"Wien ist die geilste
Stadt der Welt"

Er gilt als Macher und wird beweisen müssen, dass er auch als Stadtrat etwas weiterbringt: Peter Hacker ist für Soziales, Gesundheit und Sport zuständig. In seinen Ansagen ist er sehr direkt -für einen Politiker eher ungewöhnlich

von Peter Hacker - "Wien ist die geilste
Stadt der Welt" © Bild: Lukas Ilgner News

Es gibt schon die typischen Wiener Politikerfotos von Ihnen: alle in einer Reihe, etwas krampfhaft lächelnd. Haben Sie sich schon einmal gedacht: Hab ich das nötig gehabt?
Überhaupt nicht. Ich habe ja intensiv darüber nachgedacht, als mich Michael Ludwig gefragt hat. Es war ja nicht so, dass ich einen neuen Job mit doppelt so viel Gage und Spaß übernommen habe. Es ist ein Job mit riesiger Verantwortung.

Der Geschäftsführer des Fonds Soziales Wien verdient mehr als ein Stadtrat?
Sowieso. Ein Geschäftsführer mit voller kaufmännischer Haftung eines Unternehmens mit 1,5 Milliarden Umsatz verdient definitiv mehr. Als Stadtrat verdiene ich 15.000 brutto. Aber im Vergleich zu Freunden in der Wirtschaft, die zum Teil in viel kleineren Unternehmen tätig sind, war ich immer derjenige, der mit Abstand am wenigsten verdient hat.

Hat Sie das zögern lassen?
Eigentlich nicht, ich hab's ja gewusst. Der entscheidende Punkt war die Erzählung von Michael Ludwig, wie er sich vorstellt, dass wir als Team funktionieren: als unterschiedliche Persönlichkeiten aus unterschiedlichen Welten, aber mit totalem Teamspirit und einer neuen Form der Kommunikation. Er fühlt sich nicht als der Alleinkämpfer, sondern als Moderator dieses Teams.

Und Widerspruch ist o. k.?
Absolut. Wir haben natürlich besprochen, wo es haarig werden könnte: Erwartet er, dass ich meine sozialpolitischen oder meine flüchtlingspolitischen Überzeugungen ändere? Nein, denn sonst hätte ich nicht zugesagt. Aber: Ich war immer ein Teamplayer. Mein Leben lang war Loyalität zu und von meinen Chefs selbstverständlich. Und Ludwig ist der Chef, wer denn sonst?

Was hat Sie als Mensch geprägt?
Meine Erziehung, meine Eltern, meine Großmutter. Mein Vater war Verschieber bei der Eisenbahn, meine Mutter kleine Sekretärin, und wir haben in sehr beengten Verhältnissen gewohnt. Meine Kindheit war geprägt dadurch, dass es einfach kein Geld gegeben hat. Ich bin im 9. Bezirk auf der Klopfstange aufgewachsen, darum kenne ich mehr von der Welt zwischen Gürtel und Prater, als meiner Mutter lieb war. Aber meine Kindheit war auch geprägt davon, dass mein Vater, der nur einen Hauptschulabschluss hatte, beschlossen hat, unglaublich viel zu lernen und alle Prüfungen zu bestehen, um einen Aufstieg bei den ÖBB zustande zu bringen. Und natürlich war Helmut Zilk, in dessen Büro ich gekommen bin, eine prägende Persönlichkeit.

© Lukas Ilgner News

Haben Sie bei ihm gelernt, ein "Macher" zu werden?
Das kann man nicht selber beurteilen. Aber in dem Kernteam von fünf, sechs Leuten um Zilk konnte man ihm aus der ersten Reihe zuschauen, hat alle Aspekte seiner Emotionen, seine Ärgernisse und auch seine verzweifelten Momente erlebt. Er und sein Bürochef haben sich liebevoll um mich gekümmert und haben entscheidende Weichen für meine Entwicklung gestellt.

