Verschwörungstheorien:
Warum sie populär sind

Neu sind sie nicht, aber in der Corona-Krise haben Verschwörungstheorien wieder Hochkonjunktur. Warum sie so populär sind und welche Gefahr von ihnen ausgeht, erklärt Experte Michael Butter.

von Pandemie - Verschwörungstheorien:
Warum sie populär sind © Bild: iStockPhoto.com

Herr Butter, wann wird aus einem kritischen Hinterfragen, einer Meinung, die nicht dem Mainstream entspricht, eine Verschwörungstheorie?
Verschwörungstheoretiker nehmen immer an, dass nichts durch Zufall geschieht, also alles geplant wurde. Es gibt eine im Geheimen operierende Gruppe -die Verschwörer -, die alles kontrolliert. Verschwörungstheoretiker nehmen an, dass nichts so ist, wie es scheint. Dass man immer hinter die Kulissen blicken muss, um herauszufinden, was wirklich geschieht. Und wenn man das tut, stellt man fest, dass alles miteinander verbunden ist, dass Verbindungen zwischen Personen, Institutionen und Ereignissen existieren. Wenn man annimmt, dass alles geplant worden ist, um irgendein Ziel zu erreichen, hat man die Grenzen von der Kritik zur Verschwörungstheorie überschritten. Es ist eine Sache, zu sagen: Moment mal, wir wissen gar nicht, ob dieses Virus so gefährlich ist und ob die Maßnahmen gerechtfertigt sind. Aber es ist etwas anderes, zu sagen, dieses Virus ist nicht gefährlich, sondern das ist nur ein Vorwand, um dieses und jenes zu machen.

Wer ist empfänglich für Verschwörungstheorien?
Verschwörungstheorien sind vor allem eine Antwort auf zwei Dinge: zum einen auf wahrgenommene Machtlosigkeit. Also wenn man das Gefühl hat, keinen Einfluss auf Entscheidungen, auf größere gesellschaftliche Prozesse zu haben. Empfänglich sind aber auch Menschen, die schlecht mit Unsicherheiten umgehen können. Das erklärt, warum die Corona-Krise Verschwörungstheorien wieder befeuert, weil das natürlich eine Zeit extremer Unsicherheit ist. Verschwörungstheorien schaffen die Sicherheit, zu wissen, was vor sich geht. Es ist für viele Menschen leichter zu akzeptieren, dass es da eine Gruppe gibt, die einen geheimen und perfiden Plan verfolgt, als sich einzugestehen, man weiß überhaupt nicht, was los ist. Medizinische Verschwörungstheorien schaffen noch eine andere Art von Sicherheit, nämlich, dass man sich um die eigene Gesundheit keine Sorgen machen muss: Das Virus existiert ja nicht oder ist ungefährlich. Das kann im Umkehrschluss bedeuten, dass man das Verletzen von Abstandsund Hygieneregeln als Akt von zivilem Ungehorsam betreibt.

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Verschwörungstheorien sind also vor allem praktisch?
Sie haben eine Reihe von Funktionen für die Psyche. Sie erklären nicht nur alles, was vor sich geht, sondern haben eine Sündenbockfunktion, was natürlich entlastet. Sie bieten auch ein gewisses Alleinstellungsmerkmal: Man gehört zu den wenigen Eingeweihten, die begriffen haben, wie die Welt funktioniert, während die Masse der Menschen blind durchs Leben läuft und nicht versteht, was da vor sich geht. Das erklärt vielleicht, warum Männer tendenziell empfänglicher sind für Verschwörungstheorien als Frauen.

Weil...
Diese Idee, ich bin etwas Besonderes, ich habe etwas verstanden, was andere nicht verstanden haben, das ist etwas, was eher mit traditioneller männlicher als mit weiblicher Identität in Verbindung gebracht wird. Und weil es oft um Prozesse wie Globalisierung und große Transformationen geht, sind Verschwörungstheorien auch eine Antwort auf die Krise von traditioneller Männlichkeit. Eine Männlichkeit, die sich immer in der Versorger-und Beschützerrolle begreift. Wenn ich jetzt durch Corona meine Arbeit verliere und meiner Versorgerrolle nicht mehr gerecht werden kann, liefern Verschwörungstheorien eine Antwort darauf.

