Oberösterreich: Das Ende der Gemütlichkeit

Bei der Landtagswahl in Oberösterreich könnte die Stunde der FPÖ schlagen

von Gmunden am Traunsee © Bild: NEWS / Marko Mestrovic

Ein gescheitertes Hotelprojekt und der Bau einer Regionalbahn bewegen die Politik. Das alles überschattende Thema dieser Tage - Europas Scheitern an der Flucht - scheint weit weg zu sein. Die Welt ist hier auch für die in Oberösterreich seit zwölf Jahren regierende schwarz-grüne Koalition noch in Ordnung. Gemeinsam kommen die beiden Parteien in Gmunden auf 60 Prozent.

Auf Landesebene sieht das anders aus. Das "Industrieland Nr. 1“ ist auch nicht mehr das, was es einmal war, es gibt fast 40.000 Arbeitslose. Die Spannungen zwischen der ÖVP und ihrem grünen Koalitionspartner häufen sich. Insbesondere aus der Wirtschaft gibt es Klagen über die langwierigen Prüfverfahren durch das grüne Umweltressort und den Wunsch nach einer schwarz-blauen Wende. Spannungen zum Ende der - in Oberösterreich außergewöhnlich langen - bereits zweiten sechs Jahre dauernden Legislaturperiode sind nicht ungewöhnlich. Doch die Politik wirkt vor allem von der sich seit Monaten verschärfenden Flüchtlingsfrage überfordert. Statt Landesthemen geht es bei den Landtags- und den parallel stattfindenden Gemeinderatswahlen in den 442 Gemeinden fast ausschließlich um Asyl. An einen normalen Wahlkampf und sachpolitische Auseinandersetzung ist kaum mehr zu denken. Darunter leiden die Regierungsparteien - besonders der ÖVP wird in Umfragen ein Absturz unter 40 Prozent (2009: 46,76 Prozent) prognostiziert. Die FPÖ profitiert hingegen von der Entwicklung und steigt zu immer neuen Umfragehöhen auf. Auch zulasten der SPÖ, die sich nach den Rekordverlusten der letzten Landtagswahl von 2009 (minus 13,39 Prozent) unter ihrem jetzigen Vorsitzenden Reinhold Entholzer auf weitere Verluste einstellen muss. Die Grünen, die seit 2003 in der damals ersten schwarz-grünen Koalition Österreichs den Umweltlandesrat stellen, können sich ihres Wahlerfolgs nicht mehr sicher sein. Noch vor wenigen Wochen wurden den Grünen, die erneut mit Rudi Anschober antreten, Zugewinne prognostiziert. In der jetzigen polarisierten Situation ist das nicht mehr sicher. Das Flüchtlingsthema rückt den Umweltschutz, auf den sich die oberösterreichischen Grünen fokussieren, in den Hintergrund.

Gmunden ging das Asylthema offen an

In Gmunden ist davon wenig zu spüren. Die ÖVP hat rechtzeitig vor der Wahl den Bürgermeister gewechselt und schickt mit Stefan Krapf ein unverbrauchtes Gesicht ins Rennen. Auf den zweiten Blick zeigt sich, dass das Asylthema auch an Gmunden nicht vorbeigeht. Hier ging man es allerdings offensiv an. Im Sommer brachte das Land im Internat "Fliegerschule“ für sechs Wochen 110 Asylwerber unter. Krapf übernahm daraufhin selbst die Schirmherrschaft der Plattform "Willkommen in Gmunden“. Engagierte Bürger zeigten sich in diesem Rahmen hilfsbereit. Von Kleidersammlung bis Freizeitaktivitäten war eine Willkommenskultur spürbar. Der lokale Basketballverein lud zum Training, die Bürger brachten Kleiderspenden und organisierten Deutschkurse. Ängste waren plötzlich weg. "Mir war es wichtig, die Ängste der Bürger ernst zu nehmen und mit Einbindung und Information darauf zu reagieren“, sagt Krapf. Das sieht er auch als Signal gegen die FPÖ, die sich als einzige Partei gegen die Unterbringung stellte. "Gmunden ist bereit, seinen Beitrag zu leisten. Ich sehe es als unsere Verpflichtung, Flüchtlinge unterzubringen“, sagt der Bürgermeister. Auch er erlebt, dass das Interesse der Leute aktuell nicht auf der Kommunalpolitik liegt, aber politisches Kleingeld lässt sich mit Flüchtlingen hier auch nicht verdienen. Wen man im Ort auch fragt, niemandem bereiten die Flüchtlinge Sorgen. "Wir haben nie von Problemen gehört, das funktioniert reibungslos“, sagt man in der Trafik. "Die Probleme lesen wir nur in der Zeitung. Die Flüchtlinge hier sind nett“, hört man beim Bäcker. Für Ärger sorgten in den letzten Jahren eher einige umstrittene Großprojekte. Der neue Bürgermeister stornierte sie und machte so einen Schritt auf die Grünen zu. "Die Gesprächskultur ist wieder besser“, sagt der grüne Spitzenkandidat Josef Sperrer. Er steht für jenen Realismus, der die Grünen in Oberösterreich stark machte. Geordnete Finanzen sind für den Zivilingenieur ein Hauptziel, genauso wie gutes Wirtschaftsklima. Die Umweltpolitik läuft da fast schon unter ferner liefen. Bei der Flüchtlingsunterbringung unterstützt er den ÖVP-Bürgermeister, andernorts gibt es Differenzen. Trotzdem bahnt sich nach der Wahl eine Koalition mit der ÖVP an.