Viele Neulinge sind frustriert, weil man in der Politik nicht wie als Manager sagen kann: So, das passiert jetzt so, wie ich es entscheide.
Im Management auch nicht, das ist old school. Management ist längst die Kunst, Persönlichkeiten, die in der Regel mehr Detailwissen haben, zu koordinieren, um einen Teamspirit zu haben.

Also erleben Sie keinen so großen Unterschied?
Nein. In der Politik ist aber die kaufmännische und gesetzlich verankerte Verantwortung nicht so klar ausgeprägt wie im Management. Aber das Gefühl für Verantwortung lege ich hier ja nicht ab. Ich hab eh nie ein Machtgefühl gehabt, das ist ein Null-Begriff für mich.

Was ist Wien für Sie?
Für mich ist Wien die geilste Stadt der Welt. Ich bin wahnsinnig stolzer Wiener und kann mir überhaupt nie vorstellen, außerhalb von Wien zu wohnen. Ich bin auch kein Stadtrandmensch, sondern ein Innenstadtmensch. Ich wohne jetzt im 20. Bezirk mit Blick auf verbaute Gebiete des 19. Bezirks und liebe diesen Blick auf die Nordbrücke. Ich fange auch viel an mit der wienerischen Gespaltenheit zwischen Euphorie und: Alles is' oasch. Das ist auch in meiner DNA drinnen. Dieses kernwienerische Nörglertum und gleichzeitig das riesengroße Herz, das die Menschen in dieser Stadt haben -ich liebe diesen Anachronismus. Deshalb habe ich nie ein Problem gehabt, zu den schwierigsten Themen zu Bürgerversammlungen zu gehen. Weil ich selber mit den Emotionen, die dort herrschen, viel anfangen kann und mich auch nicht davor fürchte. Ich hab mich mein Leben lang nicht gefürchtet.

Mögen Sie das sogar?
Ich fange etwas mit den Emotionen an. Als ich damals in Liesing in den riesigen Bürgerversammlungen zum Flüchtlingsheim gesessen bin, da habe ich die Leut' schon verstanden. Ich krieg jedenfalls keinen Schweißausbruch beim Gedanken, in einen Raum von Menschen, voll mit Emotionen, zu gehen und zu diskutieren, ob etwas blöd oder gescheit ist.

Es ist für alle gefährlich, wenn Menschen nichts zu verlieren haben

Widerspruch, auch heftiger, ist auszuhalten?
Ich finde das super, dass es in einer Stadt unterschiedliche Meinungen gibt, die manchmal aufeinanderprallen. Es wäre ja auch urfad, wenn zwei Millionen Menschen alle das Gleiche denken und wollen. Es hat jeder seine eigenen Leidenschaften, Begierden, Träume, Fantasien, und das finde ich wunderbar. Es geht überhaupt nicht drum, alles nach dem gleichen Strich zu kampeln. Stadt ist Widerspruch.

Stadt ist also Vielfalt.
Und Stadt ist Zuwanderung. Die ganze Menschheitsgeschichte sind Menschen aus verschiedenen Gründen in Städte gewandert. Es gibt keine Städte ohne Zuwanderung. Das kann man super finden oder schlecht. Es ist einfach Realität.

Den Wienern, die das nicht super finden, sagen Sie: Das muss man aushalten?
Absolut. Außerdem glaube ich, es gibt keinen Wiener, der nicht spätestens in der dritten Generation einen Zuwanderer in der Familie hat.

Sie auch?
Na sicher. Mein Vater betreibt grad Ahnenforschung, und daher weiß ich, dass kein böhmischer Graf, sondern ein mährischer Schweinehirte im 18. Jahrhundert in meinem Familienstammbaum ist. Also ist irgendwann wer von dort nach Wien zugewandert.

