Der König der Niemandsbucht

Peter Handke im News-Interview

Die Uraufführung seines neuen Stücks an der Burg gilt als Ereignis des Kulturjahres. Peter Handke empfing News in seinem Haus bei Paris zum Gespräch über Gott und die bedrohlich gewordene Welt.

von Peter Handke © Bild: Sebastian Reich

News: Herr Handke, wie lebt es sich denn hier nach den Anschlägen von Paris?

Handke: Können Sie mich nicht etwas Einfacheres fragen? Ich weiß nicht, wie "es“ sich lebt. Ich lebe hier in der Niemandsbucht, umgeben von Wäldern. Chaville ist ja kein Vorort von Paris, sondern liegt zwischen Paris und Versailles, ganz für sich, vielleicht auch durch die Natur, die in dem Kaff besonders akzentuiert ist. Aber ja, die Ereignisse von Paris sind eine gewaltige Wunde. Wenn nichts noch Schlimmeres passiert, wird Paris immer mit diesen jungen Toten verbunden sein. Das Gedächtnis von Paris wird das Gedächtnis dieser 120 Gemetzelten sein.

News: Wie konnte es so weit kommen?

Handke: Hören Sie doch auf! Ich bin doch kein Politiker, der zu allem Stellung nimmt! Fragen Sie die Experten, die im Nachhinein immer alles besser wissen! Aber wie man den Irak zerstört hat, Libyen zerstört hat, so wie vorher Jugoslawien: So geht es nicht. Diese humanitären Teufel aus dem, was man Okzident nennt, die heute die Welt beherrschen, müssen sich endlich Rechenschaft geben. Es geht nicht, mit amerikanischen Flugzeugen in Pakistan einzufallen, Bin Laden zu killen und wieder zu verschwinden! Und der Präsident Obama sieht zu und hat die Beine auf dem Tisch. Das ist eine Demütigung einer anderen Welt, die auch die Welt ist, wie immer man zum Islam steht. Terror ist in keiner Weise zu rechtfertigen. Aber wie Frankreich Libyen zerstört hat und wie Sarkozy seinen Freund Gaddafi, den er vorher im Garten des Élysée-Palasts bewirtet hatte, einfach hat umlegen lassen! Unter den Vorzeichen der Demokratie ist heute jedes Staatsverbrechen möglich geworden. Die Demokratie ist missbraucht. Aber der Islam ist auch ein großes Problem.

News: Inwiefern?

Handke:Das Problem ist der Ehrgeiz, den letzten aller Propheten zu haben, und der letzte muss der größte sein. Wenn eine Religion alle anderen übertreffen will, ist das ein tiefer Mangel. Was Jesus gesagt hat und in den Evangelien steht, kann man nicht übertreffen. Natürlich kann man sagen, dass das Christentum in der Gestalt des Papsttums vor fünf-, sechshundert Jahren trotz der Evangelien, trotz der Bergpredigt, eine ungeheuer aggressive Religion war. Aber man darf das nicht mit jetzt vergleichen. Jetzt ist jetzt. Wir müssen von jetzt reden, das Jetzt beschreiben und analysieren.

News: Angela Merkel nannte den Islam einen Teil Deutschlands. Damals widersprachen auch linke Intellektuelle: Unsere kulturelle Basis sei griechisch-jüdisch-christlich.

Handke: Ach, dass Frankreich ein christlicher Staat ist, sagen auch die Le-Pen-Leute.

News: Die in Frankreich fast die Wahl gewonnen hätten und dann doch durchgefallen sind, so wie die FPÖ in Wien.

Handke: Weil sie nichts anzubieten haben. Wir erleben es in Frankreich, wenn die Rechtsradikalen in die zweite Reihe der Macht gelangen: Ihr einziges Ziel ist, sich wie eine unauffällige konservative Partei zu verhalten. Nein, mit der Rettung des Abendlandes kann ich nichts anfangen. Ein Staat war nie christlich. Ein Mensch kann christlich sein. Und ab und zu, in der Eucharistie oder in der Kunst, kommen die christlichen Seelen zusammen und treffen sich im schönen Unendlichen. Aber wir haben überhaupt keine christliche Tradition. Schauen Sie sich die Moschee von Córdoba an und was die christliche Religion mit ihrer Fratzenhaftigkeit, ihren Skulpturen anstelle des herrlichen geistwehenden Ornaments in der Moschee angerichtet hat - das ist eine Barbarei sondergleichen. Wenn wir von unserer christlichen Kultur sprechen, müssen wir auch von unserer barbarischen Kultur sprechen. Ob man es Kultur nennt, ist eine andere Frage, aber heute ist ja alles Kultur: die Kultur der Gewalt, die Kultur des Schuhbandl-Zuschnürens … Jetzt hat der Papst die Kultur der Barmherzigkeit ausgerufen. Die heutige Welt ist so infantil und zugleich totschlägerisch! Für die meisten Menschen existiert der Mensch nur noch in den Medien. Es gibt kein Gegenüber mehr.

