Kims geheimes Skiparadies

Hundert Pistenkilometer, ein Luxushotel, Gondeln aus Ischgl und ein Diktator als Bauherr. Wie Kim Jong-un sich im abgeschotteten Nordkorea seinen Alpintraum erfüllte. Und wieso er jetzt Olympia im Nachbarland nutzt, um damit beinhart Politik zu machen.

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Nordkorea - Kims geheimes Skiparadies

Ob Kim Jong-un wohl ein begnadeter Skifahrer ist? Das gegenwärtige Körpergewicht des "großen Führers" lässt diesen Verdacht zwar nicht unbedingt aufkommen. Doch in der Biografie des nordkoreanischen Diktators finden sich Indizien, aus denen sich eine gewisse Vorliebe für den Wintersport ableiten ließe. Immerhin verbrachte Kim seine Jugendjahre in der Schweiz. Inkognito, als Sohn eines Diplomaten, wie es damals hieß, besuchte er fünf Jahre lang eine Eliteschule in der Hauptstadt Bern. Am Wochenende ging es mit seiner Familie, in Wahrheit der Onkel und die Tante, hinauf ins Oberland, wo die Bretter angeschnallt wurden. Wer den pausbäckigen Buben damals um die Jahrtausendwende beobachtet haben mag, wäre wohl fassungslos, würde er erfahren, was heute, achtzehn Jahre später, aus ihm geworden ist.

Nordkorea
© picture alliance / AP Photo

Atomares Schattenreich

Denn nun herrscht Kim über den verschlossensten Staat der Erde, eine abgeschottete Diktatur, die, hochgerüstet, der Welt mit Atomwaffen droht. Ein Schattenreich, aus dem kaum etwas nach draußen dringt. Ein Land, um das sich Mythen ranken und welches das krassest mögliche Gegenmodell in einer weitgehend globalisierten Gegenwart bildet. Nur 6000 Touristen besuchen pro Jahr das fast schon verbotene Land. Eine Reise dorthin gleicht einem Abgleiten in ein schwarzes Loch, da weder westliche Handys benutzbar sind noch eine Verbindung ins Internet besteht. Der 20-jähriger Wiener Lukas Orler war im vergangenen Jahr einer der wenigen Österreicher, die Nordkorea besuchten, und wurde dabei wie alle Ausländer ständig überwacht: "Vom Beginn bis Ende meiner Reise ließen mich meine zwei Guides keinen Moment aus den Augen", erinnert er sich.

So wird auch klar, weshalb unabhängige Berichte aus Nordkorea weiterhin rar bleiben. Lange war nicht einmal sicher, wie alt der junge Führer des Landes, der dritte in der Dynastie der Kims, wirklich ist. 32,33 oder schon 34 Jahre? Später wurde gerätselt, was mit jenen Personen geschehen sein mag, die noch im Jahr 2011 neben Kim Jong-un am Sarg seines Vaters Spalier standen. Keiner von ihnen dürfte heute noch am Leben sein, hieß es. Der Onkel, ein Konkurrent um die Herrschaft, soll gar blutrünstigen Hunden zum Fraß vorgeworfen worden sein.

Kims Macht hat sich seither stabilisiert. Die nordkoreanische Propaganda liefert regelmäßig Bilder des feisten Führers, wie er durch sein bitterarmes Land tourt und dabei alles daran setzt, vom Rest der Welt gefürchtet zu werden. Grund dazu gibt es genug, wie die vergangenen Monate bewiesen haben. Fast im Wochentakt verunsicherten Meldungen von weiteren atomaren Tests. Schon im September behauptete Nordkorea, eine Wasserstoffb ombe entwickelt zu haben, mit der Interkontinentalraketen bestückt werden können. US-Präsident Donald Trump, auch nicht gerade für seine Besonnenheit bekannt, sprach vom "little rocket man"(kleinen Raketenmann - Anm.), der bloß hoch pokern würde. Später verwies Trump sicherheitshalber darauf, dass er ohnedies "den viel größeren Atomknopf" als Kim besäße. Woraufhin dieser wiederum bei Trump "die letzten Zuckungen eines Irren" ortete und ihn "einen tollwütigen Hund" nannte. Weltpolitik auf Kindergartenniveau und gerade daher zum Bangen.