»Populistische Bewegungen sind extrem gut darin, Verschwörungstheoretiker zu vereinen«

Sind Ungebildete eher empfänglich als Gebildete, Ältere eher als Junge?
Der Bildungsgrad hat einen Einfluss. Mit höherem Bildungsgrad nimmt die Empfänglichkeit für Verschwörungstheorien ab. Das hat damit zu tun, dass man in der Regel mit Erklärungsmodellen von Gesellschaft in Berührung gekommen ist, die anders funktionieren als die Annahme, da hat sich jemand abgesprochen und verschworen. Beim Thema Ältere versus Jüngere ist die Datenlage nicht ganz so sicher. Man weiß, dass Ältere für Verschwörungstheorien im Internet empfänglicher sind. Vielleicht, weil sie das Medium nicht ganz so gut beherrschen wie Jüngere. Ich habe auch den Eindruck, dass Menschen über 40 anfälliger sind als jüngere. Sie haben also eine Gruppe: männlich, über 40, nicht der höchste Bildungsgrad und die besorgt sind, dass ihnen die Felle davonschwimmen. Da haben Sie auch eine ganz große Schnittmenge zu populistischen Bewegungen. Nicht jeder in einer populistischen Bewegung ist ein Verschwörungstheoretiker. Aber populistische Bewegungen sind extrem gut darin, Verschwörungstheoretiker und Nichtverschwörungstheoretiker im Protest zu vereinen.

Das erklärt auch, warum bei diesen Hygienedemos in Deutschland und der Schweiz die Populisten auftauchen?
Ja, und weil sie natürlich die - ich fürchte die berechtige -Hoffnung haben, einen Teil dieser Protestierenden später einsammeln zu können.

Verschwörungstheoretiker als Irre, als Wutbürger, als Spinner abzutun ist folglich zu kurz gegriffen?
Absolut. Das hat die Forschung früher gemacht, da hat man Verschwörungstheorien mit Paranoia assoziiert. Davon ist man weggekommen -aus zwei Gründen. Zum einen, weil wir wissen, dass es historisch völlig normal war, an Verschwörungstheorien zu glauben. Vor hundert Jahren hat jeder an Verschwörungstheorien geglaubt. In anderen Teilen außerhalb der westlichen Welt ist das immer noch so. Und selbst in der westlichen Welt glauben viel zu viele Menschen an Verschwörungstheorien, als dass man die als Spinner abtun könnte.

Lässt sich quantifizieren, wie viele Menschen an Verschwö rungstheorien glauben?
In den USA glaubt jeder Zweite an mindestens eine Verschwörungstheorie. In Deutschland kommt man auf ein Viertel bis ein Drittel der Bevölkerung, das empfänglich dafür ist. Es gibt jede Menge Verschwörungstheoretiker, die völlig normal sind, aber eben an Verschwörungstheorien glauben. Medien verzerren manchmal den Eindruck. Bei diesen Anti-Corona-Demos werden gerade die Irren und Extremen vor die Kamera gezerrt. Diejenigen, die einfach nur protestieren, sich aber nicht mit ihrem Gesicht abends im Fernsehen sehen wollen, sagen halt nichts.

Wenn in den USA jeder Zweite an Verschwörungstheorien glaubt, muss uns das nicht Sorgen machen?
Natürlich. Es gibt einen Riss durch die meisten modernen westlichen Gesellschaften, was man als Wissen akzeptiert und wie Wissen generiert wird. Es gibt noch eine sehr große Öffentlichkeit, wo Verschwörungstheorien verpönt und stigmatisiert sind. Aber es gibt mittlerweile auch eine Gegenöffentlichkeit, wo Verschwörungstheorien als völlig normales Wissen angesehen werden. Das macht es zunehmend schwierig, einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs zu führen. Man kann geteilter Meinung darüber sein, wie man dem Klimawandel begegnen muss. Man kann geteilter Meinung darüber sein, wie man mit der Corona-Krise umgehen sollte. Man kann diese Positionen aushandeln und sie als gegenseitig legitim begreifen. Aber man hat Probleme mit jemandem, der sagt: "Das Virus gibt es überhaupt nicht. Den Klimawandel gibt es nicht." Da kommt man nicht zusammen. Da wird man niemals Kompromisse schließen können und niemals die Position des anderen als legitim ansehen. Das führt dazu, dass politische und gesellschaftliche Aushandlungsprozesse schwieriger werden. In Deutschland geht das noch ganz gut. Da ist das eine laute, aber auch klare und kleine Minderheit. In den USA, wo noch eine politische Polarisierung dazukommt, die teilweise einhergeht mit dem Glauben an Verschwörungstheorien, sieht das anders aus. Das ist einer der Gründe, weshalb das amerikanische politische System so gelähmt ist, weil da Abgeordnete im Kongress sitzen, die in unterschiedlichen Welten leben.

