"Ein riesiges
Gefängnis ohne Gitter"

Was Leben und Tod in dem Land mit dem härtesten System der Welt bedeutet

Der vor kurzem aus Nordkorea freigelassene Student Otto Warmbier ist tot. Der militaristische Staat unter der Diktatur Kim Jong-uns gerät dadurch wieder ins Kreuzfeuer internationaler Kritik. Nicht ohne Grund. Ein Porträt des weltweit härtesten politischen Systems der Gegenwart.

von Nordkorea - "Ein riesiges
Gefängnis ohne Gitter" © Bild: shutterstock

Diese Nachricht ging um die Welt: Der kürzlich von Nordkorea freigelassene US-Student Otto Warmbier ist tot. Während seiner Zeit in Nordkorea erlitt der 22-Jährige schwere Schädigungen am Gehirn. Im Wachkoma liegend wurde er am 13. Juni in die USA zurückgebracht. Woher die gesundheitlichen Schäden kommen, ist noch nicht geklärt. Die Führung in Nordkorea sieht den Grund in einer schweren Lebensmittelvergiftung. So ganz glauben will das aber niemand. Klar ist: Wäre er nicht unverhältnismäßig hoch bestraft worden, wäre er nicht gestorben. Wegen Diebstahls eines politischen Banners von einer Hotelfassade wurde er zu einer 15-jährigen Gefängnisstrafe mit Zwangsarbeit verurteilt.

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Möglicherweise fiel die Strafe auch deshalb so hoch aus, weil er Amerikaner ist. Denn der Fall Warmbiers fällt in eine Periode verschärfter Spannungen zwischen Nordkorea und den Vereinigten Staaten. Donald Trump erhöhte nach seinem Amtseintritt den Druck wegen des nordkoreanischen Atomprogramms. Seine Regierung schloss auch ein militärisches Vorgehen nicht aus. Nordkorea steht wegen der Entwicklung militärischer Raketentechnik und Raketentests immer wieder im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit. Auch steht die Staatsführung wegen schwerer Verletzungen der Menschenrechte international in der Kritik. Offiziell wird der Staat in Ostasien zwar als „Demokratische Volksrepublik“ bezeichnet, tatsächlich befindet sich das Land aber unter der Diktatur Kim Jong-uns und gilt als weltweit restriktivstes politisches System.

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Der Kim-Klan-Kult

Der Personenkult um den Herrscher Kim Jong-un begann schon mit seinem Großvater Kim Il-sung. Seit den 1960er Jahren wurde dieser als „Großer Führer“ bezeichnet und zum „ewigen Präsidenten“ erklärt. Als sein Sohn und Nachfolger Kim Jong-il 2011 starb, kam wiederum dessen jüngster Sohn Kim Jong-un an die Macht. Seitdem kündigte „der oberste Führer der Partei, des Staates und der Armee“ nicht nur regelmäßig Atomtests an, er rief auch das Kriegsrecht aus, drohte Südkorea sowie den Vereinigten Staaten mit einem nuklearen Anschlag und lies sowohl seinen Onkel, Verteidigungsminister, Vize-Premierminister und den Chef des Generalstabs hinrichten.

Vernichtung und Versklavung

Der militaristische Staat – jeder 20. Nordkoreaner ist Angehöriger des Militärs – zählt zu denjenigen Ländern, in denen die Menschenrechte am wenigsten geachtet werden. Die öffentlichen Medien werden vollständig vom Staat kontrolliert. Auf der Rangliste der Pressefreiheit belegte Nordkorea stets den letzten oder vorletzten Platz. Völlig abgekoppelt vom Internet ist es den Nordkoreanern auch nicht erlaubt, das Land zu verlassen. Menschen, die über die Grenze fliehen und vom Nachbarland zurückgeschickt werden, werden zur Abschreckung öffentlich hingerichtet. Außerdem existieren Berichte von Konzentrations- und Umerziehungslagern, in denen politische Gefangene eingesperrt und zu harter Arbeit gezwungen werden. Opfer und Augenzeugen sprechen von Hunger, Folter, Hinrichtungen und Mord.

Alltag in einem verbotenen Land

Mehr als 24 Millionen Menschen leben derzeit unter der Diktatur von Machthaber Kim Jong-un. Aber wie kann man sich den Alltag in so einem Land vorstellen? Die US-Website "NK News" (North Korea News) hat dazu Nordkoreaner befragt, die mittlerweile im Ausland leben.

Wie sieht der Militärdienst in Nordkorea aus?

Die meisten Soldaten dienen in Nordkorea zehn Jahre lang, wie ein Ex-Bürger mitteilt. Weibliche Soldaten dienen im Schnitt sieben Jahre lang. Die Spezialeinheit, die Bodyguards von Machthaber Kim Jong-un, müssen 13 Jahre ableisten. "Dieser Militärdienst ist in Nordkorea verpflichtend, die meisten Männer gehen nach dem High-School-Abschluss zum Militär", sagt er. Wer ein naturwissenschaftliches oder technisches Studium absolviert, muss nur für drei Jahre zum Militär - ein Relikt aus der Zeit von Kim Jong-il, der diese Wissenschaften so fördern wollte.