Auch Grüne am Land tief verwurzelt

Im Land ist die Fortsetzung dieser gemütlich pragmatischen Koalition hingegen offen. Die Männerfreundschaft zwischen Landeshauptmann Josef Pühringer und seinem Stellvertreter Rudi Anschober könnte nicht mehr ausreichen, um die Koalition zu sichern. Das liegt nicht an Gmunden und generell kaum am ländlichen Raum. Denn nicht nur die ÖVP, auch die Grünen sind hier abseits der Städte tief verwurzelt. "Es ist uns gelungen, die Grünen im ländlichen Raum stark zu verorten. Wir haben mehr als 1.800 Kandidaten und inzwischen sogar 43 Bürgermeisterkandidaten. Da ist ein starkes Selbstbewusstsein vorhanden“, sagt der Grünen-Spitzenkandidat Rudi Anschober. Die Wahl sieht er als Entscheidung über die Koalition: "Es ist klar, dass Josef Pühringer Landeshauptmann bleiben wird und die SPÖ nach der Wahl mit sich selbst beschäftigt sein wird. Deshalb geht es um eine Richtungsentscheidung zwischen der Fortsetzung von Schwarz-Grün und der schwarz-blauen Wende.“

Sein Wahlziel liegt bei 100.000 Stimmen. Wird es erreicht, rechnet Anschober mit einer Fortsetzung der Koalition. Ob das gelingt, wird auch an den Neos liegen, die in Oberösterreich erstmals kandidieren. Ihr Einzug ist laut diversen aktuellen Umfragen unwahrscheinlich. Gelingt er dennoch, könnte Anschober seinen Regierungsposten verlieren, der im Proporzsystem am Wahlergebnis hängt. Dann wäre die Fortsetzung der Koalition mit der ÖVP denkunmöglich.

Wahl wird in Linz entschieden

Entschieden wird die Wahl im Großraum Linz, wo jeder dritte Oberösterreicher lebt. Hier regiert seit 1945 durchgehend die SPÖ. Am Dienstag spricht sich die SPÖ in Leonding bei Linz Mut zu. Vor 500 Gewerkschaftsfunktionären tritt der Spitzenkandidat Reinhold Entholzer zum Auftakt des Intensivwahlkampfs auf. Mit einer kämpferischen Rede gelingt es dem ehemaligen Eisenbahner Entholzer, die Funktionäre zu motivieren. Breitseiten gegen die - aus seiner Sicht - unsoziale Politik von FPÖ-Chef Manfred Haimbuchner kommen hier gut an. Der Abend steht ganz unter dem Motto "Fußball“. Der Wunsch, dass der Glanz des Nationalteams auf einen abfärben möge, ist offensichtlich. Mit Vuvuzelas wird Stimmung gemacht. Doch das Haar war bei vielen Funktionären schon einmal voller, bei anderen ist es längst grau geworden.

Die Frauen und die Jungen sind in der Minderheit. Beim Eingang sollen aufgeklebte Fußballersprüche für Stimmung sorgen. Einer wirkt wie ein Vorzeichen drohenden Unheils: "Einmal verliert man und einmal gewinnen die anderen.“ Im Gespräch fällt die Zuversicht der Funktionäre rasch ab. Anwesende Baugewerkschafter hadern, dass selbst die türkischen Hilfsarbeiter inzwischen zu FPÖ-Veranstaltungen gehen. "Die waren früher immer bei uns“, sagt einer. Baugewerkschafter Josef Affengruber meint: "Am Stammtisch braucht man gar kein anderes Thema als die Flüchtlinge zu bringen. Es gibt dort kein anderes.“ Entholzer versucht trotzdem, Zuversicht zu verbreiten, und will die Wahl noch nicht geschlagen geben. Dass er einem Rückstand hinterherläuft, deutet er zur Motivationshilfe um: "Haimbuchners Umfragehoch ist nicht sein Erfolg, und abgerechnet wird am Schluss. Etwa 55 Prozent sind unentschlossen. Für uns heißt das, dass man bis zum Schluss rennen und mobilisieren muss.“ Ihm geht es darum, zu zeigen, wie unsozial blaue Politik für Arbeitnehmer sei.

