My Partei is my Castle

Warum junge Menschen heute noch Mitglied einer Partei werden

Die Spitzen von SPÖ und ÖVP streiten, der Mitgliederschwund in den letzten Jahrzehnten war gravierend. Trotzdem gibt es immer noch junge Menschen, die Mitglied werden wollen. Bei einer etablierten Großpartei oder einer neuen politischen Bewegung. Warum eigentlich?

von Polit-Nachwuchs © Bild: News/Ricardo Herrgott

Am 28. März geschah ein kleines Wunder. Der 22-jährige Gerold Groß (Foto oben) stieg in den Bus nach Mistelbach und unterschrieb ein Blatt Papier. Seitdem ist er Mitglied. Nicht in einem Sportverein oder bei der freiwilligen Feuerwehr, sondern bei der SPÖ. Einer Organisation, die gegen 72 Euro Mitgliedsbeitrag pro Jahr unter anderem das Recht einräumt, an der "Willensbildung der Partei" teilzunehmen oder "sich in politischen und organisatorischen Fragen schriftlich an den Parteivorstand" zu wenden, welcher wiederum, so ist es im Statut festgehalten, binnen acht Wochen zu antworten hat. Klingt nicht gerade nach Fun, Action oder wonach jungen Menschen sonst so der Sinn steht.

Der junge Niederösterreicher trotzt mit seiner Entscheidung jedenfalls einem internationalen Trend. Überall schwinden die Mitgliederstände der großen Parteien. Die Zahl der SPÖ-Mitglieder sank in den letzten Jahrzehnten von 620.141 (1990) auf aktuell 180.000. Die ÖVP weist ihre Mitgliederzahlen inklusive Vorfeldorganisationen aus und kommt daher auf eine deutlich höhere Zahl, hat aber ebenfalls verloren. In anderen Ländern ist das Bild ähnlich. Und es gibt kürzere Wege zu politischer Partizipation als die vielzitierte und sogar im Duden zu findende "Ochsentour" von der Basis zu einem der wenigen (gut dotierten) Spitzenplätze im Politbetrieb. Stichwort: "Bewegung".

Komplett unerfahren

Ganze 52 Prozent der Kandidaten, mit denen Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in die Parlamentswahlen Mitte Juni geht, sind politisch komplett unerfahren und wurden via Lebenslauf, Motivationsschreiben und Vorstellungsgespräch ausgewählt. Die Parteiapparate und ihre althergebrachten Rekrutierungsmechanismen sind suspekt geworden. Jung, frisch und unverbraucht soll politisches Personal heute sein. Direkt aus dem "echten Leben" kommend, frei vom Verdacht des Apparatschiktums.

Der Kabarettist Roland Düringer castet derzeit Kandidaten für seine Protestpartei Gilt! und droht damit, den Parlamentsclub im Falle eines Wahlerfolgs zur Politwerkstatt zu machen. Die Neos veranstalten seit Jahren Onlinevorwahlen, um neues Personal in die Politik zu bringen.

Ein Anfänger und engagierter Bürger, den es in die Politik drängt, ist der Business-Coach Marcus Gegenbauer. Er hat sich bereits mit Lebenslauf und Motivationsschreiben bei der Liste Düringer beworben und möchte in den Nationalrat. Um dort als Vertreter der echten Menschen und Kritiker des "parlamentarischen Kasperltheaters" aufzutreten. Er werde damit erstmals in seinem Leben politisch aktiv, erzählt er, weil er Düringer sympathisch und in der Parteienlandschaft kein für ihn geeignetes Angebot finde -"außer Geplänkel tut sich dort gar nichts".

Auch Anna Vetter war immer schon politisch interessiert, fühlte sich aber mit ihrer liberalen Haltung von keiner Partei gut vertreten. "Und dann kamen die Neos und ich war sofort Feuer und Flamme." Die Gründung der Partei erlebte sie im "neunten Monat schwanger aus der Zuschauerreihe. Zeitgleich kamen die Neos ins Parlament und mein Sohn auf die Welt und ich hab mir gedacht, so, jetzt ist der Zeitpunkt, ich mach was." Derzeit ist Vetter Referentin im Parlamentsclub und nimmt am Vorwahlprozess der Neos teil. Ihr Ziel: ein vorderer Listenplatz mit realistischen Chancen auf den Einzug in den Nationalrat. "Der Vorteil gegenüber etablierten Parteien", sagt Vetter, "ist sicher, dass man eine echte Chance hat, weit vor zu kommen. Man wird nicht belächelt in dem Sinne: 'Mach mal deine zehn Jahre und beweis dich', sondern kann sich gleich einbringen."

