Bereits bei der Ouvertüre war klar, hier wird Verdi bei buchstäblich jeder Note ernst genommen. Für Wiener operngewohnte Ohren mögen Speranza Scappuccis Tempi vor allem beim Vorspiel des ersten und dritten Aufzugs ungewöhnlich anmuten. Das Flirren der hohen Streicher, das ähnlich Richard Wagners „Lohengrin“ etwas anzeigt, das nicht von der dieser Welt ist, leitete das Drama ein. Was folgte war keine Aufforderung zum gefälligen Mitwiegen oder gar Mitschunkeln im Takt, sondern der Beginn eines Tanzes in den Tod. Scappucci entwickelt das Drama aus dem Graben, wie es Verdi geschrieben hat. Dass sie ihr Handwerk an höchster Stelle studieren konnte, ist dem präzisen Dirigat anzumerken. Die gebürtige Römerin und Wahlwienerin arbeitete einige Jahre lang mit Riccardo Muti bei den Salzburger Festspielen und in Rom, bevor sie selbst zu dirigieren begann. Von ihrer Tätigkeit als Korrepetitorin und Liedbegleiterin profitiert sie auch im Orchestergraben. Sie versteht es, mit den Sängern zu atmen und Orchester und Bühne in Einklang zu bringen.
Das ist auch bei einer fabelhaften Besetzung wie bei dieser „La Traviata“-Serie nicht von Nachteil. Marina Rebeka überzeugt mit klarem, höhensicheren Sopran. Charles Castronovo ergänzt als Alfredo mit seinem dunklen, schön gefärbten Tenor ideal. Von Illseyar Kharyrullova als ist stimmlich und darstellerisch nur Gutes zu berichten. Auftrittsapplaus gab es für Dmitri Hvorostovsky. Der russische Bariton berührte als Giorgio Germont in jeder Hinsicht.
Jean-François Sivadiers Regie ist sängerfreundlich und bewährt.
Repertoireaufführungen wie diese zeigen nicht nur die Stärken eines Hauses, sondern sind auch Gradmesser für Dirigenten. Scappucci hat nach ihrem fulminanten Staatsopern Debüt mit Rossinis „Aschenputtel“ vor wenigen Wochen in Wien nun eine Punktlandung bei Verdi absolviert.