"Ich halte gar nichts von Panikmache"

Der Wiener Finanzstadtrat Peter Hanke erklärt, warum der Ausstieg aus Gas lange dauert, welche Hilfen es in Zeiten der Inflation geben muss und warum eine große Koalition auf Bundesebene seine Wunschvariante wäre.

von Peter Hanke © Bild: imago images/SEPA.Media

In Wien gibt rund 400.000 Gasthermen. Die Menschen machen sich Sorgen, ob sie die hohen Rechnungen bezahlen können und ob es im Fall eines Gas-Stopps überhaupt etwas zu bezahlen gibt.
Von beidem gehe ich aus. Es wäre ein Offenbarungseid der Politik, würden wir es nicht tun. Wir haben eine hohe Gasabhängigkeit, ein Gas-Stopp wäre schwierig. Aber man muss sagen: Bis heute laufen die Gaslieferungen zu 100 Prozent wie bestellt. Ich warne davor, unnötig Ängste zu schüren.

Aber man muss doch für alle Szenarien planen.
Die im Nationalrat beschlossene Gasbevorratung ist ein wichtiger erster Schritt. Wien Energie intensiviert zusätzlich selbst die Gasbevorratung, damit wir für die Wintermonate Sicherheit haben.

Wien hat selbst Speicher?
Nein, aber wir können uns Teile gegen Bezahlung reservieren. Und wenn der Gaspreis passt, werden wir selbst vorsorgen. Da geht es um hohe Millionenbeträge.

Kann man derzeit wirklich auf sinkende Preise setzen?
Wir müssen. Wirtschaftliches Handeln ist noch immer die oberste Maxime. Die Vorsorge für einen Halbjahresbedarf übersteigt die Möglichkeit von Landesenergieversorgern. Die Hauptverantwortung dafür liegt beim Bund. Es ist gut, dass diese jetzt wahrgenommen wird. Wir können handeln, wenn das zu vernünftigen Preisen möglich ist.

Für wie viele Monate kann Wien selbst vorsorgen?
Wir gehen von zwei bis drei Monaten aus. Auch wenn in der warmen Jahreszeit die Haushalte weniger Gas brauchen, muss die Industrie weiterlaufen, und die Unternehmen brauchen Klarheit. Es muss ein Prioritätensystem geben, das nachvollziehbar ist und nicht erst in der Krise diskutiert wird. Ich appelliere an die zuständige Ministerin, ihren Handlungsspielraum zu nützen. Da ginge mehr. Wir brauchen einen Plan, der muss erarbeitet sein. Über den Sommer muss diese Diskussion abgeschlossen sein.

Müssten nicht Interessenvertretungen wie Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer an einem Plan arbeiten und einen Vorschlag machen?
Das österreichische System, dass wir über die Sozialpartner und Interessenverbände eng zusammenarbeiten, sollten wir uns jetzt zunutze machen.

Im Moment wird aber vor allem gestritten. Es scheint, keiner will unangenehme Dinge entscheiden und man schiebt Kritik und Verantwortung dem Anderen zu.
Es wäre sicher eine vernünftige Vorgangsweise, sich alter Traditionen zu besinnen.

Mit Fortdauer des Krieges wird der Ruf nach einem Gasembargo gegen Putin wieder leiser.
Da muss man auch mit aller Vorsicht agieren. Wir haben diese Abhängigkeit von 80 Prozent. Es gibt erste Pläne, wie man innerhalb von drei bis fünf Jahren diese Abhängigkeit von Russland reduzieren kann. Aber am Ende müssen wir über 18 Jahre planen. Vor 2040 werden keine Wunder geschehen. Es ist schön, dass Deutschland jetzt schnell LNG-Terminals umsetzen will, aber wir müssen auch Lösungen für das Thema Wasserstoff finden. Dieser bietet große Chancen, aber das kann nicht in Österreich alleine passieren, sondern in einem mitteleuropäischen Verbund. Es geht um große Mengen, will man die Dekarbonisierung schaffen.

