Orlando: Ein Parforceritt
durch die Jahrhunderte

Zum ersten Mal in der 150-jährigen Geschichte der Wiener Staatsoper komponierte eine Frau eine abendfüllende Oper für das Haus am Ring. Olga Neuwirth – sie zählt zu den interessantesten Tondichtern der Gegenwart - vertonte Virginia Woolfs Roman „Orlando“. Sie werde alle Normen sprengen, hatte sie in Gesprächen vor der Uraufführung betont. Dabei nahm sie eines vorweg: „Orlando“ sei für sie keinen Oper, sondern eine „Musiktheater-Performance“.

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Bühne - Orlando: Ein Parforceritt
durch die Jahrhunderte

Das war es auch. Die Geschichte des jungen Adeligen Orlando, der als 30-jähriger unter Trompetenfanfaren als Frau erwacht, nützte Neuwirth für ein ausladendes Plädoyer für die Gleichstellung der, inzwischen heute aller drei anerkannten, Geschlechter. Dabei ließ sie (leider) nichts und doch zu vieles aus. Auch in der Musik nicht.

Vogelgezwitscher wurde zum Auftakt elektronisch eingespielt. In verschiedenen Stimmungen setzte das Orchester zweimal an. Neuwirth vermischte in ihrer Tondichtung die Genres. Ausgangspunkt ist das elisabethanische Zeitalter. Über Händel und Purcell führt sie zu Klaus Nomi und zu ihren eigenen Kompositionen. „Oh Tannenbaum“ und „Danke, für diesen guten Morgen“ setzt sie deutlich zur Untermalung von Missbrauch in der Kirche ein. Cembalo, eine Live-Band, ein ausgedehntes Schlagzeugsolo inklusive, vermischen sich mit orchestralen Passagen. Matthias Pintscher organisiert das große Ganze beachtlich.

Der Gesang ist sehr reduziert. Kate Lindsey schafft es, der Figur des Orlando mit ihrem exzellenten Mezzosopran Konturen zu verleihen. Sie trotzt der totalen Überfrachtung an Bildern und musikalischen Überlagerungen. Aus dem Ensemble ragt vor allem Leigh Melrose als literarischer Tutor, Verleger Mr. Green und später als Orlandos Geliebter Sherlmerdine heraus. Wolfang Bankl gelingt es, darstellerisch und stimmlich als Duke aus dem Geschehen aufhorchen und aufblicken zu lassen. Constance Hauman (Queen/Purity/Friend of Orlando's) Eric Jurenas (Guardia Angel), Agneta Eichenholz (Sasha/Chastity) ergänzen gut.

Der Aufwand war enorm. Mehr als 30 Solisten, Chor und Kinderchor der Wiener Staatsoper, eine eigene Band und die Statisten waren von der japanischen Modedesignerin Rei Kawakubo von „Comme de Garçons“ fantasievoll eingekleidet worden. Auf Projektionswänden wurde das Geschehen mittels Live-Kamera und Videos (Will Duke) abgebildet.

Das Problem der Aufführung liegt in der dramaturgischen Umsetzung eines Librettos (in englischer Sprache), das zu viel will. Neuwirth und Christian Filloux reißen die meisten Themen nur an. Woolfs Geschichte wird im ersten Teil in knappen Szenen durchgespielt. Das hatte noch eine Dichte. Aber im zweiten Teil galoppiert man bis in die Gegenwart, legt im Amerika Donald Trumps einen Zwischenstopp ein, kommt zur Genderdiskussion, übt Kritik am Kapitalismus und endet bei der „Fridays for Future“-Bewegung. Musik und Geschehen zerfleddern. Justin Vivien Bonds Auftritt als Orlandos Kind wirkt wie ein ausgedehntes Einsprengsel. Ihre Brandrede für Geschlechtergleichheit geht im Geschehen unter.

Dass Neuwirth Woolfs Geschichte bis in die Gegenwart weiterdenkt, ist schlüssig. Woolfs Roman endet am 11. Oktober 1928, Neuwirths Stück jeweiligen Vorstellungstag. Doch wie lang ist dieser Tag, wie viele Schlüsse hat sie geschrieben? Es ist so traurig, wenn sich eine so starke Komponistin von Banalitäten überwältigen lässt. Diese sind im Libretto verpackt. Warum braucht diese Musik, die alles erzählt, den Weltschmerz spüren lässt, die oft öde Umsetzung in Videos. Warum braucht sie einen gesprochenen Kommentar? Anna Clementi agiert als zunächst schrullige Erzählerin, am Ende hat auch sie noch das Schlusswort. „Hello everyone. To all of you, we wish you a heart of gold, a purse of notes and a plate of turkey.“

Diesem Werk ist eine dramaturgisch durchdachte Umsetzung zu wünschen. Sehenswert ist es dennoch.