News: Gefällt Ihnen der Papst nicht?

Handke: Die Menschen brauchen, scheint’s, einen Scheinvater. Wenn er sagt, Jesus war für die Information, zieht es mir die Sandalen aus. Die Religion darf sich nicht anbiedern.

News: Ihr neues Stück heißt "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“. Es handelt vom letzten Bewohner einer Google-freien Enklave. Verschmähen Sie immer noch den Computer und das Internet?

Handke: Ich bin nicht dagegen, aber ich brauche es nicht.

News: Elfriede Jelinek sagt, sie wisse gar nicht, wie sie ohne Computer je habe schreiben können.

Handke: Fangen Sie mir nicht mit dem Computer an! Schon das Wort geht mir auf die Nerven. Ich habe hier meine Bleistifte, meinen Radiergummi und mein Papier. Das genügt mir. Ich schreibe schön, man kann es lesen, und es gibt eine Frau in Frankfurt, die ich für das Abschreiben bezahle und die das Ergebnis als CD an den Verlag schickt.

News: Reden Sie über Ihr Stück?

Handke: Es ist eine weite, tiefsinnige, theatralische Geschichte, und "ich“ bin ja nicht ich. Dieses Ich ist zugleich ein Narr, ein König und ein falscher Zauberer wie bei Shakespeare. Es kämpft mit sich selbst, und es geht nicht darum, wer stärker ist, ich oder ich, sondern was besser ist: das Epische oder das Dramatische. Ich fürchte nur, dass es unter den heutigen Auspizien sehr schwierig wird. Es kommt einem ja schon veraltet vor, ein Stück zu schreiben, mit Konfrontationen, Situationen, Dialogen und Monologen. Aber mir gefällt es ganz gut, das Gefühl zu haben, etwas falsch anzufangen. Gerade dadurch, dass ich etwas angefangen habe, an das man nicht mehr glaubt, nämlich ein Stück zu schreiben - gerade dadurch schrammt es an der Wirklichkeit. Es ist immer noch ein herrliches Abenteuer, auch wenn es zu nichts führt.

News: Zu Peymanns Zeit war das Burgtheater Ihr Heimathaus. Wird es das jetzt wieder?

Handke: Mein Heimathaus hat es nie gegeben. Die Feldhütten früher aus verwittertem Holz, die mitten in den Getreidefeldern gestanden sind, wo die Leute nach dem Mähen ihren Most getrunken und gejausnet haben, wo es schattig war und oft ein Holunderbusch stand: Das waren Heimathäuser. Aber nicht das Burgtheater.

News: Peymann inszeniert jetzt Ihre Uraufführung. Ich erinnere mich, dass Sie sich mehrfach jüngere Regisseure gewünscht haben.

Handke: Ja, ich vermisse den einen oder anderen Jungen. Die älteren Stücke werden ja auch immer wieder mit neuem Blick gespielt.

News: Im Volkstheater hat der junge tschechische Regisseur Dušan David Parízek Ihre "Selbstbezichtigung“ mit biografischen Details der Darstellerin verschnitten. Erlauben Sie das?

Handke: Ich wurde ja gar nicht gefragt, aber ich kann es auch nicht verbieten.

News: Max Frisch hat aber seinerzeit ein Theater wegen Entstellung seines Stücks verklagt.

Handke: Das waren andere Zeiten, andere Sitten. Ich denke mir: Jeder soll in die Hand nehmen und in die Luft werfen, was ein anderer geschrieben hat. Hauptsache, es kommt etwas Luftiges heraus.

News: Und wenn jemand Ihr Stück umdreht, eine faschistische Ideologie hineinbringt?

Handke: Da wäre ich gar nicht dagegen. Wenn es kräftig und zugleich widersprüchlich abrollt, warum nicht?

