Panzer, Prügel, Perser: Wie die syrische Diktatur den Bürgeraufstand niederschlägt

NEWS: Österreicherin berichtet exklusiv aus Syrien Der Inside-Report: Eingeschleust in den Polizeistaat

Panzer, Prügel, Perser: Wie die syrische Diktatur den Bürgeraufstand niederschlägt

Die Fahrt in die Diktatur. Sämtliche ausländische Journalisten wurden längst des Landes verwiesen, die syrische Presse ist mundtot. Als Journalistin mit einem Touristenvisum einzureisen bleibt die einzige Möglichkeit, Augenzeugin der Ereignisse zu werden. Im Taxi bin ich die einzige Frau, an der Grenze die einzige Ausländerin. Warum ich nach Syrien will, fragt der Soldat am Kontrollposten. Er schaut abwechselnd in mein Gesicht, auf den Pass und in den Computer vor ihm.

Hinter ihm stehen drei Männer, gekleidet in schwarzen Lederjacken, die Arme streng verschränkt, offensichtlich Mitarbeiter des syrischen Sicherheitsapparats. „Ich bin Touristin und will mir das Land anschauen“, antworte ich und bezweifle selbst, dabei glaubwürdig zu wirken. Die Gebühr ist bezahlt, mein Pass mit Visum zurück in meinen Händen. „Viel Glück“, wünscht mir der Soldat, mit unüberhörbar warnendem Unterton.

Was folgt, sind sieben Tage in einem Land, dessen Regime seine Bevölkerung brutal unterdrückt, manipuliert und durch Ausschluss der Weltöffentlichkeit versucht, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verstecken. Meine Reise führt mich nach Damaskus, dessen Vororte Douma und Sayyeda Zeinab und in die Stadt Homs, drei Autostunden nördlich der Hauptstadt.

Es wird ein Aufenthalt in einem sehr leisen Land, dessen Menschen offensichtlich Angst zur Stille zwingt. Der „Arabische Frühling“ ist längst in Syrien angekommen. Doch, darauf deuten die Zeichen hin, hier könnte er bald in einen eisigen Winter umschlagen, nämlich für die Aktivisten.

Aber selbst in Syrien lässt sich die Weltöffentlichkeit nicht mehr durch den Rauswurf aller Journalisten aussperren. Auch hier spielt die junge internetaffine Generation eine wichtige Rolle und bringt Informationen außer Landes. Die Wahrheit lässt sich nicht mehr so einfach verstecken wie 1982.

Damals, als Hafez al-Assad, Vater des jetzigen Diktators Bashar al-Assad, innerhalb weniger Tage mehr als 20.000 Menschen in der Stadt Hama erschießen ließ. Die Erinnerung an Hama hat sich in das Gedächtnis der Syrer eingebrannt. Hama hat hier niemand vergessen, und viele fürchten sich vor einer Wiederholung.

Es ist Freitag in Damaskus. Das Wetter, trüb und dunkel, hat sich der Stimmung der Stadt angepasst. Auf einem Spaziergang zur Mittagszeit gehört mir die Altstadt fast allein, nur Sicherheitsbeamte lungern überall herum.

In der Geisterstadt. Das blühende Damaskus, in diesen Tagen gleicht es einer Mischung aus Geheimdienstfestung und Geisterstadt. In einem kleinen Café in der Altstadt treffe ich nach dem Freitags gebet auf eine Gruppe junger Leute, sie sind sichtlich außer Atem und nervös. „Wir sind weggerannt vor den Kugeln des Regimes“, sagt Ali, ein junger Regisseur. „Aber heute haben sie weniger geschossen als letzten Freitag.“

„Weißt du, unsere Gesellschaft besteht aus 80 Prozent Hasen und 20 Prozent Hunden. Die Hasen haben Angst, und die Hunde beißen“, sagt Rami, ein junger Bankier und Kommunist aus Damaskus. Aber langsam, so erzählt er weiter, würde sich das Klima in Syrien ändern, und die Leute beginnen zu reden. So etwas wie Demonstrationen gab es in Syrien bis vor kurzem nicht, alleine daran erkennt man, dass sich die syrische Gesellschaft in den letzten Monaten geändert hat.