Können Verschwörungstheorien die Demokratie gefährden und ist die Gefahr gegeben, dass sich die Politik von Wut und Protest auf der Straße treiben lässt?
Ich glaube beides. In Deutschland ist gerade wieder ein bisschen die Tendenz abzusehen: Oh Gott, was passiert da gerade? Dabei sind das kaum neue Verschwörungstheoretiker, die da auf der Straße sind. Das sind in den allermeisten Fällen Leute, die schon seit vielen Jahren dabei sind. Politik darf sich von so was nicht treiben lassen. Das ist in Deutschland ja schon einmal passiert, wo der gesamte Diskurs über Geflüchtete durch die AfD -deren Position maßgeblich von Verschwörungstheoretikern bestimmt wird - gesamtgesellschaftlich nach rechts verschoben worden ist. Man muss differenzieren. Verschwörungstheorien können Gefahren für Leib und Leben darstellen, wenn sie zu Radikalisierungsprozessen führen, also Leute denken, sie müssen zur Waffe greifen - siehe die Attentäter in Christchurch oder Halle. Medizinische Verschwörungstheorien können problematisch sein, weil man in der Folge sich selbst und andere nicht schützt, weil man denkt, das Virus existiert gar nicht. Und Drittens ist es problematisch, wenn Menschen annehmen, dass alle gewählten Politiker unter einer Decke stecken, dass die politische Auseinandersetzung nur ein Schauspiel ist, dass inszeniert wird und dass im Hintergrund immer dieselben die Strippen ziehen. Wer das glaubt, geht entweder gar nicht mehr zur Wahl, partizipiert nicht mehr, zieht sich zurück und wird politikverdrossen oder er stimmt für diejenigen, die sich als die wahre Alternative generieren -die populistischen Parteien. Man darf die Sache nicht dramatisieren, aber auch nicht unterschätzen. Ohne die Unterstützung von Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, wäre die AfD in Deutschland sicher nicht so erfolgreich geworden.

»Ohne das Internet hätten die Verschwörungstheorien nicht so ein Comeback gefeiert«

Sie sagen, Verschwörungstheorien haben schon immer existiert. Heute werden sie per Mausklick millionenfach geteilt. Macht sie das auch in ihrer Wirkung anders?
Das macht sie insofern anders, weil sie durch das Internet sichtbarer und verfügbarer geworden sind und jetzt wieder mehr Menschen ansprechen. Sie waren nach dem Zweiten Weltkrieg in Subkulturen verschwunden. Durch das Internet sind sie zu einer Gegenöffentlichkeit geworden -mit eigenen Mediensystemen, eigenen Experten und sehr stark vernetzen Verschwörungstheoretikern. Natürlich hat sich auch die Umschlagzeit extrem verkürzt. Wir sind allerdings noch lange nicht da, wo wir vor hundert Jahren mal waren, was den Glauben an Verschwörungstheorien betrifft. Aber ohne das Internet hätten die Verschwörungstheorien nicht so ein Comeback gefeiert, wie sie das in den vergangenen 20 Jahren getan haben.