Die Bundesregierung findet grad viel Zuspruch zur Erzählung: Wir wollen die Zuwanderer nicht und karniefeln sie.
Es wird sich in der Arbeitswelt nicht ausgehen, auch nicht im Pensions-und Sozialversicherungssystem, weil wir bekanntlich keine wachsende Gesellschaft haben. Ich verstehe schon, dass die Leute sagen: Ein bissel Zuwanderung ist o. k., aber zu viel sollt's nicht sein. Gleichzeitig gibt es in der Stadt Liebe und Hilfsbereitschaft, die ihresgleichen suchen. Nicht nur in der unpackbaren Phase der Flüchtlingshilfe vor zweieinhalb Jahren, als die ganze Stadt geholfen hat, auch das Engagement heute, wo täglich Leute kranken Kindern oder am Sportplatz helfen.

Aber es gibt eben auch viele Menschen, die einfach "keine Ausländer" wollen. Die werden Sie eher nicht überzeugen.
Ihnen sage ich, dass der Austausch mit anderen Ideen, Kulturen und Lebensformen diese Stadt geprägt hat. Unser Hier und Heute, alles, was wir für Urwienerisch halten, vom Kipferl bis zu den Spaghetti, das ist echt Ur-Nicht-Wienerisch. Urwienerisch ist von mir aus die Kohlsuppe. Ich bin aber auch nicht dafür zu haben, die Leute vor den Kopf zu stoßen: Weil Ihr etwas nicht wollt, geben wir Euch davon die volle Dosis. Es geht um die Balance und um das, was den Leuten am wichtigsten ist: Sie sollen nicht das Gefühl kriegen, dass die, die Verantwortung für die Stadt und das Land haben, die Kontrolle verloren haben.

Dafür sind Sie zuständig.
Ja eh, ich fühle mich auch zuständig. Aber dass wir als Stadt überhaupt Flüchtlingshilfe und Grundversorgung betreiben, ist Ausdruck des Unwillens zur Lösung auf Seite des Bundes. Denn es ist Aufgabe des Bundes. Die Bundeshauptstadt ist nun einmal in vielen Fragen der Nukleus der Republik. Ist so. Wir sind das gallische Dorf inmitten des wunderbaren Bundeslandes, das uns umgibt. Und es gibt viele Beispiele, wo manche Bundesländer und manche Gemeinden es sich leicht machen und den Leuten sagen: Weißt was, schleich dich nach Wien.

Nun schiebt die Regierung die Verantwortung der Stadt zu, kürzt gleichzeitig bei Integrationsmaßnahmen, macht problematische Vorgaben für Schulklassen und kürzt die Mindestsicherung. Wie wird Wien reagieren?
Wir werden nicht danke sagen. Fix nicht. Wir werden das aufzeigen, und die Menschen sagen ja jetzt schon: Hoppala, das habe ich nicht so gesehen, dass es nicht nur diejenigen trifft, die wir eh nicht wollen, sondern es alle trifft. Es werden alle spüren.

Warum halten Sie die Kürzung der Mindestsicherung für schlecht?
Die Mindestsicherung ist keine Benefizien an Faule, sondern das ist das Fundament der Sicherheit für uns alle. Niemand kann sicher sein, dass ihn nicht ein Schicksalsschlag trifft und ihn abstürzen lässt. Und das Gemeinwohl braucht die Sicherheit, dass es im Gemeinwesen niemanden gibt, der nichts mehr zu verlieren hat. Sonst wird es für alle gefährlich. Deshalb ist es in unser aller Interesse, dass es solche Menschen nicht gibt.

Kann sich das Land, kann sich die Stadt das gute soziale Netz noch leisten?
Wir können uns das leisten. Wenn wir über ein Fußballstadion um 200 Millionen Euro diskutieren, können wir uns auch leisten, dass alle Kinder in Wien in der Früh etwas zu essen haben. Die Frage ist: Wollen wir uns das leisten? Da sagt die Wiener Stadtregierung unmissverständlich: Ja, das wollen wir uns leisten können.

