"Ich denke jeden Tag daran"

Überlebender Olympia-Athlet spricht über die schreckliche Terror-Attacke

Am 5. September 1972 verändert sich die Welt von Dan Alon für immer. Die palästinensische Terrorgruppe "Schwarzer September" überfällt am elften Tag der Olympischen Spiele in München das Olympische Dorf. Acht Terroristen dringen in die Unterkunft der Israelischen Delegation in der Connollystraße 31 ein. Elf Geiseln, ein deutscher Polizist und fünf der Terroristen kommen ums Leben. Die misslungene Befreiungsaktion der deutschen Polizei und die Weiterführung der Spiele sind bis heute umstritten. Der israelische Fechter Dan Alon erlebt die Tragödie hautnah mit. Im Interview mit NEWS.AT spricht er über die Geiselnahme, seine Flucht, die Frage der Schuld und wie es ihm heute geht.

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  • Bild 1 von 10 © Bild: Gert Krautbauer für THE BIOGRAPHY CHANNEL

    Dan Alon überlebte zusammen mit sechs anderen israelischen Athleten die Terror-Attacke während der Olympischen Spiele. Das Erlebte hat er Jahre später in seinem Buch "Munich Memoir: Dan Alon’s Untold Story of Survival" verarbeitet.

  • Bild 2 von 10 © Bild: Gert Krautbauer für THE BIOGRAPHY CHANNEL

    Nach rund 40 Jahren haben sich die Athleten zum ersten Mal in München wieder getroffen und über die Geiselnahme gesprochen.
    Im Bild:Dan Alon, Avraham Melamed, Yehuda Weinstain, Shaul Paul Ladany

NEWS.AT: Als erfolgreicher Fechter waren Sie 1972 Mitglied des Israelischen Teams bei den Olympischen Spielen in München. Wie war die Stimmung bei Ihrer Ankunft?
Dan Alon: Ich bin schon zwei Wochen vor der Israelischen Delegation mit meinem Trainer und einem anderen Fechter angereist. Wir wurden eingeladen mit dem deutschen Team gemeinsam zu trainieren. Das Olympische Dorf war zu der Zeit noch fast menschenleer. Wir konnten uns das Appartement selbst aussuchen. Niemand hat uns gestört. Es war also eine sehr ruhige und nette Atmosphäre. Dann wurde das Dorf langsam voller. Es entwickelten sich Gespräche mit den anderen Athleten, auch mit Sportlern aus Ägypten, Syrien und dem Libanon. Um Politik ging es dabei überhaupt nicht.

NEWS.AT: Am 11. Tag der Spiele, dem 5. September, änderte sich dann mit der Terror-Attacke alles. Wo waren Sie zum Zeitpunkt der Geiselnahme?
Alon: Ich habe mir bei meiner Ankunft in unserer Unterkunft spontan das Appartement Nummer 2 ausgesucht, mein Fecht-Kollege ebenfalls. Mein Trainer befand sich in Appartement 1 zusammen mit den anderen Trainern. Die restlichen Athleten verteilten sich auf die Appartements 2 und 3. Als die Terroristen uns überfallen haben, sind sie zuerst in Appartement 1 gestürmt und haben alle Trainer gekidnappt. Die Trainer mussten den Terroristen dann verraten, wo sich die anderen Israelis befinden. Die Terroristen sind daraufhin zu Nummer 3 weitergegangen und haben die Athleten ebenfalls als Geiseln genommen und dabei sind sie durch unser Appartement gekommen. Wir haben währenddessen geschlafen. Sie haben die Athleten in Appartement 1 gebracht, wieder durch unsere Räumlichkeiten. Laute Geräusche und Schüsse haben uns schließlich aufgeweckt.
Wir sind keine Helden
NEWS.AT: Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen als Ihnen klar wurde, dass es sich um eine Terror-Attacke handelt?
Alon: Wir hatten alle Angst. Wir sind keine Helden. Es ist nicht leicht, wenn man sich in so einer Situation befindet. Vor allem wenn man nicht weiß, was genau passiert. Wir wussten nicht, wie es den Athleten aus Appartement 3 geht. Wir wussten nicht, dass sie bereits Geiseln waren. Wir dachten, sie sind vielleicht bereits entkommen, weil wir an die Wand geklopft haben und keine Antwort zurückkam.