Der Traum des Führers

Aus diesem Grund blicken dieser Tage viele Menschen voller Erwartung, Hoffnung, aber auch Anspannung zum Nachbarn nach Südkorea. Dort, in Pyeongchang, was übersetzt Friede und Gedeihen heißt, ringen in den kommenden zwei Wochen Nord-und Südkoreaner gemeinsam um olympische Medaillen und laufen unter einer gesamtkoreanischen Flagge bei den Spielen ein. Ein wahres olympisches Winterwunder -oder doch nur das Ergebnis kühlen machtpolitischen Kalküls?

Eine mögliche Antwort findet sich erneut in Nordkorea und, je nach Witterungslage, drei bis vier Stunden Fahrt östlich der Hauptstadt. Auf 768 Metern Höhe liegt der Masik-Pass und der Traum des Führers: ein komplettes Skiresort samt Luxushotel, drei Liften und 110 Kilometern an präparierten Pisten. Die längste Abfahrt reicht über fünf Kilometer von 1.300 Metern Seehöhe bis hinab zur Talstation. Ein Wintersportparadies, wie es Kim wohl noch aus den Schweizer Bergen kennt, errichtet mitten in seiner Diktatur des Arbeiter-und Bauernstaates.

"Es fällt schwer, nicht vom Aussehen und der Stimmung dieses Resorts beeindruckt zu sein", sagt einer, der es mit eigenen Augen gesehen hat. Ed Jones ist Cheffotograf der Agentur AFP für Korea und einer von ganz wenigen Journalisten weltweit, die bisher ins Masik-Ryong-Resort gelangt sind. "Die hölzerne Inneneinrichtung und die niedrigen Decken dort unterscheiden sich von den sonstigen Lieblingsbauprojekten in Nordkorea, die immer von gigantischen, monumentalen Flächen geprägt sind."

Kims Tiroler Gondeln

Das Skigebiet, das es in seinen Ausmaßen mit größeren in Österreich aufnehmen kann, entstand auf direktes Geheiß von Kim. Im Juli 2012 zeigten erste Fotos der staatlichen Nachrichtenagentur den Diktator, umringt von Militärs, denen er Anweisungen erteilte, die sie emsig in ihre Notizblöcke kritzelten. "Voller Angriff. Marschiert vorwärts. Lasst uns das Skiresort am Masik-Pass innerhalb eines Jahres beenden, indem wir eine aggressive Schlacht führen", stand auf einem Plakat, das letzte Zweifel am Ernst des Ansinnens ausschloss. Und so konnten bis zu 40.000 Soldaten knapp 18 Monate später Vollzug vermelden. Wälder waren abgeholzt, Ebenen planiert und selbst unüberwindbar wirkende Hürden gemeistert worden. Denn neben den Schlepp-und Sesselliften sollte Kim auch eine anständige Seilbahn aus der Schweiz verzücken. Doch die Eidgenossen verboten wegen der Sanktionen den Export einer Anlage nach Nordkorea. Weshalb dort nun Gondeln Dienst tun, die früheren Benutzern der Pardatschgratbahn in Ischgl vertraut sein dürften.

Deren weite Reise aus Tirol bis an die Hänge Nordkoreas fand so sogar ihren Weg in die "New York Times". Die zeichnete nach, wie die Silvrettabahn die Gondeln 2014 erst an ein Vorarlberger Unternehmen verkauft hatte, das sie wiederum nach China abgab. Dortige Händler verschafften Kim den Prestigegewinn einer Seilbahn "made in Austria" und den Beweis, dass Sanktionen ziemlich zahnlos sein können. Entsprechend gut gelaunt zeigte sich der Diktator bei der Einweihung des Resorts, das schon damals Teil seines größeren Plans gewesen sein dürfte.