2040 endet jene Frist, die sich die Politik für den Ausstieg als fossilen Energieträgern gesetzt hat. Bei Raumwärme und Warmwasser sind die Ersatztechnologien schon länger bekannt. Hat man sich das Ziel zu lasch gesteckt?
Wir haben ja einige dieser erneuerbaren Energien in den letzten Jahren sehr befeuert. Die Großwärmepumpe in Simmering wird im Endausbau bis zu 112.000 Haushalte versorgen. Das haben wir ja nicht erst gestern begonnen, sondern vor drei Jahren. Vor einem Jahr haben wir die Abwärmenutzung bei der UNO-City und der Therme Oberlaa in Betrieb genommen. Die Stadt, wo der CO2-Fußabdruck ja günstiger ist als am weiten Land, ist der richtige Boden, um solche Investitionen umzusetzen. In den nächsten fünf Jahren werden wir 6,2 Milliarden Euro bei den Wiener Stadtwerken investieren. Technologien von Photovoltaik bis Wasserstoff sind in einem Umsetzungsstadium angekommen. Fernwärme gibt es schon lange, aber auch hier müssen wir dekarbonisieren, weil sie zu zwei Dritteln noch aus Gas kommt.

Und die 400.000 Thermen, die in Altbauten in Gründerzeitvierteln hängen, wo baulich wenig geht? Wie soll da ein Ausstieg klappen?
Es wird keine Lösung für alles geben, sondern viele Teillösungen. Tiefengeothermie bei der Seestadt, Großwärmepumpen für über 100.000 Haushalte. Luft-Wärme-Pumpen in Einfamilienhäusern, Photovoltaik auf einer Fläche von 800 Fußballfeldern. Ein Gutteil der Investitionen geht beim Wohnen in die thermische Sanierung. So wollen wir den Verbrauch trotz Bevölkerungswachstum um circa 20 Prozent reduzieren. Damit wird die Gasabhängigkeit sukzessive heruntergefahren.

Mieterinnen und Wohnungseigentümer sollen also einfach abwarten?
Es wird Grätzl-Lösungen geben. Bitte gemach, gemach. Wir müssen uns die nötige Zeit nehmen. Von einem Jahr aufs andere wird das alles nicht gehen. Bis Ende des Jahres haben wir einen Plan ausgearbeitet, wie wir das umsetzen. Man muss ja auch das Bauvolumen mitdenken, die Kapazitäten in den verschiedenen Bereichen von Installateur bis Elektriker und die durch die Inflation angespannte Kostensituation. So zu tun, als ob wir das alles morgen schaffen, ist aus meiner Sicht keine verantwortungsvolle Politik und nicht glaubwürdig.

Gas wird ja in Kraftwerken auch in Strom umgewandelt. Unter anderem auch, um Schwankungen im Netz und eine Blackout-Gefahr abzufedern. Forscher des Complexity Science Hubs empfehlen, diese Kraftwerke umzurüsten, so dass sie im Notfall auch mit Öl betrieben werden können.
Die Möglichkeit gäbe es schon. Aber der CO2-Fußabdruck wäre viel größer. Wir wollen ja die Klimaneutralität ernst nehmen. Was die Versorgungssicherheit betrifft: Wir haben in den Wiener Netzen eine Versorgungssicherheit von 99,99 Prozent, das ist ein weltweit extrem hoher Wert. Was mir mehr Sorgen macht, ist, dass wir derzeit mit Hochdruck Dinge herbeireden, die in der Realität so nicht machbar sind. Dass wir Erwartungshaltungen auslösen und die Leute uns dann fragen: "Was habt ihr geleistet?" Man muss einfach sagen, die Umsetzung all dieser Großinvestitionen braucht Zeit. Und wir brauchen dafür eine legistische Sicherheit, die derzeit nicht gegeben ist. Rund um das Erneuerbare-Energien-Gesetz gibt es erst eine von 20 Verordnungen, die notwendig wären. Kein Vorstand und Geschäftsführer wird eine Investition freigeben, wenn es die nicht gibt. Das muss ich von der Bundesregierung einfordern.

Woran hakt es da auf Bundesebene?
Man hat ein Jahr seit dem Beschluss des Gesetzes im Parlament verstreichen lassen. Manchmal kommt es mir so vor, als werde ein Schritt nach vorne gemacht und dann eineinhalb zurück. Diese Mentalität können wir in Zeiten der Veränderung nicht brauchen. Wir müssen beweisen, dass wir Willens sind, wirklich große Schritte zu machen. Es fehlen auch noch das Erneuerbare-Wärme-Gesetz und das Klimaschutzgesetz. Ich mahne Disziplin ein. Den Rahmen für die Wirtschaft aufzuziehen, ist die Aufgabe der Politik.

