Neue Regierung noch
vor Weihnachten?

Hielte sich Wahlsieger und ÖVP-Chef Sebastian Kurz an die bisherige durchschnittliche Verhandlungsdauer von 68,4 Tagen, dann hätte Österreich noch vor Weihnachten eine neue Bundesregierung. Es ist allerdings fraglich, ob das dieses Mal wieder der Fall sein wird. Politologen rechnen mit einer langen Koalitionsfindung

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NR-Wahl 2019 - Neue Regierung noch
vor Weihnachten?

Wie es nach der Wahl weitergeht

Den Auftrag zur Regierungsbildung wird Bundespräsident Alexander Van der Bellen erst nach Vorliegen des Endergebnisses inklusive Briefwahl an Sebastian Kurz erteilen.

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Van der Bellen wird Gespräche mit allen Parteien führen - und danach den Spitzenkandidaten der stimmenstärksten Partei, also Kurz, mit den Regierungsverhandlungen betrauen. Wann genau ist noch nicht bekannt. Jedenfalls wird der Bundespräsident warten, bis am Donnerstag alle Briefwahl- und Wahlkartenstimmen ausgezählt sind. Zunächst einmal wird Van der Bellen am Dienstag die amtierende Beamtenregierung mit Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein an der Spitze - die ihm traditionsgemäß den Rücktritt anbieten wird - auffordern, die Geschäfte bis zur Angelobung der neuen Regierung fortzuführen.

Die Parteien halten diese Woche eine Reihe von Gremiensitzungen ab, um ihre Schlussfolgerungen aus der Wahl zu ziehen und die weitere Vorgangsweise abzustimmen. SPÖ, Neos und Liste Jetzt tun dies am Montag, die Gremien der ÖVP, der Grünen und der FPÖ tagen am Dienstag.

Verhandlungen dauerten im Schnitt 68,4 Tage

Wirklich amtlich wird das Wahlergebnis der Nationalratswahl im Zuge einer Sitzung der Bundeswahlbehörde am 16. Oktober. Die Konstituierende Sitzung des neu zusammengesetzten Nationalrats findet am 23. Oktober statt. Die ÖVP hat zwar nach der Nationalratswahl drei Optionen für mögliche Zweier-Koalitionen - mit der SPÖ, der FPÖ und den Grünen. Dass es deshalb einfach und schnell gehen wird, ist aber dennoch nicht zu erwarten. Kurz hat auch bereits die Vermutung geäußert, "dass es dieses Mal etwas herausfordernder werden könnte".

Nach der letzten Wahl 2017 hat es 64 Tage gedauert, bis Türkis und Blau zur Angelobung geschritten sind. Rechnet man alle 22 Regierungsbildungen inklusive Alleinregierungen der Zweiten Republik zusammen, dann liegt die durchschnittliche Dauer bei 60,7 Tagen. Wenn man nur die bisher 17 Koalitionsverhandlungen berücksichtigt, dann dauerten diese im Schnitt 68,4 Tage.

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2017 dauerte es 64 Tage, bis sich die ÖVP mit der FPÖ auf das Regierungsprogramm geeinigt hatte. Das war nur rund halb so lang wie 1999/2000 Wolfgang Schüssel und Jörg Haider brauchten, um erstmals eine Koalition von ÖVP und FPÖ auszuverhandeln.

Experten rechnen mit langen Verhandlungen

Politik-Experten rechnen mit langen Koalitionsverhandlungen. Die ÖVP werde kein Interesse daran haben, vor der Steiermark-Wahl am 24. November ein Verhandlungsergebnis zu haben, um Wähler mit einer unbeliebten Entscheidung nicht abzuschrecken. Außerdem sei es auch inhaltlich nicht einfach, gab Peter Filzmaier zu bedenken.

Auch die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle rechnet damit, "dass vor der Steiermark-Wahl keine Festlegungen erfolgen", wie sie sagte. Kurz könne kein Interesse daran haben, sich vor der Landtagswahl festzulegen, mit wem er im Bund regiert. Denn die ÖVP-Wählerschaft sei in ihren Koalitionspräferenzen sehr gespalten, gaben beide Experten zu bedenken. Egal, wie sich Kurz entscheidet, er würde einen Teil der Wähler enttäuschen.

»Kurz steht nicht unter Verhandlungsdruck«

"Kurz steht auch nicht unter Verhandlungsdruck", sagte Filzmaier. Denn es sei ja nicht so, dass der ÖVP-Wahlerfolg ein bescheidener gewesen ist. Der Ex-Kanzler müsse daher keinen raschen Verhandlungserfolg vorweisen. Auch könne der ÖVP-Chef darauf verweisen, dass die letzte Regierungsbildung 2017 auch von 15. Oktober bis knapp vor Weihnachten gedauert hatte. Daher wäre eine Verhandlungsdauer bis Dezember kein Problem.

Mit langen Gesprächen rechnen die Experten auch aufgrund der zu erwartenden schwierigen inhaltlichen Verhandlungen. Sollte die ÖVP wie aktuell von vielen Beobachtern erwartet mit den Grünen in Verhandlungen treten, so gibt es hier nur wenige inhaltliche Überschneidungen: Die Gemeinsamkeiten würden bei nur etwa 20 Prozent liegen, gab Filzmaier zu bedenken. Mit nur "ein paar Leuchtturmprojekten" wäre eine Türkis-Grüne Koalition wohl nicht zu machen.

Stainer-Hämmerle sieht vor allem beim Thema Bildung die größten Divergenzen zwischen ÖVP und Grünen. Beim aktuellen Dauerbrenner Klima und Umwelt werde man sich finden, sagte sie. Der Knackpunkt Migration ist laut der Expertin bei aller Divergenz wohl ebenfalls zu lösen, immerhin habe Kurz ja früher schon andere Töne angeschlagen als in den letzten Jahren.

Die FPÖ wiederum habe sich ja gleich am Wahlabend selbst aus dem Spiel genommen, den Gang in die Opposition angekündigt und damit "in die Boxenstraße gestellt", wie Filzmaier sagte. Er hält es aber nicht für ganz ausgeschlossen, dass am Schluss doch noch eine Türkis-Blaue Neuauflage möglich sein könnte, sofern andere Optionen scheitern. Der Politologe verwies etwa auf das Jahr 2002: Damals erschien die FPÖ unmittelbar nach der Wahl ebenfalls nicht als Koalitionsoption. Am Schluss bildete die ÖVP dann aber doch mit dem damaligen FPÖ-Chef Herbert Haupt eine schwarz-blaue Regierung. Daher halte er diese Variante "zwar nicht für wahrscheinlich, aber ich schließe sie nicht aus".

Längsten Verhandlungen 1962/63

Am längsten, nämlich 129 Tage, mussten die Österreicher 1962/63 warten, bis ÖVP und SPÖ - widerstrebend - zum letzten Mal vor der Phase der Alleinregierungen einig wurden. Dass die Große Koalition meist keine Liebesheirat war, zeigt sich auch an der Verhandlungsdauer: Sieben Mal brauchten SPÖ und ÖVP länger als Türkis-Blau vor zwei Jahren.

Die zweitlängsten Verhandlungen legten ÖVP und FPÖ 1999/2000 mit immerhin 124 Tage hin. Nach langwierigen Sondierungen bemühten sich allerdings erst SPÖ und ÖVP um die Fortsetzung der Großen Koalition, nach deren Scheitern stand Schwarz-Blau unter Wolfgang Schüssel (ÖVP) dann binnen elf Tagen.