Dessen Titel: Olympia. Nicht umsonst ließ er die 120 Zimmer des Hotels modernst ausstatten. Installierte dort das, was sonst nur seinen Privatgemächern vorbehalten ist, im Rest Nordkoreas aber den direkten Weg ins Arbeitslager bedeuten dürfte: nämlich Internet und Kabel-TV. Masik-Ryong wird zum luxuriösesten Ort Nordkoreas, zur Auslage für eine ausgehungerte, aber schwer bewaffnete Diktatur, deren Führer sein Volk unterjocht und alles daran setzt, sich und seiner Clique die Herrschaft auf weitere Jahrzehnte zu sichern. Mit seinem Skiresort hofft der an Devisen chronisch klamme Kim auch auf ausländische Touristen. Ein Plan, der zumindest beim Besuch von AFP-Fotograf Ed Jones noch nicht ganz aufgegangen sein dürfte: "Außer mir waren dort nur ein paar andere Ausländer", erzählt er, "besonders die höher gelegenen Pisten waren wunderbar friedlich und leer. Auf den Anfängerhängen tummelten sich Nordkoreaner aus Arbeitsbrigaden und Kinder, die sagten, sie wären vom örtlichen Ski-Camp."

Die Südkoreaner kommen

Und so blieb Kims Resort erst einmal ein elitäres Vergnügen, was angesichts der Preisgestaltung auch nicht weiter verwundert. "Der Tagesskipass für Ausländer kostet fast 100 Dollar", berichtet Jones, "während Nordkoreaner umgerechnet 30 Dollar dafür bezahlen." Wer annimmt, dies käme angesichts manch heimischen Pisten-Wuchers einer Okkasion gleich, sei auf Nordkoreas durchschnittliches Monatseinkommen von 40 Dollar verwiesen. Dabei stünde alles bereit: die Karaokebar oben auf der Hütte soll laut Besucherberichten im Internet ebenso in Betrieb sein wie der einzige Cappuccino-Vollautomat von ganz Nordkorea. Zeit also, den Olympia-Plan in die Tat umzusetzen. In seiner Neujahrsansprache drohte Kim den Amerikanern zwar weiter mit Atomwaffen, machte dem Süden aber zugleich ein verlockendes Angebot. Ein gemeinsames Team für die Spiele, das unter der Flagge Gesamtkoreas einlaufen soll. Für Seoul ein kaum abzulehnender Vorschlag. Denn längst sorgte man sich dort, dass die Spiele im Kriegsgeheul untergehen würden. Zehn Milliarden Euro hatte Südkorea investiert und fürchtete nun nicht nur ein Ausbleiben der Besucher, sondern auch einen dauerhaften Imageschaden für das Land. Pyeongchang, gerade einmal 80 Kilometer von der streng bewachten Grenze zum Norden entfernt, kann es sich nicht leisten, dass Kim mit seinen Raketen der Olympiastadt die Show stiehlt. Also Ja zum gemeinsamen Team, Ja zur ausgestreckten Hand des Diktators, selbst Ja zum Gang in dessen Ski-Höhle.

Ein bisschen Frieden

Vor zwei Wochen war es so weit. 45 Sportler aus Südkorea trafen in Masik- Ryong ein. Gemeinsam trainierten die Skifahrer beider Staaten zwei Tage auf den perfekt präparierten Pisten des Diktators und bescherten ihm damit einen Propagandaerfolg, den er weidlich für sich zu nutzen weiß. Zu den Spielen selbst schickt Kim Athleten, die im Dameneishockey, dem Eiskunstlauf, beim Langlaufen und in den Alpinbewerben antreten sollen. Große Medaillenhoffnungen machen sich die Nordkoreaner dabei nicht, es geht vielmehr um Imagepolitur. Daher traten auch eine Girl-Pop-Band, Cheerleader und Sänger die Reise aus dem Reich der Kälte ins grelle Licht des südkoreanischen Kapitalismus an. Und Kim kann dabei nur gewinnen.

Denn der Deal ist klar: ein bisschen Frieden für die Zeit der Spiele. Zwei Wochen Olympia am Gängelband des Diktators. Wenngleich selbst diesem Frieden nicht ganz zu trauen ist, wie Rüdiger Frank, einer der besten Kenner Nordkoreas und Professor für Ostasienwissenschaften an der Uni Wien, ausführt: "Im schlimmsten Fall startet Pjöngjang noch vor dem Ende der Spiele einen überirdischen Atomtest, bevor die Gelegenheit der gegnerischen Schwäche vorbei ist".

Frank macht deutlich, dass sich auch danach Nordkorea weiter im Krieg mit dem Süden sieht, denn Kim Jong-un hält am wahnwitzigen Plan einer Wiedervereinigung Koreas unter seiner Führung fest. Die Skidiplomatie von Masik-Ryong dient ihm dabei als weißer Zwischenstopp.