»Die erste Schwierigkeit, die Männer beim Militär ertragen müssen, ist Hunger«

Der Militärdienst hat einen großen Haken: "Die erste Schwierigkeit, die Männer beim Militär ertragen müssen, ist Hunger", berichtet der ehemalige Nordkoreaner. Die gemeinen Soldaten in den Stützpunkten außerhalb der Hauptstadt Pjöngjang erhalten lediglich zwei bis drei Kartoffeln pro Mahlzeit. Oder sie müssen nicht verarbeitetes Getreide essen. Neben dem üblichen Militärtraining schuften die hungrigen Soldaten im Sommer zusätzlich auf den Reisfeldern der Bauern. "Deshalb sind viele nordkoreanische Soldaten abgemagert und unterernährt", berichtet der Augenzeuge.

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Wie ist das Studentenleben in Nordkorea?

Es ist wie beim Militär, lautet das Fazit eines ehemaligen Nordkoreaners. Kim Yoo-sung hat sowohl an einer nord- als auch an einer südkoreanischen Universität studiert. Er zieht einen Vergleich: "Es gibt kaum Gemeinsamkeiten", sagt er über die unterschiedlichen Bildungssysteme. In Nordkorea läuft das Studentenleben so ab:

Das Hauptfach sucht nicht der Student, sondern die Universität aus.
Kurse über die herrschende Kim-Familie sind bis zum Studienende Pflicht.
Das Thema der Bachelor-Arbeit ist vorgegeben: eine These über Kim Jong Il.
Es geht militärisch straff zu: Jede Klasse hat einen Klassen-Leiter, einen Vize-Leiter und mehrere Sekretäre.
Es gibt eine strenge Rangordnung - eine Art Machtpyramide.
Der Unterricht beginnt um 8.00 Uhr, Studenten müssen um 7.25 Uhr erscheinen oder sich vor der gesamten Klasse öffentlich entschuldigen.
Es gibt einen strengen Dresscode. Wer sich nicht daran hält, darf die Universität nicht betreten.
Die jungen Nordkoreaner sind Studenten, Sicherheitspersonal und Reinigungskräfte in einem.

In Südkorea läuft vieles nach westlichen Standards ab. Studenten müssen dort nicht Wache stehen oder Gänge putzen. Im Süden zählt weniger die Treue zum Regime als die akademische Leistung. Das Hauptfach darf frei gewählt werden. Kurz gesagt: kein Vergleich zu Nordkorea.

Wie lebt es sich als Homosexueller in Nordkorea?

Diese Frage kann der geflüchtete Nordkoreaner Jang Yeong-jin beantworten. Er hat sich im Exil öffentlich zu seiner Homosexualität bekannt. Sein Heimatland bezeichnet er heute als "ein großes Gefängnis ohne Gitterstäbe". Probleme in seiner Ehe haben ihn dazu gebracht, Nordkorea zu verlassen. Erst nachdem er einige Zeit außerhalb des Landes und in einer offeneren Gesellschaft gelebt habe, sei ihm bewusst geworden, dass er homosexuell sei, teilte der 55-Jährige der "New York Times" mit. Heute lebt er in Südkorea. "Ich habe nicht gewusst, dass ich schwul bin oder was Homosexualität ist, bis ich hier angekommen bin", erzählt er.

Nordkorea sei eine geschlossene Gesellschaft. Das Volk wisse nichts von der Außenwelt, erklärte Jang Yeong-jin gegenüber der Europäischen Allianz für Menschenrechte in Nordkorea. Er habe zuerst gedacht, seine Homosexualität sei ein pathologisches Leiden. Das Thema Homosexualität sei in Nordkorea in keinster Weise präsent. "In offenen Gesellschaften haben die Menschen zumindest ein Bewusstsein für unterschiedliche Sexualitäten, in Nordkorea besteht keine Hoffnung."

Welche Meinung haben Nordkoreaner über die USA?

Nordkoreaner hassen US-Amerikaner nicht. Nordkorea hat die USA - ebenso wie Japan - offiziell zum Feind erklärt. Diese Meinung teilen die Nordkoreaner jedoch nicht, wie ein Ex-Bewohner berichtet: "Das Regime hat es nicht geschafft, den Menschen in allen Bereichen eine totale Gehirnwäsche zu verpassen." Die meisten Menschen in seinem Heimatort hätten die Japaner verachtet, aber nicht die Amerikaner. "Ältere Leute, die den Korea-Krieg miterlebt haben, haben uns erzählt, dass die Amerikaner die schrecklichen Verbrechen, die Nordkoreas Regime ihnen vorwirft, nicht begangen haben." Was der Tod Warmbiers für die Zukunft Nordkoreas bedeutet, wird sich zeigen. Schlimmstenfalls könnte Trump mit einem Militärschlag reagieren. Da sich jedoch noch drei weitere US-Bürger in nordkoreanischer Gefangenschaft befinden, scheint dies eher unwahrscheinlich.