Peter Hanke: "Impfpflicht sollte auch am Arbeitsplatz gelten"

Wiens Wirtschafts- und Finanzstadtrat Peter Hanke erwartet nach dem Stopp des Lobautunnels ein finanzielles Angebot der Klimaministerin, dass Wien besser durch die Coronakrise kommt als befürchtet, und steht zur Impfpflicht.

von Politik - Peter Hanke: "Impfpflicht sollte auch am Arbeitsplatz gelten" © Bild: Ricardo Herrgott

Während wir dieses Interview führen, wird vor dem Rathaus gegen den Bau der Stadtstraße demonstriert. Die Stadtregierung sagt: Die Entwicklung Wiens hänge von dieser ab. Wenn die an einer Straße hinge, wäre da nicht etwas schiefgelaufen?
Es wäre tatsächlich schlimm, wenn wir dieses Projekt verwerfen. In einer Stadt wie Wien gibt es nicht so viele Entwicklungsbereiche. Hier geht es um ein Wohngebiet für bis zu 60.000 Menschen, das erschlossen werden muss, und natürlich geht es da am Ende um Straßen, die befahren werden. Ich glaube aber, dass diese Diskussion viel zu vereinfacht geführt wird. Es hängt ja auch davon ab, wie diese Straßen geführt sind, wer auf diesen Straßen fährt und wie der Mix aussieht, den wir mit öffentlichen Verkehrsmitteln haben. Aber wir brauchen dieses Straßennetzwerk, um eine prosperierende Wirkung zu erzielen. Die jungen Leute fordern zu Recht, dass man vorsichtig mit dem Zukunftsthema Klimakrise umzugehen hat. Andererseits wissen wir, dass Stadtentwicklung eben auch Infrastruktur bedeutet. Und wir tun ja auch viel beim öffentlichen Verkehr.

Der Lobautunnel wurde von der Verkehrsministerin abgesagt. Sie sagt, es werde Alternativen geben. Gibt es dazu Überlegungen Wiens?
Wir haben diesen 15 Jahre lang auf sauberer inhaltlicher und rechtlicher Basis geplant. Jetzt von uns wenige Wochen nach der Entscheidung Alternativen zu verlangen, ist überzogen. Der Ball liegt bei der Ministerin, sie muss nachbessern. Wir werden sicher mitziehen, wenn es darum geht, den öffentlichen Verkehr sinnvoll auszubauen. Aber auch hier geht es um große Investitionen. Das ist ja nicht mit einer Buslinie erledigt. Da braucht es Infrastruktur und Anschaffungen in Milliardenhöhe.

Der politische Erfolg, den Lobautunnel zu stoppen, muss Leonore Gewessler also etwas wert sein?
Das muss ihr etwas wert sein, und wenn sie verantwortungsvolle grüne Politik macht, muss sie sich die Frage gefallen lassen, wie die Finanzierung von Alternativen aussieht.

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Und wenn es ein - finanziell - interessantes Paket gibt, sagt Wien: "Okay, wir brauchen den Tunnel eh nicht"?
Ob es so leicht ist, das Nein zum Tunnel hinzunehmen -da wäre ich vorsichtig. Aber wir müssen die Entscheidung derzeit zur Kenntnis nehmen. Das gehört zu einer vernünftigen Politik dazu. Wir versuchen, in Wien immer den Schulterschluss zu all jenen herzustellen, die im Interesse der Stadt und des Landes agieren. Daher ist es selbstverständlich, dass wir ihre Angebote prüfen und, wenn sie sinnvoll sind, miteinander in die Umsetzung treten.

Warum tut sich die Stadtregierung mit jenen Menschen, die da protestieren und gegen den Klimawandel kämpfen, so schwer? Früher war man doch stolz auf die Wiener Gesprächskultur?
Ich denke, wir leben in einer Zeit, in der Inhalte, Emotionen und Schlagzeilen zu einer sehr starken Polarisierung führen. Da ist eine Gesellschaft aufgefordert, wieder mehr Ruhe zu entwickeln, das Gespräch und die Diskussion zu suchen, aber auch Verständnis dafür zu haben, dass es unterschiedliche Interessen in einer Zwei-Millionen-Stadt gibt. Daran müssen wir auch selbst arbeiten und Gesprächsbereitschaft leben.

»Junge Leute fordern zu Recht, dass man vorsichtig mit dem Thema Klimakrise umgeht«

Ins Lobau-Camp fahren und sagen: "Reden wir"?
Es gibt Gesprächseinladungen. Aber wir leben in einem SMS-Zeitalter, wo Kurzmeldungen alles andere ausstechen und Dinge simplifiziert dargestellt werden. Das führt genau zu dem Bild, das wir eben besprochen haben. Davon müssen wir weg. Wir müssen zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung kommen, die zwei, drei Stunden dauern kann, bei der man die Interessen und Positionen abwägt.