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© News/Ricardo Herrgott Anna Vetter

Die Möglichkeit, sich bei den Neos zu bewerben, stehe nicht nur jungen, urbanen, gebildeten Frauen wie Anna Vetter offen, sondern explizit auch Lehrlingen oder älteren Menschen, sagt Generalsekretär Nikola Donig. Über die endgültige Neos-Kandidatenliste entscheiden registrierte Bürgerinnen und Bürger, der Vorstand sowie Mitglieder. Wer die Unterstützung etwa eines Vereins oder einer Gemeinde mitbringe, habe durchaus Chancen, meint Donig.


Warum also nicht ruckizucki durch ein Casting in die Politik? Warum, Herr Groß, die SPÖ?
Hier kommt das Herz ins Spiel. Und eine Reihe anderer Faktoren.

Solidarität und Leistung

Gerold Groß, arbeitsloser Einzelhandelskaufmann, sitzt im Café Doris am Hauptplatz von Ernstbrunn und versucht zu erklären. Generell störe ihn, erzählt er, "dass so viel über Islamisierung gehetzt wird. Ich war auf einer Handelsschule, ich kenne viele Moslems und kann das einfach nicht nachvollziehen. Sie arbeiten echt hart für ihr Geld und zahn an für den Staat. Ich bin der Meinung, dass die SPÖ in diesem Sinn die richtige Entscheidung für mich war."

Das ist der idealistische Teil der Geschichte. Er kommt in fast allen Erzählungen von Parteimitgliedern vor. Irgendwo am Anfang des gemeinsamen Weges steht die Identifikation mit dem Wertekanon einer bestimmten Partei -oder zumindest Teilen davon. Bei Gerold Groß lautet das Schlagwort wohl "Solidarität".

Bei Caroline Embacher "Leistung". Die 21-jährige Salzburgerin studiert an der WU und trat im Herbst der Jungen ÖVP bei. "Relativ ausschlaggebend" für diesen Schritt, erzählt die ehemalige Schülersprecherin, die immer schon gerne gestaltet und organisiert hat, sei ein Vortrag der damaligen EU-Abgeordneten und jetzigen VP-Generalsekretärin Elisabeth Köstinger gewesen, zu dem sie eine Freundin mitnahm. Sie schätze an der JVP, sagt Embacher, "dass da lauter Leute sind, die was anpacken wollen. Die nicht nur jammern. Ich finde, man sollte einfach Gas geben und was machen."

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© News/Ricardo Herrgott Caroline Embacher

Willkommen, Einsteiger

Junge, enthusiastische Parteimitglieder sind viel wert, das wissen auch die Parteien und bemühen sich um Öffnung. Die SPÖ bietet seit einigen Monaten Gastmitgliedschaften an. Interessierte können ein Jahr lang kostenfrei an Veranstaltungen und Versammlungen teilnehmen, haben aber kein Stimmrecht. Knapp 680 Gastmitglieder haben sich bereits angemeldet. Die Zahl der regulären Mitglieder stagniert weitgehend: Erstmals seit vielen Jahren gebe es im Verhältnis von Eintritten zu Austritten sogar wieder ein leichtes Plus von 171, teilt die SPÖ mit. Neumitglieder werden mit einer "Begrüßungsbox", die kleine Geschenke enthält, willkommen geheißen; die Integration in den Parteiapparat obliegt den Ortsgruppen. Die SPÖ Wien etwa hat eine "Welcome Sektion" gegründet, die einen "einjährigen Crashkurs", also Treffen, Exkursionen und Workshops für Einsteiger organisiert.

Eine Mischform aus Bewegung und Partei im herkömmlichen Sinne schwebt wohl ÖVP-Obmann Sebastian Kurz vor. Einerseits ist er dabei, seine neue Volkspartei vom Hautgout der Altpartei zu befreien und will die Wählerlisten für Nichtmitglieder öffnen -zugleich profitiert er von einem gerade in Wahlkampfzeiten wichtigen intakten Parteiapparat.

Die Junge ÖVP, deren Obmann Kurz bis vor wenigen Wochen war, erlebt "in letzter Zeit extremen Zulauf", heißt es aus dem Bundesbüro. Genauere Zahlen gebe es aber nicht, weil die Ortsgruppen die ersten Anlaufstellen sind und beim "Maibaumaufstellen oder anderen Veranstaltungen" neue Mitglieder werben.

Family-Business

Die Entscheidung, ob sich jemand für eine Partei engagiert und, wenn ja, für welche, wird in vielen Fällen sehr früh getroffen. Für die Bauerntochter Rosemarie Kloimüller war es naheliegend, mit 17 der ÖVP beizutreten - zumal sie damals beim Bauernbund arbeitete und in der Landjugend sozialisiert worden war. Heute ist sie Bürgermeisterin der Gemeinde St. Oswald im Waldviertel -eine von 157 Bürgermeisterinnen in Österreich, bei insgesamt 2.100 Städten und Gemeinden -und hebt an ihrem Parteiengagement vor allem "die schöne Gemeinschaft und den schönen Zusammenhalt" hervor.