Mann fürs Grobe

Die FPÖ veranstaltet nur wenige Kilometer weiter am Linzer Stadtrand im Bezirk Ebelsberg ein Straßenfest. Der Linzer Spitzenkandidat ist in der FPÖ der Mann fürs Grobe. Detlef Wimmer ist gekommen, es gibt Freibier. Ebelsberg ist rotes Kernland. Doch die FPÖ gewinnt an Boden, 2009 kam man auf über 20 Prozent, diesmal will man mehr. Zum Straßenfest sind auch die Handelsschüler Salid und Milan gekommen. Sie wollen Wimmer fragen, warum die FPÖ gegen Zuwanderer auftritt. "Das geht nicht“, sagt Salid. Sein Vater ist aus Ghana nach Österreich gekommen, er unterstützt die SPÖ. Beim Gespräch über die FPÖ-Umfragen werden seine Augen feucht, der 18-Jährige schüttelt mehrmals den Kopf. "Ich verstehe das nicht“, sagt er. Nur wenige Meter weiter steht eine Pensionistin. Ihre Mutter kam während der Nazizeit ins Konzentrationslager "weil sie die Pappn nicht halten wollte“, sagt sie. Sie wählt die FPÖ, von der Linzer Bürgermeisterpartei SPÖ ist sie enttäuscht. Vor allem seit in einer nahe gelegenen Einkaufspassage kein Schreibwarengeschäft einzog, wie sie es sich gewünscht hatte. Andere Wähler haben ähnliche Probleme. Der Autoverkehr oder fehlende Hundezonen empören sie. Und immer wieder kommt das Gespräch auch auf die Flüchtlinge. Die FPÖ ist hier am Sprung zur Volkspartei.

Haimbuchner hat viel gelernt

Für diese Breite steht Spitzenkandidat Manfred Haimbuchner. Der 37-jährige Rechtsanwaltsanwärter hat in den letzten sechs Jahren als Landesrat viel gelernt. Manchmal wirkt er noch bubenhaft, bemüht sich im nächsten Moment aber um die Selbstsicherheit des Oppositionsführers. Haimbuchner zählt sich zum liberalen Flügel der Partei. In der Proporzregierung hat er als Wohnbaulandesrat mitgewirkt und sich mit einer wirtschaftsfreundlichen Politik als Alternative zu den Grünen profiliert. "Wir Freiheitliche lassen uns den Liberalismus nicht nehmen. Weder von den Marktanarchisten noch von denen, die das nur gesellschaftspolitisch verstehen“, sagt er. Mit dem Atterseekreis und dem Liberalen Klub hat er Thinktanks etabliert, die über die Kernschichten der Partei ins bürgerliche Milieu wirken. Haimbuchner hat die Partei verbreitert. In den Großstädten macht sie als "soziale Heimatpartei“ der SPÖ Konkurrenz. Am Land macht Haimbuchner auf wirtschaftsliberal. Ob das unter einen Hut geht, muss er als Oppositionspolitiker noch nicht beweisen. Er sieht die FPÖ am Sprung zur Zentrumspartei nach dem Vorbild der bayerischen CSU. Einer Schwesterpartei der ÖVP, der sich auch Landeshauptmann Josef Pühringer verbunden fühlt. "Laptop und Lederhose statt Caritas und Windrädern“, nennt er als Motto. An Zuversicht fehlt es ihm nicht. "Meine Kollegen von ÖVP, SPÖ und Grünen werden in zehn Jahren alle in Pension sein und ich werde Landeshauptmann sein“, behauptet er.

Können dieser Völkerwanderung nicht zusehen

Im Ton ist Haimbuchner moderat, in den Forderungen hart: "Wer in dieser Situation und bei diesen Bildern kein Mitgefühl zeigt, der ist kein Mensch. Aber ich bin kein NGO-Mitarbeiter, sondern Politiker. Meine Aufgabe ist es, das Thema weiterzudenken“, sagt er. Höchstens 5.000 Asylwerber hält Haimbuchner zumutbar für Österreich. "Man wird um eine Änderung des Asylrechts leider nicht herumkommen. Einen Zaun wünsche ich mir nicht, die Symbolik ist nicht schön, aber wir können dieser Völkerwanderung nicht zusehen“, sagt er.

In Gmunden dienen Zäune nur der Abgrenzung von Grundstücken. Wenn die Sonne über dem Traunstein langsam untergeht, den Traunsee in gleißendes Licht taucht und Zillen langsam über das Wasser gleiten, dann sind die Zuspitzungen der Landespolitik ganz weit weg. "Wir würden nirgendwo anders sein wollen“, sagt ein Pensionistenpaar, das auf einer Parkbank am Traunsee sitzt. In Ufernähe taucht ein Schwan tief unter Wasser, bis er den Seegrund erreicht.

Man könnte das als Sinnbild verstehen: Wenn er wieder auftaucht, scheint alles in Ordnung zu sein.

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