Frühwarnung für die Regierung

Politkenner beurteilen im News-Regierungszeugnis die Leistung der türkis-grünen Regierung. Das Ergebnis: Die Krise setzt der Koalition zu. Gesamtnote 3,1.

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Regierungszeugnis - Frühwarnung für die Regierung

Die österreichische Bundesregierung steht nicht mehr so gut da wie vor einem halben Jahr. Das sagt Politikinteressierten nicht nur ihr Gefühl, das sagt auch das aktuelle News-Regierungszeugnis.

Zehn renommierte Innenpolitikjournalisten haben die Performance der türkis-grünen Ministerinnen und Minister bewertet. Die - nicht ausgewiesenen -Einzelnoten gehen teils stark auseinander, aber unterm Strich ist klar: Der Corona-Honeymoon, der vor allem Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) im Frühjahr spektakulär hohe Umfragewerte beschert hatte, ist endgültig vorbei. Kam die türkis-grüne Regierung im Sommer noch auf einen Notenschnitt von 2,9, liegt er diesmal bei nur 3,1 -nur wenig besser als im letzten türkis-blauen Regierungszeugnis im Februar 2019. Jetzt reichen keine schönen Worte mehr. Jetzt müssen Lösungen her. Jetzt braucht es einen überzeugenden Plan für die Krisenbewältigung.

© Matt Observe/News

Und der geht den Politexperten, die das Regierungszeugnis erstellt haben, vor allem bei Gesundheitsminister Anschober ab. Bemüht, aber überfordert, lautet der Tenor. Oliver Pink, Innenpolitikchef der "Presse", sagt: "Das Bemühen kann man ihm nicht absprechen, aber für den Schlingerkurs der Regierung ist er hauptverantwortlich." Für trend-Chefredakteur Andreas Weber hat sich Anschober vom Klassenbesten zum Pannenminister entwickelt. "Wie viel daran selbst verschuldet oder den Umständen geschuldet ist, kann fairerweise erst nach Ende der Pandemie final geklärt werden. Schwaches Ministerium, schlechte Organisation, Überforderung aller, neidvolle Intrigen seiner Feinde in der Regierung und den Ländern. Aber: Stellen wir uns nur eine Sekunde vor, es würden nach wie vor blaue Pandemieverweigerer dieses Ressort regieren."

Von einem Notenschnitt von 1,5 im letzten Juli auf 3,2 im aktuellen Zeugnis. So stark wie Anschober stürzte kein anderer Politiker ab. Kanzler Kurz verlor ebenfalls, aber weniger: von 2,2 auf 2,7. Was die Performance des Kanzlers betrifft, sind die Bewertungen der Politikauskenner dennoch vorsichtig positiv. Für profil-Chefredakteur Christian Rainer besticht Kurz als "klarer Kopf in katastrophalen Zeiten", der allerdings mit einem selbst verschuldeten "Misstrauensvorschuss" kämpfe. Auch für Michael Völker, Innenpolitikchef beim "Standard", hat "der Kanzler in der Krise einiges an Vertrauen verloren, er setzt jetzt auf breiten Konsens, das ist gut." Und Kurz landet immerhin, beachtlich für einen Kanzler in der Riesenkrise, auf dem guten vierten Platz.

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Einziger ÖVP-Minister vor ihm: der frisch angelobte Arbeitsminister Martin Kocher (der den Notenschnitt der ÖVP übrigens ordentlich verbessert; seine Vorgängerin Christine Aschbacher war im letzten News-Regierungszeugnis mit einer Note von 4,5 weit abgeschlagenes Schlusslicht). Ein Hoffnungsträger, dem kraft seiner Kompetenz vieles zugetraut wird. Beweisen konnte und musste er sich allerdings noch nicht. Das sorgt auch für skeptische Einschätzungen. "Wird er sich ob seiner Expertise Eigenständigkeit erlauben?", fragt etwa Karin Leitner von der "Tiroler Tageszeitung", "oder sich von der ÖVP gängeln lassen?" Für Politblogger Johannes Huber ("Die Substanz") ist Kocher schlicht - Achtung, Ironie -"der ideale Wirtschaftsund Finanzminister".

Grünes Renommee

Auf den Plätzen zwei und drei, gleich hinter Shootingstar Kocher, tun (die derzeit karenzierte) Justizministerin Alma Zadić und Umweltministerin Leonore Gewessler alles, um das grüne Renommee doch noch irgendwie hochzuhalten. Zadić zehre nach wie vor von Sympathiebonus und Professionalität, so die Einschätzung; Gewessler ist die grüne Superministerin in spe. Bisher überschattete die Corona-Krise ihre klimapolitischen Ambitionen, aber bald sollte ihre große Stunde schlagen. Jedoch, mit dem 1-2-3-Ticket stecke sie derzeit in der Sackgasse, konstatiert "Kurier"-Journalistin Johanna Hager.

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Im Windschatten der Krisenbewältigung Punkte sammeln, das funktioniert für Zadić und Gewessler ganz gut. Die türkise Europaministerin, von Corona-Problemen ebenfalls weitgehend verschont, legt einen verblüffenden Turnaround hin: Beim letzten Mal noch unter den schlechtesten Fünf, hat Karoline Edtstadler es diesmal in die top fünf geschafft. Sie schweige schlau, fasst Claus Pándi von der "Kronen Zeitung" süffisant zusammen.