Die Aktivistengruppe im Café reicht mich weiter zu Saddam Assad Eddin Hussein Nasrallah, er besteht ausdrücklich darauf, so genannt zu werden. Aktivisten kennen ihn unter diesem Pseudonym. Der Kürze halber heißt er für den Rest des Artikels Saddam. Er koordiniert viele Aktivisten im syrischen Untergrund. Dabei ist er ein Alevit, dessen Familie ein Naheverhältnis zur Herrscherfamilie prägt. Aleviten sind eine kleine Sekte innerhalb des schiitischen Islam. Obwohl die Bevölkerungsmehrheit in Syrien sunnitisch ist (siehe Grafik nächste Seite), wird die Herrschaftselite von schiitischen Aleviten dominiert.

Im Innenhof eines alten Hauses in der Altstadt treffe ich ihn, gekleidet in dunklen Trenchcoat und Stroh-Cowboyhut. Handys werden während des Gespräches abge schaltet, SIM-Karten entfernt. Nur so traut er sich zu sprechen. „Ich bin müde, ich weiß nicht, wie das alles weitergeht, wie es für Syrien ausgeht.“ Seit Ausbruch der Proteste wurden zwei seiner besten Freunde erschossen, sagt er. Sechs weitere Menschen habe er in Damaskus selbst sterben sehen, bei der Midan-Hassan- Moschee. Mit seiner Familie liegt er im Clinch.

58.965 Geheimdienstler. „Ich bin mit dem, was meine Familie macht, nicht einverstanden, das war ich nie, die meisten arbeiten für den syrischen Geheimdienst“, stellt er unmissverständlich klar. Es war auch seine Familie, die ihn zwang, den Aufnahmetest beim syrischen Geheimdienst zu machen. Eine Art Assessment Center für zukünftige Agenten mit Multiple-Choice-Fragen zu Themen wie Israel, syrische Innenpolitik, einem Gesundheitscheck und einem psychologischen Test. Er hat bestanden, lehnte den Job jedoch ab. Auf die Frage nach der Anzahl der Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes antwortet Saddam: „58.965 – Stand 2008“, diese Information habe er vom Computer seines Vaters, erklärt er, mit Blick auf meinen fragenden Gesichtsausdruck. Saddams Offenheit bleibt eine Ausnahme während meines Aufenthalts. Er redet, weil ihn seine Familie vor Problemen schützen kann.

In Diktaturen ist Reden Silber und Schweigen Gold. Den Mund zu halten, das lernt man in Ländern wie Syrien von klein auf. Wer offen spricht, kriegt Probleme. „Willkommen im Königreich der Stille“, so begrüßt mich et wa Omar, einer der Aktivisten.

Durchlöchert vom Kugelhagel. Vergangenen Dienstag fuhren wieder Busse in die Aufstandshochburg Douma, zehn Kilometer nördlich von Damaskus. Der Weg bleibt von Sicherheitskontrollen gesäumt. Dutzende wurden in Douma erschossen, und viele sind verschwunden, verhaftet, ohne zu wissen, wo und warum. Ohne Kommentar verkauft mir der Fahrer ein Ticket in den Trabantenvorort. Im Bus spricht niemand. Als Ausländerin werde ich aber von allen Seiten angestarrt. Die schwer bewaffneten Soldaten, die den Bus auf dem Weg nach Douma kontrollieren, ignorieren mich. Als Einzige werde ich nicht nach meinem Ausweis gefragt.

In Douma sind an jeder Straßenecke Sandsäcke aufgetürmt. Dahinter stehen Männer mit Maschinengewehren. Die Schaufenster der Marktstraße gleichen Nudelsieben, so durchlöchert vom Kugelhagel sind sie. Die Zentrale der regierenden Baath-Partei ist ausgebrannt, alle Fensterscheiben eingeschlagen, anscheinend von Molotowcocktails getroffen. Noch sind wenige Frauen und Kinder auf den Straßen zu sehen, überhaupt ist es sehr ruhig. ´

Ein einziger Tisch im Café gegenüber dem Spital ist besetzt, drei junge Männer sitzten neben ihren Wasserpfeifen, rauchen still vor sich hin und füllen Kreuzworträtsel aus. Ich frage, ob ich mich mit meinem Kaffee zu ihnen setzen kann, versuche ein Gespräch zu beginnen. Aber wirklich sprechen wollen sie nicht. Nachdem ich frage, wie sie die letzten Tage hier erlebt haben, ist die Angst in ihrem Gesichtsausdruck nicht mehr wegzulügen. Zwei halten sich regelrecht an ihrer Wasserpfeife fest und wickeln sich in immer größer werdende süßliche Rauchwolken. Der dritte, Tarek, meint zynisch: „Schau dich um, dann siehst du selbst wie sicher wir uns hier fühlen. An Freitagen passen sie besonders gut auf uns auf.“