NEWS.AT: Wie ist Ihnen die Flucht gelungen?
Alon: Wir konnten vom Fenster aus alles beobachten und mit anhören. Nach einer Stunde haben wir beschlossen über den Balkon auf der anderen Seite des Gebäudes in den Garten zu fliehen. Obwohl die Unterkunft von bewaffneten Terroristen bewacht wurde, versuchten wir unser Glück. Einer nach dem anderen rannte los. Wir hatten auch zwei Gewehre von den Olympia-Sportschützen. Zuerst wollten wir die Terroristen am Eingang erschießen und dann flüchten. Die Gewehre waren schon geladen und wir waren bereit zu schießen. Aber am Ende wollten wir das Risiko dann doch nicht eingehen. Wir wussten nicht, wie viele Terroristen es waren und wie viele Waffen sie hatten. Wir hätten vielleicht einen erschießen können und sie uns alle. Wir sind daher durch den Garten geflohen und so entkommen.

NEWS.AT: Haben Sie um Ihr Leben gefürchtet?
Alon: Sicher, jeder würde das in so einem Moment. Die eine Stunde innerhalb des Gebäudes war eine lange Zeit, auch weil wir alles mitbekommen haben.

NEWS.AT: Kannten Sie die Opfer der Attacke gut?
Alon: Ja. Mein Trainer André Spitzer wurde an diesem Abend getötet. Auch die anderen kannte ich sehr gut, weil wir drei Monate vor den Olympischen Spielen zusammen in einem Camp in Israel waren. Wir haben dort gemeinsam trainiert. Wir waren also gut befreundet.

NEWS.AT: Wie haben Sie vom Tod der Geiseln erfahren?
Alon: Die Terroristen haben das Dorf mit dem Hubschrauber verlassen und sind zu einem Militärflughafen (Militärflughafen in Fürstenfeldbruck, Anm. der Red.) geflogen. Einige Stunden später hörten wir, dass die deutsche Polizei die Geiseln befreit hat. Wir waren sehr erleichtert, wir feierten und umarmten uns. Drei Stunden später erzählte uns die Polizei, dass sie alle bei der Befreiungsaktion gestorben sind. Das war ein großer Schock. Wir waren nicht sicher, ob wieder ein Fehler passiert ist, bis wir wirklich genügend Beweise hatten, dass alles vorbei war.
Ich wollte, dass die Spiele weitergehen
NEWS.AT: Nach der Attacke hieß es dann „the games must go on“. Wie haben Sie sich gefühlt, als die Spiele weitergingen?
Alon: Dazu hatte jeder von uns (Athleten, Anm. der Red.) seine eigene Meinung. Meine Meinung war eine völlig andere als die der meisten. Ich war dafür, dass die Spiele weitergehen. Ich wollte nicht, dass die Terroristen das Gefühl haben, sie hätten gewonnen. Und ich dachte auch wie ein Athlet. All die Athleten sind von überall auf der Welt hergekommen, um sich zu messen. Sie haben sich viele Jahre lang darauf vorbereitet und jetzt sollten sie plötzlich wegen uns heimfliegen. Also fand ich es logischer, dass die Spiele weitergehen. Dieses Jahr war es noch ok, aber nächstes Jahr hätten sie uns vielleicht die Schuld dafür gegeben.

NEWS.AT: Inwieweit geben Sie den Behörden und der Polizei die Schuld an dem tragischen Ende des Befreiungsversuches?
Alon: Ich war auf drei Organisationen wütend. Ersten war ich zornig auf die palästinensischen Terroristen, dass sie sich einen Ort wie diesen ausgesucht haben. Warum gerade bei den Olympischen Spielen? Und zweitens beschuldige ich die deutsche Polizei, dass sie sich unprofessionell verhalten hat, als sie die Athleten befreien wollte. Drittens gebe ich dem Israelischen Olympia-Komitee die Schuld dafür, weil es sich nicht um unsere Sicherheit im Olympischen Dorf gekümmert hat.

NEWS.AT: Es gab also überhaupt keine Sicherheitsmaßnahmen?
Alon: Nein, es gab keine Sicherheitsmaßnahmen. Wenn sie nur einen oder zwei Polizisten vor dem Eingang der Unterkunft postiert hätten, wäre nichts passiert. Die Terroristen hätten die Attacke gestoppt.

NEWS.AT: Sie sind dann zurück nach Israel geflogen. Wie haben die Menschen dort auf Ihre Ankunft reagiert?
Alon: Das war einer der dramatischsten Momente für mich. Wir verließen München mit zehn Särgen im Flugzeug. Ein Sarg ging nach Amerika, weil ein Athlet amerikanischer Staatsbürger war. Als wir am Flughafen angekommen sind und sich die Türen geöffnet haben, haben da tausende Menschen auf uns gewartet. Sie waren alle still und haben geweint. Es war niemand wirklich zornig von uns, wir waren einfach alle traurig.

