Corona: Die Jagd
nach der Heilung

Wolfgang Leitner, Mitglied der Coronavirus-Taskforce der USA im Interview über den aktuellen Stand der Suche nach Impfstoffen und wirksamen Medikamenten.

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Pandemie - Corona: Die Jagd
nach der Heilung © Bild: Getty Images

Sie sind Mitglied der Corona-Taskforce der National Institutes of Health (NIH) in den USA. Wie muss man sich das vorstellen?
Ich arbeite am National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID), das Teil des NIH ist. Ich bin in der Untergruppe, die u. a. für die Impfstoffherstellung verantwortlich ist. Wir arbeiten dabei auch mit anderen Regierungsagenturen, wie etwa der Biomedical Advanced Research and Development Authority (BARDA) oder dem Department of Defense, zusammen.

Ihre Aufgabe ist es also, dafür zu sorgen, dass möglichst schnell ein sicherer Impfstoff entwickelt wird. Die Frage, die sich derzeit alle stellen: Wann wird es einen Impfstoff geben? Oder ist ein Medikament wahrscheinlicher?
Wir haben schon im späten Februar damit begonnen, Initiativen zu starten, um Lücken in der Forschung am Coronavirus zu schließen. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass früher ein Medikament als sein Impfstoff gefunden wird. Denn derzeit werden viele Medikamente getestet, die schon für andere Krankheiten zugelassen sind. Eines davon ist z. B. der Wirkstoff Remdesivir. Der Wirkstoff wurde ursprünglich zur Behandlung von RSV und Ebola entwickelt. Und da es schon getestet ist, kann es sehr viel schneller an Patienten ausprobiert werden als ein komplett neues Medikament. Impfstoffe müssen erst für einen neuen Krankheitserreger entwickelt werden.

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Gibt es auch Fortschritte bei der Entwicklung eines neuen Medikaments?
Wir haben einige Gruppen, die durch große Datenbanken an chemischen Verbindungen gehen. Sie testen in der Zellkultur, welche Substanzen eine Wirkung zeigen und das Virus inaktivieren. Aber selbst wenn eine Substanz zur Behandlung geeignet scheint, ist es ein langer Weg von der Entdeckung bis zur Zulassung. Es kann Jahre dauern, bis festgestellt wurde, dass ein Medikament erstens sicher ist und zweitens das beste ist, das man herstellen kann. Denn jedes Medikament muss noch optimiert werden, sodass es eine möglichst hohe Wirkung bei möglichst wenigen Nebenwirkungen hat. Das ist ein langer Weg. Eine neue Kategorie von Medikamenten, die erst seit ein paar Jahren vor allem für bestimme chronische Erkrankungen und Krebs erfolgreich verwendet werden, sind Antikörper. Einige Kliniken verwenden bereits Serum von Patienten, die eine Coronavirus-Infektion erfolgreich überstanden haben. Es ist aber eine ineffiziente Methode, die nicht für eine große Zahl an Patienten verwendet werden kann. Wir haben mehrere Forschungsgruppen, die monoklonale Antikörper gegen Coronavirus entwickeln und die könnten dann relativ schnell in die Klinik gebracht werden für die Behandlung von schweren Covid-19-Fällen

Es gibt immer wieder Schlagzeilen, dass erste Impfstoffe bereits an Menschen getestet werden. Wie kann das sein, wenn die Entwicklung Jahre dauert, das Virus aber erst seit ein paar Monaten bekannt ist?
Das ist eine der Lektionen, die wir aus SARS1 2002/2003 gelernt haben. Seither wurden sogenannte Impfstoff-Plattformen aufgebaut, die wie ein Modul erlauben, einfach Moleküle eines neuen Pathogens einzufügen. Manche dieser Plattformen sind schon ausführlich an Freiwilligen oder Patienten getestet worden, das heißt, die Sicherheit wurde bereits ausgiebig bestätigt. Das beschleunigt die Impfstoffentwicklung enorm und das ist der Grund dafür, warum die ersten klinischen Studien bereits relativ schnell gemacht werden können. Unser Institut arbeitet z. B. seit einigen Jahren mit der Firma Moderna zusammen. Dieser Firma ist es gelungen, innerhalb weniger Tage einen experimentellen Impfstoff herzustellen. Bereits im Jänner wurde die Sequenz des Virus aus China rübergeschickt und damit konnte der Impfstoff gebaut werden. Vom Design bis zu den ersten Versuchen am Menschen sind gerade einmal zwei Monate vergangen. Ich kenne kein anderes Beispiel, bei dem ein Impfstoff so schnell in den Menschen gegangen ist.

