Das sind die
türkis-blauen Aufreger

Kopftuch, Führerschein und Co: Welche Themen die türkis-blaue Regierung medial forciert – und wovon sie damit ablenken möchte.

von
Politik - Das sind die
türkis-blauen Aufreger

Kopftuch für Kinder

Darum geht’s: Für die FPÖ war es ein holpriger Start in die Regierungsverantwortung. Ab Ende Jänner sieht sie sich mit der Liederbuch-Affäre konfrontiert, im Februar erreichen die Diskussionen über das Rauchverbot ihren Höhepunkt: „Rauchverbot wird Test für die Regierung“, titelt die „Krone“, meistgelesene Tageszeitung des Landes und Gradmesser der öffentlichen Meinung, am 19. Februar. Kurz darauf bricht die BVT-Affäre aus. Zeit, in die Offensive zu gehen und eigene Themen zu setzen. Am 1. April spricht sich FPÖ-Chef und Vizekanzler Strache für ein bundesweites Kopftuchverbot für Mädchen in Kindergärten und Volksschulen aus. Wenige Tage später schließt sich Kanzler ­Sebastian Kurz der Forderung an. Konkrete Zahlen, wie viele Mädchen betroffen sind, gibt es nicht – aber sie dürften nach Einschätzung von Beobachtern überschaubar sein. Im Juli zaubert Strache das Thema Kopftuchverbot wieder aus dem Hut und kündigt Vereinbarungen mit den Bundesländern an. Diesmal steht die Regierung wegen des Zwölf-Stunden-Tages unter anhaltendem Druck.

Balkanroute

Darum geht’s: Ende Mai, Regierungsklausur in Mauerbach. Seit Wochen wird über die Zusammenlegung der Sozialversicherungen kontroversiell diskutiert – und die Regierung hat ein Konzept zur Reform der Mindestsicherung im Talon, das Konflikte verspricht. Caritas und Diakonie reagieren wie erwartet prompt und scharf. Vorsorglich statten die Regierungsspitzen die Ankündigung des Sozialabbaus mit Warnungen vor einer neuen Balkanroute aus. Die „Krone“ schreibt darüber: „Man wolle keine Panik verbreiten, betonten Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Strache zu Beginn der Klausur. Um es dann irgendwie doch zu machen.“ Derzeit versammelten sich etwa 30.000 bis 40.000 Flüchtlinge am Westbalkan, ließ die Regierung wissen, man werde „alles unternehmen, um eine Situation wie 2015 zu vermeiden“. Der Regionalkoordinator für die Westbalkan-Staaten der Internationalen Organisation für Migration (IOM) nannte die Sorge der Regierung tags darauf „nicht gerechtfertigt“ und der ehemalige ÖVP-Chef Erhard Busek sprach offen von Angstmacherei.

Schließung von Moscheen

Darum geht’s: Große Aufregung am Abend des 7. Juni, wenige Tage nach Bekanntgabe der umstrittenen Pläne zur Reform der Mindestsicherung. Die Spitzen der Regierung kündigen für den nächsten Tag eine spontane Pressekonferenz an. Thema: „Entscheidungen im Kampf gegen politischen Islam“. Tags darauf geben Kanzler Kurz, Innenminister Herbert Kickl und Kanzleramtsminister Gernot Blümel die sofortige Schließung von sieben Moscheen bekannt. Die Medien berichten ausführlich. Drei Tage später bricht Kurz zu einer dreitägigen Israel-Reise auf. Internationale Zeitungen wie die „NZZ“ lobten das Vorgehen gegen radikale Imame und Extremismus in ersten Reaktionen grundsätzlich, attestierten der Regierung aber „Effekthascherei“ und „Alarmismus“. Einzelne Moscheen waren, wie unter anderem News damals berichtete, schon in der Woche nach der Pressekonferenz wieder geöffnet. Ende Juni gab das Verwaltungsgericht Wien einer Berufung gegen die Schließung der Moscheen statt – sie können also vorerst offiziell weiterbe­trieben werden.

