Ampelmann blinkt zum Boulevard

Die ÖVP hat einen neuen Krisenberater: Georg Streiter diente erst "Bild", dann Merkel. Diese Verbindung von Boulevardperspektive und Regierungsarbeit ist ein länder- und parteiübergreifendes Merkmal politischer Kommunikation.

von Medien & Menschen - Ampelmann blinkt zum Boulevard © Bild: Gleissfoto

"Klestil, wann gibst du die Löffler ab?" Diese Frage zur vermuteten Geliebten des Bundespräsidenten ist eine legendäre Schlagzeile der österreichischen Zeitungsgeschichte. Formuliert hat sie 1996 der einstige "Bild"-Chefredakteur Hans-Hermann Tiedje für das kurzlebige Boulevardblatt "täglich Alles".

"Wir sind Papst!" Diese Behauptung einer nationalen Identifikation nach der Wahl von Joseph Ratzinger ist die vielleicht bekannteste Überschrift der deutschen Pressegeschichte. Erdacht wurde sie 2005 von Georg Streiter für die "Bild". Der frühere Politikressortleiter des Boulevardriesen berät nun die ÖVP.

Nun hat das eine mit dem anderen zwar nichts zu tun, doch es wirft ein Schlaglicht auf die politische Kommunikation – nicht nur der hiesigen Volkspartei. "Bild", "BamS" ("Bild am Sonntag") und Glotze – mehr brauche er nicht zum Regieren, hatte schon Deutschlands Kanzler Gerhard Schröder behauptet. Seiner Nachfolgerin Angela Merkel diente Streiter sieben Jahre als stellvertretender Regierungssprecher. Noch 2017 schrieb er: "Mein Zwischenfazit (wer weiß, was das Leben für mich noch bereithält …): mit Fleiß, Netzwerken, Lernbereitschaft und Glück kann man die tollsten Jobs der Welt erreichen." Seit 2018 ist er selbstständig, berät "Regierungen, Verbände und Unternehmen" sowie jetzt die ÖVP.

Um das deutschösterreichische Beratungsbild abzurunden, sollte auch daran erinnert werden, dass der eingangs erwähnte Tiedje nach seinem Austro-Gastspiel als persönlicher Berater von Schröders Vorgänger Helmut Kohl diente, für den er 1991 die zweitberühmteste Schlagzeile der "Bild" erfunden hatte: "Der Umfaller" mit einem um 90 Grad gedrehten Foto vom deutschen Kanzler. Lange bevor Kohl in diese Position kam, war ein Österreicher sein Medienkonsulent: Gerd Bacher überbrückte so eine Pause als ORF-Generalintendant – nach einem Kürzestgastspiel als Chefredakteur des "Kurier".

Die Kanzler wechseln, ihre Faszination von "Bild" bleibt. Nach Sebastian Kurz nun also Streiter für Karl Nehammer und Co. Der wichtigste Grund dafür ist die erfahrungsbasierte Autorität des 66-Jährigen. Er muss die türkisen Restbestände der Koalition vom einstigen Kommunikationschef Gerald Fleischmann emanzipieren, der immer noch im Hintergrund agiert. Das sollte ihm als Merkels Ex-Sprecher ebenso gelingen, wie ihm eine verbesserte Krisenkommunikation rund um den ÖVP-U-Ausschuss zuzutrauen ist. Ob Streiters Expertise auch das moderne Spiel mit Social Media umfasst, bleibt hingegen fraglich. Ohne taktisches Dauerfeuer auf diesen Kanälen wäre die vermeintlich neue Volkspartei nie so rasant aufgestiegen. Der Boulevardveteran wirkt eher als Mann der Strategie, einer für das Prinzipielle. Von dort den digitalen Anschluss zur Message Control zu finden, ist seine größte Herausforderung.

Das stärkste Vorurteil gegen Streiter ist jedoch die Herkunft vom Boulevard. Als Beweggründe für die Auswahl eines solchen Beraters gibt es zwei Möglichkeiten: entweder eine Anbiederung an dieses Metier oder ein Schuss vor dessen Bug – weil er es bestens kennt. Die Antwort darauf ist einer der spannendsten Aspekte dieser Bestellung, für die es zwei Wochen vor ihrem Bekanntwerden das erste Indiz gab. Am 27. Jänner teilte Georg Streiter ausgerechnet einen Artikel der "Krone" auf Twitter – mit den einleitenden Worten: "Weil ich gerade in Österreich bin …" Da er dies nun länger sein soll, benötigt es noch die landesübliche Schubladisierung: Nach Abgang von "Bild" wurde der gebürtige Luxemburger erst Pressesprecher einer freidemokratischen EU-Abgeordneten. Ins Bundespresseamt wechselte er dann auf Wunsch von Philipp Rösler, dem damaligen Chef der FDP.

Für Türkis-Grün wirkt das geradezu nach einem Ampelmann. Denn die FDP ist die Schwesterpartei der Neos, einer bürgerlichen Alternative zur ÖVP. Der Volkspartei fehlt in ihrer Medienkommunikation aber nach wie vor oder mehr denn je die qualitative Alternative zum Blickwinkel des Boulevards.