Peter Kaiser: "Großteils falsche Maßnahmen"

Kärntens SPÖ-Landeshauptmann Peter Kaiser kritisiert die Antiteuerungsmaßnahmen der Regierung, macht sich für Mietobergrenzen, eine Mehrwertsteuersenkung auf Grundnahrungsmittel sowie Vermögens-und Erbschaftssteuer stark. Nach allfälligen Neuwahlen würde er eine Ampelregierung ohne ÖVP-Beteiligung befürworten.

von Peter Kaiser © Bild: (C)2022 Ricardo Herrgott

Herr Kaiser, Sie wurden jüngst mit 99,08 Prozent als Landesparteivorsitzender wiedergewählt - mit 431 von 435 Delegiertenstimmen. Wissen Sie, wer die vier sind, die Sie nicht gewählt haben?
(Lacht.) Nein. Das ist natürlich ein tolles Ergebnis, über das ich mich klarerweise freue, ebenso wie über die über 95 Prozent liegenden Ergebnisse aller in den Landesparteivorstand gewählten Personen. Das zeigt nämlich eine Geschlossenheit, die es in der Form kaum irgendwo gibt. Und es unterstreicht, dass die Kärntner SPÖ gemeinsam in eine Richtung arbeitet.

Wiens Bürgermeister Michael Ludwig lobte Ihre Politik mit sozialdemokratischer Handschrift. Was sind deren wichtigste Eckpunkte?
Im Stakkato: Wir haben einen Beschäftigtenhöchststand und derzeit die geringste Arbeitslosenrate von 5,2 Prozent. Im Bildungsbereich neben der elternbeitragsfreien Elementarpädagogik im tertiären Bereich etwa die neue Gustav Mahler Privatuniversität, die auf Musikerziehung und Instrumentalmusik spezialisiert ist. Und eine enge Vernetzung breit aufgestellter universitärer Ausbildungen mit Schwerpunkten auf Fachhochschulen, Technik und Elektronik. Unser großes Anliegen ist, das Leben leistbar zu halten. Dort, wo wir direkten Einfluss haben, etwa bei den gemeinnützigen Wohnbauträgern, haben wir die geringsten Mietpreise pro Quadratmeter in Österreich.

Unser Gespräch findet im Gemeindekindergarten von Magdalensberg statt -aus welchem Grund?
Kärnten soll die kinder-und familienfreundlichste Region Europas werden -und hier wurde vor vier Jahren die Idee des Kinderstipendiums präsentiert. Mit dem Ziel, in dieser Legislaturperiode die Kinderbetreuungskosten entscheidend zu reduzieren, um Eltern bzw. Alleinerziehende zu unterstützen und den Bildungsaspekt der Elementarpädagogik zu verstärken. Im ersten Jahr wurden 50 Prozent der durchschnittlichen Betreuungskosten für Kinder bis sechs Jahre ersetzt, dann die Förderung auf zwei Drittel erhöht, valorisiert und jetzt werden mit 1. September 100 Prozent der Durchschnittskosten übernommen. Das ist auch ein wichtiger Beitrag gegen die Teuerung und verhindert, dass bei Kindern eingespart werden muss. Im nächsten Jahr sind dafür 27 Millionen Euro budgetiert. Die Eltern ersparen sich dadurch zwischen 1.296 Euro und knapp 3.000 Euro pro Kind und Jahr.

Am 5. März 2023 werden Sie erneut Landtagswahlen schlagen. Wie lang bzw. teuer wird der Wahlkampf?
In Kärnten wurde, seit ich Landeshauptmann bin, eine Wahlkampfkostenbeschränkung von 500.000 Euro für jede Partei eingeführt. Ich will auch keinen Wahlkampf im klassischen Sinn führen, sondern eine Wahlbewegung, die darauf verweist, was wir gesagt haben, getan haben und künftig tun wollen.

