ÖVP kippt nach rechts

Drohende Wahlniederlagen bringen mehr und mehr Funktionäre dazu, Positionen der Freiheitlichen zu übernehmen. Die Erfolgsaussichten sind gering, ein vielversprechendes Gegenmodell fehlt jedoch.

von Politische Analyse - ÖVP kippt nach rechts © Bild: Privat

ANALYSE

Geschichte wiederholt sich. Zumindest im Ansatz: Vor fünfeinhalb Jahren lag die Volkspartei hinter der FPÖ und beschloss daher, mit Sebastian Kurz einen Rechtsruck vorzunehmen. Kurz kopierte blaue Positionen, trug sie mit anderen Worten, vor allem aber wirkungsvoller vor, sodass er das Steuer für seine Partei noch einmal herumreißen konnte. Sie kam auf Platz eins bei der Nationalratswahl, er wurde Kanzler. 2019 legte er infolge der Ibiza-Affäre nach und schaffte es, eine Viertelmillion Ex-FPÖ-Wähler zu gewinnen. Ohne sie hätten es nicht für 37,5, sondern nur für gut 32 Prozent gereicht -auch viel, aber deutlich weniger.

Heute stellt sich das Ganze als Bürde heraus: Der schnelle Erfolg war Kurz und den Inhalten zu verdanken, die er vertrat. Das war untrennbar miteinander verbunden. Kurz ist als Kanzler und ÖVP-Chef jedoch Geschichte. Er hat Anhänger enttäuscht, und Nachfolger Karl Nehammer gelingt es nicht, sie zu halten. Ergebnis: Er läuft Gefahr, mit den Seinen hinter die Freiheitlichen zurückzufallen.

Abkehr von den Grünen

Das löst Panik aus. Bei ihrem Rücktritt als Generalsekretärin hat Laura Sachslehner offen gesagt, dass sie den Kurs in der Regierung mit den Grünen ablehnt. Alarmierender für Nehammer: Sie ist nicht allein. Ihre Forderung, den Klimabonus für Asylwerber zu streichen, kommt aus der Tiroler ÖVP und wird von Parteifreunden in Wien geteilt. Innenminister Gerhard Karner steht für eine ähnliche Ausrichtung: Seit geraumer Zeit wirbt er offensiv für eine restriktive Migrationspolitik.

Eine solche würde zwar auch Nehammer entsprechen, sein Problem ist jedoch, dass er bei noch größeren Herausforderungen überfordert ist. Stichwort Teuerung, Stichwort Sanktionen gegen Russland. Mitbewerber wie Herbert Kickl nützen das hemmungslos aus. In den eigenen Reihen gibt man sich zunehmend geschlagen: In Oberösterreich, wo die ÖVP laut einer "Krone"-Erhebung bereits weniger Zuspruch erfährt als die FPÖ, hat Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) längst angefangen, die Sanktionen ebenfalls infrage zu stellen. Das ist kein Zufall.

Nehammer kann das nicht auf die leichte Schulter nehmen: Nach der Tirol-Wahl Ende September und mehr noch, wenn die Preise weiter steigen und der Unmut wächst, droht sich das zu verstärken. Die Stimmen, die in der Regierung eine Abkehr von den Grünen und die Übernahme freiheitlicher Positionen fordern, werden eher zahlreicher werden. Ihre Erfolgsaussichten sind gering: Sie haben niemanden, der das so wirkungsvoll vertreten könnte wie Kurz, der sich ein Comeback durch zahlreiche Affären verbaut hat. Ein Hindernis, zu seinem Kurs zurückzustreben, ist das jedoch nicht - zumal der ÖVP ein vielversprechendes Programm für eine bürgerliche Mitte fehlt.

