Was hinter der Affäre um die ÖBAG steckt

Sind die verräterischen Chats von ÖBAG-Vorstand Thomas Schmid mit ÖVP-Spitzenrepräsentanten um seine Jobbesetzung ein Skandal oder zeigen sie lediglich die seit Jahrzehnten gelebte Praxis bei politischen Postenbesetzungen in Österreich? Und ist das der eigentliche Skandal? Eine Analyse der Affäre, die für riesigen politischen und öffentlichen Wirbel gesorgt hat.

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Postenschacher - Was hinter der Affäre um die ÖBAG steckt

"So sind wir nicht“ – dieser mittlerweile geflügelte Satz von Bundespräsident Alexander Van der Bellen nach dem Bekanntwerden des Ibiza-Skandalvideos, in dem es unverhohlen um Postenschacher und den möglichen Verkauf staatlicher Assets ging, war Labsal für die Seele der Österreicher. Doch jetzt, fast zwei Jahre später, drängt sich der Verdacht auf, dass der Bundespräsident vielleicht doch nicht recht hatte.

Lesen Sie hier: Wer ist Thomas Schmid?

Denn auch in den jüngst publik gewordenen Chatnachrichten von Thomas Schmid, Ex-Generalsekretär im Finanzministerium und heute Vorstand der Österreichischen Beteiligungs AG (ÖBAG), Bundeskanzler Sebastian Kurz und dem jetzigen Finanzminister Gernot Blümel geht es um die Besetzung eines Topjobs: nämlich die des eigenen als ÖBAG-Vorstand – de facto durch Schmid selbst. Denn der hat im Finanzministerium an der gesellschaftsrechtlichen Konstruktion der Beteiligungsholding ebenso mitgewirkt wie an der Erstellung der Ausschreibungskriterien für den Führungsjob. Die Chats – angeblich 300.000 Texte und Bilder – stammen aus Schmids Handy, das im Zuge der Ermittlungen gegen ihn in der Causa Casinos Austria beschlagnahmt wurde. Die Nachrichten konnten, obwohl sie von Schmid kurz davor gelöscht worden waren, rekonstruiert werden. Die oft ausgesprochen privat formulierten und mit allerlei Emojis versehenen Chats geben einen ungeschminkten Einblick, worüber wie und in welcher Tonalität in ÖVP-Spitzenkreisen kommuniziert wird.

"Kriegst eh alles, was du willst"

Zum ÖBAG-Vorstand bestellt wurde Schmid im April 2019, aber bereits Ende 2017 soll er den Wunsch zum Wechsel gehabt haben. Aber „Sebastian will mich nicht gehen lassen“, so Schmid in einem Chat, als er noch leitend im Finanzministerium tätig war. Dass Schmid zum engen Umfeld von Kanzler Kurz gehörte, beschrieb der damalige Kanzleramtsminister Blümel mit: „Du bist Familie.“ Noch während das neue ÖBAG-Gesetz im Oktober 2018 in Begutachtung geht und von einer Jobausschreibung keine Rede war, denken Schmid und seine Assistentin schon über die Ausstattung des neuen Büros nach. Und er bekommt bereits Gratulationen von Eingeweihten zu seinem neuen Job. Als die gesetzliche Grundlage für den neuen Job gegeben war, soll Blümel ihm „Schmid AG fertig“ geschrieben haben. Schmid diskutiert auch mit Kurz über mögliche Kandidaten für den ÖBAG-Aufsichtsrat und bittet seine Sekretärin, dass „internationale Führungserfahrung“ aus dem Ausschreibungsentwurf gestrichen wird. Denn die hat Schmid nicht. Vor seiner Bestellung zu dem mit kolportierten 500.000 Euro dotierten Job bittet Schmid den Kanzler noch, ihn „nicht zu einem Vorstand ohne Mandate“ zu machen. Darauf Kurz: „Kriegst eh alles, was du willst.“ Und Schmid: „Ich bin so glücklich. Ich liebe meinen Kanzler.“

»Die Verständigung der Eigentümer auf einen Kandidaten für einen Managementjob geschieht im staatlichen Bereich seit jeher«

