"Lucia di Lammermoor":
Konstruierter Wahn im Schneegestöber

Opernkritik. Über die Premiere von Gaetano Donizettis „Lucia di Lammermoor“ an der Wiener Staatsoper

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Opernkritik - "Lucia di Lammermoor":
Konstruierter Wahn im Schneegestöber

Im Publikum der Premiere von Gaetano Donizettis „Lucia di Lammermoor“ war Anna Netrebko. Sie hatte als Lucia di Lammermoor bei ihrer Rückkehr auf die Opernbühnen nach der Geburt ihres Sohnes in St. Petersburg und Wien triumphiert. Das ist zehn Jahre her. Edita Gruberova hatte diese zentrale Belcanto-Partie über die Jahrzehnte geprägt und sich von der Bühne im vergangenen Sommer damit verabschiedet. In der Neuproduktion (eine Koproduktion mit der Oper in Philadelphia) von Laurent Pelly ist nun Olga Peretyatko zu erleben. Sie ist anders und vor allem keine typische Repräsentantin dessen, was man einst unter Belcanto zu hören gewohnt war. Sie erarbeitet sich ihre Partie Ton für Ton. Auf ein leichtes Spiel mit Koloraturen, auf Höhen wartet man bei ihr vergeblich. Ihre Wahn-Arie wirkt mühsam konstruiert und bleibt auf ihre Art bescheiden.

Regisseur Laurent Pelly macht es seinen Sängern nicht leicht. Möglicherweise, weil er zu viel wollte, oder, weil er davon nicht besonders viel auf der Bühne zeigte. Weshalb er die düstere Bühne (Chantal Thomas) in Dauer-Schneegestöber hüllt, schien auch schon das einzige, das ihm eingefallen ist. Vorbild für seine Sichtweise auf Gaetano Donizettis „Lucia di Lammermoor“ war Jean Epsteins Schwarz-Weiß-Verfilmung von Edgar Allen Poes Schauerroman „Der Fall des Hauses Usher“ (1928). Donizetti aber vertonte keinen Schauerroman, sondern Sir Walter Scotts „Die Braut von Lammermoor“, eine Art „Romeo und Julia“-Geschichte. Lucia Ravenswood wird von ihrem Bruder Enrico von ihrem Geliebten Edgardo Ashton ferngehalten, da die Familien verfeindet sind. Enrico zwingt Lucia einen anderen zu heiraten. Den erdolcht sie noch in der Hochzeitsnacht und verfällt dem Wahn. Bei Pelly ist Lucia schon von Beginn an nicht ganz zurechnungsfähig. Als bizarre Erscheinung tritt sie auf. In keinem Moment scheint sie ganz bei sich. Pelly setzt beim übrigen Personal auf statisches Rampentheater. Das geht auf Kosten der Dramatik. Georges Petean schwingt seinen Bariton zu seltsamen tenoralen Höhenflügen auf, bleibt aber als Lucias Bruder Enrico nur der Schatten eines Bösewichts. Jongmin Park dominiert als Raimondo, der Vertraute Lucias, mit seinem mächtigen, wohltönenden Bass. Virginie Verrez und Leonordo Navarro lassen in kleineren Partien aufmerken. Lukhanyo Moyake hat wenig Chancen, mit seiner nicht besonders großen Tenorstimme als Arturo zu punkten. Evelino Pidó banalisiert die Partitur, lässt die Musik einfach ablaufen. Einen Moment gab es, der aufhorchen ließ, als Flöte und Klarinette mit der Glasharmonika zur „Wahnsinns“-Arie wie aus einer anderen Welt ertönten.

Dennoch gab es ein Ereignis: die Schluss-Arie von Juan Diego Florez als Edgardo, die vom Solo-Cello mit warmen, wundervollen Tönen eingeleitet wurde. Furios, fulminant entfaltete Florez seinen herrlich timbrierten Tenor mit ganzer Strahlkraft. Mühelos erreichte der Meister der höchsten Töne jede Höhe. Das war dann wirklich ganz große Oper.

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