In ihrem Elternhaus sei immer schon viel über Politik diskutiert worden, erzählt Caro Embacher, obwohl sie nicht aus einem ÖVP-Haushalt komme. Im Falle Gerold Groß erklärt ein Blick auf die Familiengeschichte, warum sich ein junger Mann aus dem schwärzesten Niederösterreich ausgerechnet für die SPÖ engagiert: Der Urgroßvater war Lokführer, der Großvater Straßenbahner. Mit seinen freiheitlichen und volksparteilichen Freunden habe er immer schon über Politik gestritten.

Kann ihm die Parteimitgliedschaft dabei helfen, Arbeit zu finden?"Eventuell, ja", zögert Groß, betont aber, dass er aus politischer Überzeugung eingetreten sei. "Die Freunderlwirtschaft finde ich nicht gut."

Auch Embacher kennt die Unterstellungen, "die will eh nur Karriere machen und hängt sich da jetzt wo dran. Aber so ist es halt nicht. Punkt."
Früher wäre die Sache klar und auch gar nicht peinlich gewesen. Parteibuch gegen Job. Heute gibt es kein Parteibuch mehr und an die Stelle unmittelbaren persönlichen Profits ist viel Idealismus getreten.

Viel Idealismus

Marco Marchetti ist der Sohn eines SPÖ-Urgesteins. Sein Vater Ernst, aus "erzkonservativem" Hause stammend, kämpfte seit den 50ern als Gewerkschafter für bessere Arbeitsbedingungen und war später als Fahrdienstleiter bei den ÖBB einer der erfolgreichsten Mitgliederwerber des Bezirks Mürzzuschlag. "Der größte Unterschied ist", sagt Marchetti Junior, "dass ich bisher scheinbar weniger von der Sozialdemokratie profitiert habe, aber mich gewaltig dafür einsetze. Früher war es so, dass man mitgearbeitet hat, um für sich selbst und seine Umgebung ein besseres Umfeld zu erschaffen. Heute versuche ich zu erhalten, was damals erkämpft worden ist."

Und Dankbarkeit war noch nie die große Stärke der Wählerschaft, weiß Vater Ernst. "Sobald der Eisenbahner eine Kuh im Stall gehabt hat, hat er müssen schwarz wählen. Vorher hat er eine Ziege gehabt, da hat er noch rot gewählt."

Als Vorsitzender der SPÖ Mürzzuschlag ist Marchetti auch unmittelbar mit der Einbeziehung neuer Mitglieder befasst. "Als die erste Anfrage gekommen ist, habe ich ehrlich gesagt nicht gewusst, was ich damit anfangen soll. Das ist das Problem in der Sozialdemokratie: Man rechnet eher selten damit, dass jemand Neuer kommt." Inzwischen zählt Mürzzuschlag schon fünf Einsteiger, die gerade dabei sind, sich unter Marchettis Anleitung zu organisieren. Vater Ernst: "Früher bist ja fast wie ein Bittsteller zur Partei gegangen. Weil du einen Arbeitsplatz gekriegt hast oder eine höhere Lohngruppe. Heute hast du das Gefühl, du bringst was ein."

Dass "man was bewirken kann", sei auch ihre Hauptmotivation, sagt die ÖVP-Bürgermeisterin Rosemarie Kloimüller. "Man ist nah dran an den ,Kundinnen' und ,Kunden' und kann wirklich etwas für sie tun." Die Probleme und Befindlichkeiten der Bundespartei sind hier irgendwie sehr weit weg. Der bevorstehende Wahlkampf betreffe sie nur insofern, als er zusätzliche Arbeit auf der Gemeinde bedeute, meint Kloimüller. Wie beurteilt sie die Veränderungen in der Partei, den neuen Spitzenkandidaten?"Ganz gut."

In Wahlkampfzeiten sind viele engagierte Mitglieder besonders wichtig. Um in der Familie und am Arbeitsplatz für ihre Partei zu werben, um, wie es so schön heißt, für die Partei "zu laufen".
"Ich find's irrsinnig cool, dass was weitergeht", jauchzt JVP-Nachwuchs Caro Embacher. Marco Marchetti von der SPÖ Mürzzuschlag ist bereit, Kanzler Kern im Wahlkampf zu unterstützen, weil er von ihm überzeugt ist, und hofft auf eine Koalition seiner Partei mit der FPÖ: "Das wäre für den kleinen Mann und die Mittelschicht das Beste."

Die Arbeitssuche, erzählt Gerold Groß, "plätschert dahin". Aber er ist jetzt zum Jugendparteifunktionär von Ernstbrunn ernannt worden.