Ohne Mehrheit

Bei der Vermögensbesteuerung kommt ein Dilemma von SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner zum Ausdruck: Zentrale Anliegen sind nicht durchsetzbar. Entsprechend vage bleibt sie.

von Ohne Mehrheit © Bild: Privat

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner hat sich bei der Mai-Kundgebung auf dem Wiener Rathausplatz natürlich über jeden Applaus gefreut. Auch über den, den sie dafür erhielt, höhere Steuern für "Millionen- und Milliardenvermögen" gefordert zu haben. Einerseits. Andererseits riskiert sie damit genau das, was sie als Kanzlerkandidatin vermeiden möchte: Sie macht sich angreifbar. Sie liefert Stoff für inhaltliche Auseinandersetzungen und kann sich nicht mehr darauf verlassen, bei der nächsten Wahl allein aufgrund türkiser Verluste vorne zu landen. Sie muss sich vielmehr selbst erklären, etwa durch Argumente zu ihren Vorstellungen.

Was sich im konkreten Fall vielleicht sogar machen lassen würde: Österreich hat im internationalen Vergleich eine überdurchschnittliche Steuer- und Abgabenquote. Mit rund 43 Prozent, gemessen an der Wirtschaftsleistung, ist sie größer als in den meisten übrigen Mitgliedsländern der Europäischen Union. Seit Jahren verspricht eine Regierung nach der anderen, sie zu senken. Zuletzt traten Türkis- Blau und Türkis-Grün unter Führung von Sebastian Kurz (ÖVP) mit dem Ziel an, "Richtung 40 Prozent" zu gehen. Gebrochene Wahlversprechen wie jene, Förderungen zu kürzen, vor allem aber Krisen, machten dies jedoch schwer bis unmöglich. Die Folge: Laut jüngster Prognose des Finanzministeriums wird die Quote auch in den kommenden Jahren bei rund 43 Prozent bleiben.

Umverteilung? Fehlanzeige

Damit auszukommen, wird nicht ganz einfach für den Staat: Er braucht mehr denn je Geld, um die Teuerung und soziale Verwerfungen abzufedern, die damit einhergehen. Ein bisschen mehr Luft würde sich in absehbarer Zeit zum Beispiel durch eine Umverteilung der Steuerbelastung nach Teilbereichen verschaffen lassen: So massiv die Gesamtbelastung im EU-Vergleich ist, so bescheiden ist sie in Bezug auf Vermögen. Das behaupten nicht nur Linke. Vor seiner Zeit als Arbeitsminister wies etwa auch Martin Kocher (ÖVP) in einer Studie darauf hin, die er als Ökonom gemeinsam mit einem Kollegen am "Institut für Höhere Studien" (IHS) erstellte. Seine damalige Schlussfolgerung: Man könnte etwas raufgehen, um den Faktor "Arbeit" zu entlasten.

Allein: Politisch ist eine solche Umverteilung nicht durchsetzbar, und das muss Rendi-Wagner wissen: Auf parlamentarischer Ebene wird es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch nach der nächsten Nationalratswahl keine Mehrheit dafür geben, Vermögende stärker zur Kasse zu bitten. Rendi-Wagner könnte ausschließlich auf die Grünen setzen. Türkise, Blaue und Pinke sind, sofern sie für eine Regierungszusammenarbeit infrage kommen, dagegen. Sie fürchten, dass auch der Mittelstand zum Zug kommen würde, und sprechen sich daher dagegen aus.

Vorsicht als Strategie

Das führt zu einem entscheidenden Punkt für die SPÖ-Vorsitzende, die Chancen hat, Karl Nehammer (ÖVP) nach dem nächsten Urnengang als Bundeskanzler zu beerben: Ihre Strategie ist es, aufzupassen, nicht zu viel anzukündigen bzw. am besten nur Dinge zu sagen, die sie bei Gelegenheit auch durchsetzen kann. Sonst heißt es gleich einmal, sie sei gescheitert.

Ansätze für eine verstärkte Vermögensbesteuerung sind unterschiedlich und überwiegend vage. Auf der Mai-Kundgebung meinte Rendi-Wagner, Steuern für Millionen- und Milliardenvermögen müssten ausgeweitet werden. Das reicht für eine Überschrift, mehr nicht. Zu vieles bleibt offen. In der Vergangenheit gab ihre Partei zu verstehen, dass sie unter einer Millionärsabgabe eine Erbschaftsteuer versteht. Und zwar auf Erbschaften ab einer Million Euro. Erst nach und nach präzisierte sie, dass der Satz bei einer Erbschaft von bis zu zehn Millionen 25, darüber 35 Prozent betragen soll. Begründung: Erben sei pures Glück, Leistung sei null im Spiel.

