Peter Stöger:
Gefeuert, geheuert, gefeiert

An einem Samstag wird der Wiener Fußballtrainer Peter Stöger von seinem akut abstiegsgefährdeten Klub gekündigt. Am Samstag darauf bekommt er einen der begehrtesten Trainerjobs der Welt. Wie hat er das geschafft? Und welchen Anteil hat seine Partnerin Ulrike Kriegler am großen Karrierekick?

von Sport - Peter Stöger:
Gefeuert, geheuert, gefeiert © Bild: News/Michael Mazohl

Dramatisch legt Hans-Joachim Watzke die Stirn in Falten: "Wir sind ihm unglaublich dankbar, dass er spontan bereit war, uns in dieser schwierigen Situation zu helfen." Watzke ist der Geschäftsführer von Borussia Dortmund und verwaltet ein Jahresbudget von 360 Millionen Euro. Doch der Mann, den er da im Pressezentrum des Dortmunder Signal Iduna Parks hofiert, ist nicht etwa Pep Guardiola oder José Mourinho oder ein anderer amtierender Heilsbringer des Weltfußballs. Watzke spricht von Peter Stöger aus Wien-Favoriten.

Am Samstag, dem 2. Dezember, wurde Stöger als Trainer des 1. FC Köln beurlaubt, nachdem er das Team in vier Jahren aus der zweiten Spielklasse bis in die Europa League geführt hatte. In der laufenden Saison brachten es die Kölner bislang nur auf drei Punkte. Und auch wenn Stöger in der Karnevalsstadt längst Kultstatus genießt - eine Ablöse war unvermeidbar.

Stöger verbrachte die Woche danach noch in Köln, am Samstag, dem 9. Dezember, nahm er den Flieger nach Wien, wo er knapp vor 20 Uhr landete. Danach besuchte er Mutter, Erika, in der Per-Albin-Hansson-Siedlung, wo er aufgewachsen war. Noch während des Abendessens schrillte das Handy. Es war Watzke, der wissen wollte, ob Stöger das Traineramt bei Dortmund übernehmen wolle. Die als Mitfavorit für die Meisterschaft gehandelte Startruppe rangierte abgeschlagen auf Rang acht. Und - Stöger wollte. Und wie! Sonntag, 10. Dezember: 10.55 Uhr Rückflug nach Köln, 98 Kilometer mit dem Auto ins Borussen-Stadion, Präsentation, Dienstantritt. "Ich hatte meinen Koffer in Wien noch gar nicht ausgepackt", sagt Stöger.

Vaterfigur & Schmähbruder

Aber weshalb bekleidet dieser Peter Stöger, das Arbeiterkind aus dem zehnten Hieb, das im "Käfig" kicken lernte, der einstige Mittelfeldregisseur, der als Nationalspieler stets im Schatten von Andreas Herzog stand, plötzlich einen der begehrtesten Trainerjobs der Welt? Weil er jeden Verein, den er trainiert, zu seiner Familie macht, quasi emotional eingemeindet. In Zeiten, wo es im Spitzenfußball nur noch um wissenschaftlich begleitete Systemoptimierung geht, ist das eine altmodische Tugend. Aber auch ein Art Alleinstellungsmerkmal für Stöger. Jeder Spieler ist wie ein Sohn -zumindest ein bisschen.

© News/Ian Ehm Peter Stöger am FavAC-Platz, wo seine Fußballlaufbahn begann

"Er ist für die Kicker eine Mischung aus Vaterfigur und Schmähbruder", sagt Frenkie Schinkels, der bei Austria Wien unter Sportdirektor Stöger als Trainer engagiert war. "Er nimmt auch in Extremsituationen den Druck von der Mannschaft, dafür reißen sich die Spieler für ihn den Hintern auf, das ist der Deal." Und zwar kein ganz schlechter: Dortmund vergütet seinem neuen Coach das vorerst bis zum kommenden Sommer währende Engagement mit drei Millionen Euro. Erste Gegenleistung: "Ich werde zunächst versuchen, ein wenig Empathie in die Truppe reinzubringen", sagt Stöger. Und das ist erwiesenermaßen eine seiner Spezialitäten.

