Breivik – fanatisch oder verrückt?

Psychiater Reinhard Haller erklärt, warum der Massenkiller niemals wieder freikommen darf; egal, ob er für geistig abnorm oder zurechnungsfähig erklärt wird.

von Norwegen-Attentäter - Breivik – fanatisch oder verrückt? © Bild: beigestellt

Kein klassischer Amoklauf. Die Attentate von Oslo und Utøya lassen sich auch innerhalb der aus Amok, Massaker und Terror bestehenden „Trias des Schreckens“ nicht klar zuordnen. Breiviks Verbrechen war kein klassischer Amoklauf, bei welchem der Täter aus dem Nichts heraus in einer Art Anfall alles niederschießt, was sich bewegt. Es ist nicht vergleichbar mit den School-Shootings, bei denen ein frustrierter Exschüler an den Ort seiner Demütigungen zurückkehrt und gezielt ehemalige Lehrer und Kollegen ermordet.

Vielmehr hat Breivik zunächst durch einen klassischen Bombenanschlag die Aufmerksamkeit der Polizei und Öffentlichkeit abgelenkt. Dies hat ihm Zeit gegeben, um seine eigentliche, noch schrecklichere Tat ungestört und gezielt durchzuführen: die Ermordung von 69 jugendlichen Teilnehmern an einem von der sozialdemokratischen Partei organisierten Zeltlager. Allein die Tötungen von Angesicht zu Angesicht belegen das ungeheure Aggressionspotenzial, den schweren Sadismus und die absolute Gefühlskälte, die diese Tat so unbegreiflich machen. Psychiater und Kriminologen sind sich nun über die Frage, ob ein solches Verhalten durch politischen Extremismus oder wahnhaftes Denken motiviert und als normal oder pathologisch zu werten sei, nicht einig.

Wusste er, was er tat?
Zwei psychiatrische Sachverständige attestieren Breivik eine Zurechnungsunfähigkeit bedingende Schizophrenie, zwei weitere halten ihn für psychisch normal und damit für schuldfähig. Tatsächlich ist die Unterscheidung zwischen schwerer Persönlichkeitsstörung und Geisteskrankheit, zwischen Fanatismus und Wahn nicht einfach. Ist das Agieren eines Querulanten noch normal oder bereits krank? Sind die Ideen eines Erfinders genial oder im wahrsten Sinne des Wortes „verrückt“? Handelt ein Fanatiker mit vollem Verstand, oder hat er die Grenze zum Wahnsinn überschritten?
Tötungen zeigen seine absolute Gefühlskälte
Solche Unterscheidungen lassen sich nicht mit den sonst in der medizinischen Diagnostik zu verlässlichen Ergebnissen führenden Methoden wie Computertomografie oder Laboruntersuchungen treffen. Denn psychische Störungen sind nicht wirklich messbar.

Vergleicht man Anders Breivik mit anderen großen Attentätern, etwa dem Unabomber Ted Kaczynski oder dem österreichischen Bombenhirn Franz Fuchs, ergeben sich bemerkenswerte Parallelen:

In allen Fällen handelt es sich um höchst intelligente, technisch versierte, von der Gesellschaft tief enttäuschte Einzelgänger. In ihrem verbitterten Rückzug haben sie eine politisch radikale Idee aufgegriffen, sich in dieser verstiegen und sie zum Mittelpunkt ihres Lebens gemacht. Aus Rachebedürfnis und dem Streben nach eigener Wichtigkeit haben sie eine eigene Wirklichkeit geschafften, in welcher sie sich als „Retter“ des unwissenden Volkes berufen fühlten.

Und noch etwas ist diesen gekränkten Genies gemein: Sie sind über kurz oder lang wahnsinnig geworden.

Während die Öffentlichkeit bei großen Verbrechen regelhaft nach einer psychiatrischen Erklärung sucht, scheint es für die Hinterbliebenen im Fall des Anders Breivik wichtig, dass dieser voll zur Verantwortung gezogen wird. Bemerkenswerterweise will er auch selbst nicht als psychisch krank gelten und betont, dass die Psychiatrie für ihn die schlimmste Bestrafung wäre.

Dies spricht ebenso wie sein reueloses Auftreten für einen Wahn.

Nicht therapierbar
Letztlich hat aber die Frage nach der Zurechnungsfähigkeit des Anders Breivik eher akademischen Charakter und ist nur für die Art seiner Verwahrung von Bedeutung. Eine übersteigerte Idee, sei sie fanatisch oder wahnhaft, ist nicht therapierbar, Sendungsbewusstsein lässt sich nicht heilen. Anders Breivik wird so oder so bis ins hohe Alter gefährlich bleiben.

Er muss zum Schutz der Bevölkerung auf Dauer verwahrt werden, im Falle der Zurechnungsunfähigkeit in der geschlossenen Psychiatrie, ansonsten in einem Hochsicherheitsgefängnis.