Warum hatten sie seinerzeit mehr Wirkung?
Weil es völlig normal war, an Verschwörungstheorien zu glauben. Jeder amerikanische Präsident von Washington bis Eisenhower war Verschwörungstheoretiker. Die klügsten Köpfe ihrer Zeit im 18., 19., frühen 20. Jahrhundert waren Verschwörungstheoretiker. Man dachte, so funktioniert die Welt. Nach dem Zweiten Weltkrieg kommt es in der westlichen Welt - der Holocaust hat natürlich auch auf einer Verschwörungstheorie basiert -zu einer Stigmatisierung: Verschwörungstheorien werden von der Soziologie als schlechte Erklärung von Gesellschaft angesehen und es wird ihre Gefährlichkeit betont. Das führte dazu, dass Verschwörungstheorien aus der Mitte an den Rand der Gesellschaft gewandert sind - von der offiziellen Erklärung zur Gegenerzählung. Bis dahin richteten sich Verschwörungstheorien gegen Minderheiten, gegen Schwache, gegen Außenseiter, gegen Feinde von außen. Jetzt richten sie sich vor allem gegen die eigenen Eliten.

Und dann kam Corona...
Kaum eine Verschwörungstheorie zu Corona ist wirklich neu. Es ist das passiert, was in den letzten Jahren immer passiert ist, wenn es irgendein Ereignis von Bedeutung gab. Corona wird einfach als neuestes Kapitel einer bereits existierenden Verschwörungserzählung angefügt. Deshalb standen die Bösen auch schnell fest -die WHO, Bill Gates. Die waren ja schon vorher im Visier von Verschwörungstheoretikern. Sicher hat diese Zeit der Unsicherheit dazu geführt, dass sich Leute dem zugewandt haben, die vorher noch nicht an so was geglaubt haben. Es ist aber nicht so, dass wir von einer schlagartigen Zunahme ausgehen. Wir sehen sie nur mehr, weil natürlich die ganze mediale Aufmerksamkeit auf Corona und alles, was damit zusammenhängt, gerichtet ist.

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Und Bill Gates ist der Superschurke der Verschwörungstheoretiker?
Verschwörungstheoretiker versuchen immer, dem Ganzen ein Gesicht zu geben - ein alter, weißer Mann bietet sich da an. Gates hat diese Stiftung, hat viel mit der WHO zu tun, und Verschwörungstheoretiker fragen immer: Wem nützt das? Sie suchen Schuldige. Er will Impfstoff verkaufen, Geld machen, allen einen Chip einpflanzen, die Weltbevölkerung reduzieren - da gibt es unterschiedliche Varianten. Und die Gates- Stiftung hat im letzten Jahr eine globale Pandemie simuliert, die ihren Ausbruch in China hat. Verschwörungstheoretiker schauen immer: Wer wusste vorher Bescheid? Und wer vorher Bescheid wusste, der muss auch dahinterstecken.

Warum verbreiten Menschen Verschwörungstheorien? Welches Ziel haben sie?
Die meisten Menschen tun das, weil sie überzeugt sind, dass das die Wahrheit ist. Sie wollen der Menschheit einen Dienst erweisen. Andere schicken es weiter, weil sie es spannend finden. Verschwörungstheorien sind halt immer tolle Erzählungen. Es geht alles auf, es ergibt alles Sinn. Das ist der Unterschied zu Fake News, wo die Produzenten bewusst Lügen in die Welt setzen.

Beklatscht und geteilt werden Verschwörungstheorien auch von Prominenten, von Ärzten...
Dass Promis Verschwörungstheorien verbreiten, ist nicht überraschend -sie sind ein Spiegel der Gesellschaft. Im Grunde müssten es noch viel mehr sein. Da merkt man, dass sich viele von denen, die das glauben, zurückhalten. Es ist auch kein Zufall, dass Rapper dabei sind, weil diese Männlichkeitsdiskurse, die da dranhängen, seit jeher bei ihnen etabliert sind. Ob die Leute das immer gleich glauben, wenn ein Künstler, den sie gut finden, das verbreitet, sei dahingestellt. Man kommt nicht erst mit Corona-Verschwörungstheorien in Berührung, wenn man Sido auf Instagram folgt. Man hat wahrscheinlich schon vorher davon gehört.

