Polaschek: "Verantwortung wird zu gerne auf die Schule geschoben"

Bildungsminister Martin Polaschek über Corona-Tests, Maßnahmen gegen den Lehrermangel und die Frage, welche Aufgaben Schule in Österreich wahrzunehmen hat.

von Polaschek: "Verantwortung wird zu gerne auf die Schule geschoben" © Bild: Ricardo Herrgott/News

Sie wollen am 29. August verkünden, wie die Maßnahmen an den Schulen sein werden. Eins würde ich trotzdem gerne jetzt schon wissen: Wie intensiv soll im Herbst an den Schulen getestet werden?
Das wird davon abhängen, wie sich die Infektionslage entwickelt. Wir werden das rechtzeitig mit dem Gesundheitsministerium besprechen und alle am 29. August vor Schulbeginn informieren. Eines ist klar: Die Schulen werden im Gleichklang mit dem übrigen Leben laufen. Es gibt nicht einen Regelkreis für die Schulen und einen für das restliche öffentliche Leben, sondern die Schulen sind integrierter Bestandteil des Gesamtkonzepts.

Bisher wurde in vielen Phasen der Pandemie an den Schulen viel intensiver getestet als in anderen Bereichen der Gesellschaft. Können Sie garantieren, dass das diesmal nicht so ist?
Ich weiß nicht, warum Sie eine Garantie wollen. Ich würde es nicht so negativ sehen wie Sie. Wir haben an den Schulen viel getestet, weil es damals notwendig war. Das hat aber auch dazu geführt, dass die Schulen ein besonders sicherer Ort waren. Das war für die Kinder nicht so eine große Belastung. Wenn es einigermaßen gut eingebaut worden ist, haben die Kinder das mehr oder minder spielerisch erledigt.

Das intensive Testen führt aber auch dazu, dass Kinder, die in den letzten Jahren ohnehin viel versäumt haben, nicht regelmäßig in die Schule gehen können. Symptomlose, aber positiv getestete Volksschulkinder müssen gemäß den neuen Quarantäneregeln zu Hause bleiben. Und dabei natürlich auch beaufsichtigt werden. Insofern ist es für Eltern schon wichtig zu wissen, wie intensiv im Herbst getestet wird.
Sie müssen nicht zu Hause bleiben, sie gehen nur nicht in die Schule.

»Der Lehrermangel ist im Großen und Ganzen nicht so extrem, wie es zu Beginn ausgesehen hat«

Gut, ich korrigiere, sie müssen nicht zu Hause bleiben. Aber trotzdem muss irgendwer auf sie aufpassen, wenn sie nicht in der Schule betreut werden.
Natürlich, da haben Sie recht. Aber ich möchte das nur noch einmal klarstellen, damit es nicht missverstanden wird. Die Kinder müssen nicht zwangsweise zu Hause bleiben. Zu Ihrer Frage: Es wird von der Zahl der Infektionen abhängen. Wenn aufgrund der Lage der Bedarf besteht, können an der Schule wieder Tests durchgeführt werden. Aber ob das zum Tragen kommt, kann ich noch nicht sagen. Das wird am jeweiligen Szenario liegen und ist im Variantenmanagementplan festgelegt.

Eine zweite Frage, die den Herbst betrifft, mittlerweile müssten Sie ja einen Überblick haben: Wie dramatisch wird sich das Problem des Lehrermangels im Herbst gestalten?
Wir haben leider in einigen Bereichen Personalmangel. Wir werden nicht überall flächendeckend den Bedarf decken können. Aber im Großen und Ganzen ist der Mangel nicht so extrem, wie es zu Beginn ausgesehen hat. Dennoch, dass wir hier eine Herausforderung haben, ist überhaupt kein Thema. Das betrifft insbesondere kleinere Schulen, weil das Interesse, aufs Land hinauszugehen, geringer ist. Viele Lehrerinnen und Lehrer oder Personen, die es werden wollen, bleiben lieber an ihrem Wohnort oder an ihren Studien- Standorten in den Städten. Wir werden deshalb verschiedene Maßnahmen setzen. Mit einigen haben wir schon begonnen, etwa indem wir die Einstellungsmöglichkeiten für Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger erleichtert haben. Und ich bin seit einigen Monaten in intensiven Gesprächen mit den Universitäten, mit den Pädagogischen Hochschulen, mit der Bildungsdirektion. Es läuft eine umfangreiche Evaluierung der gesamten Lehrerinnen- und Lehrerausbildung. Die Ergebnisse werden im Frühherbst vorliegen, und auf Basis dieser Ergebnisse werden wir dann auch schauen, ob es Anpassungsbedarf gibt.