Und zwar was?
Ich möchte das, was gut ist, absichern: Arbeitsplätze, Bildung, Wohnen, Gesundheit. Und ich möchte Zukunftsgestaltung mit Enkelverantwortung, auch in Sachen Umwelt und Klima. Wir haben nur einen Planeten und müssen diesen lebenswert gestalten. Deshalb gilt es auch, zwei Generationen im Voraus zu denken. Und ich möchte das, was sozialstaatliche Aufgabe ist -Daseinsvorsorge -, durch entsprechende Politik in Abstimmung mit dem Bund modernisieren. Wir brauchen weiterhin einen Sozialstaat, der auch finanzierbar ist.

Sie haben sehr gute Voraussetzungen für die Wahl. Werden Sie künftig möglicherweise gar keinen Koalitionspartner brauchen?
Ich glaube, nichts ist rutschiger als die Annahme, dass es eine sogenannte g'mahte Wiese gibt. Wer darauf einmal gegangen ist, weiß, wie leicht man da ausrutscht. Selbstgefälligkeit und Siegeravancen wird es nicht geben. Wir werden so wie immer hart arbeiten und unser Bestes geben, um das Gefühl, wir stehen an der Seite jeder Person in Kärnten, auch zu vermitteln. Koalitionsfragen stellen sich bei mir immer erst nach dem Wahlergebnis, zuerst hat der Souverän das Wort.

Auch auf Bundesebene sieht es für die SPÖ laut Umfragen so gut wie schon sehr lange nicht aus. Sind Sie für vorgezogene Neuwahlen?
Ich denke, dass die immensen Herausforderungen jetzt zumindest zu einer strengen Selbstanalyse der Regierung führen müssten: Wenn das Vertrauen der Bevölkerung gegenüber beiden Regierungsparteien so gering ist, dann müsste man zumindest hinterfragen, ob man in diesen schwierigen Zeiten so noch weiterregieren kann oder sollte. Ich bin aber kein Utopist und Träumer, die Entscheidung liegt ausschließlich bei den Regierungsparteien. Letztendlich sind diesbezüglich die Grünen das Zünglein an der Waage.

Die Grünen werden sich wohl angesichts ihrer nicht gerade berauschenden Umfragewerte vor Neuwahlen hüten
Das mag sein, aber es gibt auch Optionen auf Bundesebene, die diskutiert werden -ohne ÖVP. Eine österreichische Ampel. In denke, mit Blick auf eine zukunftsorientierte Politik, die sich den neuen Herausforderungen stellt, müssen solche gesellschaftspolitischen Überlegungen breit diskutiert werden. Wann, wenn nicht jetzt?

Eine große Koalition SPÖ-ÖVP ist also keine Option?
Genaue Überlegungen können erst nach einer neuerlichen Wahl angestellt werden. Entscheidend ist, wie man in Zukunftsfragen auf den größten gemeinsamen Nenner kommt. Ich denke aber, dass man bei der nächsten Wahl - wann immer sie stattfinden wird - vor einer Richtungsentscheidung stehen wird -das ist allen klar. Wahlen sind immer auch ein Vertrauensvorschuss im dialektischen Verhältnis zu geleisteter Tätigkeit. Und das wird diesmal die Entscheidungsbasis für die Österreicherinnen und Österreicher sein.

Wird Pamela Rendi-Wagner die Spitzenkandidatin sein?
Davon gehe ich aus heutiger Sicht aus. Entscheidend ist jedoch so wie in Kärnten auf Bundesebene auch nicht die Person, sondern die Gesamtperformance, das Team, die Inhalte und die Authentizität. Und hier haben wir weitaus bessere Voraussetzungen als in den letzten Jahren.

Schließen Sie eine Zusammenarbeit mit der FPÖ aus?
In der momentanen Situation und mit Blick auf kommende Entwicklungen und Perspektiven ist bei der FPÖ wenig Greifbares da, das wert ist, näher hinterfragt zu werden. Auf Kärntner Ebene gibt es sehr wohl eine gute Gesprächsbasis in manchen Bereichen -beispielsweise beim Flughafen Klagenfurt. Aber es gibt auch andere Bereiche, in denen wir gravierende Auffassungsunterschiede haben, etwa in fast allen Fragen der Europapolitik.