Türkischer Führerschein

Darum geht’s: Das Thema Zwölf-Stunden-Tag wird im Juni und Juli zu einem echten Problem für die Regierung. Am 3. Juli wendet sich sogar „Krone“-Kolumnist und Regierungfan Michael Jeannée gegen die Maßnahme: Der Zwölf-Stunden-Tag sei „der erste gravierende Lapsus, der Kurz & Co. unterlief“. Am 8. Juli deponiert FPÖ-Chef Strache erneut seine Forderung nach dem Kopftuchverbot für Kinder – in der „Krone“. Zwei Wochen und ein medial ausgetragenes Gerangel zwischen Regierung und ÖVP-Landeshauptleuten später verkündet Verkehrsminister Norbert Hofer plötzlich das Aus für Führerscheinprüfungen in türkischer Sprache. Zur Einordnung: Im Vorjahr wurden 3.631 Prüfungen auf Türkisch durchgeführt, 291.504 auf Deutsch. Das Einsparungspotenzial liegt bei etwa 30.000 Euro. Hofer erklärte die Maßnahme mit „nicht argumentierbaren Kosten in fünfstelliger Höhe“. Außerdem handle es sich um eine sinnvolle Integrationsmaßnahme. ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer dankte dem FPÖ-Minister für seinen Vorstoß.

Tempo 140

Darum geht’s: Hitze, Waldbrände und die allge­meine Urlaubszeit nehmen vorübergehend den Wind aus der Zwölf-Stunden-Tag-Debatte. Das Thema „Kompetenz­bereinigung“, also Entmachtung der Länder, bekommt durch einen Vorstoß von Justizminister Josef Moser Mitte Juli noch einen medialen Schub: Weg von zehn Gesetzen in Richtung ein Gesetz, fordert er in einem Ö1-Interview. Die Stimmung zwischen Regierung und Bundesländern sei bereits vergiftet, analysiert die „Kronen Zeitung“ tags darauf. Ein guter Zeitpunkt für Verkehrsminister Norbert Hofer, seine Charmeoffensive fort- und eine populäre Maßnahme durchzusetzen: Tempo 140 auf der Autobahn. Auf zwei ausgewählten Teststrecken entlang der Westautobahn. Tagsüber. Bei geeigneten Bedingungen. Auf insgesamt 120 Kilometern. Bis zur Evaluierung im kommenden Jahr. Die Zeitersparnis, wurde errechnet, liegt auf der längeren der beiden Teststrecken bei 88 Sekunden, auf der kürzeren bei rund 30 Sekunden. Das Thema dominiert seit Tagen Aufmerksamkeit und Titelseiten.

Polizeipferde

Darum geht’s: Des Innen­ministers Spezialprojekt: Mitte Februar (der Rest der Republik befasste sich mit der Liederbuchaffäre bzw. dem Nichtraucher-Volksbegehren) reiste Herbert Kickl nach München, um dort Polizeipferde zu begutachten – und sich hoch zu Ross fotografieren zu lassen. Die Pferde sorgten auch in den folgenden Monaten für leichten Lesestoff und ein freundliches Image: Ende Mai konnte vermeldet werden, dass der Probebetrieb für die Kavallerie startet. Anfang Juni wurde breit über die Ausschreibung des Innenministeriums berichtet, wonach zwölf braune oder schwarze Tiere, nicht jünger als sechs und nicht älter als zehn Jahre, gesucht werden. Anfang Juli erschienen erste Porträts von Polizeipferd Dorian (bockt?), später gesellten sich Ludwig und Captain Morgan dazu, sowie Zadar und Zalan, Geschenke von Ungarns Premierminister Viktor Orbán. Zuletzt musste ein Dienstunfall vermeldet werden. Ein Pferd stürzte bei einem Fototermin, blieb aber, im Unterschied zur Reiterin, die sich ein Schlüsselbein brach, zum Glück unverletzt.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 31 2018