»Für Schwarz-Türkise ist es undenkbar, sich daran zu beteiligen. Zu ihrer Klientel zählen Hausbesitzer, die es bald einmal auf mehr als eine Million Euro bringen«

Die ÖVP überzeugte das nicht. Sie, die zuletzt aufs Sparen verzichtet hat, trägt bis heute die Botschaft "Keine neuen Steuern!" vor sich her. Die Erbschaftssteuer wäre eine solche: Sie müsste erst eingeführt werden. Genauer: Nachdem sie nach einem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes 2007 gemeinsam mit der Schenkungssteuer nicht repariert worden war, verfiel sie, müsste also neu aufgesetzt werden.

Für Schwarz-Türkise ist es undenkbar, sich daran zu beteiligen. Zu ihrer Klientel zählen Hausbesitzer. Besonders in boomenden Regionen, in denen Immobilien enorme Wertsteigerungen erfahren, verfügen diese Leute bald einmal über ein Vermögen von mehr als einer Million Euro. Und selbst wenn es weniger ist: Landeshauptleute von Vorarlberg bis Niederösterreich haben schon zu oft behauptet, dass die Grenze für eine Erbschaftssteuer, die einmal existiert und die über die bestehende Grunderwerbsteuer hinausgeht, über kurz oder lang nach unten verschoben werden würde, sodass irgendwann fast alle Eigentümer davon betroffen wären.

Eine Art Klassengesellschaft

Wachsende Ungleichheit, die damit einhergeht, wird in Kauf genommen: In Westösterreich zählte ein Eigenheim zumindest außerhalb der Städte einst zur Regel. Jeder konnte es dazu bringen. Mittlerweile ist das für eine Masse unmöglich, sind eine Erbschaft oder ein außergewöhnliches Einkommen nötig, um es zum Hausbesitzer bringen zu können. Hier ist eine Art Klassengesellschaft mit vielen Verlierern entstanden.

Eine kleine Vermögensbesteuerung, die es in Österreich bereits gibt, ist die Grundsteuer. Zumal sie auf alten und daher sehr niedrigen Einheitswerten beruht, ist sie so bescheiden, dass sie den meisten Betroffenen kaum auffällt. Viele Finanzminister haben schon angeregt, sie anzupassen. Immer folgte eine Absage aus den Ländern, also wird heute nicht einmal mehr darüber geredet.

Wozu auch? In den vergangenen Jahren sahen sich Regierungen, aber auch konstruktive Oppositionsparteien nicht mehr gezwungen, darüber nachzudenken, wie man zum Beispiel eine spürbare Lohnsteuersenkung durch Sparmaßnahmen und eventuell auch eine stärkere Vermögensbesteuerung ermöglichen könnte. Man setzte darauf, dass sich das budgetär wie von Zauberhand ausgeht. Und dass Schulden egal sind. Ja, egal: Die Zinsen sind noch immer so niedrig, dass sie den Staat fast nichts kosten. Allein der Schuldenstand des Bundes hat sich in den vergangenen Jahren verdoppelt, der Zinsaufwand ist dagegen nicht gestiegen, sondern um mehr als ein Drittel gesunken.

Kein Reformdruck

Das trägt dazu bei, dass der Druck, zu echten Strukturreformen zu schreiten, gering geworden ist. Bei den Ausgleichsmaßnahmen zur Teuerung sieht man das Ergebnis: Es wird nicht so sehr drauf geachtet, wer's braucht, sondern schlicht zur Gießkanne gegriffen. ÖVP und Grüne haben sich darauf verständigt, das Pendlerpauschale zu erhöhen. Davon profitieren jedoch nicht nur Bezieher kleinerer Einkommen, die aufs Auto angewiesen sind und denen ein Spritpreis von knapp zwei Euro pro Liter wehtut, sondern auch Spitzenverdiener, denen es egal sein kann, ob eine Tankfüllung 80 oder 120 Euro kostet.

Auch Rendi-Wagner nimmt es mit der Treffsicherheit nicht so genau. Sie mag von gezielten Maßnahmen reden, meint jedoch das Gegenteil, wenn sie verlangt, die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel auszusetzen, die Mineralölsteuer zu senken sowie die Mehrwertsteuer auf Strom und Gas zu reduzieren. Absolut würde das dem obersten Zehntel der Haushalte mit Abstand am meisten bringen, es gibt rund 570 Euro pro Monat allein für Lebensmittel aus und damit dreieinhalb Mal mehr als das unterste Zehntel. Sollte es darum gehen, wirklich Bedürftige zu unterstützen, würde man mit einer solchem Maßnahme einen enormen Streuverlust in Kauf nehmen.

Derlei mag man sich noch leisten können. Doch die fetten Jahre gehen vorbei. Die massive Teuerungswelle ist Wirtschaftsprognosen zufolge kein vorübergehendes Phänomen, sie wird eher noch mehr und vor allem kostspielige Hilfspakete erforderlich machen. Laut Statistik-Austria-Konsumerhebung haben schon vor der Coronakrise 30 Prozent der Haushalte die monatlichen Ausgaben mit dem verfügbaren Einkommen nicht bewältigen können -sie haben sich im schlimmsten Fall verschulden müssen. Tendenz: steigend.

Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at