Gesellschaft mit beschränkter Achtung

Fünf ORF-Landesstudios bekommen neue Direktoren. Sie sind Schlüsselfiguren für die Zukunft des Medienhauses. Doch den Filialleitern fehlen Geld und Macht zur Erfüllung der Anforderungen einer digitalen Glokalisierung.

von Medien & Menschen - Gesellschaft mit beschränkter Achtung © Bild: Gleissfoto

Ausgerechnet die stärkste Bastion wird zur größten Baustelle des ORF. Seine Radios haben drei Viertel Anteil am Gesamtpublikum, das Fernsehen nur ein Drittel. Im Onlinesektor ist der Vorsprung des Anbieters mit Gebührenvorteil auf die private Konkurrenz noch geringer. Wenn diese drei Bereiche 2022 im 300 Millionen Euro teuren multimedialen Newsroom auf dem Küniglberg zusammengefasst werden, bringt das nicht nur wegen des Umzugs von Ö1 und Ö3 für den Hörfunk die größte Veränderung. Seine künftige Direktorin Ingrid Thurnher ist das prominenteste Gesicht der neuen ORF-Führung. Im Gegenzug verliert das Radio Innenpolitikchef und Wirtschaftsressortleiterin an Filialbetriebe. Edgar Weinzettl wird Landesdirektor in Wien, Esther Mitterstieler in Tirol. Sie sind neben der nach Salzburg heimkehrenden TV-Magazin-Leiterin Waltraud Langer die weiteren bundesweit bekannten Teile im Personalpaket von General Roland Weißmann.

Während das Augenmerk der Zentrale gilt, liegen viele Herausforderungen in der vermeintlichen Provinz. Die Basis legt auch dort das Radio. Seine neun regionalen Programme haben 35 Prozent Marktanteil. Unterdessen ist "Bundesland heute" nur deshalb nicht mehr die meistgesehene regelmäßige ORF-Sendung, weil seit der Pandemie die "Zeit im Bild" danach wieder in ORF 1 und 2 durchgeschaltet wird. Dazu kommen noch die regionalen Onlinebeiträge für die blaue Website. Mit ihnen liegt der ORF im direkten Wettbewerb mit bzw. hinter den Bundesländer-Zeitungen. Zu deren Medienhäusern gehören Privatradios, die beim jüngeren Publikum schon vor dem öffentlich-rechtlichen Regionalprogramm liegen. Dazu kommen immer mehr TV-Angebote von den Zeitungen.

Die beste Möglichkeit, den globalen Angreifern von Google über Facebook bis Netflix erfolgreich zu kontern, liegt in der regionalen Verankerung. Diese Glokalisierung wird der wichtigste Punkt in den Verhandlungen um das überfällige neue Gesetz für den ORF. Er braucht mehr digitalen Spielraum. Das darf aber nicht auf Kosten der privaten Medien gehen, die ihre Umstellung von herkömmlichen Geschäftsmodellen ohne Gebühren bewältigen müssen. Am wahrscheinlichsten ist es, dass der ORF seine schriftlichen Angebote einschränken muss - wie schon ARD und ZDF in Deutschland.

Vor diesem Hintergrund käme den Landesdirektoren eine Schlüsselrolle zu. Doch sie haben weder ausreichend Autonomie noch Ressourcen, um im neuen Wettbewerb entscheidend eingreifen zu können. Auch diese Schieflage könnte durch ein neues ORF-Gesetz behoben werden. Derzeit aber fehlt es den Filialleitern an Macht und Geld. Sie verkommen zu Repräsentanten statt Gestaltern. Prägende Figuren, wie es in Niederund Oberösterreich Jahrzehnte lang Paul Twaroch und Hannes Leopoldseder oder für Tirol -trotz nur einer Funktionsperiode -Rudolf Nagiller waren, sind kaum noch vorstellbar. Aus dieser Perspektive wirken die externen Besetzungen mit Weinzettl, Langer und der früheren News-Chefredakteurin Mitterstieler als positives Signal. In ihrer künftigen Gesellschaft mit beschränkter Achtung haben sie einen guten journalistischen Ruf zu verlieren - was durch augenfällige Nähe der ORF-Dependance zum jeweiligen Landeshauptmann rasch geschehen könnte.

Vorerst aber verdienen Nebenaspekte Beachtung: In Innsbruck sind Direktorin und Chefredakteur (David Runer) Südtiroler, was nördlich des Brenners kaum ein Politiker kritisiert. Die Änderung einer solch speziellen Landesräson ist so unwahrscheinlich wie die offizielle Aufwertung aller ORF-Filialen gegenüber der Zentrale zu einem Verhältnis, wie es Ländermacht gegenüber Staatsgewalt entspricht. Diese reale Konstellation ist aber auch nicht festgeschrieben, sondern entstand kraft handelnder Personen. Die Regionaldirektoren mögen dies als Auftrag verstehen. Dass Langer und Mitterstieler Wirtschaftsexpertinnen sind, weist allerdings eher auf ein Jobprofil der Mängelverwaltung hin.