Die letzte, fast zu stille Reserve der ÖVP

Ob in Bregenz oder Wien: Finanzminister Magnus Brunner zählt zu den wenigen Hoffnungsträgern, die die ÖVP noch hat. Er selbst hält sich jedoch zurück.

von Politische Analyse - Die letzte, fast zu stille Reserve der ÖVP © Bild: Privat

ANALYSE

Jedes Mal, wenn es eng wird für den Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP), wird Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) ins Spiel gebracht. Das ist in den vergangenen Monaten immer wieder vorgekommen. Brunner ist der Einzige, dem eine Nachfolge zugetraut wird. Das hängt damit zusammen, dass er der prominenteste Alemanne aus der Volkspartei ist, der sich in der Bundespolitik behaupten kann; und dass Wallner niemanden aufgebaut hat für den Fall der Fälle. Brunner winkt jedoch entschieden ab, wenn er gefragt wird. Das stehe nicht zur Debatte, erklärte er zuletzt, als sich Wallner in einen Krankenstand verabschiedete. Was hätte er auch sonst antworten sollen? Wallner betont, "mit voller Kraft" ins Amt zurückkehren zu wollen.

Der Finanzminister ist der Typ, der keine Herausforderung scheut, sich aber auch nicht aufdrängt, der sich um einen soliden Job bemüht und keinen großen Karriereplan zu verfolgen scheint. "Step by step." Jetzt ist er Finanzminister und hat ohnehin alle Hände voll zu tun. Beachtung fand er gleich zu Beginn seiner Amtszeit, im Dezember, als er einen vernichtenden Prüfbericht zu Umfragen sowie Inseraten präsentierte, die unter seinen Vorgängern bis hin zu Gernot Blümel (ÖVP) in Auftrag gegeben worden waren, oder zuletzt, als er beschloss, die mächtige Funktion des Generalsekretärs im Ressort abzuschaffen, die Thomas Schmid einst bekleidet hatte. Daher wird ihm nachgesagt, mit dem System Sebastian Kurz zu brechen. Viel mehr, als es Bundeskanzler Karl Nehammer tut, unter dessen Führung sich die ÖVP im freien Fall befindet.

Kocher passt nicht

In Bregenz und Wien ist der Jammer in der Partei groß, ist es naheliegend, dass darüber nachgedacht wird, wie es aus der Krise gehen könnte. Vom Reißbrett her wäre es naheliegend, im Hinblick auf eine Wahl Nehammer durch "den beliebten Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Kocher" zu ersetzen, meint der Politologe Peter Filzmaier. Mit diesem könnte es eine Chance geben. Filzmaier betonte jedoch, dass das nicht zur Logik der ÖVP passen würde. Kocher ist nicht einmal Mitglied. Brunner ist es, er kennt sich in der Schlangengrube Volkspartei als langjähriger Mitarbeiter und Funktionär auch aus. Das tun nicht viele. Neben Nehammer etwa noch Innenminister Gerhard Karner. Er aber muss nach einem holprigen Start erst allmählich Tritt fassen als Regierungsmitglied.

Und Brunner? Als Finanzminister hat er bisher aus Sicht der ÖVP nichts falsch gemacht in dem Sinne, dass er in einer breiteren Öffentlichkeit in Ungnade gefallen wäre. Die Sache ist eher, dass er für keine Botschaft steht, die eine Masse gerade in Zeiten wie diesen, wenn schon nicht begeistert, dann zumindest für ihn einnimmt. Das wäre eine Voraussetzung für politischen Erfolg.

ZAHL

Corona bedeutet Übersterblichkeit

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) ist mit anderen Krisen befasst, die Landeshauptleute von Tirol, Niederösterreich, Salzburg und Kärnten bereiten sich auf Landtagswahlen vor. Corona ist mehr denn je an dem allein hängen geblieben, der zuständig ist für die Bewältigung der Pandemie: Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne).

Einfacher geworden ist es nicht für ihn: Der Wunsch, das bisschen Normalität auszukosten, das in den vergangenen Monaten zurückgekehrt ist und es ermöglicht, Feste zu feiern oder auch nur "maskenfrei" einzukaufen, ist verbreitet. Für Rauch ist es schwer, Maßnahmen wieder einzuführen.

Die Herausforderungen mögen sich gewandelt haben. Auch wenn mit der derzeitigen Omikron-Welle immer wieder das einhergeht, was als "milder" Erkrankungsverlauf bezeichnet wird, zeigt ein Blick auf Statistik-Austria-Daten, dass es auch im dritten Jahr der Pandemie eine Übersterblichkeit gibt.

2020 und 2021 hatte es eine solche aufgrund der damaligen "Herbst-Wellen" gegeben. Heuer kam es bereits im Frühjahr ein erstes Mal dazu. Laut staatlicher Gesundheitsagentur AGES starben bis Ende Juni 3225 Menschen erwiesenermaßen mit Corona. In Summe wurden laut Statistik Austria seit Jänner über 42.000 Männer, Frauen und Kinder aus dem Leben gerissen. In Jahren vor der Pandemie waren es im Vergleichszeitraum deutlich weniger, 2016 keine 37.000.

© News Grafik zum Vergrößern anklicken

Aber auch viel mehr Infektionen

2022 zieht im Sommer bereits eine zweite Welle durchs Land und für Herbst wird eine größere, dritte erwartet. Immerhin: Die Letalität, also der Anteil der Frauen und Männer, die an der Erkrankung sterben, ist stark gesunken. Die Zahl der bestätigten Infektionen seit Beginn der Pandemie hat sich in den ersten sechs Monaten dieses Jahres auf rund 4,5 Millionen verdreifacht, die der Sterbefälle ist hingegen um ein Fünftel auf 20.065 gestiegen.

BERICHT

Kein Sparen im System

Wir sparen im System, wir sparen in der Verwaltung und investieren dafür bis 2023 eine zusätzliche Milliarde Euro für die Patientinnen und Patienten", sprach der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) vor vier Jahren. Die sogenannte "Patientenmilliarde" war geboren. Mittlerweile weiß man, dass sie nicht zustande kommen wird im Rahmen der Fusion mehrerer Sozialversicherungsträger. Wobei sich die Überraschung in Grenzen hält: Zugrunde gelegt war dem Milliarden-Bluff die schlichte "Annahme", dass Personal-und Sachaufwendungen in der Verwaltung um bis zu 30 Prozent gekürzt werden. Der Rechnungshof, aber auch der Fiskalrat, vermissten von vornherein plausible Angaben dazu. Ihre Kritik wurde nicht einmal ignoriert.

Viel mehr Förderungen

Ein weiteres Beispiel: Im Nationalratswahlkampf 2017 kündigte Kurz an, Förderungen um fünf Milliarden Euro zu senken. Dazu gekommen ist es nie. Im Gegenteil: Allein bis 2019 stiegen die Förderungen des Bundes um knapp drei auf 23,9 Milliarden Euro. In der folgenden Pandemie war es notwendig, zur Sicherung hunderttausender Jobs eine weitere Zunahme in Kauf zu nehmen. Das ist jedoch eine andere Geschichte. Österreich hat schon zuvor zu den EU-Mitgliedsländern mit den höchsten Förderungen gemessen an der Wirtschaftsleistung gezählt. Und dabei ist es auch geblieben.

Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at