Und wie geht es den ersten Testpersonen jetzt?
Soweit ich gehört habe, hat es keine Probleme gegeben. Aber das war auch nicht anders zu erwarten, da die Plattform ja bereits zugelassen war. Derzeit wird Phase 2 der klinischen Versuche geplant. Denn das Problem ist ja, dass man den Impfstoff Menschen verabreicht, die gesund sind, aber man noch nicht weiß, wie die Menschen reagieren, wenn sie mit dem Virus dann tatsächlich in Kontakt kommen. Man muss also abwarten, bis sie sich infizieren. Parallel dazu werden Tiermodelle entwickelt, um die Effizienz der Impfstoffe unter kontrollierten Bedingungen testen zu können.

Das heißt, es wird schon bald eine Impfung geben?
Nur weil es schnell einen Impfstoff gibt, heißt das nicht, dass er auch schnell zugelassen wird. Es kommen Tierversuche und Phase 1,2 und 3 der klinischen Tests an Menschen. Die Herstellung eines Impfstoffs ist um einiges aufwendiger als die Herstellung eines Medikaments und dauert normalerweise viele Jahre. Denn ein Impfstoff ist meist präventiv. Das heißt, er darf keine Nebenwirkungen haben und muss die Menschen völlig schützen. Das zu erreichen ist nicht leicht. Dazu kommt, dass es für alle "einfachen Krankheiten", also im Sinne von einer einfachen Immunantwort, bereits Impfstoffe gibt. Bei den Pathogenen, mit denen wir jetzt kämpfen, ist das nicht so leicht.

Als SARS 2002/2003 auftauchte, wurde ebenfalls an Impfstoffen geforscht. Im Endeffekt wurde aber keiner davon zugelassen
Ja. Das ist eines der großen Probleme mit Pathogenen, für die kein Markt mehr da ist. Es war keine wissenschaftliche Entscheidung. Es war eine reine politische und ökonomische Frage, die Impfstoffentwicklung wieder einzustellen. Das Pathogen ist mit anderen Mitteln unter Kontrolle gebracht worden, wie zum Beispiel soziale Isolierung. Damit war das Interesse mit einem Schlag weg. Das passiert immer und immer wieder. Ein anderes Beispiel dafür ist Anthrax, das 2001 eine Bedrohung darstellte als Anthrax-Sporen für Bioterrorismus verwendet wurden. Damals sind wir in der Forschung von null auf hundert gegangen und es ist sehr viel Geld in die Anthrax-Forschung gesteckt worden. Doch als diese Bedrohung vorbei war, war das innerhalb kürzester Zeit wieder zu Ende.

Aber kann man auf diesem SARS-Impfstoff überhaupt aufbauen? Er hatte ja sehr starke Nebenwirkungen in Tierversuchen.
Die Impfstoffe, die jetzt hergestellt werden, sind sehr anders. Man hat aus den Nebenwirkungen gelernt. Meine Gruppe ist auch dafür zuständig, neue Adjuvantien, also Hilfsstoffe in den Impfungen, zu entwickeln, die genau diese Nebenwirkungen verhindern sollen.