News: Peter Turrini schreibt nach Jahren wieder ein Stück zur politischen Lage. Er sagt, er erträgt es nicht, zum Flüchtlingselend zu schweigen. Elfriede Jelinek thematisiert mit ihren Texten verzweifelt die Realität. Wie halten Sie das?

Handke: Ich kann das nicht verstehen. Natürlich, die Wirkung ist schon garantiert, weil die Zuschauer sofort wissen, worum es geht. Aber es ist eine Wirkung mit Ablaufdatum. Ich kann das nicht: was schon in der Öffentlichkeit ist, zu multiplizieren. Die Ereignisse der Shakespeare’schen Königsdramen waren Jahrhunderte vorher, das war schon Legende und Raunen, und doch hat noch ein Wissen hereingespielt. Das entspricht mir mehr: aus dem Fast-Nichts eine Realität herzustellen. Es muss viel Zwischenraum aus Träumen entstehen.

News: Man kann also nicht literarisch über die derzeitige Völkerwanderung schreiben?

Handke: Ich möchte sie nicht auf der Bühne sehen. Ich werde da keinen Eintritt bezahlen. Die Abonnenten schon, die sind ja wie die Lemminge. Ich finde die Thematisierung des Migrantenelends oder der Opfer von Paris tabu. Aber es gibt ja keine Tabus mehr. Das ist ein Teil der Infantilisierung: "Everything goes.“ Ich habe gerade einen hochgelobten Film von Nanni Moretti gesehen, in dem das Sterben einer Frau minutiös nachgeahmt wird. Ich halte das für Pornografie des Sterbens.

News: Kommen daher Ihre Vorbehalte gegen Michael Haneke?

Handke: Haneke ist ein übler Naturalist, Denunziant, Mystifikator und Ideologe. Er zeigt im "Weißen Band“ irgendein Dorf und unterstellt, dass es zum Ersten Weltkrieg kam, weil es in diesem Dorf so war, wie es war. Er behauptet zu zeigen, wie die Welt ist, nämlich schlecht und ein Gefängnis. Das lasse ich mir in der Kunst nicht bieten. Ich weiß nicht, wie die Welt ist.

News: Zuletzt hat es bei Ihnen übel eingeschlagen, die Freunde sind einer nach dem anderen gestorben, erst Gert Voss, zuletzt Luc Bondy. Macht Ihnen das keine Angst?

Handke: Jetzt hören Sie schon mit dem sentimentalen Herumgerede auf! Der Tod trägt doch auch zur Kantilene des Lebens bei, oder? Ohne das Hintergrundleuchten aus dem Sternenhimmel kann man nicht über das Leben sinnieren.

News: Ihre Frau und Ihre Tochter leben nicht bei Ihnen. Sind Sie allein?

Handke: Was geht Sie denn das an? Ich bin allein und nicht allein. Je alleiner man ist, desto bevölkerter ist doch das Leben. Ich war ja nach meinem Auszug aus Salzburg drei Jahre durch die Welt unterwegs, fast ohne einen Menschen zu sehen. Wenn man liest und sich mit den Kunstwerken der Welt konfrontiert, ist das ein Gespräch mit der Welt. Das ist natürlich nicht alles. Ohne Kinder und ohne das Geheimste, das man hat und liebt, geht’s ja nicht.

News: Sie lieben also jemanden? Wen denn?

Handke: Das ist eben das Geheimnis. Die Liebe aus dem Abstand ist ein gewaltiger Dialog - eigentlich ein Monolog, und ab und zu hat man das Gefühl, es kommt aus der Ferne zum Dialog.

News: Sind Sie Ihren beiden Töchtern eng verbunden?

Handke: Naturgemäß, wie Thomas Bernhard sagen würde, bin ich mit der jüngeren mehr verbunden. Sie ist 24 und lebt in Paris. Wir sehen einander oft.

News: Tragen Sie sie auf Händen, wie es sich für einen Vater gehört?

Handke: Zu sehr, ja.

News: Meine Große ist jetzt 14 und etwas unwirsch zu mir.

Handke: Das gehört doch dazu! Die Kinder brauchen in diesem Alter Widersacher. Nicht Feinde, aber Widersacher. Die Nächsten sind dann die geeignetsten, weil man sie zur Hand hat.

News: Sie waren heuer den Wettbüros zufolge dem Nobelpreis näher als je zuvor.

Handke: Das heißt doch gar nichts!

News: Bekommen hat ihn dann Swetlana Alexijewitsch, die Reportagen schreibt.

