Günther Platter: "Am Brenner
braucht es keine Romantik"

Tirols Landeshauptmann Günther Platter will auf einen möglichen Flüchtlingsansturm am Grenzpass vorbereitet sein. Im Interview erzählt er, was es neben Kontrollen noch braucht. Und warum er sich von der neuen Generation in der ÖVP nicht eingeschüchtert fühlt.

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braucht es keine Romantik" © Bild: Ricardo Herrgott

Österreichs Warnung, den Brenner zu schließen, hat Italien ziemlich verärgert. Können Sie die Empörung nachvollziehen? Immerhin kommen in Italien täglich Tausende Flüchtlinge an, am Brenner hingegen zwischen 15 und 25 am Tag.
In der Frage braucht es keine Romantik, sondern Entscheidungen. Ich bin in engem Kontakt mit dem italienischen Außenminister Alfano, und der hat selbst von einer dramatischen Situation gesprochen. Deshalb müssen wir am Brenner auf alle Eventualitäten vorbereitet sein.

Das heißt, Sie rechnen damit, dass es demnächst schlimmer wird?
Derzeit ist die illegale Migration überschaubar. Das heißt aber nicht, dass sich die Situation nicht drastisch ändern kann. Und es kann nicht sein, dass die Bayern kontrollieren und wir dabei zuschauen, wie Italien die illegalen Migranten weiterwinkt. Denn dann würde Tirol innerhalb kürzester Zeit ganz anders ausschauen. Das lasse ich nicht zu.

Eigentlich ist das die Entscheidung des Innenministers.
Ich bin in enger Abstimmung mit dem Innenminister. Wir sind uns einig, dass wir auf alle Szenarien bis hin zu Grenzmanagementmaßnahmen vorbereitet sind.

Wie soll das konkret ablaufen, wenn sich die Zahl der Flüchtlinge am Brenner vervielfacht?
Der Innenminister hat die Möglichkeit, einen Assistenzeinsatz vom Verteidigungsministerium anzufordern und Soldaten an die grüne Grenze zu stellen. So wie früher im Burgenland.

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Und am Grenzübergang?
Im grenznahen Raum wird ja schon kontrolliert, hier sind 80 Polizisten unterwegs. Jetzt kommen 20 dazu. Hier ist alles vorbereitet. Innerhalb von zwölf bis 24 Stunden können wir Sperren errichten und Kontrollen einrichten.

Wie viele Flüchtlinge müssen täglich kommen, um Grenzkontrollen zu rechtfertigen?
Da geht es nicht um eine fixe Zahl, sondern darum, wann das Durchwinken beginnt. Ich bin in ständigem Kontakt mit den Bürgermeistern und den Menschen vor Ort. Wenn die sagen, jetzt ist es notwendig, dann starten wir mit den Kontrollen.

»Wir müssen signalisieren, dass sie nicht durchkommen«

Wenn die Flüchtlinge am Brenner nicht weiterkommen, könnten sie den Weg über das Kanaltal nach Kärnten nehmen. Wie will man das verhindern?
Natürlich gibt es immer alternative Routen, auch durch Tirol. Deshalb sind insgesamt 170 Polizisten in der Schleierfahndung unterwegs. Das Innenministerium setzt in anderen Bundesländern auch entsprechende Maßnahmen. Und ich bleibe bei meiner Forderung nach einer zivilmilitärischen EU-Mission an der Außengrenze Italiens. Wir müssen ein Signal an die illegalen Migranten senden, dass sie nicht durchkommen. Und 90 Prozent fliehen ja nicht aus Kriegs-oder Terrorgebieten. Sie kommen, weil sie sich in Europa ein besseres Leben erhoffen. Da braucht es eine klare Botschaft.

Also die Schließung der Mittelmeerroute, wie sie ÖVP-Chef Sebastian Kurz fordert. Experten meinen, es ist nicht möglich, flächendeckend am Mittelmeer zu patrouillieren.
Ich stehe zu hundert Prozent zu dieser Forderung, weil es das Einzige ist, womit man Herr der Lage wird. Bei der Balkanroute hat man ja auch schon gesagt, das wird nie funktionieren. Aber es hat funktioniert.