»Verschwörungstheoretiker sind ganz besessen von Titeln«

Und die Ärzte?
Die sind eine andere Dimension. Verschwörungstheoretiker nehmen ja für sich in Anspruch, dass sie die wahren Wissenschaftler vereinen und diejenigen sind, die die ideologiefreie Erkenntnis suchen. Deshalb ist es wichtig, sich einen Anstrich der Wissenschaftlichkeit und Seriosität zu geben -also werden HNO-Ärzte, die auf jeden Fall keine Virologen sind, in die Öffentlichkeit gezerrt. Aber sie können mit der Autorität des Mediziners sprechen. Verschwörungstheoretiker sind ganz besessen von Titeln. Die haben zwar keine Kompetenz für den Bereich, für den sie da in dem Youtube-Videos sprechen, aber es wird so verkauft. Und dann gibt es noch die Gruppe von richtigen Experten, die es zulassen, vereinnahmt zu werden, ohne das vielleicht zu durchschauen. Das sind Experten, die eine Gegenmeinung haben, die wichtig ist, die aber nicht durchschauen, wie die Medienlandschaft der Verschwörungstheoretiker funktioniert, und die sich auf Plattformen einlassen, wo sie für verschwörungstheoretische Zwecke benutzt werden.

Verschwörungstheorien können Freundschaften auf eine Probe stellen. Wie umgehen mit Verschwörungsgläubigen?
Bei Menschen, die mit Verschwörungstheorien in Berührung gekommen sind, aber noch nicht völlig überzeugt sind, kommt man mit Fakten weiter. Bei überzeugten Verschwörungstheoretikern hat man damit keine Chance. Auch wenn man ihnen einen schlüssigen Gegenbeweis liefert, glauben sie danach noch mehr an die Verschwörung als vorher. Aus dem einfachen Grund, weil man deren Identität dadurch massiv in Frage stellt. Da müsste man eher auf Details eingehen. Darum bitten, dass sie erklären, warum sie die eine Quelle besser finden als die andere. Eventuell führt das dazu, dass diese Leute einen Prozess der Selbstreflexion zu durchlaufen beginnen.

Ein "Nein. Das stimmt nicht!" hilft also nicht?
Die Chance, dass sie da rauskommen, ist höher, wenn sie nichts sagen. Für das Publikum, das dabeisitzt, ist es aber meist wichtig, dass man auf den Fakten insistiert.

Welche Theorie hat Sie überrascht?
Anfang März kursierte die Idee, dass das Virus eine amerikanische Biowaffe ist, die vor allem die Chinesen angreift, weil sie besonders auf asiatische DNA ausgerichtet ist. Das ist ein absurder rassistischer Diskurs, weil die Vorstellung dahintersteht, es gäbe irgendwas, was chinesische DNA von anderer unterscheidet. Wie kann man nur so einen Schwachsinn verbreiten?

Ihr Buch "Nichts ist, wie es scheint" endet mit dem Satz: "Wenn Gesellschaften sich nicht mehr darauf verständigen können, was wahr ist,
können sie auch die drängenden Probleme des 21. Jahrhunderts nicht meistern." Stehen wir mit dem Rücken an der Wand?

In Deutschland, in Österreich haben wir natürlich noch eine Verständigung. In den USA ist der Anteil der Verschwörungstheoretiker schon so groß, dass man die Effekte merkt. Es ist nicht das Verständigen auf eine Wahrheit, sondern eine gewisse Verständigung, wie menschliches Handeln funktioniert. Wenn das nicht mehr gegeben ist, wird es schwierig. Bildung kann helfen. Man müsste massiv die geisteswissenschaftliche, sozialwissenschaftliche Bildung in den Schulen fördern und ein Verständnis schaffen, wie Gesellschaft und Kultur funktioniert. Warum es nicht stimmt, dass sich Menschen über Jahrzehnte absprechen können.

Zur Person: Michael Butter Michael Butter ist Professor für amerikanische Literatur-und Kulturgeschichte an der Universität Tübingen und ein Spezialist in der Erforschung von Verschwörungstheorien. Der 43-Jährige ist Teil eines Netzwerkes von 160 Wissenschaftlern aus 40 Ländern, die Verschwörungstheorien in Europa in den vergangenen Jahren erforscht haben. In seinem 2018 erschienenen Buch "Nichts ist, wie es scheint" (Edition Suhrkamp, 18,50 Euro) analysiert Butter die allgemeinen Merkmale und Mechanismen von Verschwörungstheorien.

Dieses Interview ist ursprünglich in der Printausgabe von News (21/2020) erschienen.