Grüne Stars und türkiser Absturz - das Regierungszeugnis

Politikkenner beurteilen im News-Regierungszeugnis die Leistung der türkis-grünen Regierung. Das Ergebnis: alle vier Grünen unter den ersten fünf. Gesundheitsminister Mückstein ist die neue Nummer eins, Bundeskanzler Kurz und Finanzminister Blümel fallen zurück. Gesamtnote für die Koalition: 3,1.

von Benotung - Grüne Stars und türkiser Absturz - das Regierungszeugnis © Bild: Illustration: Gerhard Haderer

Es mag manchmal rumpeln im grünen Getriebe. Die Sonntagsfragen fielen zuletzt bescheiden aus, und die Sympathisantenschaft ist tendenziell vergrämt. Dennoch: Die grünen Minister sind derzeit um einiges populärer als das Gros des türkisen Regierungsteams. Das zeigen nicht nur aktuelle Umfragen, das zeigt auch das neue News-Regierungszeugnis. Zehn Innenpolitikkenner österreichischer Medien beurteilen darin die Performance der Bundesregierung. Und, das gab es seit der Angelobung Anfang 2020 noch nie: Sie wählten alle vier grünen Regierungsmitglieder unter die ersten fünf.

Einzig der parteifreie ÖVP-Arbeitsminister und Ex-IHS-Chef Martin Kocher verteidigt seinen Spitzenplatz, fiel allerdings seit dem letzten Zeugnis im Februar 2021 vom ersten auf den vierten Platz. In Schulnoten ausgedrückt: Von 1,8 auf 2,4. Immer noch gut, aber eben nicht mehr "sehr gut". Der Neulings-Bonus, von dem Kocher zuletzt profitierte, spielt diesmal einem anderen in die Karten.

Koalitionsstar Mückstein

Die neue Nummer eins der Journalistinnen und Journalisten ist Gesundheits-und Sozialminister Wolfgang Mückstein, der neue Star am (nicht nur) grünen Regierungshimmel. Ein in der Sache kompetenter Quereinsteiger, nach ersten Hoppalas zudem "überraschend sicher unterwegs auf glattem Parkett", wie es Johannes Huber (www.diesubstanz.at) ausdrückt. Mückstein "findet seine Form" konzediert Krone- Journalist Claus Pándi gnädig.

Regierungszeugnis
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Für andere Beobachter hatte der smarte Turnschuhträger, neuerdings in Weißhemd statt -kittel auf Visite unterwegs, schlicht Glück: Andreas Weber vom trend bezeichnet ihn als "klassischen Windfallprofiteur", der in der postpandemischen Lockerungsphase Sympathiepunkte sammelt.

So oder so. An Mückstein führt in den Beliebtheitsrankings derzeit kein Weg vorbei. Wie lange noch, ist offen. Zur Nagelprobe wird für ihn der Herbst, wenn die sommerliche Euphorie vorbei, die Delta-Variante endgültig in Österreich angekommen und die Zeit der großen Fragen gekommen ist. Ist die Durchimpfungsrate hoch genug? Können weitere (Schul-)Schließungen ausgeschlossen werden? Anzunehmen, dass Dr. Mücksteins tadelloses Image dann (von der ÖVP wohlwollend zur Kenntnis genommene) Blessuren erleiden wird.

Ein Plus für Kogler

Werner Kogler
© News/Matt Observe Werner Kogler

Viel länger g'frettet sich schon Vizekanzler Werner Kogler durch pandemische und koalitionäre Wirrnisse. Im Halbjahr 2021 abgeschlagen auf Platz zwölf, arbeitete er sich diesmal auf den fünften Platz hinauf. Ein bemerkenswertes Plus von 0,8. Wie das? Die Innenpolitikexperten, die für News ihr Urteil abgegeben haben, sehen ihn vor allem als Koalitionskitt, der dafür sorgt, dass im Maschinenraum der Koalition nichts heißläuft. Ein undankbarer Job, den aber auch irgendwer machen muss. Und Kogler scheint er sogar Spaß zu machen.

Glamouröser die Performance der grünen Ministerinnen Alma Zadić und Leonore Gewessler. Zadić hält sich schon seit einem Jahr auf dem zweiten Platz, wenn auch mit diesmal schlechterer Wertung. Sie mache unbeirrbar ihren Job und halte noch mit aller Kraft gegen die Begehrlichkeiten der ÖVP, lobt Michael Völker vom Standard.

© © Armin Muratovic Fotografie Alma Zadić

Umwelt-und Infrastrukturministerin Leonore Gewessler, die aufgeschlossen hat und ex aequo mit Zadić auf Platz zwei landet, muss jetzt endlich liefern, finden die meisten Beobachter. Ulrike Weiser von der Presse sieht sie als grünen Star in Warteposition, deren große Vorhaben noch stocken. Für profil-Chefredakteur Christian Rainer ist sie "die effektivste Ministerin (generisches Femininum) der Regierung im wichtigsten Ressort".