Andererseits gibt es ja gerade in diesen Bereichen Querschüsse z. B. aus der Wirtschaftskammer. Schießt man sich damit ins eigene Knie?
Wir leben in Zeiten einer türkis-grünen Koalition, wo sehr intensiv zielgruppengesteuert Politik betrieben wird. Das muss enden. Wir brauchen eine übergeordnete Wirtschaftsund Energiepolitik für den Wirtschaftsstandort. Ohne Schulterschluss zwischen Bund, Ländern und Gemeinden kann es nicht funktionieren.

Dabei müsste man sich gegenseitig Erfolge gönnen.
Es gab noch selten eine Zeit so starker Veränderungen wie jetzt. Wir sehen, dass die Ökonomie, so, wie ich sie noch gelernt habe, keine umfassende Gültigkeit mehr hat. Abhängigkeiten und Lieferketten werden zu ernsthaften Problemen. Das sind Herausforderungen, die wir so gesammelt in den letzten 25 Jahren nicht gesehen haben. Jetzt gilt es, mit ruhiger Hand diese Themen zu ordnen. So schwierig ist das dann auch wieder nicht. Aber man braucht einen Gesamtplan, am Ende mit dem Ziel Klimaneutralität, mit Subzielen, wo wir über den Wohlstand reden. Das sehe ich momentan nicht. Wir diskutieren zu eng, ohne ausreichende Grundlage für den Wirtschaftsstandort. Wir brauchen eine Beschleunigung durch eine Gesamtaufstellung der besten Kräfte. Es geht nicht mehr, dass wir nur auf unsere Zielgruppen achten, es muss eine breitere Politik betrieben werden, die den Wohlstand bestmöglich absichert.

Früher waren das die Argumente für die große Koalition zwischen SPÖ und ÖVP.
Groß ist mittlerweile relativ. Die Parteienlandschaft hat sich massiv geändert. Aber ich glaube, dass Parteien, die in der Mitte stehen und einen Auftrag für taugliche Kompromisse haben, jetzt die richtigen Partner wären. Wir brauchen einen starken Weg der Mitte.

Nach der Nationalratswahl soll nicht Rot-Grün-Neos regieren, sondern Rot-Schwarz/Türkis? Ein Modell, das in Kurz-Zeiten von der ÖVP als das größte Übel ausgemacht wurde?
Es braucht eine Bündelung der Erfahrung, der Mitte und der Kräfte, die Willens sind, in diesem Land etwas zu verändern. Es muss unsere Generation sein, die diesen Weg aufbereitet, um dann den Jungen die Chance auf ein lebenswertes Wien und Österreich zu geben.

Die SPÖ soll eine Regierung mit dieser ÖVP bilden, so wie sie heute dasteht?
Das hängt davon ab, welche Köpfe dort aktiv sind. Man hat ja die Partei jetzt wieder umbenannt und die Farbe umgepinselt. Alte Themen werden wieder hervorgehoben. Wir brauchen einen Mix aus einer gewichteten Tradition, gepaart mit den richtigen Köpfen, Vernunft und dem Willen zur Veränderung. Die Welt ist in einem Umbruch, wo wir schneller sein müssen, als es die Gangart der Bundesregierung ist.

Sie haben ein gutes Verhältnis zu Karl Nehammer, heißt es.
Wir haben ein gutes Gesprächsverhältnis. Ich schätze ihn auch in seiner Persönlichkeit. Aber am Ende ist wichtig, wie die Politik aussieht, welche Ziele verfolgt werden, wie ein Team aussieht.

Würden Sie sich mit ihm an den Ministerratstisch setzen?
Das ist derzeit kein Thema. Die Herausforderungen in Wien sind groß und brauchen meine volle Aufmerksamkeit. Jetzt sollen diejenigen, die Verantwortung übernommen haben, zeigen, wie ernsthaft sie an einer schnellen Realisierung ihrer Zeile interessiert sind. Wenn es nach Corona weiter Stillstand gibt, kann das nur der falsche Weg sein.