Aber hier geht es um ein ganzes Meer.
Es geht darum, einen Plan zu haben, wie man die illegale Migration stoppt. Wenn einmal ein Boot dabei ist, das man nicht stoppen kann, dann ist das so. Eine hundertprozentige Trefferquote wird es nie geben. Deswegen fordere ich auch, Asyleinrichtungen in Nordafrika zu schaffen, damit dort die Asylverfahren abgewickelt werden können. Und wenn jemand einen positiven Bescheid hat, weil er vor Krieg oder Terror flüchtet, dann haben wir die Verantwortung, diese Leute gerecht in Europa zu verteilen.

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90 Prozent der Flüchtlinge stechen in Libyen ins Meer. Dort ist die politische Lage sehr instabil. Wie soll das Land Auffanglager für die EU unterhalten und Asylverfahren abwickeln?
Das wäre das wünschenswerte Szenario. Die Lage in Libyen ist zugegebenermaßen schwierig. Was machbar ist, ist, die Außengrenze zu schließen, und das kann von Seiten der EU erledigt werden. Man muss auch überlegen, ob man schon die Grenze zum Niger hin kontrolliert. Man kann ja schon dort die Migrationswelle stoppen.

Beim Thema Flüchtlinge hat die ÖVP eine sehr harte Linie eingeschlagen. Inwieweit unterscheidet sie sich noch von der FPÖ?
Massiv. Die FPÖ agiert im Bereich der illegalen Migration mit falschen Zahlen. Das habe ich in Tirol schon mehrmals erlebt. Um es auf den Punkt zu bringen: Die FPÖ schürt Angst, um die Bevölkerung zu verunsichern. Das ist nicht unsere Politik. Wir sagen den Menschen die Wahrheit, ganz ohne Romantik. Und wir haben Pläne zur Umsetzung. Das sind zwei Paar Schuhe.

Der FPÖ werfen Sie Angstmache vor. Im Vergleich dazu wirkt die Zusammenarbeit mit den Grünen in Tirol recht harmonisch. Kann man daraus Koalitionsempfehlungen für Sebastian Kurz ableiten?
Die Zusammenarbeit mit den Grünen ist in Ordnung. Natürlich sind wir unterschiedliche Parteien mit unterschiedlichen Ideologien. Aber letztendlich geht es um die Frage, ob man sich auf einen Partner verlassen kann, und ich kann mich auf die Grünen verlassen. Wenn etwas vereinbart wurde, dann gilt das. Und wenn es Konflikte gibt, dann werden die intern ausgetragen. Aber in Bezug auf mögliche Koalitionen schließe ich keine Partei aus, sowohl auf Landesebene als auch auf Bundesebene. Da muss es um die Frage gehen, mit welcher Partei man seine Themen bestmöglich umsetzen kann.

»Das Ziel ist jetzt, den Kanzleranspruch zu stellen«

Das heißt, Sie haben keine Präferenzen?
Nein. Ich habe in meinen Jahren in der Politik Koalitionen mit Grün, Blau, Orange und Rot erlebt. Entscheidend ist nicht die Farbe, sondern die Inhalte. Und jetzt geht es um das Ziel, Erster zu werden und den Kanzleranspruch zu stellen.

Sie haben sich jüngst gegen eine Dreierkoalition ausgesprochen. Wieso?
Wir haben in den vergangenen Monaten in der Bundesregierung gesehen, wie schwierig es schon in einer Zweierkoalition sein kann, zu einem Ergebnis zu kommen. Bei einer Dreierkoalition wird es nochmal schwieriger. Man muss bedenken, dass im Ministerrat das Einstimmigkeitsprinzip gilt.