Wien will bis 2040 CO2-neutral sein. Dazu müssen bis zu 150.000 Tonnen CO2 pro Jahr eingespart werden. Wie wollen Sie dafür Mobilität und Wirtschaft umbauen?
Ich setze da auf die "Innovationsstrategie 2030", die sechs Spitzenthemen definiert, mit denen wir Klimaneutralität erreichen und Innovationen setzen können, die einen Mehrwert für die Stadt haben. Natürlich muss man bei der Mobilität ansetzen, da geht es etwa um das Thema der "letzten Meile", wo wir ein Schwerpunktprogramm mit 100 Mobilstationen haben und auf Elektroantrieb und Sharingprinzip setzen. Ein anderes Thema ist "smarte Produktion in der Großstadt". Welche Veränderungsprozesse müssen traditionelle Unternehmen bewerkstelligen? Als Stadt versuchen wir, unsere Investitionen punktgenau zu tätigen. Bis 2025 werden die Wiener Stadtwerke 4,2 Milliarden Euro im Bereich Klimaneutralität investieren. Mit dem Technologiefenster, das derzeit aufgeht, können wir spannende Wege beschreiten, wirtschaftlichen Mehrwert erzielen, Arbeitsplätze neu schaffen und zeigen, dass wir die Aufgaben der Zukunft verstanden haben.

Was sind die Jobs der Zukunft in Wien?
Die Klimaneutralität bringt Veränderungen in allen Lebensbereichen: Mobilität, Heizen, Energieverbrauch, aber auch beim Thema Arbeit. Die neuen Technologien haben Homeoffice ermöglicht. Vieles, das wegen der Pandemie zu Hause gemacht worden ist, wird dort auch bleiben. Die neuen Technologien machen das möglich. Wir werden dadurch Wege einsparen können. Zu den Branchen der Zukunft gehört auch der Energiesektor. Hunderttausende Wohnungen brauchen neue Heizsysteme, da geht es um Technologie von Geothermie bis Wärmepumpen. Es wird eine Vielzahl von Unternehmensgründungen in diesem Bereich geben. Ein anderes Feld ist die Gesundheit, wo wir in Wien in der Pandemie etwa beim Testen und Impfen zeigen konnten, dass wir schneller sind als andere und Sicherheit generieren.

»Wir werden nicht die Sorge haben, dass wir zu wenig Arbeit für die Menschen haben. Eher umgekehrt«

Gibt es die nötigen Fachkräfte für diese Berufsfelder?
Wir arbeiten daran. Wir haben etwa ein Projekt, Frauen in MINT-Bereiche bei den Wiener Linien, wo wir mit dem AMS eine Ausbildung aufgesetzt haben, in der jetzt die ersten neun Frauen, die bisher nie in dem Bereich gearbeitet haben, einen Lehrabschluss in angewandter Elektrotechnik gemacht haben. Die Ausbildung ist kurz und knackig in einer der modernsten Lehrwerkstätten, die wir haben. Wir setzen einen Schwerpunkt in flotter, konzentrierter Weiterbildung, weil die Menschen solche Modelle brauchen. Im Bereich Pflege machen wir das schon länger.

© Trend/Sebastian Reich

Wie viele Arbeitsplätze können durch die Klimaneutralität entstehen?
Zehntausende. Wir werden in den nächsten Jahren nicht die Sorge haben, dass wir zu wenig Arbeit für die Menschen haben. Eher umgekehrt: dass wir großartige Herausforderungen in dieser Stadt haben, aber möglicherweise zu wenig Menschen dafür.

Derzeit liegt in Wien die Arbeitslosigkeit rund 5,1 Prozent über dem Vorkrisenniveau. Andere Regionen Österreichs liegen schon besser. Woran hakt es?
Wichtig ist mir, dass wir einen historischen Höchststand an unselbstständig Beschäftigen haben. Das ist ein gutes Zeichen. Aber es ist richtig, die Arbeitslosigkeit hat noch nicht den Wert von 2019 erreicht. Urbane Systeme sind von der Krise anders betroffen. Aber wir haben mehr Start-ups und mehr internationale Betriebsansiedlungen, als wir geglaubt hätten, da haben wir den drittbesten Wert in den letzten 20 Jahren erreicht. Man sieht, der Wirtschaftsstandort Wien hat in der Pandemie nicht an Attraktivität verloren und wir profitieren vom Brexit, weil man Österreich als Ort hoher Lebensqualität schätzt, was natürlich Unternehmen anzieht. Im Bereich Arbeitslosigkeit kämpfen wir mit allen möglichen Mitteln: ein Jugendausbildungsprogramm für Lehrlinge, Unterstützungspakete für stark betroffene Branchen wie Tourismus und Kongressveranstaltungen oder die Joboffensive 50plus, durch die wir Unternehmen erfahrene Menschen zur Seite stellen und im ersten Halbjahr 100 Prozent der Gehälter und Lohnnebenkosten finanzieren, im zweiten Halbjahr 70 Prozent.