Zuletzt kursierten Gerüchte über eine neue Linkspartei mit einer wichtigen Rolle von Ex-SPÖ-Kanzler Kern, der aber umgehend dementierte. Wie realistisch ist das?
Solche Überlegungen geistern in der Geschichte der Sozialdemokratie immer wieder herum und es gab stets unterschiedliche Linksgruppierungen. In der aktuellen Situation kann es aber nur eine einzige Schlussfolgerung geben -nämlich: alle fortschrittlichen Kräfte möglichst zu einigen, um eine zukunftsorientierte und die schlimmsten Ungerechtigkeiten abschaffende Politik zu machen.

Welche Ungerechtigkeiten meinen Sie konkret?
Wenn das reichste Prozent eines Neun-Millionen-Staates - also 90.000 Personen -mehr Vermögen besitzt als die untere Hälfte zusammen -4,5 Millionen Menschen -und dies die größte Ungleichheit in Europa ist, dann ist hier auch im Sinne der Finanzierbarkeit eines modernen Sozialstaates dringend politische Intervention notwendig. Wenn es in Österreich nicht die Umverteilung durch den Sozialstaat gäbe, dann wären bereits 2019 42 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher unter der Armutsgrenze gelegen. Und heute wären das angesichts der Teuerungsraten deutlich mehr. Das ist nicht Reichenbashing, sondern eine zutiefst gesellschaftspolitische Frage.

Das heißt, Sie sind für die Einführung von Vermögens- und Erbschaftssteuern?
Ja, natürlich, ich spreche mich dezidiert für faire Beiträge aus, die diesen gröbsten Ungerechtigkeiten begegnen. Und dem widerspricht auf Bundesebene nur eine fast schon sprichwörtliche Klientelpolitik der ÖVP, die ja nur mehr auf einen knappen Prozentsatz der Besserverdienenden fokussiert. Hier darf es kein Zögern geben, die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache.

Stichwort Teuerung: die beschäftigt die Menschen derzeit am stärksten. Welche Maßnahmen sollten dagegen ergriffen werden?
Die Regierung hat da großteils falsche Maßnahmen gesetzt. Es braucht einen Mix, der sich daran orientieren muss, wer am schlimmsten, nämlich existenziell, von der Teuerung betroffen ist -das sind die Mindestpensionisten und Bezieher von niedrigsten Einkommen. Hier werden wir in Kärnten aus einer Sonderdividende der Kelag - zwar als Einmalzahlung, aber zielorientiert und nicht für jedefrau und jedermann, jetzt einmal 200 Euro zukommen zu lassen. Der wichtigste Punkt wäre aber, dass die Mindestsicherung und Mindestpensionen um den Teuerungssatz entsprechend valorisiert gehören. Bei den Grundbedürfnissen muss einerseits der gemeinnützige Wohnbau forciert und im privaten Bereich eine Mietobergrenze eingezogen werden. Wenn das nicht gewünscht ist - es gibt dazu ja eine ablehnende Haltung der Regierung -, würde ich anregen, sowohl die Mehrwertsteuer auf Wohnungsmieten als auch jene auf die Betriebskosten zu halbieren. Auch da ist die Wirkung für die, die am wenigsten haben, mit Abstand die größte.

Und bei den Lebensmitteln?
Ich bin als Kind viel bei meiner Großmutter gewesen, und die hat sich sprichwörtlich was vom Mund abgespart für die Enkel. Ich möchte so eine Zeit nicht wieder erleben, in der ich das Gefühl habe, dass ältere Menschen sich nicht mehr ausreichend Essen leisten können, weil es dann woanders fehlt. Daher braucht es für unentbehrliche Grundnahrungsmittel -Brot, Milch, Reis, Babynahrung - jedenfalls temporär eine Halbierung oder den Wegfall der Mehrwertsteuer und/oder eine amtliche Preisregelung für klar ausgewiesene Lebensmittel.