Wie weit ist man also tatsächlich? Auch bei HIV wurde dauernd verkündet, es gibt in zwei Jahren einen Impfstoff, doch es gibt auch nach Jahrzehnten nach wie vor keinen
Diese Kritik ist berechtigt. Allerdings ist HIV einzigartig in vielerlei Hinsicht und daher besonders kompliziert. Bei SARS wissen wir, dass Impfstoffe eine Immunantwort induzieren können, die eine Infektion blockiert. Bei HIV hat es Jahrzehnte gedauert, um Impfstoffe zu bauen, die theoretisch das Potential haben, eine brauchbare Immunantwort zu induzieren.

Aber auch das Coronavirus ist ein komplexes Virus. Es gibt nach wie vor gegen keines der verwandten Viren, wie MERS oder SARS, einen zugelassenen Impfstoff.
Das stimmt, es gibt kein zugelassenes Coronavirus-Vakzin. Wir werden sehen, wie schnell es geht. Wir wissen es nicht. Derzeit wird weltweit bereits eine Vielzahl verschiedener Impfstoffe klinisch getestet. Ob sie jemals als Produkt verfügbar sein werden und wie lange das dauert, hängt nun davon ab, wie gut sie funktionieren. Erst bei Phase 3 der Tests, wenn Tausende Menschen geimpft werden, die auch tatsächlich infiziert werden könnten, kann man dann sagen, es funktioniert oder eben nicht. Geht das Virus - wie es bei SARS1 war - wieder von allein weg, wird man das nie zeigen können.

Aber gibt es überhaupt noch eine Chance, dass dieses Virus wieder verschwindet?
Das ist die große Frage im Moment. Es gibt ein paar Theorien. Eine davon ist, das Virus kommt jede Saison wieder zurück. Die übelste dabei ist immer die erste Saison, die Pandemie. Da ist noch niemand immun. Mit jeder weiteren Saison könnte die Krankheit schließlich wie eine Grippe werden. Aber die andere Theorie ist, dass das Coronavirus auch wieder weggehen könnte, wenn genügend Menschen immun sind.

Bis wann wird sich entscheiden, ob das Virus wieder verschwindet?
Das kommt jetzt ganz darauf an, wie die einzelnen Länder damit umgehen. Es ist ein weltweit koordinierter Ansatz notwendig. Dann könnte das bis Ende des Jahres der Fall sein. Solange es aber Länder gibt, die sagen, wir machen weiter wie bisher und es dort Reservoirs gibt, wird das Virus nicht ausgerottet werden können. Das Risiko ist dann, dass immer wieder Fälle eingeschleppt werden und es wieder von Neuem beginnt.

Wie wird dieses Virus aus Ihrer Sicht die Welt verändern, wie wird also die viel genannte "neue Normalität" ausschauen?
Zum einen wird der Mundschutz in westlichen Ländern salonfähig. Auch Plexiglasscheiben an den Kassen werden wohl für immer bleiben. Die Telemedizin, die im Moment ein Muss ist, aber bis vor ein paar Wochen etwas war, das man in den USA nur in rein ländlichen, schwer erreichbaren Gegenden eingesetzt hat, wird in Zukunft Routine. Und es wird mehr Videokonferenzen geben. Denn auch jene Menschen, die bisher verweigert haben, diese Technologien zu erlernen, müssen sie jetzt anwenden und Kinder und Jugendliche, die über Monate hinweg per Video unterrichtet werden, wachsen damit auf und es ist einfach "normal".

© Privat

ZUR PERSON: Wolfgang Leitner Der gebürtige Österreicher studierte Biochemie an der Universität Salzburg. Seine Forschungsarbeit führte ihn dann in die USA, wo er u. a. am Walter Reed Army Institute of Research an Malaria-Impfstoffen arbeitete. Einer dieser Impfstoffe, an denen er beteiligt war, wurde vergangenes Jahr in Afrika zugelassen. Seit 2014 ist er Leiter der Sektion angeborene Immunität am National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID).

Das Interview ist ursprünglich in der Printausgabe von News (16/2020) erschienen.