Kaum beendet er seinen Kommentar, schon werden die zwei Tische hinter uns von Männern mit Maschinengewehren belegt. Unser Gespräch bricht abrupt ab. Wir spielen eine Runde Backgammon und schweigen uns gegenseitig an. Tarek begleitet mich zur Minibusstation auf der anderen Straßenseite, vor dem Spital. Seit ich im Café sitze, zwei Stunden sind es mittlerweile, beobachte ich das Spital. Das Gebäude wirkt einsam. Niemand betritt oder verlässt es. Ein Verdacht erhärtet sich: Oft habe ich von den Aktivisten gehört, dass die Angeschossenen und Verletzten der Demonstrationen Spitäler aus Angst vor Sicherheitskräften meiden. Ob es viele Kranke im Spital gibt, frage ich Tarek kurz vor meiner Abfahrt. „Nein, es gibt keine Kranken in Douma, das Spital ist leer“, versichert er diesmal ernst, ohne zynischen Unterton.

Das Regime hat eine bis dato von Erfolg gekrönte Taktik entwickelt, um die Oberhand über den Aufstand zu be halten. Die Proteste bleiben dezentral und haben das Zen trum der Hauptstadt Damaskus nie wirklich erreicht. Gibt es größere Demonstrationen in einer Stadt, wird sie vom Militär umzingelt. Dann darf niemand in die Stadt, und niemand darf sie verlassen. Panzer beschießen die Stadt, Kugeln fliegen den Bewohnern um die Ohren. Die Angst hält alle in Schach.

„Besucher“ aus dem Iran. „So war es auch bei uns“, erklärt die Studentin Ghenua. Ich bin zu Gast bei ihr, im christlichen Viertel der Stadt Homs. „Unser Haus konnten wir tagelang nicht verlassen, auf Motorrädern sind sie durch die Stadt gefahren und haben mit Maschinengewehren auf alles geschossen, was sich bewegt“, schildert Ghenua. Sobald das Militär abzieht, kommen Schlägertrupps des Regimes und nehmen wahllos Leute mit. Die Leute kommen gefoltert, oft gebrochen, zurück. Die Angst sitzt ihnen in den Knochen. Taktisch erinnert vieles an die Niederschlagung der Oppositionsbewegung im Iran vor zwei Jahren. Kein Wunder, dass der iranische Vize-Polizeichef und Folter könig vor kurzem zu Besuch in Damaskus gewesen sei, so behaupteten iranische Oppositionsseiten und der Aktivist Saddam. Aus den Aufstandshochburgen erreichen mich immer wieder Gerüchte von persisch sprechenden Soldaten, rekrutiert werden sollen sie im schiitischen Vorort Sayyeda Zeinab, zehn Kilometer südlich von Damaskus. Bei einem Besuch vor Ort wird klar, wie viele I raner dort leben. Ob sie für die Niederschlagung des syrischen Aufstands rekrutiert werden, lässt sich nicht so leicht bestätigen. Der Zufall will es, dass ich am Ende meiner Reise einen Augenzeugen finde.

Die Familie blieb zurück. Wieder teile ich mir mein Sammeltaxi zurück nach Beirut mit vier Männern. Erst hinter der Grenze bricht das Schweigen, bis dahin herrscht eisige Stille. „Ich bin aus Deraa abgehauen“, bricht es aus dem Mann neben mir heraus, Gepäck hat er keines dabei, seine Jacke ist schmutzig. Deraa ist die Hochburg und der Ausgangspunkt des Aufstands, dort wurden die meisten Menschen zur Zielscheibe. Niemand darf hin, niemand kommt weg.

Nur der Mann, der sich Wasim nennt, hat es diese Nacht raus geschafft: Neben all den Horrorgeschichten erzählt auch er von den persischen Soldaten. Seine Familie musste er in Deraa zurücklassen, alle Telefonverbindungen dorthin sind tot. Ob er sie jemals wiedersehen wird, frage ich ihn. „Inschallah“, sagt er – „so Gott will“.

Ranja Riemer, Damaskus

Zur Autorin: CNN, Al Jazeera, Reuters? Fehlanzeige. Internationale Medien wurden längst aus Syrien ausgewiesen. Einer österreichischen Nahost-Kennerin, die perfekt Arabisch spricht, gelang es hingegen, sich in den Polizeistaat zu schmuggeln. Zu ihrem eigenen Schutz hält NEWS ihre Identität geheim. Unter dem Pseudonym Ranja Riemer schreibt sie für NEWS diesen Exklusiv-Report.