Handke: Vielleicht sollte ihn im nächsten Jahr ein Sportreporter bekommen oder ein Gerichtsreporter? Heute ist alles möglich. Ich bin als ehemaliger Staatspreisträger im österreichischen Kunstsenat. Ich habe dort schon vor Jahren Alfred Kolleritsch für den Staatspreis vorgeschlagen und bin auf totales Unverständnis gestoßen, weil niemand wusste, dass Kolleritsch auch herrliche Gedichte und Romane geschrieben hat. Die hielten ihn für einen Zeitschriftenherausgeber, weil er die Literaturzeitschrift "Manuskripte“ macht. Jetzt hatte ich eine Idee, die Fleisch und Geist hat: Ich wollte den großen slowenisch-österreichischen Autor Florjan Lipuš auszeichnen, vor allem für den Roman "Boštjans Flug“, für mich eines der drei, vier Bücher von Weltliteratur, die in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg geschrieben worden sind. Er erzählt von Florjans Mutter, die einem Partisanen Brot gegeben hat und dafür im KZ vergast worden ist, zusammenfantasiert mit einer Liebesgeschichte, die man in solcher Innigkeit noch nie gelesen hat, so, wie es nur in einer slawischen Sprache möglich ist. Dieses Meisterwerk wurde vom Kunstsenat zurückgewiesen: Man kannte Florjan Lipuš nicht, obwohl er bei Suhrkamp erscheint und auch Josef Winkler sehr für ihn votiert hat. Das Argument war, dass man ihn nicht beurteilen kann, weil er ja übersetzt ist. Das heißt, ein österreichischer Schriftsteller slowenischer Sprache kommt nicht einmal für die Erörterung zum Großen Österreichischen Staatspreis infrage! Ich finde, dass der Kunstsenat sich damit disqualifiziert hat und abgeschafft werden sollte.

News: Ich möchte noch einmal auf den Nobelpreis zu sprechen kommen. Hätten Sie ihn gern?

Handke: Das ist eine alberne Frage, und meine Antwort kann nur noch alberner sein: Ich verdiene ihn nicht, weil er sinnlos ist. Der Nobelpreis ist recht, wenn er Chemie, Physik oder Medizin betrifft. Aber die Preise für Literatur und Frieden sind irreal und seit Langem disqualifiziert. Es gibt seit Langem keine wirklich überzeugenden Zuerkennungen mehr, wo man gesagt hat: "Ja, das ist es.“ Vielleicht sind wir ja alle nicht mehr so bezeichnend. Die Literatur ist nicht mehr die Leitkultur, die sie einmal war.

News: Der Friedensnobelpreis für Obama war fraglos eine Seltsamkeit.

Handke: Das Wort "seltsam“ sollte man für etwas anderes aufbewahren. Für etwas Edleres als Obama.

News: Ist Ihr starkes Gefühl für Serbien, das Gefühl einer verlorenen Heimat, schon kühler geworden?

Handke: Das war immer relativ kühl, aber das heißt ja nicht, dass die Flamme nicht noch vorhanden ist. Man sagt ja von kühlen Frauen, dass da die Flamme stärker ist, denken Sie an die Hitchcock-Frauen, Grace Kelly und Tippi Hedren. Ich bin jedes Jahr zwei, drei Mal in Jugoslawien. Jetzt habe ich es als Wanderland entdeckt, als Land zum Gehen, wo ich mich tagelang durchschlage.

News: Sie machen nach wie vor lange, einsame Wanderungen?

Handke: Ja, es geht noch, wenn ich Ihren besorgten Ton richtig deute.

News: Sind Sie denn in Form?

Handke: Ach, ja. Goethe hat seine Enkelkinder sehr geliebt, außer wenn sie gelärmt haben, da hat er das Fenster aufgemacht und in den Hof hinausgeschrien. Und dann sah er sie an und sagte: "Ach, ja.“ Das war sein wichtigstes Wort im Alter. Und meines wird es auch.

News: Hätten Sie nicht auch gern Enkel?

Handke: Nein. Das beschäftigt mich nicht. Kinder ja. Aber ich komme aus einer Kleinbauern-, Knechte- und Handwerkerfamilie. Da gibt es kein dynastisches Denken.

News: Wie oft sind Sie eigentlich in Österreich?

Handke: So oft wie in Serbien. Zwei, drei Mal im Jahr.