Einmal, erinnert sich Schinkels, der Kumpel aus Wiener Zeiten, sei Star-Stürmer Roland Linz in der Innenstadt nächtens in einer Bar erwischt worden, und zwar im Zweikampf mit einer Flasche Wodka. Tags darauf habe sich Stöger den verkaterten Profi zur Brust genommen. Ob er denn stolz sei, habe er ihn halblaut angeblafft. "Nein", so die kleinlaute Antwort des Nachtschwärmers. Stöger: "Brauchst du auch nicht, stolz könntest du sein, wenn du zwei Flaschen geschafft hättest." Botschaft angekommen, Skandal vermieden, Spieler voll motiviert. "Der Peter hat einen mitunter zynischen Schmäh, aber einen, der nicht weh tut", sagt Schinkels.

Wohldosierter Ösi-Schmäh

Wohldosierter Ösi-Schmäh, das kommt gerade in Fußballdeutschland, wo Spieler und Trainer in hochnotpeinlichen Interviewtrainings auf elegant klingende Phrasen konditioniert werden, besonders gut an. Und so wurde der knorrige Wiener von der Deutschen Akademie für Fußballkultur im Vorjahr für den Spruch des Jahres ausgezeichnet. Stöger über einen fehleranfälligen Schiedsrichterassistenten: "Ich habe dem Linienrichter meine Brille angeboten, aber auch das hat er nicht gesehen." Auch heuer ist Stöger unter den Nominierten.

Mamerles sanfte Strenge

Doch eigentlich ist Stöger kein Showmann, kein Selbstdarsteller. In den jeweiligen Klubfarben designte Brillen sind seine einzige Extravaganz. Stöger ist bescheiden, aber behütet aufgewachsen, bolzte als Bub jeden Tag unten im Hof, bis ihn sein "Mamerle", wie er Mutter Erika heute noch liebevoll nennt, aus dem Fenster im zweiten Stock zum Essen rief. Die "Straßen von San Francisco", die sich der Kickerknirps aus dem Gemeindebau im Fernsehen ansehen wollte, waren dank Erika Stögers liebevoller Strenge ebenso tabu wie die Verlockungen des in den Siebzigerjahren übel beleumundeten Böhmischen Praters, wo nicht wenige erfolgversprechende Fußballer ihre ersten Gagen verzockten. In der Schule saß er vorne und war ehrgeizig, kurzum: Stöger stieg auf und blieb doch am Boden, bis heute ist der Imbissstand "Prokes" am Viktor-Adler-Markt sein erklärtes Lieblingslokal. Georg "Schurli" Schreitl, der 30 Jahre lang Masseur bei der Wiener Austria war, sagt: "Wenn er einen Fehler hat, dann den, dass er zu viel Mensch ist."

© News/Ian Ehm Stögers kleine Welt: Beim "Prokes" am Viktor-Adler-Markt in Favoriten

Der Zu-viel-Mensch selbst ist bemüht, seine Erfolge eher zu entmystifizieren als aufzubauschen und seine Bescheidenheit im Ballsport der Eitelkeiten als Trademark zu etablieren: "Es gibt kein Rezept und kein Geheimnis. Du musst dich auf den Menschen einlassen, ich glaube, dass das ein ganz wesentlicher Faktor ist. Es geht um Wertschätzung, um Vertrauen - du musst ganz einfach Vertrauen weitergeben", erklärte er im vergangenen Sommer, als er am Höhepunkt seiner Kölner Erfolge stand, im News-Interview. Man müsse davon ausgehen, dass stets 50 Prozent der Spieler enttäuscht sind, weil sie nicht spielen. "Denen musst du im Idealfall eine Erklärung geben können. Du darfst ihnen auch nichts versprechen, wovon du nicht sicher bist, dass du es einhalten kannst." Doch Stöger weiß: Versprechen geben auch Zuversicht und Hoffnung, gerade für Spieler, die in sportlichen oder persönlichen Krisen stecken, sind sie lebenswichtig. Und so versprach Stöger dem ehemaligen Austria-Stürmer Philipp Hosiner, der heute bei Union Berlin engagiert ist und mit dem Kultverein um den Aufstieg in die erste Liga kämpft, ihn nach Kräften bei seinem Comeback zu unterstützen. Obwohl es ein Comeback gegen jede Wahrscheinlichkeit war. "Ich weiß, was ich dem Peter zu verdanken habe", sagt Hosiner heute.