Das Mittelfeld der News-Regierungszeugnisse bleibt seit Angelobung der türkis-grünen Regierung relativ stabil. Fast schon abonniert auf den zehnten Platz: Landwirtschafts- und Tourismusministerin Elisabeth Köstinger, die unbeirrbar die Lobbyistin und Kurz- Verteidigerin gibt.

Etwas besser schneidet Bildungsminister Heinz Faßmann ab, auch er ohne Gefahr zu laufen, in die Auswahl der besten Minister aufzusteigen. Seine Bemühungen, das Corona-Chaos an den Schulen in den Griff zu bekommen, bezeichnet Krone-Journalist Claus Pándi als "solide Administration", für Ulrike Weiser von der Presse ist er der "eigenständigste ÖVP-Minister", der bei Corona auch öfter abseits der Parteilinie agierte.

Das wiederum kann man von Europa-Ministerin Karoline Edtstadler nicht behaupten. Sie hält, ähnlich wie Köstinger und Innenminister Karl Nehammer, brav und ohne weiter aufzufallen den türkisen Kurs. Der Schnitt der Schulnoten, der vergeben wurde, entspricht diesem Bild: 3, "befriedigend".

Diener seines Herren

Stärkere Schwankungen sind bei ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg zu beobachten: Er startete sehr stark mit dem dritten Platz im News-Regierungszeugnis ins Amt, stürzte dann um 1,3 Notengrade ab - vor allem wegen seiner mitleidslosen Wortmeldung zur Debatte über die Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria, Stichwort "Geschrei". Im aktuellen Jahresendzeugnis erholen sich seine Werte wieder etwas. Vielleicht, weil er, wie Andreas Weber vom trend beobachtet, "derzeit nicht im Fokus steht." Und brav tut, was Kurz wünscht.

Auf den hinteren Plätzen bietet sich ein überraschendes Bild: Kanzler Kurz, lange Umfragekaiser und auch im News- Regierungszeugnis immer im Spitzenfeld, stürzt auf einen der hinteren Plätze ab. Die Postenschacher-Affäre, die drohende Anklage wegen Falschaussage, all das kostet. Nicht nur Sympathien, sondern auch Bestnoten im News-Regierungszeugnis.

Für Christoph Kotanko, Wien-Korrespondent "Oberösterreichische Nachrichten" und Servus-TV-Moderator, ist Kurz "ein Kanzler mit Knacks". Ihm werde zum Verhängnis, dass er Getriebener tagesaktueller Umfragen sei, analysiert Johannes Huber, der den Politblog Die Substanz betreibt.

Jedoch: Mangels ernsthafter Konkurrenz sind das kaum mehr als Stilnoten. Die kurz und leisest protestierende Partei ist wieder eingefangen, der strauchelnde Kanzler erfängt sich. Wenn nicht noch eine problematische Chat-Nachricht auftaucht, die ihn das politische Leben kostet, bleibt Kurz, wo und was er ist, glauben die Politikexperten. Claus Pándi knapp: "Trotzt robust allen Turbulenzen."

Blümerant

Prekärer die Situation von Kurz-Intimus Gernot Blümel: Der Finanzminister weist seit Beginn der türkis-grünen Koalition keine Bestnoten auf, so schlecht wie heuer war es aber noch nie. Mit einem Minus von 0,7 landet er auf Platz 13 von 15, sogar hinter der notorisch schwächelnden Verteidigungsministerin Klaudia Tanner.

Das Urteil der zehn Innenpolitik-Beobachter fällt harsch aus. Blümel sei rücktrittsreif, heißt es mehrfach. Er habe nicht Akten, sondern ungeheuerliches Benehmen geliefert, befindet Karin Leitner von der Tiroler Tageszeitung, und Ulrike Weiser (Die Presse) sieht ihn als türkisen Prellbock, der manche Schläge für den Chef abfängt, aber zu viel Fehler gemacht habe.

Rote Laterne

Ein bisschen schwächer geht's noch. Die letzten Plätze im News-Regierungszeugnis sind fix vergeben, seitdem die türkis-grüne Bundesregierung vor eineinhalb Jahren angelobt wurde. Während Tanner sich diesmal immerhin auf den zwölften Platz vorarbeitete, bleibt die kaum wahrnehmbare Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck stabil auf dem vorletzten Platz, diesmal gemeinsam mit Finanzminister Blümel.

Letzte: die aktuell karenzierte Integrations-, Frauen-und Familienministerin Susanne Raab, die im Februar immerhin noch vor Tanner und Schramböck gereiht wurde. Michael Völker vom Standard: "Völlig unglaubwürdig in ihrer Rolle als Frauen-und Integrationsministerin, eine echte Fehlbesetzung."

Dieser Beitrag ist in der aktuellen Printausgabe von News (27/2021) erschienen.