NEWS.AT: Da waren keine Rachegefühle?
Alon: Es war niemand wirklich zornig von uns, wir (die überlebenden Athleten, Anm. der Red.) waren einfach alle traurig. 40 Jahre lang haben wir nie darüber gesprochen, bis vor kurzem. Vor einigen Monaten haben sich alle sieben überlebenden Athleten in München zum ersten Mal wieder getroffen. Und das war auch das erste Mal, dass wir wirklich miteinander darüber geredet haben, was damals passiert ist. Auch mit meiner Familie habe ich erst vor ein paar Jahren darüber gesprochen. Es war ein wirklich schlimmes Trauma.

NEWS.AT: Haben Sie deshalb nach den Olympischen Spielen auch das Fechten aufgegeben?
Alon: Ja. Ich habe deshalb zum Fechten aufgehört und angefangen, Kinder zu trainieren. 20 Jahre später haben mich diese Kinder überzeugt, noch einmal an den Nationalen Meisterschaften teilzunehmen. Und mit 46 Jahren habe ich dann noch einmal gewonnen. Danach habe ich wieder aufgehört und begonnen Golf zu spielen. lacht Das mache ich bis heute.

NEWS.AT: Hat die Terror-Attacke auch heute noch Einfluss auf Ihr Leben?
Alon: Bis heute leide ich unter Paranoia. Ich fühle mich nicht sicher, wenn ich in Europa bin. Ich drehe mich immer um, achte darauf, in welchem Hotel ich bleibe. Ich habe versucht, dagegen etwas zu tun, aber die Angst wird nie wieder weggehen. Sie wird mich immer begleiten. Die anderen Athleten leiden unter demselben Trauma wie ich. Jeden Tag denken sie daran.

NEWS.AT: Sie auch?
Alon: Ja, ich denke jeden Tag daran.

Zur Person:
Dan Alon wurde am 28.3.1945 in Israel geboren. Bereits im Alter von 12 Jahren gewann er in seiner Altersklasse die israelische Meisterschaft im Fechten. Vier Jahre später wurde er Jugendmeister. 1963 trat er dann in die Armee ein. In den Jahren 1965 und 1969 nahm Alon an der Maccabiah teil, der größten internationalen jüdischen Sportveranstaltung und holte sich erneut den Meistertitel, den er von 1968 bis 1973 beibehielt. 1972 reiste er zu den Olympischen Spielen nach München und überlebte mit sechs anderen israelischen Athleten die Terrorattacke. Nach der Tragödie gab Alon seine Sportart auf. Seine Erlebnisse hat er in dem Buch "Munich Memoir: Dan Alon’s Untold Story of Survival"

Dan Alon ist verheiratet und hat drei Kinder. Einer seiner Söhne ist als Fechter in seine Fußstapfen getreten.

Für die Dokumentation "Der elfte Tag – Die Überlebenden von München 1972" von "The Biography Channel" sind die sieben überlebenden Athleten erstmals nach 40 Jahren wieder in München zusammengekommen:

Zu sehen ist die Dokumentation am 5. September um 20 Uhr am "Biography Channel" und am 2. September um 21.30 Uhr am "History Channel".

Opfer der Anschläge:

Mitglieder der israelischen Olympiamannschaft:

Josef Romano (32 Jahre)
Mosche Weinberger (33 Jahre)
Josef Gutfreund (41 Jahre)
Kehat Schorr (53 Jahre)
Mark Slavin (18 Jahre)
Andre Spitzer (27 Jahre)
Amizur Shapira (40 Jahre)
Jaakow Springer (51 Jahr
David Berger (28 Jahre)

Polizeiobermeister Anton Fliegerbauer (32 Jahre)
Elieser Halfin (24 Jahre)
Seew Friedman (28 Jahre)

Kommentare

stabilis melden

Wozu braucht man so einen Artikel? Hat NEWS das notwendig? Eine so schöne Olympiade und NEWS schreibt über Terror - also ob NEWS einen Anschlag heraufbeten möchte! Klar, schlechte Nachrichten verkaufen sich besser, oder?

marge100 melden

Re: Wozu braucht man so einen Artikel? Hat NEWS das notwendig? terroranschläge sind immer etwas trauriges und leider passieren sie auch bei solchen events, sollte man das thema lieber verschweigen? Außerdem tut das thema den aktuellen spielen ja keinen abbruch.

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