News: Und wann kommen Sie ganz zurück? Bundespräsident Fischer hatte ja schon Anstrengungen unternommen, für Sie ein Haus zu finden.

Handke: Das ist die dümmste Frage, und sie wird nie etwas bringen. Ich bin hier, ich habe meine Verantwortung für den Ort, den Raum, den Garten, die Gegend. Das will ich bewahren, wie es ist, zwischen wild und zivilisiert. Meine Frau und ich haben seit fünf Jahren ein Haus im Nordwesten von Frankreich, wo ich auch schreibe. Ich habe einen Nussbaum gepflanzt, drei Apfelbäume und einen Kirschbaum, und mir tut auch die Nähe zu Paris gut.

News: Der Fußball kann Sie auch nicht zurückbringen? Was sagen Sie denn dazu, dass die Österreicher diese Sportart plötzlich wieder beherrschen?

Handke: Ich war im September in Österreich und habe in dem Gasthaus, in dem ich übernachtet habe, das Spiel gegen Moldawien gesehen und später das gegen Schweden, als ich mit meiner Tochter im Kamptal wandern war. Es war ein fantastisches Spiel, so frei und frech und großzügig, nichts von diesem österreichischen Beleidigtspielen nach einem kleinen Foul. Wir sind Nummer zehn in der Rangliste und in einer Gruppe, in der wir gute Chancen haben!

News: Wird die Europameisterschaft nicht von der Angst vor dem Terror überschattet werden?

Handke: Das Spiel muss weitergehen. Ohne Fußball wären die Tage ein bisschen leerer, als sie sind. Ich schaue im Café am Bahnhof mit dem algerischen Patron oft bis in die Nacht Fußball aus ganz Europa. Er ist für Marseille, ich bin für Paris Saint-Germain. Ich würde auch gern zu Spielen gehen, aber da muss man sich anstellen, und Paris Saint-Germain lädt immer nur all diese Präsidenten ein, nicht mich.

News: Sind Sie auch Anhänger eines österreichischen Clubs?

Handke: Die kenne ich nicht mehr. Damals bin ich zu Austria Salzburg gegangen, das jetzt Casino heißt. Der Kassenwart war mein Briefträger und hat mir immer die Neuigkeiten aus der Kabine erzählt.

News: Schreiben Sie eigentlich immer noch so rastlos?

Handke: Ich schreibe überhaupt nicht rastlos. Das Schreiben ist für mich die Ausnahme, ein anderer Planet. Es gibt Monate, wo ich den Schreibtisch, wo immer er steht, scheue, aber manchmal mit Sehnsucht aus der Ferne hinschaue. Ich hab eine große Scheu vor dem Schreiben. Nicht vor dem Notieren. Wenn ich so gehe und mich etwas anfliegt, ist das schön. Es fliegt einen an, und zugleich wird man geerdet. Aber das richtige Arbeiten ist mir ganz unheimlich.

News: Aber es erscheint doch von Ihnen mehr als von jedem anderen großen Schriftsteller.

Handke: Ja, wenn ich schreibe, dann schreibe ich.

News: Am Schluss traue ich mich doch noch über die Frage: Hat sich mit Ihrem 70. Geburtstag etwas geändert? Sind Sie besonnener, weiser geworden?

Handke: Ich habe den H. C. Artmann einmal gefragt, ob zwei seiner fünf Kinder nicht doch von ein und derselben Frau sind. Da hat er geantwortet: "Bist deppert?“ Das antworte ich jetzt Ihnen auf die Frage, ob ich weise geworden bin.

Zur Person
Peter Handke wurde 1942 in Griffen geboren und ist einer der bedeutendsten Autoren der österreichischen Literaturgeschichte. Sein Eintreten für Serbien im Jugoslawienkrieg war Gegenstand erbitterter Debatten. Heute lebt er in Chaville bei Paris. Handke hat zwei erwachsene Töchter: Amina aus der Ehe mit Schauspielerin Libgart Schwarz, Leocadie aus der aufrechten Ehe mit der französischen Schauspielerin Sophie Semin.

Neues Buch Literaturkritiken aus den 60ern, Kommentare, die Replik auf die Aberkennung des Heine-Preises: Der Band "Tage und Werke“ (Suhrkamp, € 23,60) dokumentiert Literaturgeschichte.

Neues Stück Ein Fremdling in der Banalität der Welt, eine geheimnisvolle Frau: "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ wird am 27. 2. im Burgtheater uraufgeführt.

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