Der deutsche Vizekanzler Robert Habeck wird gelobt, weil er den Menschen in der Krise zugibt: "Wir werden ärmer werden."
Ich halte viel davon, dass man auf Augenhöhe mit den Menschen kommuniziert und ehrlich sagt, wohin Entwicklungen führen können. Ich halte aber gar nichts von Panikmache. Ich glaube, dass es schwierige Jahre werden. So zu tun, als würde das alles spurlos an uns vorbeigehen, wäre falsch. Ich glaube aber nicht, dass wir alle ärmer werden. Wir sind ein sehr wohlhabender Staat. Aber dass es da und dort zu Wohlstandsverlusten kommt, kann man in Zeiten wie diesen nicht ausschließen.

Wien hat die ganze Bandbreite von sehr reichen bis zu sehr armen Menschen. Wie soll da der Ausgleich gehen?
Wir kommen in eine notwendige Verteilungsdiskussion. Ich finde es wichtig, in der Inflation die richtigen Schritte zu setzen. Ich halte es für vernünftig, dass man über die Abschaffung der Kalten Progression spricht und über eine zeitlich begrenzte Senkung der Mehrwertsteuer auf bestimmte Produktgruppen. Wir müssen versuchen, beim Wohnen die Belastungen so gering wie möglich zu halten. Da brauchen wir wieder die Bundesseite, und ich appelliere wieder an den Schulterschluss.

Bei Kalter Progression und Mehrwertsteuersenkung profitieren vermögende Menschen mehr. Sollte es im Gegenzug Vermögens-oder Erbschaftssteuern geben?
Es wird eine Umverteilungsdebatte geben müssen. Wenn man über die Abschaffung der Kalten Progression spricht, wird es gleichzeitig in unteren Einkommensbereichen weitere Unterstützung geben müssen. Es muss noch vor dem Herbst mit einem Entlastungspaket gehandelt werden.

Direktzahlungen an Menschen, die mehr unter der Inflation leiden?
Ausgleichszahlungen, um das Inflationsthema abzufedern. Ich habe in Wien 120 Millionen Euro als Energieunterstützung plus ins Leben gerufen. Und wir werden weiter investieren und Mittel zur Verfügung stellen, um Druck abzufedern. Ich mache mir auch große Sorgen um den Mittelstand, der immer mehr unter Druck gerät. Hier muss man auf Jungfamilien achten und alle, die Unterstützung brauchen. Die Aufgabe der Politik wird es sein, das Leben leistbar zu halten. Das können zwei bis drei aufwendige Jahre werden. Aber sonst gerät das gesellschaftliche Gleichgewicht durcheinander und das werden wir wohl alle nicht wollen.

Woher wird das Geld für diese Maßnahmen kommen?
Wir werden auf europäischer Ebene zu diskutieren haben, wie die Maastricht-Regeln für die nächsten Jahre aussehen. Da muss man Dinge, die nicht mehr zeitgemäß sind in Angriff nehmen. Wir haben unter Covid gesehen, dass sich Europa bewegen kann. Es muss auch beim Themen wie Energie oder Finanzierung von Maßnahmen gelingen, neue Wege zu beschreiten.

Also Staaten sollen Geldmittel aufnehmen dürfen und die Maastricht-Regel, dass der staatliche Schuldenstand nicht mehr als 60 Prozent des BIP betragen darf, soll fallen?
Jetzt, wo wir Stabilität brauchen, muss es zusätzliche Finanzierungsoptionen geben. Anders wird es nicht gehen.

Aber keine neuen Steuern?
Momentan geht es nicht um neue Steuern, bei der Belastung des Faktors Arbeit liegen wir ohnehin im Spitzenfeld. Wir müssen jetzt auf die Ankurbelung des privaten Konsums achten, davon leben wir. Das geht nur durch Erleichterungen nicht durch Steuern.

Die Forderungen nach Vermögenssteuern ist aber schon noch im Programm der SPÖ, oder?
Die Ausgewogenheit des Maßnahmenbündels wird entscheidend sein, damit es von den Menschen akzeptiert wird. Den Bürgerinnen und Bürgern hat man sich am Ende ja auch zu stellen.

ZUR PERSON: Peter Hanke studierte Betriebswirtschaft und war von 1993 bis 2018 bei der Wien Holding tätig, seit 2002 als Geschäftsführer. Im Mai 2018 wechselte er in das Regierungsteam des neuen Wiener Bürgermeisters Michael Ludwig. Er ist für die Wirtschaft und Finanzen sowie die Wiener Stadtwerke zuständig.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News-Magazin Nr. 22/2022.