dass man nicht sofort zu einem McJob gezwungen wird.

Und dass man als Arbeitnehmerin gewisse Ansprüche an den Arbeitsplatz, was Sicherheit etc. betrifft, stellen kann.
Das Arbeitsrecht ist eine Errungenschaft der letzten hundert Jahre. Würde man das Arbeitslosengeld halbieren, hätte man zwar sofort weniger Arbeitslose, weil diese gezwungen wären, irgendeinen Job anzunehmen. Aber man hätte volkswirtschaftlich unsinnige Vermittlungen, weil die Leute für diese Jobs überqualifiziert sind, oder ökologisch unsinnige, weil die Leute weiter mit dem Auto fahren. Eine gewisse Suchzeit, um einen optimalen Job zu finden, macht volkswirtschaftlich Sinn.

Diese Zeit soll man auch in Krisenzeiten haben?
Die müssen wir uns auch in der Krise leisten.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der Printausgabe von News (44/2020) erschienen.