Einerseits begibt man sich mit "La La Land" auf die unverbindliche Seite: Mit 14 Nominierungen ist Damien Chazelles sauberer, nett anzusehender Musicalfilm haushoher Oscar-Favorit. Zwei der traditionellen Vorrunden hat das Werk schon für sich entschieden: Die britische Akademie für Film und Fernsehen (BAFTA) - wichtigster Indikator für die Oscars - kürte "La La Land" zum besten Film und reichte vier weitere Masken nach, darunter eine für Hauptdarstellerin Emma Stone. Und Hollywoods Auslandspresse stellte sich mit sieben Golden Globes ein.
Andererseits setzt die amerikanische Filmakademie mit der diesjährigen Nominierungsliste politische Zeichen, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen: Nie in der Oscar-Geschichte war die Zahl nichtweißer Kandidaten so hoch. Barry Jenkins tritt mit dem achtfach nominierten Drama "Moonlight" unter anderem im Bewerb "bester Film" an. Um diese Ehre rittert das Werk mit "Hidden Figures - unerkannte Heldinnen", Theodore Melfis wahrer Geschichte über drei schwarze Wissenschaftlerinnen, die bei der NASA in hohe Positionen aufstiegen: drei Nominierungen, eine weniger als für Denzel Washingtons Verfilmung des Theaterstücks "Fences" ("Zäune") von August Wilson.
Gar zu sechsfacher Ehre gelangte schließlich Garth Davis' "Lion", die herzenswarme, wahre Geschichte eines nach Australien adoptierten indischen Buben, der nach seinen Wurzeln fahndet.
Nur politisch korrekt?
Fraglos hat die stürmische Zuwendung der Academy auch mit dem Eklat vom Vorjahr zu tun: Ausnahmslos weiße Regisseure und Schauspieler waren da nominiert. Mag das nun künstlerische oder andere Gründe gehabt haben -die Proteste kamen prompt und effektvoll. Unter dem Hashtag "#OscarsSoWhite" entluden sich auf der Internetplattform Twitter tornadoartige Shitstorms. Will Smith, der sich um seine Chance auf die begehrte Statuette betrogen sah, boykottierte die Verleihung im Dolby Theatre von Los Angeles.
"Die Nominierungen dieses Jahres wirken tatsächlich wie eine Antwort auf die Debatten rum die letzten Oscars, und es haben sich sicherlich manche Mitglieder der Academy davon beeinflussen lassen", gibt Alexander Horwath, Direktor des Österreichischen Filmmuseums, zu bedenken. "Andererseits: Wenn keine guten Kandidaten aus dem afroamerikanischen Filmschaffen im Angebot wären, gäb's auch keine Nominierungen."
Starkes, schwarzes Kino
Denzel Washington kommentierte schon das vorjährige Getöse mit Gelassenheit. "Na und? Soll man deswegen aufgeben? Gib einfach dein Bestes." Diesen Rat beherzigte er selbst in einem Ausmaß, das alle Spekulationen über eine Quotennominierung seines Familiendramas "Fences" obsolet werden lässt. Sein Kollege Theodore Melfi vertraute für "Hidden Figures" einer simplen, leicht zugänglichen Geschichte über drei historische Frauenpersönlichkeiten, die sich mit Können und Durchschlagskraft gegen Rassismus und Frauendiskriminierung im Amerika der frühen Sechzigerjahre durchsetzen.
Washington hingegen ging mit "Fences" ins Monumentale. Als sein eigener Darsteller verkörpert er in der Verfilmung von August Wilsons Theaterstück den Müllarbeiter Troy Maxson, einen verzweifelten Familienvater, für den Rassismus im Pittsburgh der Fünfzigerjahre schmerzvoller Alltag ist. Die "New York Times" reiht das Werk schon unter die "faszinierendsten Theaterverfilmungen". Das sah die Oscar-Academy ebenso: Sie nominierte Film und Hauptdarsteller unter den Jahresbesten.
Schärfste Konkurrenz droht Washington von Barry Jenkins. Auch der 37-jährige Regisseur griff zu einem Theaterstück, freilich mit weit geringerem Budget. Die cineastische Umsetzung von Tarell Alvin McCraneys Drama "In Moonlight Black Boys Look Blue" musste mit marginalen fünf Millionen Dollar auskommen. Im Oktober erreichte das Werk die amerikanischen Kinos und spielte seither mehr als das Vierfache ein. Erzählt wird die Coming-of-Age-Story des Buben Chiron aus desolaten Verhältnissen in Miami. Der Sohn einer alleinerziehenden, drogenabhängigen Mutter findet im Exilkubaner Juan (Mahershala Ali) einen Ersatzvater. Doch der ist der Giftlieferant der Mutter: Wieder bleibt Chiron allein und muss auch noch lernen, mit seiner homosexuellen Neigung zurechtzukommen. "Schlichtweg großartig" nennt Horwath Jenkins' Werk. "Ein Film, der weit über das thematische Label des schwarzen Kinos hinausgeht. Endlich wieder ein Werk, das sowohl inhaltlich als auch künstlerisch den Ansprüchen der Gegenwart gerecht wird." Viennale-Direktor Hans Hurch wird da deutlich: "Wirklich schlimm wäre es, wenn solche Filme so behandelt würden, als wären sie eine Art Wiedergutmachung für eine falsche Oscar-Politik. Diese Filme sind das kämpferische Gegenteil von einem freundlichen Onkel-Tom-Kino, wie es etwa 'Intolerance' darstellt, oder des zynischen Black Pop von Quentin Tarantino in 'Django Unchained'." Die beste Antwort auf die müßige Diskussion um die Hautfarbe von Kinoschaffenden sei Raoul Pecks für den Oscar nominierter Dokumentarfilm "I Am Not Your Negro" über die Bürgerrechtskämpfer Malcolm X, Martin Luther King und Medgar Evers.
Die nominierten Filme seien einfach gut, mahnt auch der österreichische Regiestar Robert Dornhelm zum Pragmatismus. Lieber solle man sich Gedanken machen, weshalb in 89 Jahren Oscar-Geschichte nur eine Frau mit dem Regiepreis ausgezeichnet wurde. Kathryn Bigelow ("Tödliches Kommando", 2010) blieb bis dato allein. Womit die nächste Debatte unabwendbar erscheint.
Nun fragt man sich allseits, ob "La La Land" seine Nominierungen einlösen kann. Immerhin halten neben der schwarzen Konkurrenz auch das Familiendrama "Manchester by the Sea", der Science-Fiction-Streifen "Arrival", Mel Gibsons patriotischer Kriegsfilm "Hacksaw Ridge" und der Western "Hell Or High Water" dagegen. Dornhelm räumt "La La Land" die besten Chancen ein, denn in "politischen scheußlichen Zeiten sehnen sich die Menschen nach Hollywoods heiler Welt". Beamt sich Amerika tatsächlich aus der Trump'schen Realität in den Kitsch?
Hier finden Sie die Oscar-Nominierungen im Überblick