Von Pistenartisten zu Sprachakrobaten

Die Olympischen Spiele sind auch ein Weltfest der Co-Kommentatoren. Sie gehören zur Sportübertragung wie die Zwischenzeitmessung. Der ORF beschäftigt 15 solche Experten für die Spektakel aus Peking.

von Medien & Menschen - Von Pistenartisten zu Sprachakrobaten © Bild: Gleissfoto

Nein, es gab sie nicht schon immer: Der nun sogar zu Spielfilm-Ehren gekommene Franz Klammer raste 1976 noch ohne televisionären Co-Kommentar vom Patscherkofel zu Olympia-Gold. Damals agierte Michael Kuhn als Diener zweier Herren – ORF und „Kronen Zeitung“. Aber es waren schon Wegbegleiter Klammers, die dem amerikanischen TV-Beispiel folgten: Uli Spieß, der bereits als Erster die Kamelbuckel auf der Grödner Saslong übersprungen hatte, sorgte in einer Verletzungspause für die Premiere der Experten-Zweitstimme. Auch Klammer-Spezi Werner Grissmann war ein Pionier des Genres, das ab Mitte der 1990er-Jahre von Armin Assinger in eine neue Dimension befördert wurde. Sein Schmähführen mit Robert Seeger erinnerte an die Kabarett-Spielform der Doppelconférence.
So wie heute Hans Knauß in diesen Spuren wandelt, zeigt die neue Rolleninterpretation längst über die Co-Kommentierung hinaus Wirkung oder ist eine Folge von mediengestützter kommunikativer Veränderung. Während Sportler in Interviews seit jeher ihrem Dialekt freie Bahn ließen, hat sich die Fachexpertise entkoppelt von rhetorischer Kompetenz und respektheischender Seriosität. Thomas Sykora mit seiner spaßbefreiten, schriftsprachlichen und exakten Analyse wirkt geradezu untypisch. Ansonsten übt sich das Gros der Experten in der Verschweizerung des Österreichischen: reden, wie der Schnabel gewachsen ist.

Assinger war erst Wegbereiter dieser Entwicklung, hat sich dann von ihr emanzipiert und ist heute ein Indiz für ihr Ergebnis. Seit bald 20 Jahren verschiebt seine Moderation der „Millionenshow“ die Maßstäbe. Durch die Dominanz des Schmähs relativiert er kumpelhaft die Wichtigkeit von Wissen. Das entspricht dem gesamtgesellschaftlichen Trend einer ständig weiter steigenden Übergewichtung der Kommunikation gegenüber dem Inhalt. Die Ideallinie eines Co-Kommentators verläuft also vom fesselnden Pistenartisten zum mitreißenden Sprachakrobaten. Wissend um die eigenen Fähigkeiten wählen die meisten Ex-Athleten deshalb den Ausweg der sachlichen Kompetenz. Doch erfolgreicher sind jene, die ihre patriotischen Eigenheiten kultivieren. Das gilt für den Brachialhumoristen Knauß wie für die sanfte Tour der Alexandra Meissnitzer. Er soll mit „Österreich vom Feinsten“ Sepp Forcher beerben, sie lädt auch zur „Bergweihnacht“ im Fernsehen. Zwei Personifizierungen des neuen Heimatkults.

Das Ganze funktioniert deshalb von der Ausgangsbasis Spitzenathletik so gut, weil sie immer auch als nationale Projektionsfläche dient, zur Abgrenzung gegen die anderen. Und es läuft am besten mit der Grundlage Skisport, weil Österreich in der geografisch beschränkten Disziplin eine Weltmacht ist. Diese wirtschaftlich relevante Tatsache aber birgt derart massive Lobby-Interessen, dass letztlich das heimattreue „Wir“ auch beim Co-Kommentar im Vordergrund stehen muss. Neutrale Reportage und austrokritische Expertise sind kaum gefragt. Das mag abgeschwächt ein Phänomen nicht nur des österreichischen Sportjournalismus sein, zeigt sich aber an der TV-Riege der Ex-Sportgrößen besonders.

Dem ZDF dient Skisprunglegende Anton Innauer als Fachmann. Das ist ungefähr so, als würde im ORF der Schweizer Bernhard Russi eine Abfahrt kommentieren. Hierzulande gilt das als so unvorstellbar wie Nicola Spieß, die Schwester des eingangs genannten Uli, ein Damenrennen begleiten zu lassen. Sie könnte es, heißt aber längst Werdenigg und hat einen Missbrauchsskandal im Skiverband aufgedeckt. In Österreich wirkt so etwas eher als unausgesprochener Ausschlussgrund. In Deutschland hingegen dürfen die Co-Kommentatoren bei ARD und ZDF keine Werbung am Körper tragen. Das ist im ORF erlaubt, denn so kommt er günstiger zu Experten. Hauptsache, der Schmäh rennt.