Im Raum steht eine Änderung der Struktur des Studiums. Die Studierenden sollen früher den Bachelor in der Tasche haben, damit sie auch früher an den Schulen arbeiten können. Aber damit lösen Sie nicht das Problem, dass viele Junglehrende wegen ihres Masterstudiums derzeit nur eingeschränkt eingesetzt werden können, oder?
Das Konzept ist in einer Zeit entstanden, als es keinen Lehrermangel gab. Die Idee war, dass Studierende, die den Bachelor abgeschlossen haben, während des Studiums ein wenig Praxiserfahrung sammeln können. Jetzt sehen wir aber, dass durch die Bachelorabsolventen deutlich mehr Unterricht zu leisten ist. Das heißt, wir müssen uns überlegen, wie wir das Studium umbauen können. Und da ist es auf jeden Fall ganz wichtig, dass das Masterstudium berufsbegleitend absolviert werden kann. Es muss also zeitlich mehr aufgedröselt werden, es muss vermehrt Angebote am Nachmittag geben, Distance Learning etc. Das hilft gerade auch den Menschen in den Regionen draußen.

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Das Image von Lehrerinnen und Lehrer in der Öffentlichkeit ist ziemlich schlecht. Sie gelten als faul, dabei reiben sich viele von ihnen in immer heterogener werdenden Klassen auf und sind oft auch noch burnoutgefährdet. Wieso sollte irgendwer Lehrer werden wollen?
Wir müssen wieder mehr Menschen dazu bringen und motivieren, ein Lehramtsstudium zu ergreifen, weil das ein schöner Beruf ist. Und wir brauchen auch eine neue, positive Erzählung von Schule. Sehr viele Menschen sehen Schule aufgrund eigener schlechter Erfahrungen als negativ. Dabei ist dort wahnsinnig viel passiert. Wir haben mittlerweile in den allermeisten Schulen großartige technische Ausstattung, wir haben höchst engagierte Lehrerinnen und Lehrer, wir haben tolle Unterrichtsmethoden. Das gibt es in vielen anderen Ländern nicht und das wird bei uns leider immer wieder übersehen.

Wie genau wollen sie diese positive Erzählung unters Volk bringen?
Es geht nicht um eine kurze Image-Kampagne. Man muss langfristig ein anderes Bild in die Gesellschaft hineintragen. Wir arbeiten gerade intensiv daran, wie das genau funktionieren kann. Das ist gerade im Entstehen. Es ist keine einfache Aufgabe, da braucht es eine gute und langfristig angesetzte Strategie. Wir müssen aber nicht nur darauf achten, dass Lehrerinnen und Lehrer wieder ein positives Image bekommen, wir müssen auch schauen, wo wir sie entlasten können. Ich habe bereits erste Entlastungsmaßnahmen angeordnet, und wir sind in intensivem Austausch mit der Standesvertretung und den Bildungsdirektionen, wo man mit weiteren administrativen Entlastungen ansetzen kann. Wir haben dazu bereits mehr unterstützendes Personal in die Schulen geholt.

Wenn junge Menschen in den Beruf starten, haben sie normalerweise Aufstiegsmöglichkeiten. Sie werden für hervorragende Leistung belohnt, in welcher Form auch immer, und können sich weiterentwickeln. Nur bei Lehrern macht es im Grunde keinen Unterschied, ob sie gute oder schlechte Arbeit machen. Müsste es auch in dieser Hinsicht mehr Anreize geben, um junge Leute zu gewinnen?
Aufstiegschancen gibt es schon, sie können als Lehrerin oder Lehrer Fachkoordinator an ihrer Schule werden, sie können sich in ihrem Bundesland schwerpunktmäßig engagieren, es gibt die Möglichkeit, Direktorin oder Direktor zu werden.

»Wir müssen überlegen, wie wir das Lehramtsstudium umbauen können. Es ist wichtig, dass der Master berufsbegleitend absolviert werden kann«

Aber nicht alle wollen ins Administrative. Müsste man besonders gute, engagierte Lehrer für hervorragende pädagogische Arbeit in irgendeiner Form belohnen?
Die monetäre Belohnung kann, wenn schon, nur ein Teil der Antwort sein. Ich glaube, es geht eher darum, dass pädagogische Arbeit wertgeschätzt wird. Dass man gute Lehrerinnen und Lehrer vor den Vorhang holt, indem man zum Beispiel mehr Lehrpreise vergibt oder ihr Engagement anderwärtig wertschätzt. Oder ihnen die Möglichkeit gibt, eine gewisse Auszeit zu nehmen, um vielleicht eine Dissertation fertigzustellen oder sich in einem anderen Bereich schwerpunktmäßig zu vertiefen. Ich glaube, dass wir eher in diese Richtung gehen sollten, um Lehrerinnen und Lehrer zu motivieren und um auch wieder frische Energie, auch frische wissenschaftliche Energie zu tanken.

Ich habe zur Vorbereitung auf dieses Gespräch mit einem jungen Lehrer gesprochen, der sich auch nicht sicher ist, ob er bis zur Pension in diesem Beruf arbeiten will. Er hat vor allem die Belastung durch Handy, Internet und soziale Medien im Klassenzimmer betont. Wörtlich sagte er, die Jugendlichen könnten zwischen echter und virtueller Welt nicht mehr richtig unterscheiden. Ist das nicht ein erschreckender Befund für die österreichische Bildungspolitik?
Das ist nicht ein erschreckender Befund für die österreichische Bildungspolitik, das ist ein erschreckender Befund für unsere Gesellschaft.