Kein Wunder, dass SPÖ, Neos und FPÖ schäumen und geschlossen politische Konsequenzen fordern: Sowohl Schmid als auch Blümel seien rücktrittsreif und Kanzler Kurz "tief verstrickt in die Affäre Schmid". Vom "Postenschacher in Reinkultur" ist die Rede, von einem "Sittenbild der türkisen Heuchelei" und davon, wie der Kanzler und seine türkisen Freunde die totale Machtübernahme in der Republik minutiös vorbereitet hätten. Selbst der grüne Koalitionspartner legt Schmid Konsequenzen nahe. Doch die dürfte es zumindest vorläufig nicht geben: In der ÖVP und in der ÖBAG sieht man das alles anders und findet offenbar nichts dabei: In der Sache Schmid sei "gar nichts weiter zu erwarten", sagt etwa ein in politische Postenbesetzungen involvierter Insider, der nicht genannt werden will. Es gebe eine Reihe rechtlicher Stellungnahmen, die diese Ansicht bestätigen würden. Die Verständigung der Eigentümer auf einen Kandidaten für einen Managementjob geschehe im staatlichen Bereich seit jeher -etwa bei den ÖBB, der Asfinag oder auch bei den Casinos Austria, so der ÖBAG-Kenner: "Es ist nicht schändlich, wenn sich der Eigentümer sein Personal aussucht." Schmid sei "qualifiziert" und mache seinen Job "gut".

Auch der ÖBAG-Aufsichtsratschef Helmut Kern stärkt seinem Vorstand den Rücken: "Die ÖBAG ist nicht Partei oder Beschuldigte des laufenden Ermittlungsverfahrens rund um die Casinos Austria" (bei dem Schmid als Beschuldigter geführt wird, Anm.), so Kern gegenüber News. "Es gibt keine neuen strafrechtlichen Verdachtsmomente und Ermittlungen gegen Thomas Schmid. Die WKStA gesteht in diesem Amtsvermerk zu, dass es keine Verquickung zwischen der Bestellung von Schmid in der ÖBAG und Bestellungen in der CASAG gibt. Daher gibt es aktuell auch keinen wie immer gearteten Handlungsbedarf für den Aufsichtsrat der ÖBAG."

Im Folgenden die wichtigsten Facts zu der Affäre, die einen Politwirbel verursachte wie schon lange nicht mehr:

Warum ist die ÖBAG so sexy?

Das ist leicht erklärt: Die Österreichische Beteiligungs AG ist eine Holding der Republik Österreich, in der wichtige Unternehmensbeteiligungen wie OMV, Telekom, Post oder Casinos verwaltet bzw. gemanagt werden. Das Portfolio deckt weite Teile der heimischen Schlüsselindustrien ab, trägt wesentlich zum Steueraufkommen bei, repräsentiert rund 135.000 Arbeitsplätze und soll wichtiges Know-how im Land halten. Der Wert der elf in der Holding zusammengefassten staatlichen Beteiligungen betrug zum Ende des Vorjahres 26,6 Milliarden Euro. Der ÖBAG-Chef ist somit ein sehr einflussreicher und durchaus mächtiger Mann.

ÖBAG Grafik Summe
© News/Karin Netta GELD FÜR DEN BUND. Die Beteiligungsunternehmen der ÖBAG schütten in der Regel jedes Jahr stattliche Summen als Dividenden aus. Die ÖBAG reicht diese fast zur Gänze an die Republik Österreich weiter

Wer ist Thomas Schmid?

Der gebürtige Tiroler studierte Politikwissenschaft und Jus an der Uni Wien, war zunächst als Mitarbeiter einer Rechtsanwaltskanzlei in Wien tätig, absolvierte sein Gerichtsjahr, war ab 2004 parlamentarischer Mitarbeiter von Paul Rübig im Europäischen Parlament und danach Pressereferent in zwei Ministerien. Von 2007 bis 2008 fungierte er als Büroleiter des damaligen ÖVP-Klubobmanns Wolfgang Schüssel und ab 2008 als Pressesprecher im Außenministerium. 2013 wurde er Kabinettschef im Finanzministerium. 2015 übernahm er dort zusätzlich die Funktion des Generalsekretärs und erhielt 2019 seinen Wunschjob als ÖBAG-Vorstand.

Thomas Schmid
© Trend/Wolfgang Wolak Thomas Schmid

Was macht Schmid genau?

Schmid sitzt in den Kontrollgremien der wichtigsten Unternehmen mit staatlicher Beteiligung: in der OMV, der Telekom Austria, der Casinos-Tochter Lotterien oder im Stromkonzern Verbund, wo er so wie in der Bundesimmobiliengesellschaft Aufsichtsratsvorsitzender ist. Im Gegensatz zur Vorgängergesellschaft ÖBIB will die ÖBAG nämlich aktiv bei den Beteiligungen mitgestalten und "eine schlagkräftige Standort-Holding" sein, so Schmid seinerzeit.