Sebastian Kurz hat sich ein Vetorecht bei der Erstellung der Landeslisten eingeräumt. Fühlen Sie sich da nicht entmachtet?
Überhaupt nicht. Dieselben Rechte habe ja auch ich auf Landesebene. Bei der Tiroler Volkspartei habe ich die maximale Entscheidungsmöglichkeit, was Kandidaturen betrifft, weil ich auch die Hauptverantwortung trage. Und wenn er die Hauptverantwortung für diesen Wahlgang hat, dann soll er auch mitentscheiden, wie die Liste ausschaut.

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Der neue ÖVP-Chef will eine Steuerentlastung von bis zu 14 Milliarden Euro. Bei der Gegenfinanzierung spricht er immer wieder die Förderungen an. Wären Sie bereit, das Förderbudget in Tirol zu kürzen?
Die Förderungen sind tatsächlich ein Thema. Wir müssen schauen, wie wir die Doppelförderungen von Bund und Land beenden können. Es kann nicht sein, dass beide dasselbe fördern. Hier muss die Förderkulisse neu überarbeitet werden.

Sie sind also für Einschnitte im Tiroler Förderbudget?
Es geht weniger um Einschnitte, sondern um Effizienz. Deshalb müssen wir die Förderlandschaft durchforsten. Daran werden wir arbeiten.

Sie haben sich bereits 2012 für die gemeinsame Schule ausgesprochen, damals entgegen der Linie der Bundespartei. Jetzt soll sie kommen. Sehen Sie sich als Vordenker?
Na ja, Vordenker...ich bin Realist. Wenn Unternehmen sagen, dass die Ausbildung von Pflichtschülern sehr schwach ist und sie sich schwer tun, einen Lehrberuf zu erlernen, dann brennt der Hut. Da kann man nicht sagen, alles soll so bleiben, wie es ist. Jeder Mensch hat bestimmte Talente, die man fördern sollte. Und in einer gemeinsamen Schule mit einem individuellen Unterricht geht das besser als im derzeitigen Modell. Das unterscheidet uns auch massiv von der Idee der Gesamtschule seitens der Sozialdemokratie. Die wollen den gleichen Unterricht für jeden Schüler. Wir wollen einen individuellen Unterricht, bei dem man auf die Bedürfnisse der Schüler eingeht.

»Die neue Behördenstruktur sollte spätestens 2019 stehen«

Können Sie schon sagen, wann die Gesamtschule in Tirol kommen wird?
Das ist noch zu früh. Und die Eltern und Lehrer haben ja auch ein Mitspracherecht. Aber die neue Behördenstruktur sollte spätestens 2019 stehen.

Wie zufrieden sind Sie generell mit der Bildungsreform? Immerhin haben Sie ja mitverhandelt.
Wir haben sehr hart darum gerungen. Ich werde diese Nacht im November 2015 nie vergessen, als Häupl, Kaiser, Haslauer mit Regierungsvertretern und mir bis 4.30 Uhr verhandelt haben. Mir ist das alles viel zu langsam gegangen. Schlussendlich bin ich mit dem Ergebnis aber zufrieden. Das Thema reduziert sich ja nicht nur auf die gemeinsame Schule. Es geht auch um Schulautonomie, und damit um Föderalismus. Und darum, dass künftig nur mehr eine statt zwei Behörden zuständig sein wird. Das sind wichtige Schritte, über die man Jahrzehnte diskutiert hat. Und jetzt hat man es endlich zustande gebracht. Aber die Lokomotive waren hier die Länder.

Eine Ebene höher haben die Universitäten eine Finanzspritze von 1,35 Milliarden Euro bekommen. Die Studienplatzfinanzierung hingegen ist gescheitert. Was bedeutet das denn nun tatsächlich für den Unistandort Innsbruck?
Wenn über 1,3 Milliarden vom Bund in die Universitäten fließen, wird man nicht dagegen sein. Die Gefahr besteht aber, dass es einen Einmaleffekt geben wird und wir den Wissenschaftsstandort nicht aufwerten können. Es braucht also eine Studienplatzfinanzierung und bestimmte Regelungen.

