Was Österreich mit der Ukraine verbindet

Ein Gastkommentar

Der Historiker Klemens Kaps erklärt, warum die Wurzeln zum ukrainischen Staat und zur ukrainischen Identität ab dem späten 18. Jahrhundert in der Habsburger Monarchie gelegt wurden.

von Ukraine © Bild: iStockphoto

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat das Land auf dramatische Weise in das Zentrum der Aufmerksamkeit der europäischen Öffentlichkeit gebracht. Die "Grenzen im Kopf" schrumpfen zusammen und lenken den Blick auf die geografische Nähe des Landes. Darüber hinaus bestehen zur Ukraine auch historische Verbindungen, die hier nur bis 1918 nachgezeichnet werden können: So war nicht nur die heutige Westukraine seit dem späten 18. Jahrhundert Teil der Habsburgermonarchie. Vielmehr formierte sich ein beachtlicher Teil der ukrainischen Identität in deren Rahmen. Ausgangspunkt dafür war die Aneignung des südwestlichen Teils der Adelsrepublik Polen-Litauen durch Maria Theresia und Joseph II. in den sogenannten "Teilungen Polens".

Religion

Zu jenem Zeitpunkt gingen kulturelle Identitäten vor allem auf konfessionelle Unterschiede zurück. Gegenüber den zumeist katholischen Polen hingen die späteren Ukrainer, die sogenannten Ruthenen, der Unierten Kirche an: Sie pflegen bis heute orthodoxe religiöse Riten und Feiertage, erkennen aber den Papst an. Die zunächst in Wien, dann ab dem frühen 19. Jahrhundert in der galizischen Landeshauptstadt Lemberg angesiedelte Ausbildung dieses sogenannten griechisch-katholischen Klerus wurde zur Grundlage einer eigenen ruthenischen Intelligenz, denn bis dahin hatte sich der ruthenische Adel an die polnische Kultur assimiliert. Demgemäß setzte der griechisch-katholische Klerus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Initiativen für die Entwicklung einer ruthenischen Sprache, aus der dann um 1900 die gemeinsame ukrainische Sprache entstand - Kirche und Sprache waren wesentliche Voraussetzungen für die Entstehung einer ukrainischen nationalen Identität. Im Zuge der Revolution von 1848 waren ruthenische Bauern entscheidend daran beteiligt, im Reichstag die "Bauernbefreiung" durchzusetzen. Auch konstituierte sich nun die erste politische Vertretung ruthenischer Politiker in Lemberg. Von konservativen polnischen Politikern wurde daher der offensichtlich falsche Vorwurf erhoben, die österreichische Verwaltung habe die ruthenische Nation "erfunden".

Ausweg der Auswanderung

Mit der liberalen Dezemberverfassung von 1867 traten ruthenische Politiker und Parteien auf, die in den Reichsrat in Wien gewählt wurden. Zunächst verfolgten viele von ihnen, etwa der Schriftsteller Ivan Franko, eine übernationale Linie. Er forcierte zusammen mit polnischen Sozialdemokraten die Linderung der sozialen Probleme im wirtschaftlich prekären Galizien. Dies war für den ruthenischen Teil der Bevölkerung besonders bedeutsam, da dieser vorwiegend im weitgehend ineffizienten Agrarsektor tätig war. Viele suchten daher den Ausweg in der dauerhaften Auswanderung, insbesondere in die USA und nach Kanada. Unterricht in der ukrainischen Sprache war in den Volksschulen möglich, nicht jedoch in Gymnasien und auf den Universitäten, wo die polnische Landesverwaltung auf dem ausschließlichen Gebrauch der polnischen Sprache bestand.

Wenig Interesse aus Wien

Galizisch-ukrainische Politiker waren zunehmend von der österreichischen Regierung in Wien enttäuscht, die nach 1867 eine enge Bindung mit den polnischen Führungsschichten in Galizien eingegangen war und daher nur wenig Interesse für die ukrainischen Forderungen nach kultureller Gleichberechtigung zeigte. Dies ließ ab den 1890er-Jahren ukrainische Parteien aufkommen, die Forderungen nach einem eigenständigen Staat einer gesamtukrainischen Nation im heutigen Sinn erhoben. Ihnen gehörte auch Ivan Franko an, der an der Universität Wien sein Studium abschloss und neben Taras Schewtschenko als wichtigster ukrainischer Schriftsteller gilt. Die wechselseitigen Ansprüche von Polen und Ukrainern auf einen Nationalstaat führten bei der Auflösung der Monarchie zu gewaltsamen Zusammenstößen und kriegerischen Auseinandersetzungen. Ein kurzlebiger ukrainischer Staat zwischen 1918 und 1921 scheiterte an Polen und der Sowjetunion -und setzte sich erst nach den vielfältigen Verwerfungen des 20. Jahrhunderts mit der Unabhängigkeitserklärung vom 24. August 1991 durch.

Dr. Klemens Kaps, Institut für Sozial-und Wirtschaftsgeschichte, Johannes-Kepler Universität Linz

Dieser Gastbeitrag erschien ursprünglich im News-Magazin Nr. 10/2022.

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