Platz eins für ORF III und – abwarten!

Das vermeintliche Minderheitenprogramm ORF III hat täglich fast eine Million Zuschauer, verliert aber Ingrid Thurnher und Eva Schindlauer an die ORF-Direktion. Senderchef Peter Schöber braucht neue Partner zur Fortsetzung seines Erfolgs.

von Platz eins für ORF III und – abwarten! © Bild: Gleissfoto

Dass ORF 1 eine noch größere Baustelle als der 300 Millionen Euro teure multimediale Newsroom ist, pfeifen die Spatzen längst von dessen Dach auf dem Küniglberg. Erfolgreiche Unterhaltungsangebote wie „Dancing Stars“ und „Willkommen Österreich“, „Vorstadtweiber“ und „Soko Kitzbühel“ konnten das so wenig verhindern wie hervorragende Informationssendungen à la „Dok 1“ und „Talk 1“. Der Marktanteil des ersten österreichischen Fernsehens – wie es in Analogie zur deutschen ARD hieße – am Austropublikum ist 2020 auf 8,2 Prozent geschrumpft. Einmaleffekte wie Fußball-Euro, Olympia und „Wetten, dass..?“ könnten die Quote heuer wieder zweistellig werden lassen. Das sichert aber bloß eine Verschnaufpause. Der Absturz 2022 ohne diese Sport-Großereignisse wirkt unausweichlich.

Unterdessen wächst die Popularität von ORF III. Der Marktanteil des 2011 entstandenen Programms ist auf 2,6 Prozent gestiegen. Nur das finanziell vielfach besser ausgestattete ServusTV verzeichnete höhere Zuwächse. Ingrid Thurnher hat als Chefredakteurin dem Sender ein Gesicht gegeben. Es wird schwierig, eine ähnlich populäre Nachbesetzung für die künftige Radiodirektorin zu finden. Wie auch für die neue Finanzchefin Eva Schindlauer, bisher Co-Geschäftsführerin von ORF III. Das vermeintliche Abstellgleis dient offenbar als Kaderschmiede. Zurück bleibt Peter Schöber, der Erfinder des Senders. Er ist schon 2010 als Geschäftsführer beim formalen Vorläufer TW1 eingestiegen, dem einst als 50-zu-50-Joint-Venture mit Peter Schröcksnadels Sitour gegründeten Tourismus- und Wetterkanal. Schöbers damals entworfenes Konzept für ein Kultur- und Informationsprogramm gilt größtenteils heute noch. ORF III ist geprägt von Kostenminimierung. Das merkt man dem Programm und der Programmierung an. Das „Low Budget“ ist bei aktuellen Eigenproduktionen oft sicht- und spürbar. Es erklärt, warum vieles aus dem Archiv entstaubt und neu aufbereitet wird.

Auch die nachmittäglichen Serienreprisen im Viererpack kommen von diesem Sparkonto. „Soko Kitzbühel“ ist zwar markenfern von ORF III, ihre Wiederholung aber billig. Wichtiger ist die Wettbewerbsfähigkeit am Hauptabend. Und dabei überholt das kleine Beiboot
mitunter auch das einstige Flaggschiff ORF 1. Es war bis 1994 der zugkräftigste Fernsehsender in Österreich. Dann drehte die letzte große TV-Reform unter Gerhard Zeiler das Verhältnis zum zweiten Programm um. Es hat heute mit 22 Prozent 2,7 Mal so viel Marktanteil. Der damals schlagartige Führungswechsel gilt als historischer Beweis, wie schnell Neuaufstellungen funktionieren können. Das ist ORF 1 für 2022 unter dem neuen Generaldirektor Roland Weißmann zu wünschen. Es wirkt aber unwahrscheinlich. Seit der großen Impfung vor einem Vierteljahrhundert wird kleinmütig herumgedoktert, statt dem siechen Patienten die überfällige Radikalkur zu verordnen. Denn kein Rezept garantiert den Erfolg, doch alle Anbieter preisen ihre Arzneien: Info, Sport, heimischer Film, Austro-Comedy, fiktionale Serienproduktion, Hollywood-Warenhändler und Kinderfernsehmacher. Und alles zusammen soll auch noch jüngeres Publikum anziehen. Risikoarme Prognose: Das geht so nicht. ARD und ZDF versuchen das gar nicht mehr. Sie bieten für unter 30-Jährige das Onlinenetzwerk Funk, dessen Produktionen auf YouTube, Facebook, Twitter, Instagram, TikTok, Spotify und Snapchat laufen.

Solch ein Projekt ist ohne neues ORF-Gesetz kaum machbar. Möglich ist jedoch das Denkspiel eines Programmplatztausches von ORF 1 und ORF III. Allein die Einser-Taste auf der Fernbedienung würde den Marktanteil des TV-Ö1 hochschnellen lassen. Und der einstige Platzhirsch könnte in der Deckung Genesung suchen. Verdient hätte ORF III solch einen Turbo. So wie sein Chef Peter Schöber adäquate neue Partner in Geschäftsführung und Chefredaktion verdient. Zur Fortsetzung der Erfolgsgeschichte.