ZAHL

Hausgemachte Verluste

Bei einer Wahl werden die Karten neu gemischt, heißt es. Selten könnte das jedoch so treffend sein wie bei der Tiroler Landtagswahl am 25. September. Fix ist, dass die Ära des seit 14 Jahren amtierenden Landeshauptmannes Günther Platter (ÖVP) zu Ende geht. Wahrscheinlich ist, dass seine Partei verlieren wird. 2018 erreichte sie 44,3 Prozent. Platters Nachfolger an der ÖVP-Spitze, Anton Mattle, wäre froh, wenn sie deutlich über 30 Prozent bleiben würde. Im Durchschnitt der Umfragen, die seit Ende August veröffentlicht worden sind, hält sie 28 Prozent.

Modernisierung verabsäumt

Die Ursachen dafür reichen weit über bundespolitische Einflüsse hinaus: Platter hat durch sein Krisenmanagement in der Pandemie Zuspruch verloren. Außerdem hat er es in den vergangenen Jahren verabsäumt, die Partei zu modernisieren, um sich etwa im urbanen Großraum Innsbruck behaupten zu können. Hier tut sie sich schon lange besonders schwer. Mattle ist wiederum vielen Menschen kein Begriff. Platter hat ihn erst vor dem Sommer als Nachfolger durchgesetzt.

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Für die Tiroler ÖVP zeichnet sich nun eine Zäsur ab. Mit den Grünen allein wird die Koalition wohl kaum fortgesetzt werden können; sie erreichen auch nur zehn Prozent. Wenn, dann müsste eine dritte Partei ins Boot geholt werden. Rein rechnerisch könnte es sich zum Beispiel mit der SPÖ (18 Prozent) ausgehen. Ein Bündnis mit den Freiheitlichen (18 Prozent) schließt Mattle aus, was diese jedoch gelassen nehmen: Mattle werde nach der Wahl nichts mehr zu sagen haben, erklären sie.

Hoffnungen auf die größten Zugewinne dürfen sich die Neos und die Liste Fritz machen, die vom ehemaligen ÖVP-Arbeitnehmervertreter Fritz Dinkhauser gegründet worden ist. Die beiden liegen bei neun bzw. zehn Prozent. Sie würden ihren Stimmenanteil damit beinahe verdoppeln.

BERICHT

Hunderte Corona-Tote unterschlagen

Glaubwürdige Coronapolitik lebt unter anderem von belastbaren Daten. Das Gesundheitsministerium bemüht sich darum, es hat erst vor wenigen Tagen wieder einmal eine Bereinigung vorgenommen. Darüber hinaus hapert es jedoch. Insbesondere bei den Angaben zu den Todesfällen nimmt man es da und dort nicht so genau.

Im April wurden auf Bundesebene 3.412 Fälle "nachgemeldet", sodass sich die Gesamtzahl um ein Fünftel erhöhte. Vorausgegangen war dem ein Abgleich zwischen der Todesursachenstatistik der Statistik Austria und dem Epidemiologischen Meldesystem (EMS). Problem: Fünf Monate später hatten zuletzt noch immer einige Länder weniger Todesfälle ausgewiesen, als es in Wirklichkeit gegeben haben dürfte.

Laut staatlicher Gesundheitsagentur AGES sind seit Beginn der Pandemie vom Boden- bis zum Neusiedlersee 20.712 Männer und Frauen an oder mit einer bestätigten Coronainfektion gestorben. Stand: 12. September. Auf Basis der Angaben, die die Länder veröffentlichen, ergab sich zu diesem Zeitpunkt jedoch eine Gesamtzahl, die um rund 1.000 niedriger ist. Die größten Abweichungen bestanden in Tirol und Oberösterreich. In Tirol ging die AGES von 1.402 Todesfällen aus. Das Land selbst berichtete auf seinem Dashboard von 961; das waren um 441 weniger. Oberösterreich lag auf einer eigenen Website mit 2.937 um ganze 454 unter den AGES-Angaben. Kleinere oder gar keine Abweichungen gab es hingegen in den übrigen Bundesländern. Hier sind Korrekturen meist schon vor längerer Zeit berücksichtigt worden.

Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at