»Es wäre urfad, wenn alle das Gleiche denken. Stadt ist Widerspruch«

ÖVP und FPÖ bekommen aber derzeit viel Zustimmung zu Verschärfungen. Wie will die Wiener SPÖ diese Stimmung drehen?
Die Menschen werden es spüren, und wir werden das aufzeigen. Beispiel Pflege: Der Finanzminister will sie über Steuerabschreibungen finanzieren. Der durchschnittliche Pensionist hat aber nicht so viele Abschreibemöglichkeiten -den Teil hat der Finanzminister nicht erzählt. Und wenn ich mir das durchschnittliche Einkommen jener 36.000 Menschen anschaue, die in Wien mobile Pflege kriegen, weiß ich genau: Da gibt es faktisch nichts, was sie abschreiben können. Daher ist es eine Chuzpe zu sagen, ich baue das Pflegewesen so um, dass sich die Leute das über die Abschreibung selber leisten können.

Das scheint aber niemanden aufzuregen.
Weil der öffentliche Diskurs von jenen geprägt wird, die mehr als der Durchschnitt verdienen. Ich habe die Aufgabe, jenen eine Stimme zu verleihen, die sonst nicht gehört werden. Ich war schon bisher zuständig für Pflege und Betreuung, Obdachlosen-und Flüchtlingshilfe. Und die Geschichte, dass das eine Zehntausendschaft von Faulen und Nicht-Fleißigen ist, die ist wirklich skandalös. Ich speib mich an, wenn ich höre, dass das etwas mit christlichen Werten zu tun hat. Die haben weder die Weihnachtsgeschichte noch die Bibel noch Jesus Christus noch den Papst verstanden. Da wird die Stadtregierung einen ganz klaren Kontrapunkt setzen. Wir merken schon am Feedback der Menschen: Die verstehen das.

Das Gesundheitssystem in Wien ist gut ausgebaut, aber es hat Mängel. Viele Menschen haben das Gefühl, es wird schlechter. Da gibt es dringenden Handlungsbedarf, das wieder zu drehen, oder?
Ich hätte die Aufgabe nicht übernommen, wenn ich nicht einen Plan hätte, dass das gelingen kann. Das Stimmungsbild im Gesundheitswesen stimmt nicht überein mit der wunderbaren Qualität. Ja, es gibt Dinge, die nicht funktionieren, die nicht rund laufen, und es sind Fehler passiert. Ich nehme mir jetzt die Zeit, mit allen relevanten Gruppen zu diskutieren. Aber: Ich kenne niemanden, der sagt: Gott sei Dank bin ich im Ausland krank geworden und dort geblieben. Niemanden. Alle haben nur ein Bedürfnis: so rasch wie möglich in ein Wiener Spital zu kommen. Wir haben eine tägliche Abstimmung der Menschen: volle Ambulanzen, überlaufene Stationen, das ist die tägliche Willenskundgebung der Wiener Bevölkerung.

Und das macht Probleme. Das System ist überlastet, hat Fehler und Schwächen.
Das werde ich angehen, die Eckpunkte stehen schon.

Und am dringendsten ist die Fertigstellung des Krankenhauses Nord?
Absolut. Es wird eines der tollsten Spitäler überhaupt, mit unfassbar guter Ausstattung und tollem Niveau. Wir werden es lieben, und in wenigen Jahren wird keiner verstehen, welche Debatte wir gehabt haben. Es wird super und hat absoluten Vorrang.

Zur Person

Peter Hacker, 55
Der neue Sozial-, Gesundheits-und Sportstadtrat "lernte" bei Bürgermeister Helmut Zilk, in dessen Büro er für Bürgeranliegen, Jugend und Soziales zuständig war. 1992 wurde er Drogenkoordinator der Stadt, 2001 Geschäftsführer des Fonds Soziales Wien und 2015 zudem Flüchtlingskoordinator. Er gilt als lösungsorientierter Macher und scheut sich nicht, auch mit aufgebrachten BürgerInnen zu diskutieren.