Und wie sollte mit den Milliardengewinnen des Verbunds, der ja in öffentlichem Mehrheitseigentum steht, verfahren werden?
Ich bin der Meinung, dass es zu einer zweckgewidmeten Verwendung von Übergewinnen kommen soll und gleichzeitig natürlich zu entsprechenden Investitionen in erneuerbare Energieträger - Wasserkraft, Windkraft, Photovoltaik -, hier braucht es einen vernünftigen Mix, auch um dem Klimawandel zu begegnen. Wir sind in Kärnten gerade bei der Einrichtung einer Arbeitsgruppe dazu mit der Kelag, der eine Regierungssitzung mit den Sozialpartnern vorangegangen ist. Dieser Energiemix mit den notwendigen gesetzlichen Fest legungen soll auch im nächsten Regierungsprogramm enthalten sein.

Was passiert, falls ab 11. Juli die Gaslieferungen aus Russland ausbleiben sollten?
Dann wird der nationale Krisenplan umgesetzt werden, er wird aber keine Entspannung bringen. Das wäre aus meiner Sicht ein ganz schlimmer Super-GAU, der immense industriepolitische, arbeitsplatzmäßige, soziale und staatsverschuldende Folgen hätte.

Wie sehen Sie mögliche weitere Entwicklungen beim Ukraine-Krieg?
Der Ukraine-Krieg wird territorial mit äußerster Brutalität geführt, hat bereits mehr als kontinentale Auswirkungen und wird noch manche uneinschätzbare Entwicklungen mit sich bringen. Je länger er dauert, desto usurpatorischer bzw. verzweifelter wird er geführt werden. Wir leben in einer Welt mit Atom-und biochemischen Waffen. Und es haben auch schon Duma-Abgeordnete erklärt, in einer Minute, 38 ist eine strategische atomare Rakete in Berlin. Das, was einmal gedacht und ausgesprochen ist, kann man nicht völlig ignorieren. Es ist daher zu jedem Zeitpunkt alles zu tun, was eine weitere Eskalation verhindert. Das ist auch das, was ich von Österreich einfordere, nämlich der proaktiven Rolle eines neutralen Landes gerecht zu werden und sich zu bemühen, Gespräche zu ventilieren.

Bundeskanzler Karl Nehammer war ja sowohl in Kiew als auch bei Putin in Moskau, was ihm allerdings auch Kritik eingebracht hat.
Ich habe nicht zu jenen gehört, die kritisiert haben. Allerdings sollten solche Gespräche auch auf Basis einer international abgestimmten Agenda geführt werden.

Was sagen Sie eigentlich zum Zustand der ÖVP? Die zerbröselt offenbar immer mehr.
(Zuckt eher unbeteiligt mit den Schultern.) Eine kritische Selbstreflexion tut grundsätzlich jeder Partei gut. Aber wenn es zu Verquickungen kommt und die Exekutive als Teil der Bundesregierung versucht, in die unabhängige Justiz einzugreifen, der Eindruck entsteht, es geht nicht darum, im Interesse der Menschen zu handeln, sondern darum, eine sehr rare Klientel besonders zu bedienen, und als Summary das Gefühl übrig bleibt, eine Gründungspartei der Ersten und Zweiten Republik hat versucht, sich den Staat quasi untertan zu machen, dann, glaube ich, ist Katharsis angesagt. Sieht man Politik als Versuch, zu steuern und zu lenken, und vergleicht man diese Partei mit einem Flugzeug, dann kommen dem immer mehr die Passagiere abhanden. Eine Entwicklung, die eine Person offenbar nicht aufhalten kann.

Und wie fällt die Bilanz der Ära Kurz in der Nachbetrachtung aus?
Es ist eindeutig zu sehen, dass in den letzten Jahren so manche ethisch-moralische Grenze eindeutig verrückt wurde und die Schwelle für Dinge, die man nicht tun soll, niedriger wurde. Eine Bilanz hat immer auch ein Ergebnis, und das sind in dem Fall rote Zahlen.