Oper wie aus Hollywoods Traumfabrik

Peter Konwitschny inszeniert „Thais“ von Jules Massenet am Theater an der Wien

von
THEMEN:
Opernkritik - Oper wie aus Hollywoods Traumfabrik © Bild: Werner Kmetitsch

Oper in Zeiten des erzwungenen Kulturstillstands zu ermöglichen, ist eine Unternehmung, die man nicht hoch genug schätzen kann. Noch besser - oder vielleicht sogar noch schmerzhafter - wenn man damit so reüssiert wie Roland Geyer, Intendant des Theaters an der Wien. Denn das Publikum muss noch auf diese vorzügliche Produktion warten. Unitel nahm die Premiere von Jules Massenets „Thaïs“ auf DVD auf, auch im Fernsehen soll ein Mitschnitt gezeigt werden, wann ist noch nicht bekannt. Wenige Journalisten durften nach Vorweisen eines negativen Corona-Tests dabei sein. Eine Aufnahme in den Spielplan, wäre lohnend, denn Geyer hatte für diese Rarität einen der wirklich großen und immer seltener werdenden Könner unter den Opernregisseuren an sein Haus geholt: Peter Konwitschny. Seine Inszenierungen sind wahrhaftes Regietheater, die aber verschlüsseln und verwüsten nicht, sie erklären und erfassen ein Werk in seiner Gesamtheit und mit seinen Kontexten. So auch Massenets Vertonung des Romans von Anatole France über eine Nobelkurtisane, die von einem Jugendfreund, der sich als Mönch dem Glauben verschrieben hat, bekehrt wird.

Konwitschny schafft es, mit wenigen Mitteln, große Oper, starkes Theater und in diesem Fall großes Hollywood-Kino zu machen. Ein einfacher Vorhang, der im Halbkreis das Geschehen umrahmt, verwandelt die Bühne (Johannes Leiacker) in eine Wüstenlandschaft, in eine Villa und in eine unbestimmte Ödnis zwischen Leben und Jenseits. Konwitschnys Basis ist die Partitur. Während die Musik leichte Anklänge an Richard Wagner signalisiert, ordnet Konwitschny die Mönche um einen Sandhügel an und verweist damit auf den Venushügel in „Tannhäuser“. Oder wenn der Asket Athanaël seine Brüder verlässt, um in Alexandria Thaïs zu bekehren, reichen diesem Regisseur ein paar Veränderungen in der Beleuchtung, ein Laufsteg, ein Sofa und eine präzise Personenführung. Szenarien wie man sie aus großen Revue-Filmen der Traumfabrik kennt, wechseln mit dramatischem Kammerschauspiel. Die Figuren tragen alle Flügel, die Mönche gleichen in ihrem schwarzen Kutten und dem Federbesatz einem Heer von Todesengeln. Radikalität wird da schlicht, scharf und präzise demonstriert. Athanaël ist bei Konwitschny zerrissen zwischen seinen menschlichen Sehnsüchten, seinem Glauben und religiösem Fanatismus, der ihn auch zur Pistole greifen lässt, um sein Vorhaben durchzuziehen. Thais, die zu bekehrende Kurtisane, rückt Konwitschny in die Nähe von Manon, einer der anderen Frauenfiguren von Massenet, die Opfer ihrer Sucht nach Luxus wird, und der Venus im Wagner’schen „Tannhäuser“. Der gebürtige Niederösterreicher Josef Wagner und die Amerikanerin Nicole Chevalier formieren das Paar in jeder Hinsicht überzeugend. Da sind zwei exzellente Singschauspieler auf der Bühne. Chevaliers leuchtender Sopran und Wagners expressiver Bariton harmonieren famos. Roberto Saccà ergänzt sehr gut als Nicias, auch der Rest des Ensembles ist sehr gut besetzt. Der Arnold Schönberg Chor agiert glänzend. Leo Hussein arbeitet am Pult des ORF-Radio-Symphonieorchesters Wien die Anklänge von Massenets Musik an Wagner, an große Pariser Oper heraus und verwebt die mit einer Art Fin-de-Siecle-Flair. Konzertmeisterin Maighréad McCrann betont die schwere Schwüle der „Meditation“. Gut, dass diese Produktion durch die düsteren Umstände einem Publikum zumindest per DVD zugänglich gemacht wird, bis das Haus wieder öffnen kann.

Radio Ö1 sendet einen Mitschnitt am 20. 2. Um 19.30 Uhr.

Kommentare