Wer hat ihn bestellt und kann ihn wieder abberufen?

Nach der Jobausschreibung -an der Schmid als Generalsekretär im Finanzministerium mitgewirkt hatte -erfolgte die formelle Personalsuche durch den Headhunter Amrop Jenewein. Als Kandidat nominiert wurde Schmid vom Nominierungskomitee der ÖBAG, bestehend aus dem Aufsichtsratsvorsitzenden Helmut Kern, dem ersten Stellvertreter Karl Ochsner (Trauzeuge von Heinz-Christian Strache, Anm.) und der damaligen Arbeitnehmervertreterin im Kontrollgremium, Christine Asperger. Die Bestellung erfolgte durch den neunköpfigen Aufsichtsrat, in dem die sechs Kapitalvertreter die Mehrheit haben und dem auch Iris Ortner, die Tochter von ÖVP-Großspender Klaus Ortner, angehört. Eine Abberufung Schmids ist derzeit kein Thema und sie wäre auch recht kompliziert. "Dazu muss es gute Gründe geben, sonst wird sie sehr teuer", sagt ein Kenner der Materie. "Ein Vertrauensverlust aus Gründen im zwischenmenschlichen Bereich reicht nicht." Ein Grund wäre etwa, wenn der Vorstand den Aufsichtsrat bewusst falsch informiert oder er strafrechtlich verurteilt würde.

Welche Konsequenzen stehen noch im Raum?

Auch wenn man sich bei der ÖBAG "Vorkommnisse wie die uneleganten Chats" nicht wünscht, so ein Insider, scheint Schmid intern weiter gut dazustehen: Aufsichtsratschef Kern streicht die Performance von Schmid und seinem Team hervor: Man habe zuletzt den Wert des Beteiligungsportfolios um fünf Milliarden Euro gesteigert, beschäftige sich intensiv mit dessen Weiterentwicklung und habe auch hier einiges erreicht: etwa die Verlängerung des Syndikatsvertrags der OMV mit Abu Dhabi, die Befriedung bei den Casinos Austria samt einem Syndikatsvertrag mit dem tschechischen Eigentümer Sazka oder die Installation neuer Aufsichtsratschefs bei den Casinos oder der OMV. Kern: "Inhaltlich ist die Kritik nicht gerechtfertigt, die ins Treffen geführten Argumente zielen ausschließlich auf die Person Thomas Schmid." Ob bzw. zu welchen Ergebnissen die Ermittlungen in der Casinos-Causa kommen, in der Schmid als möglicher Beitragstäter in einem Amtsmissbrauchsverfahren geführt wird, ist offen. Ein anderes Verfahren wurde eingestellt.

Was bedeutet die Causa für Kurz und Co.?

Offen bleibt auch die Frage, welche Auswirkungen die Affäre um die Schmid-Bestellung für Kanzler Kurz, Finanzminister Blümel und die ÖVP insgesamt hat. Für Politikwissenschaftler Peter Filzmaier ist sie vor allem der Beweis, dass sich "in Österreich bei politischen Postenbesetzungen in den vergangenen Jahrzehnten nichts geändert" hat. Die meisten Wähler seien zwar grundsätzlich gegen Postenschacher, viele würden jedoch glauben, dass ohnehin alle Parteien dabei mitmachen.

»Kurz und sein Team sind mit einem neuen Stil angetreten. Doch herausgekommen sind letztlich altbekannte Vorgänge«

Eine Studie belege zudem, dass bei jedem Regierungswechsel wichtige Jobs im staatlichen Bereich umgefärbt würden und da deutlich mehr Parteigänger zum Zug kämen als unabhängige Experten. Das sei "demokratiepolitisch traurig, weil das zu einer Resignation in der Bevölkerung führt, die Derartiges als gegeben hinnimmt", so der Politikwissenschaftler. "Druck zu Veränderungen entsteht nur aus entsprechendem Wählerverhalten." Bei der ÖVP seien die Vorkommnisse zudem "politisch besonders brisant", weil Kurz und sein Team ja "mit einem neuen Stil angetreten" seien. "Doch herausgekommen sind letztlich altbekannte Vorgänge." Spannend sei jedenfalls die Frage, ob Kurz und Blümel im Ibiza-U-Ausschuss unter Wahrheitspflicht die Unwahrheit gesagt haben und ihnen dafür Konsequenzen drohen könnten, so Filzmaier.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der aktuellen Printausgabe von News (13/2021) erschienen!