Die Poesie eines
(Musik-)Theatermachers

Hans Neuenfels zeigte seine Inszenierung von Mozart Singspiel "Die Entführung aus dem Serail" an der Wiener Staatsoper.

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Opernkritik - Die Poesie eines
(Musik-)Theatermachers © Bild: Michael Poehn

Ein wundersamer, zartblauer Schmetterling erscheint, gleichsam ein Vorbote des poetischen Schaffens des Theatermacher Hans Neuenfels. 1998 hatte er Wolfgang Amadeus Mozarts Singspiel "Die Entführung aus dem Serail" in Stuttgart inszeniert. Es war seine erste Auseinandersetzung mit diesem Komponisten. Die Wiener Staatsoper hatte diese Produktion übernommen und demonstrierte: Nachhaltigkeit gibt es auch im Opernbetrieb. Die Geschichte vom spanischen Adeligen Belmonte, der seine Geliebte aus dem Harem des Bassa Selim befreien will, gerät bei Neuenfels zu einer Studie über Kulturen und zutiefst menschliche Abgründe.

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Er nahm den Begriff "Singspiel" wörtlich und verdoppelt die Figuren. Die gesprochenen Texte werden von Schauspielern übernommen. Christian Schmidt hat ein ideales Ambiente geschaffen: Die Bühne fungiert ohne Umbauten als Wohnhaus, von innen und außen, Schlaf- und Wohnzimmer inklusive, und als Theaterbühne, auf der Chor und Sänger auftreten.

Feinsinnig spürt Neuenfels der Musik nach und inszeniert Libretto und Partitur gleichwertig. Wie Sänger und Darsteller miteinander agieren, zum Teil in Doppel-Conferencen, zum Teil parallel, das ist voller Witz, Charme und Poesie. Jede Szene ergibt Sinn, amüsiert, schmerzt. Zu Beginn etwa, wenn Osmin, der Wächter von Bassa Selims Haus, die Köpfe von enthaupteten Frauen liebkost, mutiert er zu einer Art Salome. Gleich der vom Propheten zurückgewiesenen Tochter der Herodias in Richard Strauss' Oper holt er sich von den Toten, was ihm die Lebenden verwehrt haben. Das Buffo-Paar, Blondchen und Pedrillo, tritt in einer Szene als Papagena und Papageno auf, deren Kinder der Tod holt. Bassa Selim ist ein Esoteriker, der einem überdimensionalen Edelstein seine Sehnsüchte anvertraut.

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Lisette Oropesa ist eine wahre Entdeckung. Ihre Konstanze ist ein Ereignis. Der amerikanischen Sopranistin fehlt nichts: ihr Sopran erstrahlt in den hohen Tönen, die sie mühelos erreicht, besticht durch Sinnlichkeit und Ausdruck. Fulminant ihre "Martern"-Arie. Regula Mühlemann ist eine stimmlich kraftvolle Blonde, die ihren dunklen Sopran zur Entfaltung bringt. Daniel Behle lässt als Belmonte sehr schöne Phrasierungen hören. Michael Laurenz ist tadelloser Pedrillo. Goran Jurić komplettiert als stimmlich eher leichtgewichtiger Osmin. Christian Nickel ist ein idealtypischer Bassa Selim. Er zeigt einen aufgeklärten Herrscher, einen Europäer, der in einer fremden Kultur zu Macht und Ansehen gekommen ist. Neuenfels lässt ihn am Ende ein Gedicht von Eduard Mörike vortragen.

Exzellent agierte das Ensemble der Schauspieler: Emanuela von Frankenberg (Konstanze), Stella Roberts (Blonde), Christian Natter (Belmonte), Ludwig Blochberger (Pedrillo), Andreas Grötzinger (Osmin). Glänzend intonierte der Staatsopernchor.

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Antonello Manacorda macht mit dem Staatsopernorchester, respektive den Wiener Philharmonikern, jede Diskussion darüber, ob man Mozart nach Ausbruch der Originalklangbewegung anders spielen müsse, obsolet. Rasant prescht er mit einem Sprint im Rekordtempo bei der Ouvertüre los, lässt die "Janitscharen"-Musik ordentlich durchschlagen, ist den Sängern ein exzellenter Partner und sorgt für eine poetische Linie. Grandios.

Dass sich das Publikum bei der Premiere am Ende in zwei Lager spaltete, Buhs und Bravos für die Regie austeilte, ist Wiener Tradition. Neuenfels lässt eben niemanden unberührt, und die Staatsoper bewegt. So soll’s sein.