Was macht die EVP
mit Viktor Orbán?

Die Europäische Volkspartei ist die mächtigste Gruppe im Europaparlament - und trägt seit Wochen einen offenen Streit mit der Partei des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban aus. Heute könnte dessen rechtsnationale Fidesz aus dem Parteienverbund, dem auch CDU und CSU angehören, ausgeschlossen werden.

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EU-Politik - Was macht die EVP
mit Viktor Orbán?

Warum stehen der Fidesz und die Orban-Regierung in der Kritik?
Kritiker werfen Orban seit Jahren vor, Demokratie und Rechtsstaat auszuhöhlen. Die Organisation Freedom House stuft das Land nur noch als "teilweise frei" ein. Die EU-Kommission leitete mehrere Verfahren wegen mutmaßlicher Verletzung von EU-Recht ein. Und das Europaparlament startete ein Strafverfahren wegen der mutmaßlichen Bedrohung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechten. Diese Entwicklung bewerten Teile der EVP schon länger als bedenklich.

Und warum steht die EVP-Mitgliedschaft des Fidesz jetzt erst infrage?
Das Fass zum Überlaufen gebracht hat eine Plakat-Kampagne der ungarischen Regierung, mit der Orban das Land überzogen hatte. Auf den Plakaten wurden EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und der US-Milliardär George Soros als Förderer illegaler Migration diffamiert. Daraufhin forderten 13 EVP-Parteien den Rauswurf oder die zeitweise Suspendierung des Fidesz. Orban setzte noch eins drauf und beschimpfte die Kritiker als "nützliche Idioten", die das Geschäft der Linken und Liberalen betrieben.

Wie kann Orban einen Rauswurf noch verhindern?
EVP-Fraktionschef Manfred Weber hatte zuletzt drei Bedingungen aufgestellt, um zumindest weiter im Gespräch zu bleiben: ein Ende der Plakat-Kampagne, eine Entschuldigung an die anderen EVP-Parteien und Sicherheit für die Universität CEU in Budapest. Zudem müsse die CEU wieder amerikanische Diplome in Budapest ausstellen können. Die CEU war im Dezember unter Druck der ungarischen Regierung nach 26 Jahren Tätigkeit in Budapest nach Wien umgezogen.

Wie hat Orban zuletzt auf den drohenden Rauswurf reagiert?
Im Zickzackkurs. Wegen der "nützlichen Idioten" hat er um Entschuldigung gebeten, die Anti-Juncker-Kampagne hat er vorerst eingestellt. In Sachen CEU hat er öffentlich noch kein Entgegenkommen gezeigt. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sagte am Dienstag jedoch, in der Sache habe es ein positives Signal von Orban gegeben.

Die von ihm kontrollierten Medien ließ Orban zuletzt das Ausscheiden des Fidesz aus der EVP als folgerichtig und wünschenswert darstellen. Am Dienstag sprach der Leitartikel des Orban-Sprachrohrs "Magyar Nemzet" der EVP die Zukunftsfähigkeit ab. Tenor: Ungarns Politik werde sich von niemandem reinreden lassen, schon gar nicht von Bruderparteien, die "gar keine Brüder" sind.

Worüber wird an diesem Mittwoch abgestimmt? Und wer stimmt ab?
Über einen möglichen Ausschluss entscheidet der EVP-Vorstand. Er setzt sich aus rund 260 Delegierten zusammen. Aus Österreich sind insgesamt sechs Delegierte der ÖVP im EVP-Vorstand vertreten. Allerdings wird Bundeskanzler und ÖVP-Obmann Sebastian Kurz an der Sitzung des Vorstands am Mittwoch nicht teilnehmen. Er lässt sich laut einem ÖVP-Sprecher von ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer vertreten. Der ÖVP-Delegationsleiter im Europaparlament und -Spitzenkandidat bei der EU-Wahl im Mai, Othmar Karas, kommt ebenfalls nicht zur EVP-Vorstandssitzung. Die ÖVP und Kurz haben sich den Ausschlussforderungen bisher nicht angeschlossen, Karas befürwortet eine Suspendierung.

Worüber genau abgestimmt wird, war bis zuletzt offen. EVP-Präsident Joseph Daul sagte bei einer Fraktionssitzung in der vergangenen Woche nur zu, dass abgestimmt werde. Er wird am Mittwoch wohl einen Vorschlag vorlegen, von dem er glaubt, dass er eine Mehrheit findet.

Wie könnte dieser Vorschlag aussehen?
Ausschluss, Suspendierung, gar nichts - diese Optionen stehen im Raum. Am Dienstag verdichteten sich allerdings die Zeichen, dass die Fidesz-Mitgliedschaft zeitweise ausgesetzt werden könnte und Bedingungen an die Partei gestellt werden könnten. Das Ergebnis wird allerdings auch von Orban und seinem Entgegenkommen bis zur Abstimmung abhängen.

