"Es wäre zu früh, um nervös zu werden"

Die ÖVP und Kanzler Kurz sinken in den Umfragen. Wie groß sind die türkisen Probleme?

Peinliche Chats, Affäre ÖBAG, chaotisches Pandemiemanagement, schlechte Presse im Ausland,... Die ÖVP und Kanzler Sebastian Kurz haben derzeit an vielen Ecken zu kämpfen. Das wirkt sich auch auf die Umfragewerte auf, der Trend geht nach unten. Was bedeutet das und wie wird es weitergehen? Politikwissenschaflerin Katrin Praprotnik von der Donau-Universität in Krems mit einer Einschätzung der türkisen Weltlage.

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Interview - "Es wäre zu früh, um nervös zu werden"

Die ÖVP hat derzeit viele Baustellen zu bewältigen. Korruptionsvorwürfe, vermeintlicher Postenschacher, schlechte Presse im Ausland, sinkende Umfragewerte,… was davon trifft sie am meisten?
Wichtig ist, hier den „rally around the flag effect“ anzumerken, der bekannt ist dafür, dass sich die Menschen in einer Krise erst einmal hinter der Regierung sammeln. Das ist aber ein kurzfristiger Effekt, der nicht über ein Jahr aufrecht erhaltbar ist und wir sehen spätestens seit Beginn dieses Jahres, dass beide Regierungsparteien in den Umfragen verlieren, sowie auch Kurz persönlich, und die Oppositionsparteien leicht aber doch zunehmen.

»Man stolpert von einer schlechten Nachricht in die nächste.«

Darüber hinaus sind die Schlagzeilen aus Sicht der ÖVP nicht gut und man stolpert von einer schlechten Nachricht in die nächste. Das ist man zwar schon ein Stück weit gewohnt, wenn man sich etwa an den Wahlkampf 2019 erinnert etwa mit geschredderten Festplatten oder der Kanzler-Segnung in der Stadthalle,… und jetzt ist man wieder in so einem Strudel.

Was die ÖBAG-Chats betrifft, möchte ich die öffentliche Diskussion ein wenig einfangen, weil es entgegen dem Spin, der von der ÖVP versucht wird, nicht nur um diesen saloppen Umgangston geht, sondern vor allem um den Inhalt! Und was dieser das möglicherweise für rechtliche Konsequenzen hat, wenn ein Kandidat, in dem Fall Thomas Schmid, offensichtlich mitreden kann, wie seine Stellenausschreibung gestaltet wird oder wenn ein Kanzler Sebastian Kurz Thomas Schmid als „Aufsichtsratssammler“ bezeichnet, wird gerade untersucht.

»Es ist auch keine Rechtfertigung, zu sagen: Die anderen machen es auch. «

Auch wenn die strafrechtliche Relevanz noch geklärt wird, sicher ist, die Chat-Protokolle zeichnen kein gutes Sittenbild von der türkisen ÖVP und Sebastian Kurz. Was von all den Enthüllungen hat Sie am meisten überrascht?
Wenn es nur darum geht, dass Posten im Vorfeld ausgemacht werden oder das Parteibuch eine Rolle spielt, dann ist das in Österreich natürlich keine Überraschung. Es macht es deshalb aber nicht weniger diskussionswürdig und es ist auch keine Rechtfertigung, zu sagen: Die anderen machen es auch.

Außerdem muss unterschieden werden, ob man vertraute Personen für einen Posten sucht, die vielleicht ein Parteibuch aber auch die Kompetenz haben. Oder ob man nur nach dem Parteibuch sucht, oder – und das ist der Schritt zur Korruption – wenn es darum geht, dass ein Posten im Gegenzug zu Gegenleistungen vergeben wird. Und das sind auch Dinge, die im Moment im Raum stehen, wie etwa bei Peter Sidlo.

Können Sie sich vorstellen, dass es in der türkisen ÖVP ein Umdenken geben wird? Dass man sich für etwas entschuldigen wird, einen Fehler zugibt?
Wenn ich in die Vergangenheit schaue, sehe ich nicht, dass man diesen Weg wählt und sich entschuldigt, wie etwa eine Angela Merkel das vor kurzem gemacht hat. Und ich sehe auch noch nicht den Punkt, an dem sich das verändern würde.

Was hatte den größten Effekt auf die sinkenden Umfragewerte?
Wir wissen nicht, welches Einzelereignis welchen Effekt auf die Umfragen hat. Laut einer Profil-Umfrage kennen aber 27 Prozent die Chats aber zum Beispiel gar nicht und gemeinsam mit den Ereignissen aus dem Wahlkampf 2019, die in Wahrheit keinen Effekt hatten, denke ich, dass die Pandemie (und die Pandemiemüdigkeit) der maßgebliche Faktor ist.