Und Sie meinen nicht, dass das Bildungssystem da auch verantwortlich ist?
Mitverantwortlich ja, aber Sie haben es so formuliert, als wäre es hauptverantwortlich.

Gut, wer ist dann hauptverantwortlich?
Hauptverantwortlich sind in erster Linie die Eltern, denn es liegt an den Eltern, den Kindern entsprechende Werte mitzugeben und sie darauf hinzuweisen, dass das Handy nicht das gesamte Leben ist. Die Kinder sind ein paar Stunden am Tag in der Schule, aber sie verbringen viel mehr Zeit mit ihrer Familie und mit ihren Freunden.

Es gibt aber Eltern, die diese Problematik selbst nicht ausreichend erfassen und ihren Kindern insofern wenig mitgeben können.
Ja, aber die Schule hat nur eine Mitverantwortung. Das ist etwas, was ich wirklich als kritisches Thema sehe. Die Verantwortung wird in Österreich zu gerne auf die Schule abgeschoben. Die Schule muss, wie Sie in den Raum stellen, alles übernehmen, was die Eltern nicht können. Das kann sie aber nicht. Wenn die Schule diese Aufgaben übernehmen soll, dann würden Sie ja verlangen, dass wir Eltern entmündigen.

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Der Umgang mit Handy und Internet ist nicht nur eine Frage der Erziehung, sondern auch der Bildung, darauf wollte ich eigentlich hinaus. Jeder zweite Achtjährige hat heutzutage ein Handy. Müsste man nicht bereits in der Volksschule digitale Bildung unterrichten?
Und ich sage, es ist zu einem großen Ausmaß Erziehung, und ich habe zwei Söhne. Bildung hat eine Zusatzfunktion, aber es ist in erster Linie die Erziehung. Denn wenn die Kinder das von den Eltern nicht mitbekommen, wie kann die Schule die Eltern dann overrulen?

Abgesehen vom Aspekt der Disziplin im Umgang mit dem Handy, müsste man den Kindern nicht schon früher ein Verständnis dafür vermitteln, was dieses Gerät überhaupt ist, was es kann, wie soziale Medien genau funktionieren etc.?
Das ist etwas anderes. Es wird ohnehin auch in den Schulen früher bereits vermittelt. Es werden Kinder generell schon früh auf Gefahren hingewiesen. Aber die digitale Grundbildung als Unterrichtsfach ist eine Ergänzung dazu. Mir geht es aber schon darum, herauszuarbeiten, dass die generelle Aufgabe der Schule nicht sein kann, alles, was die Eltern nicht an Erziehung leisten, zu übernehmen. Dann sind wir wieder an dem Punkt, was die Schule alles nicht kann. In erster Linie sind die Eltern diejenigen, die die Verantwortung für die Erziehung ihrer Kinder haben. Die Schule hat ganz wichtige, aber ergänzende Aufgaben. Und diesen Aufgaben kommt sie auch nach.

»Es ist völlig inakzeptabel, dass Menschen bedroht werden, weil sie eine wissenschaftliche Meinung kundtun. Da gibt es überhaupt keine Diskussion«

Noch kurz zu einem anderen Thema, das Ihnen ein Anliegen ist. Die ärgsten Impfdebatten sind vorbei. Ist das Problem der Wissenschaftsfeindlichkeit, das im letzten Jahr so evident war, damit vom Tisch?
Das ist überhaupt nicht vom Tisch. Wir brauchen dringend eine langfristige Strategie. Ich habe deswegen eine Ursachen-Studie in Auftrag gegeben, um genau anzuschauen, in welchen Teilen der Gesellschaft Wissenschaftsskepsis besonders ausgeprägt ist und mit welchen Maßnahmen wir tätig werden müssen. Was wir auf jeden Fall schon in den nächsten Monaten machen, ist, sogenannte Wissens-Botschafterinnen und Wissens-Botschafter in die Schulen zu entsenden, um den jungen Menschen Wissenschaft als etwas Positives zu vermitteln. Und wir schauen gerade viele verschiedene Systeme an und versuchen zu lernen, was andere Länder besser gemacht haben als Österreich.

In den letzten Wochen wurde in Zusammenhang mit dem Tod einer jungen Ärztin sehr viel über Hass im Netz diskutiert, mehrere Ärztinnen, Virologen etc. haben öffentlich gemacht, welchen Drohungen sie in den letzten zweieinhalb Jahren ausgesetzt waren. Stellen Sie sich als zuständiger Minister vor diese gehetzten Wissenschafter?
Das ist absolut inakzeptabel, das geht überhaupt nicht. Das war mir auch als Rektor schon ein Anliegen und ich habe immer ganz klar gesagt, dass es absolute Rückendeckung durch die Universitätsleitung gibt. Das sage ich jetzt auch als Wissenschaftsminister. Es ist völlig inakzeptabel, dass Menschen bedroht werden, weil sie eine wissenschaftliche Meinung kundtun. Da gibt es für mich überhaupt keine Diskussion.

Der Beitrag erschien ursprünglich im News 34/2022.