Wie zum Beispiel?
Wir haben besonders in Tirol einen enormen Zuzug von deutschen Studierenden, und die Gefahr ist, dass die einheimischen Studenten auf der Strecke bleiben. Das merken wir jetzt schon im medizinischen Bereich. Das heißt, wir brauchen Zugangsbeschränkungen. Und wir müssen sozial gestaffelte Studiengebühren einheben, dann werden auch die Universitäten in Innsbruck abgesichert sein. Eigentlich gab es einen Konsens zwischen SPÖ und ÖVP über die Studienplatzfinanzierung. Das ist auch im Plan A von Bundeskanzler Kern enthalten. Plötzlich ist er davon abgekommen, und übrig geblieben ist eine einmalige Geldspritze.

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Der Eurofighter-Untersuchungsausschuss ist vor Kurzem zu Ende gegangen. Sie waren damals als Verteidigungsminister in die Beschaffung involviert. Wieso waren Sie nicht vorgeladen?
Das ist eine Entscheidung des Parlaments. Beim ersten U-Ausschuss hat es eine intensive Befragung gegeben. Ich habe alle Fragen beantwortet. Wenn es noch Fragen gibt, stehe ich gerne zur Verfügung.

Aber sind Sie sich irgendeiner Schuld bewusst?
Nein, die Entscheidung war damals schon gefallen, und der Vertrag beinahe ausverhandelt.

Tirol hat die Mindestsicherung gekürzt. Außerdem sollen Sachleistungen vermehrt direkt bezahlt werden. Könnte das Modell als Vorbild für eine einheitliche Regelung sein?
Es war schon öfter der Fall, dass Tirol Vorbild für den Bund war. Wir haben ein umfassendes Maßnahmenpaket geschnürt. Es gab Kürzungen bei den Wohnkosten, und wir haben Zuweisungsmöglichkeiten geschaffen, damit sich Asylberechtigte ihre Wohnung nicht mehr selbst aussuchen können. Und wenn es Kürzungen beim Arbeitslosengeld gibt, werden sie nicht durch die Mindestsicherung ausgeglichen.

Wie stehen die Chancen, dass nach der Wahl darüber verhandelt wird?
Die Frage ist, wie die Stimmungslage in der nächsten Regierung sein wird. Und ob der Wille da ist, etwas umzusetzen. So wie bei unserer schwarz-grünen Regierung. Da war auch nicht alles sofort in Butter. Aber wir wollten eine Lösung.

»Wir brauchen einen vernünftigen Mix von Jung und Alt«

Die Bundes-ÖVP hat einen Generationenwechsel durchzogen. Macht Sie das als längstdienender ÖVP-Landeshauptmann nervös?
Im Gegenteil. Ich glaube, dass wir einen vernünftigen Mix von Jung und Alt brauchen. Aber es ist wichtig, für junge Leute Politik zu machen.

Sie kennen die Arbeit als Minister und Landeshauptmann. Was gefällt Ihnen besser?
Die Arbeit als Landeshauptmann. Ich war im Gemeinderat, im Nationalrat, war Minister und Landesrat, aber am liebsten war mir der Bürgermeister. Bei allen Funktionen war mir wichtig, nahe am Bürger zu sein. Deshalb denke ich bei allen Entscheidungen, wie sich das auf die Bürger auswirkt.

© Ricardo Herrgott

Zur Person: Der gelernte Buchdrucker arbeitete 18 Jahre lang als Gendarm in Tirol. Seine politische Karriere startete Platter 1986 als Gemeinderat in Zams, ab 1989 war er Bürgermeister. Im Jahr 2000 wechselte er in den Nationalrat. Unter Wolfgang Schüssel war Günther Platter ab 2003 Verteidigungsminister. Von 2007 bis 2008 dann Innenminister unter Alfred Gusenbauer. Seit 2008 ist Platter Landeshauptmann von Tirol.