Im ersten Lockdown im März 2020 waren wir ebenfalls bei Ihnen. Es war ganz still in der Stadt, alles zu. Hätten Sie damals gedacht, dass sich die Pandemie und ihre Folgen so lange hinziehen werden?
Sicher nicht. Aber wir können sagen, wir sind bisher besser durch diese Zeit gekommen, als wir anfangs befürchtet haben. Natürlich gibt es Branchen, die schwerst darniederliegen, wie der Städte-und Kongresstourismus, aber der Schaden ist nicht so groß wie angenommen. Über die "Stolz auf Wien" Beteiligungs GmbH sind wir bisher 21 Beteiligungen mit Unternehmen eingegangen, haben über zehn Millionen Euro investiert und 500 Arbeitsplätze gesichert. Die Bundesregierung schlägt nun mit einem "Stolz auf Österreich"-Fonds unseren Weg ein. Das freut mich.

»Das Gebot der Stunde ist, die Hand auszustrecken und Lösungen zu finden«

Die Schulden der Stadt sind in der Pandemie gestiegen.
Das kürzlich beschlossene Doppelbudget ist kein ausgeglichenes, wie wir es 2019 realisieren konnten. Das ist der Pandemie geschuldet und der Tatsache, dass wir als Stadt das Wichtigste tun: nämlich in Infrastruktur und Klimaneutralität zu investieren, und zwar so viel wie noch nie zu vor. Über fünf Milliarden Euro in zwei Jahren. Die Fiskalthematik von Städten und Gemeinden ist allerdings, dass jeder Euro, den wir investieren, als Defizit gewertet wird. Da gibt es nicht die Abschreibemodelle einer GmbH oder AG. Aber man muss immer wieder sagen, dass das keine Schulden sind, sondern dass dafür Werte geschaffen werden.

Können Sie beziffern, was uns die Coronakrise kostet?
Sie kostet uns schon mehrere Milliarden Euro durch direkte Aufwendungen und Ertragseinbußen. Ich bin mit endgültigen Zahlen vorsichtig, denn es geht auch darum, welches Rezept gefunden wird, um diese zu egalisieren. Die Wirtschaftsforscher gehen für Wien ja von einem Wachstum von fünf Prozent aus. Aber dass wir tatsächlich nach zwei Jahren immer noch über dieses Thema sprechen, zeigt auch, dass man mit Prognosen vorsichtig sein muss. Bei einer neuen Mutation oder irgendeinem anderen Problem gibt es gleich eine andere wirtschaftliche Lage. Gut ist, dass privates Kapital vorhanden ist, das investiert werden möchte, es gibt seitens der Stadt Investitionen, weil wir die Klimaziele erreichen wollen. Grundsätzlich ist eine positive Energie spürbar.

Wie sehr schaden wöchentliche Demos dem Handel?
Das ist eine schwere Belastung für die inneren Bezirke. Ich bitte alle, hier Vernunft walten zu lassen. Der Handel ist schwer gezeichnet von den letzten zwei Jahren. Es geht um Hunderte Arbeitsplätze. Das erfordert gesellschaftliche Solidarität. Ich glaube, dass dieses Wort in diesen Jahren neu geschrieben werden muss. Wir müssen ein Stück näher zusammenrücken. Eine Pandemie wäre doch etwas, wo man sich im Sinne der Vernunft die Hand reichen sollte, um schwere Zeiten besser zu überstehen.

© Trend/Sebastian Reich Peter Hanke, 57, wechselte 2018 aus der Wien Holding, deren Geschäftsführer er war, in die Stadtpolitik

Wird sich das gesellschaftliche Klima durch die Impfpflicht noch verschärfen?
Ich bin nicht glücklich, dass wir zu solchen Mitteln greifen müssen. Eigentlich müsste die Sache auch so klar sein. Wenn es ein Mittel wie das Impfen gibt, um die Krise zu bewältigen, sollte jeder von uns davon Gebrauch machen. Es ist aber leider diese Impfpflicht notwendig geworden, und ich stehe zu ihr.

Wären Sie für eine Impfpflicht am Arbeitsplatz?
Nach einer Einschleifphase sollte die Impfpflicht auch am Arbeitsplatz gelten. Es wäre ja unlogisch, zu sagen, im Beruf ist uns dieses Thema weniger wichtig.

Wie halten Sie es damit bei den Wiener Betrieben?
Genauso. Wir leisten Überzeugungsarbeit, führen Mitarbeitergespräche, Sorgen muss man ernst nehmen und sie diskutieren, dazu fordere ich alle meine Manager auf. Aber am Ende ist wichtig, dass wir diesen Zusammenhalt in der Gruppe finden.

Wie ist Ihre Gesprächsbasis mit dem neuen Bundeskanzler?
Sehr gut, ich schätze ihn. Es ist wichtig, dass wir in dieser Phase der gesellschaftlichen Umbrüche Stadt und Land nicht auseinanderdividieren. Das Gebot der Stunde ist, die Hand auszustrecken und über Parteigrenzen hinweg Lösungen zu finden.

Dieses Interview erschien ursprünglich im News 03/2022.