Heilsames Vertrauen

Als er vor knapp drei Jahren zu Stöger nach Köln wechseln wollte, stieß man im Rahmen der sportmedizinischen Routinechecks noch vor der Vertragsunterzeichnung auf auffällige Tumormarker. In der linken Niere von Hosiner, dem fünffachen Nationalspieler, hatte sich eine bösartige Geschwulst gebildet. Zwei Kilo wog der Fremdkörper bereits, da er gut zwei Jahre lang unentdeckt geblieben war. Eine Niere mussten die Ärzte entfernen, wie durch ein Wunder hatten die destruktiven Zellen noch keine anderen Organe befallen. Und so begann eine langwierige Reha, dann das zeitintensive Aufbautraining. Doch wer im knallharten und ganz und gar unsentimentalen Fußballbusiness würde auf höchster Ebene einen Spieler mit nur einer Niere verpflichten? Einen, der zudem seit gut einem halben Jahr kein Pflichtspiel mehr in den Beinen hat?

"Sein Schicksal hat mir richtig zu schaffen gemacht", erzählte Stöger im Gespräch mit News. Und so machte sich der Coach dafür stark, das Hosiner seinen Vertrag bei Köln doch noch unterschreiben konnte. "Seine Aufmunterungen und die Zuversicht, die er mir in dieser schwierigen Phase signalisierte, haben mir eine enorme Kraft gegeben", erinnert sich Hosiner. Es waren die Tage seines Comebacks, in denen man in den Köln-Fanshops ein T-Shirt mit folgendem Schriftzug ins Sortiment aufnahm: "Keep calm and let Stoeger handle it."

Nun muss Stöger also Borussia Dortmund handhaben, und auch diese Aufgabe lässt sich durchaus vielversprechend an. Das erste Match unter seiner Ägide, auswärts gegen den 1. FSV Mainz, gewinnen die Westfalen mit zwei zu null. "Walking in a Stöger Wonderland", singen die Fans.

Die Macht der Ruhe

Vor dem Spiel, vor dem Abflug vom Dortmunder Flughafen, nahm sich der Neotrainer unmittelbar vor dem Check-in noch Zeit für ein Selfie mit einem Knirps mit Bayern-Mütze. Breites Lächeln, demonstrative Seelenruhe, aufgeräumt, als ginge es mit dem Flieger ab in den Urlaub und nicht zur ersten echten Bewährungsprobe in Schwarz-Gelb. Dabei verbergen sich hinter Stögers demonstrativer, allumfassender Ruhe auch jede Menge diffuser Ängste.

© News/Michael Appelt Aufgeräumtes Weiß: Stögers Partnerin Uli Kriegler im Wohnzimmer ihres Wiener Domizils

"Er hat vor so ziemlich allem Angst - schnellen Autofahrten, hohen Leitern, steilen Skipisten, selbst in den Teich vor unserer Badehütte würde er niemals springen", sagt Ulrike Kriegler. Die Kabarettistin und Moderatorin, genannt Uli, ist seit knapp zwei Jahrzehnten die Frau an seiner Seite. Und trotz mutigem Bekenntnis zur Lieblingsfarbe Pink die Antithese zum internationalen Typus der Kickerbraut: Weder unterdimensionierten Schoßhunderln noch überdimensionierten Louis-Vuitton-Taschen kann sie etwas abgewinnen, und auch stöckelndes Schaulaufen auf der VIP-Tribüne ist ihre Sache nicht: "Einfach nur lächerlich", befindet sie knapp. Und auch zum sportwissenschaftlichen Dauerthema Nummer eins hat sie eine klare Meinung: "Sex vor dem Match? Ja, warum denn nicht? Das kann doch auf keinen Fall schlechter sein als Kasernierung und absolute Isolation vor dem Match." Sie war es, auch, die Stöger darin bestärkte, nach Köln zu gehen, obwohl sie selbst, um ihre berufliche Selbstständigkeit zu wahren, schweren Herzens in Wien zurückblieb: "So eine Chance kommt nicht oft im Leben."

"Ich habe von ihr gelernt, wie schwierig so ein freiberuflicher Job ist, mal gibt es viel zu tun, dann wieder Durststrecken zu überwinden", sagt Peter Stöger. Eigentlich hatte er sich nach seinem Rauswurf bei Köln auf eine Durststrecke eingestellt - und gefreut. Nur Uli und er, daheim in Favoriten. Doch dann ereilte ihn am Freitag, dem 9. Dezember, plötzlich dieser Anruf: "Hallo, Herr Stöger, hier Watzke!"