Welche Folgen könnte ein Rauswurf der Fidesz-Partei haben?
Die langfristigen Folgen sind kaum absehbar. Kurzfristig hätte die EVP-Gruppe im Parlament nach der Europawahl ohne den Fidesz allerdings rund ein Dutzend Mitglieder weniger. Auch andere Parteien könnten die EVP wegen des Orban-Ausschlusses verlassen. Zusammen mit dem Fidesz könnten sie sich der EU-skeptischen EKR-Parteienfamilie anschließen, in der schon jetzt die rechtsnationale polnische Regierungspartei Pis ist.

Einige befürchten, dass ein Orban-Rauswurf langfristig die Ost-West-Spaltung Europas vorantreiben könnte. Der CDU-Europaabgeordnete Daniel Caspary verweist zudem auf das Beispiel der britischen Tories, die die EVP vor einigen Jahren verlassen haben. Auch das habe zum Brexit beigetragen. "Die EVP könnte sich das Leben sehr leicht machen und den Fidesz rausschmeißen. Damit wäre aber niemandem geholfen", sagt Caspary. Er sei dafür, bis zuletzt mit Orban im Gespräch zu bleiben und auf ein Entgegenkommen zu setzen.

Welche Rolle spielt CSU-Politiker Manfred Weber?
Weber tritt für die EVP als Spitzenkandidat bei der Europawahl Ende Mai an - und steckt in der Zwickmühle. Einerseits kann er die Fidesz-Stimmen gut gebrauchen, wenn er im Herbst Nachfolger von EU-Kommissionschef Juncker werden will. Andererseits bietet das Thema Angriffsfläche für die politische Konkurrenz. Immer wieder muss er sich bei seinen Terminen in Europa für den Fidesz rechtfertigen.

Kurz für sechsmonatiges Einfrieren der EVP-Mitgliedschaft von Fidesz

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) spricht sich dafür aus, die EVP-Mitgliedschaft der ungarischen nationalkonservativen Regierungspartei Fidesz von Premier Viktor Orban für sechs Monate einzufrieren. Sollte EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber wie angekündigt diesen Schritt vorschlagen, werde die ÖVP dem zustimmen, sagte Kurz am Mittwoch im Pressefoyer nach dem Ministerrat.

Weber werde am heutigen Mittwoch vorschlagen, dass die Mitgliedschaft der Fidesz eingefroren wird und die nächsten sechs Monate mit einem Weisenrat an einer Lösung gearbeitet wird, sagte Kurz. Die drei Bedingungen Webers an Orban, nämlich ein Ende der Plakat-Kampagne gegen EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, eine Entschuldigung an die anderen EVP-Parteien und Rechtssicherheit für die Central European University in Budapest habe Orban seinen Informationen nach akzeptiert. Der EVP-Vorstand entscheidet am heutigen Mittwochnachmittag in Brüssel über den Umgang mit Fidesz. Kurz wird bei der Sitzung von ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer vertreten.

»Mein Angebot steht, ich schätze ihn«

Gleichzeitig betone Kurz, dass die Fidesz bei einem Einfrieren der Mitgliedschaft dennoch Mitglied in der EVP-Fraktion des Europaparlaments bleiben würde. "Wenn sie ausgeschlossen sind, sind sie nicht Mitglieder der Fraktion, wenn sie nicht ausgeschlossen sind - wenn sie z.B. nur suspendiert sind - sind sie Mitglieder."

Vizekanzler Heinz-Christan Strache (FPÖ) bejahte die Frage, ob sein Angebot an Orban nach wie vor stehe, dessen Partei in einer neuen Rechtsfraktion willkommen zu heißen, sollte die Fidesz aus der EVP ausgeschlossen werden: "Ja mein Angebot steht, ich schätze ihn. Sollte das der Fall sein, dass ein Ausschluss oder eine Suspendierung oder was auch immer erfolgt, dann wird er sich sicherlich auch um eine neue Fraktion bemühen."

Ungarischer Minister: Fidesz tritt bei Suspendierung aus EVP aus

Die ungarische rechtsnationale Regierungspartei Fidesz will bei Suspendierung ihrer Mitgliedschaft in der Europäischen Volkspartei (EVP) umgehend aus der Parteienfamilie austreten. Das kündigte der ungarische Kanzleramtsminister Gergely Gulyas am heutigen Mittwoch in Budapest an, wie die amtliche Nachrichtenagentur MTI berichtete.

Der EVP-Vorstand entscheidet am heutigen Mittwoch (ab 15.00 Uhr) in Brüssel über den weiteren Umgang mit Fidesz. 13 EVP-Parteien fordern den Ausschluss der Partei von Premier Viktor Orban. EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber strebt offenbar eine zeitweilige Suspendierung der Mitgliedschaft von Fidesz an. Ein derartiges Vorgehen wird etwa von den deutschen Union und von der ÖVP unterstützt.

Orban, dessen Partei Ungarn seit 2010 mit überwältigender Mehrheit regiert, liegt unter anderem aufgrund des Umgangs seiner Regierung mit Justiz, Medien und NGOs sowie mit Flüchtlingen seit langem über Kreuz mit Teilen der EVP. Zuletzt sorgte eine Plakatkampagne gegen EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker - selbst EVP-Mitglied - für Aufregung. Orban selbst wirft der Volkspartei wiederum vor, allzu liberal geworden zu sein und das christdemokratische Erbe verraten zu haben.

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