Denken Sie, wird der „Sinkflug“ weiter gehen oder kann sich Kurz wieder erfangen? Und wie?
Es ist einfach ein Kampf gegen die Pandemie. Im Prinzip ist das Rennen, wer wann das Ende der Pandemie verkünden darf, längst eröffnet. Das ist im Prinzip das Zentrale, was diesen Sinkflug erst stoppen kann. Und solange es weiter geht mit Lockdowns, Impf-Schwierigkeiten und so weiter, umso größer wird der Unmut der Bevölkerung.

Ich glaube auch nicht, dass das eine Personalie, wie ein neuer Gesundheitsminister drehen kann. Das müsste wirklich in Richtung erfolgreich Pandemiebekämpfung gehen und erst dann kann man wieder mit den politischen Spielchen abseits von Corona beginnen.

Warum kann trotz allem keine/r von den anderen ParteichefInnen Kurz einholen?
Das ist sicherlich die große Frage, die sich die anderen stellen. Bei der FPÖ ist es sicher die nicht erfolgreiche Doppelstrategie aus Norbert Hofer und Herbert Kickl, die wahrscheinlich weniger Strategie ist als gewachsene Notwendigkeit. Was aber anscheinend immer besser funktioniert, ist der doch sehr kantige Oppositionskurs Kickls. Dieses kritische Auftreten gegen die Corona-Maßnahmen, die man nicht mehr mittragen möchte, sondern viel mehr öffnen und zum Normalzustand zurückkehren, spricht immer mehr enttäuschte WählerInnen an.

Und bei der SPÖ hat Pamela Rendi-Wagner immer wieder intern zu kämpfen gehabt; siehe zuletzt auch Hans-Peter Doskozil, der entgegen Rendi-Wagners Meinung im Burgenland den Lockdown beendete. Man steht hier in der SPÖ intern immer noch zu wenig hinter der Parteichefin. Außerdem ist es ihr nicht gelungen trotz der Fachexpertise noch stärker die Pandemie auszunützen.

»Ich glaube nicht, dass es für die ÖVP ein großer Unterschied ist, ob da ein Mückstein oder ein Anschober sitzt.«

Letztes Jahr um diese Zeit etwa, hat mit Rudolf Anschober erstmals jemand Sebastian Kurz in Punkto Beliebtheit überholt. Wie wird sich dessen Rücktritt jetzt für Kurz und die ÖVP auswirken?
Da auch Anschober an seinen beliebten Umfragewerten eingebüßt hat, glaube ich nicht, dass es für die ÖVP ein großer Unterschied ist, ob da ein Mückstein oder ein Anschober sitzt. Es könnte aber natürlich sein, dass durch diese neue Personalie festgefahrene zwischenmenschliche Beziehungen, die es bereits gegeben hat, erneuert werden.
Ansonsten wird es eher für die Grünen eine sehr große Rolle spielen, wie sich die ÖVP von Kurz abwärts in den weiteren Verhandlungen mit den Landeshauptleuten beispielsweise verhält und ob man hier zu einer gemeinsamen Linie findet oder nicht.

Anschober hat Kurz und die ÖVP in seiner Abschiedsrede mit keiner Silbe erwähnt. Denken Sie, werden Kurz irgendwann die Koalitionspartner ausgehen?
Sicher. Die Partnerauswahl ist auch begrenzt in der österreichischen Parteienlandschaft. Ich sehe aber von der ÖVP auch gar kein Motiv zu baldigen Neuwahlen.
Und auch nicht auf Seiten der Grünen, weil die noch viel zu wenig Sichtbares im Bereich der Umwelt geliefert haben, was man verkaufen könnte und die Kosten, die sie sicherlich eingegangen sind mit der Koalition, viel zu hoch gewesen wären.

Werden durch einen angeschlagenen Kanzler die Länder in der ÖVP wieder mächtiger werden und versuchen, die ÖVP „zurückzuerobern“?
Im Moment sehe ich das noch nicht. Es war ja bislang so – und daran hat sich ja nichts geändert, vorschnell dürfen wir auch nicht sein – dass die Landeshauptleute in der ÖVP, selbst wenn gewisse Kernpunkte von Sebastian Kurz anders vertreten wurden, relativ ruhig gewesen sind, weil Kurz bei den Wahlen einfach abgeliefert hat. Deshalb ist man diesem Kurs gefolgt. Und man muss sagen: Noch ist die ÖVP auf Platz eins in den Umfragen und auch der Abstand zur zweitplatzierten SPÖ ist immer noch sehr komfortabel. Es wäre zu früh, um da nervös zu werden und vom Zeitpunkt her auch schlecht, jetzt Widerstand zu leisten.