Zu unsichtbar war zuletzt der grüne Vizekanzler Werner Kogler. Konnte sich Kogler im Sommer 2020 noch im guten Mittelfeld halten, stürzte er diesmal in die Riege der Schlusslichter ab. Dank Zadić und Gewessler steigen die grünen Regierungsmitglieder aber unterm Strich ganz passabel aus. Der Notenschnitt von 2,9 liegt zwar deutlich unter jenem vom Juli 2020 - da kamen die Grünen auf 2,2 -, ist aber immer noch besser als jener der ÖVP-Regierungsmitglieder.

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Bei der ÖVP fällt auf: Viele der im Krisenmanagement besonders geforderten Minister drängeln sich im Mittelfeld. Manche mehr recht als schlecht, andere mehr schlecht als recht. Innenminister Karl Nehammer zum Beispiel löst keine Begeisterungsstürme unter den Juroren aus, macht aber, wie es Andreas Weber vom trend nüchtern ausdrückt, "einen ordentlichen Job". Ist ja auch nicht nichts, in Zeiten wie diesen. Finanzminister Gernot Blümel, Außenminister Alexander Schallenberg und Bildungsminister Heinz Faßmann kommen alle drei auf die Note 3,3. "Drei minus" würde man in der Schule wohl dazu sagen. Oder: Streng dich beim nächsten Mal etwas mehr an!

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Blümel, meint etwa profil-Chefredakteur Christian Rainer, sei "der am meisten unterschätzte Minister". " Krone"-Mann Pándi hält ihn dagegen für "überfordert".

Schallenberg, im letzten Regierungszeugnis noch Musterschüler mit einem Notenschnitt von zwei - Platz drei nach Anschober und Zadić, damit bester ÖVP-Minister -, hat sich mit diversen Fehltritten nichts Gutes getan. Stichwort "Bombenabwurf über Wien". Oder als er die Forderung nach Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria als "Geschrei" bezeichnete.

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Bildungsminister Heinz Faßmann schließlich, scherzt "Presse"-Journalist Oliver Pink, sei der Sisyphus-Minister: "Er hält die Schultüre auf - sie fällt wieder zu. Er hält die Schultüre auf - sie fällt wieder zu." Faßmann ringe, meint Michael Völker, Leiter des Innenpolitikressorts beim- "Standard", "um die Schulen und die Schüler, das ist ihm ein ehrliches Anliegen. Durchsetzen kann er sich nicht."

Landwirtschafts- und Tourismusministerin Elisabeth Köstinger schließlich rundet das Feld der ÖVP-Minister im unteren Durchschnitt ab, übrigens auf einer ähnlichen Position wie im letzten Regierungszeugnis. Auch die Einschätzung ihrer Leistung hat sich nicht stark verändert: Köstinger gilt als stabiles Regierungsmitglied, als zuverlässige Kurz-Frau und unerschütterliche Landwirtschaftslobbyistin. Dass dabei nicht immer viel weitergeht, steht auf einem anderen Blatt. Sie habe die "Tour(ismus) de Force" noch vor sich, gibt Johanna Hager vom "Kurier" zu bedenken. Christian Rainer meint: "Demnächst in der Kolumne 'Was wurde eigentlich aus' zu finden."

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Stabil auf dem vorvorletzten Platz: Die Frauen-, Integrations- und baldige Familienministerin Susanne Raab, eine "Meisterin in der Präsentation türkiser Phrasen", wie Karin Leitner von der "Tiroler Tageszeitung" befindet. Raab sei allerdings auch für ein schwieriges Ressort verantwortlich, betonen mehrere Kommentatoren. Christoph Kotanko von den " Oberösterreichischen Nachrichten": "Migranten, Frauen und Familien unter einem Dach zu betreuen wird eine riesige Herausforderung."

Mit einem Notenschnitt von drei rangierte Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck letzten Juli noch im guten Mittelfeld. Sie verschlechterte sich seitdem um einen ganzen Notengrad und kommt jetzt nur auf einen Vierer. Genügend. Letzter Platz, ex aequo mit der eher glücklosen Verteidigungsministerin Klaudia Tanner.

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In der Bundesleistungsverordnung heißt es dazu: "Mit ,Genügend' sind Leistungen zu beurteilen, mit denen der Schüler die nach Maßgabe des Lehrplanes gestellten Anforderungen in der Erfassung und in der Anwendung des Lehrstoffes sowie in der Durchführung der Aufgaben in den wesentlichen Bereichen überwiegend erfüllt."

Überwiegend erfüllt - das trifft wohl auf die zuletzt erstaunlich unauffällige Wirtschaftsministerin ganz gut zu. Sie sei unscheinbar, monieren die Politikjournalisten, die für News das Regierungszeugnis zusammengestellt haben, konturlos, brav. Besonderer Flop: die Internetplattform "Kaufhaus Österreich", die für jede Menge Kosten und Spott sorgte. Verteidigungsministerin Klaudia Tanner schließlich, schon im Vorjahr auf dem vorletzten Platz, konnte auch der professionelle Einsatz "ihres" Bundesheers bei den Massentests nicht wirklich helfen.

Die nächsten Monate, darin sind sich alle einig, werden herausfordernd. Wird Martin Kocher die hohen Erwartungen, die in ihn gesetzt werden, erfüllen? Hält Kanzler Kurz den Kurs und, wenn ja, welchen? Gibt es weitere Wechsel im Regierungsteam? Stehen uns gar größere innenpolitische Überraschungen ins Haus? Es bleibt spannend. Bleiben Sie dran.

Die ausführlichen Bewertungen der einzelnen Politiker durch die Innenpolitikexperten finden Sie im News der Ausgabe 04/2021.